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Kapitel 6: Schädelspinnenfäden

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Die Schädelspinne bewegte sich plötzlich mit einer ungeheuren Geschwindigkeit und webte ein Netz aus schwarzen, klebrigen Fäden, die zwischen den Hauern ihres Orxanier-Schädels hervordrangen.

Ein letztes Mal versuchte Gorian, seine Lähmung zu überwinden und den Dolch einzusetzen, dem er nun endlich einen Namen gegeben hätte.

Aber Rächers Klinge zitterte nur leicht. Die zusätzliche Kraft, die dieser Waffe innewohnte, nun, nachdem sie ihren Namen erhalten hatte, reichte keinesfalls, um den Bann zu brechen.

Innerhalb von Augenblicken war Gorian dermaßen eingeschnürt, dass er sich selbst dann nicht mehr würde bewegen können, sobald seine Kraft zurückkehrte.

Die Schädelspinne zog ihn an einem besonders dicken Faden hinter sich her, schleifte ihn über den gefrorenen Boden in Richtung des Hofes, und der bärengestaltige Frostgott folgte seiner Dienerkreatur, ebenso wie ein Großteil der Frostkrieger.

Zwischendurch blieb Frogyrr allerdings stehen, richtete sich dabei zur vollen Größe auf und reckte die oberen Tatzenpaare in die Luft. Dabei stieß er einen dumpfen Knurrlaut aus. Die dazugehörigen Gedanken waren nicht klar ausformuliert, obwohl er Gorian zweifellos mit Absicht daran teilhaben ließ. Sie waren ein Schwall aus wirren Bildern, Farben und Tönen, die schmerzhaft in Gorians Kopf widerhallten. Es war ein Gedankenbefehl, der den Eiskrähen galt. Und die Bilder, die Gorian sah, machten deutlich, was sie zu tun hatten ...

Die Vögel sammelten sich zu einem großen Schwarm, der über dem Frostgott kreiste und dann in alle Richtungen zerstob.

Als sie ihr blutiges Werk zu verrichten begannen, hörte Gorian die Schreie der Flüchtenden, die von ihnen angegriffen und niedergemacht wurden. Schreie der Knechte und Mägde, die auf dem Hof ihr Auskommen gehabt hatten, Schreie von Menschen und jenen Orxaniern, die sich mit ihren Frauen und Kindern davongemacht hatten.

Niemand, der zurzeit des Angriffs auf Nhorichs Hof gewesen war, sollte überleben. Niemand sollte bezeugen können, was geschehen war.

Es waren Schreckensrufe, Todesschreie, die von unaussprechlichen Dingen kündeten, die sich überall im weiteren Umkreis des Hofes ereigneten.

Frogyrr lachte. „Das ist leider die einzige Weise, auf die ich dich leiden lassen darf – denn die Art deines Todes steht fest und darf nicht variiert werden!“, sandte er einen höhnischen Gedanken an Gorian. „Aber immerhin lassen sich die Todesschreie mithilfe von etwas Magie so verstärken, dass du sie auch wirklich mitbekommst ...“

Gorian hätte ihm am liebsten seine Wut entgegengeschrien. Und tatsächlich gelang es ihm zu sprechen. Seine Kräfte kehrten offenbar zurück, auch wenn er aufgrund der Fesselung durch das Netz der Schädelspinne davon so gut wie keinen Gebrauch machen konnte.

„Du wirst eines Tages dafür bezahlen, Frostgott!“, rief er. „Du und dein Herr und Meister auf der Frostfeste, der sich jetzt vielleicht noch sicher fühlt! Aber es gibt einen Weg, ihn zu vernichten!“

„Mit dir wird die einzige Möglichkeit, die das Schicksalsgeflecht des Polyversums dafür vorgesehen hat, sterben, Gorian. Aber schreie deine Wut ruhig heraus! Verausgabe deine wiedererstarkte Kraft! Dann spüre ich wenigstens, dass du lebst, denn ich hasse es, etwas Untotes zu vernichten!“

Er streckte eine Tatze aus und grollte ein paar Laute vor sich hin, bei denen sich Gorian nicht sicher war, ob es sich nur um ein tierhaftes Grunzen oder eine magische Formel in einer uralten, längst vergessenen Sprache handelte. Ein greller Blitz zuckte aus einer der Tatzen und markierte eine bestimmte Stelle, die etwa in der Mitte zwischen den Hauptgebäuden von Nhorichs Hof lag. Ein dunkler, angerußter Kreis entstand.

„Dorthin!“ Der Gedanke, den Frogyrr dazu aussandte, ließ sich nicht missverstehen, und seine Heftigkeit veranlasste die Schädelspinne, sich noch mehr anzustrengen und sich zu beeilen. Sie zog Gorians eingeschnürten Körper in die Mitte des Kreises, den Frogyrr markiert hatte.

Als das geschehen war, trat der Frostgott selbst an den Rand des Kreises. „Den Dolch!“ Die Schädelspinne zögerte. „Den Dolch! Es muss sein!“

Die Schädelspinne sträubte sich, aber ein weiterer, schmerzhaft starker Gedanke sorgte dafür, dass sie winselnd gehorchte. Sie öffnete dort, wo Gorians Faust mit dem Dolch von den schwarzen Fäden an den Körper gepresst wurde, das Netz, und ein Strahl schwarzen Lichts schoss aus dem linken Auge des Orxanier-Schädels, traf die um den Griff gekrallte Hand. Es brannte höllisch, Gorian stöhnte auf und ließ die Waffe los. Allmählich dämmerte ihm, dass seine Kräfte nicht schnell genug zurückkehren würden, um sich noch in irgendeiner Weise gegen das zu wehren, was sein vorgezeichnetes Schicksal zu sein schien.

Die Schädelspinne kroch zurück auf seine Brust. An zwei ihrer acht Beine hatten sich Greifhände gebildet, die den Dolch umfassten. „Genau ins rechte Auge!“, lautete die Anweisung des Frostgottes an seine Dienerkreatur. „Rasch! Der Zeitpunkt ist gekommen und darf nicht ungenutzt verstreichen!“

Die Schädelspinne hob den Dolch, zielte auf Gorians rechtes Auge - und stieß zu!

Gorian spürte einen furchtbaren Schmerz, der seinen gesamten Kopf erfüllte. Ob dieser Schmerz eher durch Frogyrrs Gedanken oder durch den Stich des Dolchs verursacht wurde, ließ sich nicht sagen. Ein Sog schien ihn zu erfassen. Er hatte das Gefühl zu fallen. Alles wurde pechschwarz, und Stille war plötzlich um ihn herum – und in seinem Kopf. Die bedrängenden Gedanken des Frostgottes schienen verstummt.

Ist es das?, fragte sich Gorian. Das Jenseits? War nun alles vorbei? Alle Hoffnungen, aber auch alle Qualen?

Dann hatte Morygor sein Ziel erreicht und den einzigen Menschen getötet, der ihm in Zukunft gefährlich werden konnte. Er hatte damit verhindert, dass sich ihre beiden Schicksalslinien noch treffen konnten. Der Schattenbringer würde sich immer weiter vor die Sonne schieben und den Kreaturen des Unheils erlauben, ihr Reich auch in jene Regionen auszuweiten, wo sie derzeit nur mit besonderer magischer Hilfe zu existieren vermochten.

Plötzlich wurde Gorian gepackt und herumgedreht. Er fühlte kalten Stahl auf der Haut und wie jemand die Fesseln aus der schwarzen Blutseide der Schädelspinne zu durchtrennen begann.

„Halt still, du Narr!“, sagte eine Stimme, die Gorian sehr bekannt war. Er glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen.

„Beliak?“, fragte er.

„Ja, wer sonst? Und jetzt lass dir die Fesseln abnehmen und atme nicht zu viel. Die Luft hier unten ist knapp – normalerweise zu knapp für menschliche Schwächlingskinder, aber eine Weile wird es gehen.“

Mit geschickten Schnitten hatte der Adh innerhalb weniger Augenblicke Gorian soweit befreit, dass der sich wieder bewegen konnte. Die magische Lähmung, die ihn nach dem Angriff mit dem schwarzen Licht befallen hatte, wirkte noch etwas nach. Ein unangenehmes Kribbeln durchlief seinen Körper. Er stieß sich irgendwo, als er versuchte, sich aufzurichten.

„Wo bin ich?“, fragte er. „Haben dich die orxanischen Frostkrieger ebenso erschlagen wie meinen Vater, und begegnen wir uns deshalb hier im Jenseits wieder?“

„Nein, du Narr. Wir sind dort, wohin dein Vater mir befahl zu flüchten.“

„Was?“

„Unter der Erde. Ja, ich gebe zu, dass sich diese anregungsarme Umgebung lähmend auf Geist und Gedanken auswirken kann. Adhe sind zwar nicht so sehr auf Licht oder Luft angewiesen, aber deine Art ist da etwa anders veranlagt ...“

In diesem Moment ertönte ein knarrendes Geräusch, das Gorian zusammenzucken ließ. „Was war das?“

„Ach, das ist nur der Frostgott Frogyrr. Der stampft da oben über uns wahrscheinlich wütend herum und führt sich auf wie ein übellauniger Tanzbär, weil er gerade zusehen musste, wie du einfach in der Erde versunken bist, obwohl du gerade umgebracht werden solltest. Das hat für uns leider die unangenehme Nebenwirkung, dass hier der Boden wohl bald gefrieren wird, und dann wird es selbst für mich unangenehm hier unten. Abgesehen davon kommt der Frostgott vielleicht schon bald darauf, was hier geschehen ist. Er hat nämlich durchaus die Möglichkeit, uns aufzuspüren, wenn er will. Und dass Adhe nicht nur aus der Erde emporwachsen, sondern auch notfalls wieder in ihr versinken können, dürfte ihm wohl bekannt sein. Bist du wieder einigermaßen beieinander?“

„Ja, ich kann mich wieder bewegen, auch wenn sich alles noch etwas taub anfühlt.“

„Dein Vater kannte einige Heil- und Kräftigungszauber, die allerdings bei meinesgleichen stets versagten“, meinte Beliak. „Ich nehme an, dass er dir ein paar dieser Praktiken gezeigt hat, aber du solltest jetzt darauf verzichten, sie anzuwenden.“

„Warum?“

„Weil über uns ein wütender weißer Bär darauf sinnt, wie er dich doch noch töten kann und dieser Bär einen sehr feinen Sinn für jede Art von Magie hat.“

„Du glaubst, er könnte spüren ...“

„... wenn du hier einen Heilspruch anwendest. Ohne Zweifel. Also tu uns beiden den Gefallen und verzichte auf derlei magische Kunststückchen. Und da du kein ausgebildeter Heiler, ja, noch nicht einmal ein gewöhnlicher Heilkundiger bist, ist es vielleicht sowieso besser, wenn du es bleiben lässt.“

Im nächsten Augenblick spürte Gorian, wie der Adh seine Hand nahm und ihm etwas hineindrückte. Etwas Kaltes, Metallisches.

Gorian zuckte förmlich zusammen, als er erkannte, was es war.

Rächer!

„Hier, nimm das Ding an dich. Das ist mit dir hier hereingesogen worden.“

„Ich verstehe das noch immer nicht. Eigentlich dachte ich, ich hätte diese Klinge ins Auge gerammt bekommen.“

„Ja, du hast wirklich Glück gehabt. Normalerweise ist es Menschen nämlich nicht möglich, die Untererdreich-Wege der Adhe zu betreten – es sei denn, man hat die Blutseide einer Schädelspinne zur Verfügung und wird vielleicht sogar darin eingesponnen. Nur so war es möglich, dich hierher zu holen.“

„Aber ... hat Frogyrr das denn nicht gewusst?“

„Ich weiß nicht, warum er dich auf so eigenartige Weise zu töten versuchte. Vermutlich hatte er seine Anweisungen diesbezüglich. Aber er hat ganz sicher nicht gewusst, dass ein Adh in der Nähe ist, der dich gerade dann ins Untererdreich ziehen könnte, wenn ...“ Beliak stockte, und erneut war ein knarrender Laut zu hören. „Weg hier!“, forderte er. „Ich werde dir alles später erklären. Jetzt sollten wir zuerst mal unsere Leben retten!“

––––––––




Beliak zog Gorian hinter sich her. Sie liefen durch einen vollkommen dunklen Stollen. Zumindest glaubte Gorian, dass es ein Stollen oder Tunnel war, denn ab und zu stieß er seitlich gegen eine kalte Erdwand – oder zumindest das, was er dafür hielt. Wohin ihr Weg führte, vermochte er nicht zu sagen. Aber er vertraute Beliak.

Nach einer Weile hielt der Adh endlich inne.

„Was ist?“, fragte Gorian. „Sind wir hier sicher?“

„Ja. Vorerst zumindest.“

„Und verrätst du mir auch, wo genau wir eigentlich sind?“

„Es hätte wenig Sinn, dir das erläutern zu wollen.“

„Wieso?“

„Weil du kein Adh bist und es nicht wirklich begreifen könntest. Dir fehlen die Sinne dafür.“

„Ich habe von den Wegen der Adhe durch das Untererdreich gehört – und ihr entsteht hier doch auch.“

„Die Wege des Untererdreichs gehören nicht zum Erdenrund, Gorian. Sie sind Teil einer anderen Welt und deshalb auch nicht mit gewöhnlichen Höhlengängen vergleichbar. Wenn du nach ihnen graben würdest, würdest du nichts finden außer gewöhnlichem Erdreich. Wie ich schon sagte, können normalerweise nur Adhe diese Wege betreten, es sei denn, man hilft mit starker Magie nach und hat die richtigen Hilfsmittel, wie beispielsweise die Blutseide der Schädelspinnen.“

„Ich dachte ...“

„Still! Ich muss meine Aufmerksamkeit sammeln.“ Einige Augenblicke herrschte Schweigen, und die Stille war so vollkommen, dass es Gorian davon fröstelte. Er war regelrecht erleichtert, als Beliak wieder zu reden begann. In dieser absoluten Finsternis fühlte man sich sehr schnell einsam und verloren.

„Ich erkenne, was an der Oberfläche geschieht“, erklärte der Adh. „Auf welche Weise ich das vermag, kann ich dir nicht erklären, denn kein Mensch kennt dazu auch nur eine annähernde Entsprechung. Lass dir einfach gesagt sein, dass ich es kann und darauf geachtet habe, wie nahe man uns auf den Fersen ist.“

„Ich dachte, es könnte uns niemand folgen“, wandte Gorian ein. „Oder lässt sich dieser Frogyrr von der Blutseide seiner eigenen Schädelspinne einwickeln, nur um in diese dunklen Gänge zu gelangen?“

„Frogyrr kennt die Gänge des Untererdreiches und vermag uns aufzuspüren. Das kostet ihn zwar etwas Mühe, aber die wird er sich zweifellos machen. Schon deshalb, weil du ihm ein Auge genommen hast und er sich gewiss rächen will.“

Offenbar hatte der Adh sogar Einzelheiten des Kampfes zwischen ihm und dem Frostgott mitbekommen, während er sich im Untererdreich versteckt gehalten hatte.

„Wie können wir uns vor ihm verbergen?“, fragte Gorian.

„Gar nicht. Ich glaube, die meisten anderen Adhe, die auf dem Hof deines Vaters lebten und beim Auftauchen der Frostkrieger ins Untererdreich flohen, sind von Frogyrrs Schergen längst aufgespürt und ermordet worden. Wir müsse so schnell wie möglich fort von hier, an einen Ort, an dem man sich verbergen kann.“

„Ich kenne einen solchen Ort.“ Gorian dachte an den Tempel der Alten Götter, wo sein Vater die Schwerter so lange verborgen hatte.

„Umso besser“, meinte Beliak. „Einst durchwanderten die Adhe das ganze Untererdreich, aber schon seit langem beschränken wir uns auf die Pfade unter der Oberfläche unseres eigenen Landes. Daher sind all die anderen Pfade verwaist. Zumindest zum größten Teil.“

„Und was bedeutet das für uns?“, fragte Gorian, denn er verstand nicht, worauf sein Gefährte mit dieser Bemerkung hinaus wollte.

„Ganz einfach: Unter diesen Umständen lässt sich ein einzelner Adh und ein Menschensohn sehr viel leichter aufspüren, als würden all diese wunderbaren, untereinander verbundenen Untererdreich-Wege von tausenden oder gar abertausenden Adhe bewohnt.“ Beliak ließ ein Seufzen hören, das aus tiefster Seele kam. „Einst kam unseresgleichen überall in Ost-Erdenrund aus dem Boden, und unsere Untererdreich-Pfade waren auf dem gesamten Kontinent zu finden. Doch das hat sich leider geändert. Wir sind nicht mehr so zahlreich wie früher, und nun schicken sich Morygor und seine Horden sogar an, uns auch noch den letzten Rest unseres ureigenen Adhelandes im Nordosten zu rauben.“

Bitterkeit sprach aus seinen Worten. Aber jemand wie Beliak hielt sich nie länger als unbedingt notwendig mit der Vergangenheit auf. So hatte Gorian ihn zumindest kennengelernt, und in dieser Hinsicht war der Adh seinem Charakter über all die Jahre hinweg, da Gorian ihn schon kannte, treu geblieben.

„Komm jetzt“, sagte Beliak schließlich, nachdem sie eine Weile verharrt waren und er mit seinen besonderen Adhe-Sinnen zu erkennen versucht hatte, ob ihnen an der Oberfläche schon jemand auf den Fersen war. Dass Frogyrr klein beigeben und einfach abziehen würde, war nicht anzunehmen. Nicht, nachdem Gorian ihm ein Auge genommen hatte – und davon abgesehen hätte der Frostgott dann nicht mehr vor seinen Herrn und Meister treten können.

Auch deshalb fügte Beliak hinzu: „Du kannst dich hier unten im Untererdreich keineswegs sicher fühlen, denn erstens kannst du hier selbst mithilfe von Magie nur eine begrenzte Zeit bleiben, und zweitens bleibt – wie ich schon andeutete - nicht einmal unsereins hier länger unentdeckt. Die Frostgötter und ihre Krieger haben sehr ausgefeilte Methoden, uns überall aufzuspüren und zu vernichten. So haben sie den Norden unseres Landes unter ihre Einfluss gezwungen und dabei viele von uns in untote Kreaturen verwandelt, die nun für Morygor kämpfen. Sie sind die allerbesten Adhe-Jäger, denn sie kennen uns.“

„Das klingt ziemlich hoffnungslos“, meinte Gorian.

Aus der Dunkelheit heraus hörte Nhorichs Sohn das heisere, freudlose und sehr bitter klingende Lachen Beliaks. „Glaubst du, ich hätte das Land der Adhe aus Vergnügen verlassen? Oder aus Abenteuerlust? Nein, davon kann keine Rede sein. Und dass es all den anderen, weiter südlich gelegenen Ländern schon bald nicht viel besser ergehen wird als meinem eigenen, ist mir alles andere als ein Trost.“

„Eines Tages werde ich Morygors Herrschaft beenden, das schwöre ich“, sagte Gorian düster. „Es muss einen Weg geben. Auch wenn es momentan nicht gerade so aussieht, als wäre das Glück auf meiner Seite.“

„Findest du.“

„Frogyrr wird Morygor die beiden Schwerter meines Vaters bringen – Sternenklinge und Schattenstich - die einzigen Waffen, von denen man hoffen durfte, dass man mit ihnen Morygors Schergen Einhalt gebieten kann. Aber ich werde mich nicht davon abbringen lassen: Eines Tages werde ich ihm gegenübertreten, und dann ...“

„Bevor du dich an deiner eigenen Großspurigkeit ergötzt, solltest du an das Nächstliegende denken und dein Leben retten“, unterbrach ihn Beliak trocken. „Fühlst du dich stark?“

„Ja.“

„Das wird sich bald ändern, denn wenn du zu lange hier unten im Untererdreich weilst, gehst du elendig zugrunde. Nicht einmal der beste Heilzauber oder die mächtigste Adhe-Magie könnten dir dann noch helfen.“

„Was schlägst du vor?“

„Sehen wir zu, dass wir noch ein bisschen vorwärts kommen, bis es kritisch wird. Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als uns wieder an die Oberfläche zu begeben. Na ja, zumindest dir bleibt nichts anderes übrig ...“

Beliak fasste erneut Gorians Hand und wollte ihn mit sich ziehen. Aber Gorian zögerte. Er blieb stehen und sagte: „Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast, aber du solltest dir über eins im Klaren sein: Frogyrr ist meinetwegen hierher gekommen. Und wenn du mir weiterhin hilfst oder dich auch nur in meiner Nähe aufhältst, wirst du damit den Zorn des Frostgottes und seiner Schergen auf dich ziehen.“

„Mach dir keine Sorgen wegen des Zorns dieser Kreaturen, den sie gegen mich hegen könnten – die sollten sich eher sorgen um meinen Zorn auf sie!“, gab Beliak zurück, der trotz all seines Grolls, den er gegen Morygor, die Frostgötter und ihre mannigfachen Schergen empfand, offenbar nicht seinen Humor verloren hatte.

„Und mich nennst du großspurig?“, fragte Gorian.

„Deine ehrgeizigen Ziele will ich dir gar nicht ausreden“, erwiderte Beliak. „Aber man sollte immer auch darauf vorbereitet sein, dass sich alles zerschlägt, was man sich vorgenommen hat. Und man sollte seinen Feinden nicht vor lauter Übereifer ins offene Messer laufen, was in diesem Fall wohl eher mit der gespaltenen Klinge eines untoten Orxaniers gleichzusetzen ist.“

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Sie setzten ihren Weg durch die vollkommene Finsternis des Untererdreichs fort, und Gorian spürte tatsächlich, wie sich mit der Zeit eine bleierne Schwere auf ihn legte und ihn schwächte. Es war eine gänzlich andere Art von Schwäche als jene, die Frogyrr durch sein lähmendes schwarzes Licht zeitweilig bei ihm verursacht hatte, aber auf die Dauer sicher nicht minder wirksam.

Schließlich wurde es so schlimm, dass Beliak zu dem Schluss kam, es sei das Beste, sich wieder an die Oberfläche zu begeben.

Gorian fiel es zunehmend schwerer, klare Gedanken zu fassen, was für Beliak ein weiteres Zeichen dafür war, dass sie nun schleunigst das Untererdreich verlasen mussten. Er zog Gorian einfach hinter sich her, dann fühlte Gorian plötzlich, wie ihm kühle, frische Luft ins Gesicht blies. Etwas peitschte ihm gegen den Oberkörper. Es war ein Ast, den er in der Dunkelheit nicht gesehen hatte.

Nach Atem ringend blieb Gorian stehen.

Der Mond schien zwischen hohen Baumkronen hindurch geradewegs auf eine glatte Felswand. Genau von dort waren sie soeben gekommen. Gorian blinzelte verwirrt. Nach der vollkommenen Finsternis des Untererdreichs erschien ihm das Licht des Mondes beinahe grell.

Beliak stand ein paar Schritte von ihm entfernt zwischen zwei verkrüppelten, knorrigen Bäumen, die auf eigenartige Weise miteinander verwachsen waren. Er schien die stille Frage zu erahnen, die Gorian in Kopf herumspukte. „Deine Vermutung ist schon richtig. Wir sind durch diese Felswand gegangen, auch wenn ich dir nicht empfehlen kann, den umgekehrten Weg zu nehmen.“

Gorian wischte sich mit der Hand übers Gesicht, so als wollte er sich damit endgültig von dem schwächenden Einfluss befreien, den das Untererdreich auf ihn ausgeübt hatte. Dann trat er an die Felswand heran und betastete sie. Er konnte einfach nicht anders. Zu seltsam war selbst für jemanden wie ihn, der durch seinen Vater von klein auf mit Magie zu tun gehabt hatte, was gerade geschehen war.

Gorian hatte den Moment des Übergangs von einer Welt in die andere ebenso wenig in vollem Bewusstsein miterlebt wie jenen, als ihm sein eigener Dolch eigentlich hätte ins Auge und ins Hirn fahren müssen, doch es gab nicht den geringsten Grund, an Beliaks Aussage zu zweifeln.

„Der Übergang zwischen dem Untererdreich und der Oberwelt ist nicht überall möglich, nicht wahr?“, sagte er.

„Nein, nur an bestimmten Punkten, die für uns Adhe so vollkommen klar und offensichtlich sind wie für das Menschenauge der Eingang einer Höhle.“

Gorian strich über den glatten Fels, dessen Struktur und Beschaffenheit keinerlei Hinweise darauf gab, dass es sich um mehr als nur ganz gewöhnlichen Stein handelte.

„Du wolltest zu diesem Tempel, wo man sich angeblich besonders gut verbergen kann“, hörte er Beliak sagen. „Ich habe mich so gut es ging nach deinen Beschreibungen und Richtungsangaben gerichtet, aber da du dich nicht gut in der Welt des Untererdreichs auskennst - was dir aufgrund deiner menschlichen Natur auch niemand ernsthaft zum Vorwurf machen kann - und ich, wie ich gestehen muss, nicht besonders ortskundig an der Oberwelt bin, bin ich mir nicht sicher, wo genau wir sind und wohin wir uns wenden müssen.“

„Wenn wir ein Stück gegangen sind, werde ich rasch wissen, wo wir uns ungefähr befinden“, war Gorian zuversichtlich.

„Ich muss dir gestehen, dass wir uns keineswegs so weit vom Hof deines Vaters entfernen konnten, wie ich gehofft hatte“, fügte Beliak seinen Bedenken noch einen weiteren Punkt hinzu. „Das lag in erster Linie an deiner Konstitution, da du für die Benutzung derartiger Wege nicht geschaffen bist.“

„Hast du die Anwesenheit von Frostkriegern gespürt, bevor wir aufgestiegen sind?“, erkundigte sich Gorian.

„Nein, sonst hätte ich diesen Ausstieg nicht gewählt – obwohl du da unten wirklich nicht mehr lange ausgehalten hättest. Aber wenn man bedenkt, wie kalt es hier ist, können die Schergen Morygors nicht weit sein. Wir müssen jederzeit damit rechnen, ihnen zu begegnen.“ Aus dem Stiefel zog er ein langes Messer hervor, das er für gewöhnlich bei der Arbeit benutzte. Fast wie in einer Parodie auf einen Schwertkämpfer schwang er es ein paar Mal durch die Luft und fügte noch hinzu: „Unglücklicherweise sind wir beide nicht einmal richtig gerüstet, du mit deinem Zierdolch oder was immer du da am Gürtel trägst, und ich mit meinem Messer.“ Er seufzte und steckte die Klinge wieder in das Futteral, das in seinem Stiefelschaft eingearbeitet war. „Hätte ich beim Angriff der Frostkrieger doch wenigstens noch eine vernünftige Waffe in die Hand bekommen, eine Axt oder wenigstens ein Schwert.“ Er zuckte mit den breiten Schultern. „Aber man sollte immer auch das Gute sehen. Wir hätten die schweren Waffen dann tragen müssen.“

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Sie irrten ein Stück durch den Wald und legten schließlich an einem Bach eine Rast ein, wo Gorian etwas trinken konnte. Beliak hingegen zögerte zunächst, das kalte, klare Wasser zu sich zu nehmen, sondern murmelte vor sich hin, offenbar in der Sprache der Adhe.

„Das Wasser ist klar und rein, du brauchst es nicht erst einem Zauber zu unterziehen“, meinte Gorian.

Das Gemurmel des Adh war immer wieder von längeren Pausen unterbrochen, in denen er mit seinen großen Ohren angestrengt zu lauschen schien. Zuerst glaubte Gorian, dass er darauf achtete, dass sich nicht unbemerkt ein paar Frostkrieger näherten, denn sicherlich hatte Frogyrr seinen Schergen den Befehl gegeben, die ganze Gegend systematisch zu durchkämmen. Und den Erzählungen nach ermüdeten Untote nicht. Allenfalls würden sie irgendwann ihre Kräfte verlassen, weil sie selbst wie auch ihr Herr einfach nicht dafür geschaffen waren, an so vergleichsweise warmen Orten zu existieren. Dennoch würden sie die ganze Nacht über nach ihnen suchen.

Aber Beliaks besondere Aufmerksamkeit hatte einen anderen Grund, wie sich bald herausstellte. „Bevor man aus einem fließenden Gewässer trinkt, sollte man dessen Geister fragen“, erkläre der Adh.

„Welche Geister?“, fragte Gorian und ließ den Blick durch die mondhelle Nacht schweifen.

„Solche, die deinesgleichen gegenüber so gut wie nie in Erscheinung treten und die selbst die Magiemeister des Ordens der Alten Kraft kaum wahrzunehmen vermögen. Aber sie sehen uns zu, die ganze Zeit über.“

„Seltsam, mir ist nie aufgefallen, dass du um jeden Schluck Wasser so ein Aufhebens machst“, sagte Gorian verwundert.

„Nur bei fließenden Gewässern, denn als Adh tut man besser daran, die Geister um Erlaubnis zu fragen.“

„Weshalb?“

„Weil sie sich sonst bitter rächen. Zumindest ist das im Land der Adhe so. Und zwar seit dem großen Wassergeisterkrieg.“

„Von dem habe ich noch nie etwas gehört“, gestand Gorian erstaunt.

„Er fand in einer Zeit statt, als es noch keine Menschen in Ost-Erdenrund gab. In diesem Krieg zwischen Wassergeistern und Adhe ging es genau um diese Frage: Wem gehört das Wasser und wer hat das Recht, es zu trinken beziehungsweise wer muss wen dafür um Erlaubnis fragen. Die Wassergeister argumentierten, sie wären die Herren des Wassers, meine Adh-Vorfahren hingegen waren der Ansicht, dass ihnen das Wasser zustünde, weil es sowohl durch das Untererdreich als auch durch das Obererdreich fließt, kurz: durch das, was die Adhe als ihren Besitz ansahen, dessen Herrschaft sie mit niemanden zu teilen beabsichtigten.“ Beliak zuckte mit dem Schultern. „Tja, und das, was ich hier gerade tue, ist das Ergebnis eines unter erheblichen Mühen und Opfern ausgehandelten Kompromisses, und so groß mein Durst auch immer sein mag – ich will keineswegs als der Adh in die Geschichte meines Volkes eingehen, der durch sein Handeln eben diesen Kompromiss und damit den Frieden gebrochen hat.“

Nach diesen Worten wandte sich Beliak wieder an die für Gorian unsichtbaren Wassergeister und sprach erneut in der Sprache der Adhe zu ihnen, ehe er sich schließlich – sichtlich erleichtert - niederkniete, um ebenfalls etwas zu trinken.

„Scheinen ja schwierige Verhandlungen gewesen zu sein“, meinte Gorian.

„Die Wassergeister dieser Gegend sind als launisch bekannt“, erklärte Beliak. „Kein Wunder, dass meine Vorfahren dieses Gebiet irgendwann fast völlig verlassen haben.“

Gorian konzentrierte die Alte Kraft, um die Wassergeister vielleicht aufzuspüren. Dass da jemand war, der ihn beobachtete, ohne dass man diesen Jemand selbst zu sehen vermochte, gefiel ihm nämlich nicht. Und davon abgesehen war es ja möglich, dass diese Wesenheiten irgendetwas von den nahenden Schergen Morygors gehört hatten. Schließlich war anzunehmen, dass diese Wassergeister – so sie nicht doch nur der Einbildung eines kauzigen Adhs entsprangen - ebenso miteinander verbunden waren wie die Wasserläufe Thisiliens.

Aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts wahrnehmen, was auf irgendwelche magischen Wesenheiten oder Kräfte hinwies.

Beliak lachte leise in sich hinein, als er Gorians Bemühungen erkannte. „Versuch das gar nicht erst. Es ist sinnlos.“

„Weshalb?“

„Weil du kein Adh bist. Dein Vater war gewiss ein in magischen Dingen hoch bewanderter Mann, doch auch er hat die Magie der Adhe niemals verstanden, nicht mal ansatzweise.“ Beliak stockte, denn ihm fiel auf, was er da gesagt hatte. „Oh“, stammelte er. „Vielleicht hätte ich nicht ...“

„Es ist schon gut“, gab Gorian gereizt zurück.

„Es tut mir leid, dass ich in meiner Gedankenlosigkeit von deinem Vater gesprochen habe ...“

„Ich sagte: Es ist in Ordnung!“

„Nein, ist es nicht. Dein Vater war für mich ein sehr wichtiger Mann. Er gab mir Unterkunft, als ich heimatlos war, und ich habe ihn als eine sehr großzügige Person kennengelernt. Dass er von den Schergen Morygors getötet wurde, kann ich ebenso wenig fassen wie du. Und irgendwie ist er für mich auch immer noch am Leben. Es ist noch nicht in meiner Nase angekommen, dass er nicht mehr lebt.“

Die Nase war nach Auffassung der Adhe der Sitz der bewussten Gedanken, und diese Auffassung spiegelte sich mitunter in einigen etwas eigenwilligen Sprachbildern wider, die Adhe zu benutzen pflegten.

„Ich kann es auch noch nicht wirklich glauben“, gestand Gorian, und seine Stimme klang belegt. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber die Worte blieben ihm im Halse stecken. Er konnte einfach nicht weitersprechen.

„Schwäche zuzulassen ist kein Makel, Gorian. Aber man sollte den Moment selbst bestimmen, in dem das geschieht. Darin liegt die wahre Stärke.“

––––––––




Sie blieben eine Weile bei dem Bach und schwiegen. Das Plätschern des Wassers wirkte auf Gorian wie ein beruhigendes Murmeln. Ihm gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Dass ihm dabei auch der Magen knurrte, fiel ihm gar nicht weiter auf. Es gab so viele drängende Fragen, die es zu beantworten galt.

Vor allem die eine: Was sollte er tun, nachdem sich alles anders entwickelt hatte, als es hätte sein sollen?

„Glaubst du, dass die Frostkrieger hier im Land bleiben und Thisilien besetzen werden?“, fragte er unvermittelt. „Oder kostet es sie zu viel Kraft, so weit südlich zu existieren, sodass sie sich irgendwann wieder zurückziehen, um später ihr Reich ganz systematisch auszuweiten? In dem Fall wäre etwas Zeit. Zeit, die man nutzen könnte, um sich gegen den Angriff der Frostgötter vorzubereiten. Der Orden und die Priesterschaft müssen endlich ihre Gegensätze aufgeben und gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, um die Magie ...“ Er stockte, blickte auf und stellte fest, dass er mit sich selbst sprach. Er saß allein am Bach. Beliak war nirgends zu sehen. „Beliak?“

Bevorzugte der Adh nun endgültig die Gesellschaft von Wassergeistern und anderen nicht einmal mit magischen Sinnen fassbaren Wesen der seinen? Oder war er einfach in der Erde verschwunden, weil er es sich überlegt hatte und ihm die Nähe von jemandem, hinter dem ein Heer von Frostkriegern her war, schlicht und ergreifend zu gefährlich war?

Ich könnte ihn verstehen, ging es Gorian durch den Kopf. Dennoch stand er tief in Beliaks Schuld, denn schließlich hatte der Adh ihn davor bewahrt, den eigenen Dolch ins Auge gerammt zu bekommen. Vielleicht war ihm sogar noch weitaus Schlimmeres erspart geblieben, denn vermutlich hätte entweder Frogyrr oder sein Herr und Meister in der Frostfeste aus ihm einen untoten Sklaven gemacht. Insofern konnte Gorian sich über Beliak nicht beschweren.

Ob sich in den Untoten noch die Seelen derer befanden, die sie einst gewesen waren, war umstritten. Es gab die Ansicht, dass ihre Seelen längst ins Jenseits eingegangen waren. Andere glaubten, dass sie zwar keinen freien Willen mehr besäßen, aber immer noch in ihren Körpern steckten und bewusst mitbekamen, was sie mitunter ihren eigenen Verwandten und Angehörigen antaten. Eine Höllenqual, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen konnte. Erst der Moment ihres endgültigen Endes erlöste die Untoten nach dieser Auffassung, der auch die meisten Orxanier anhingen.

Gorian konnte jedenfalls nur hoffen, dass seine Feinde aus den sterblichen Überresten seines Vaters keinen Frostkrieger erschufen. Allerdings bezweifelte er stark, dass dies angesichts der Art und Weise, wie man ihn zerstückelt hatte, selbst unter großem magischen Aufwand noch möglich war. Nein, sagte er sich – vielleicht auch, um sich selbst zu beruhigen und wenigstens diesen geringen Trost zu finden -, sie wollten ihn völlig vernichten, aber nicht einen der ihren aus ihm machen.

Was die Gründe dafür waren, darüber konnte er nur spekulieren. Vielleicht wäre selbst ein untoter Nhorich für sie noch gefährlich gewesen und hätte irgendwann in der Zukunft auf eine Weise die Schicksalslinie Morygors gekreuzt, die von vornherein ausgeschlossen werden sollte.

In früherer Zeit hatte Morygor Ordensmeister zu Schattenreitern gemacht, um so die Fähigkeiten seiner stärksten Gegner nutzen zu können. Aber vielleicht gab es auch solche, deren Willen und Macht selbst für ein Wesen wie ihn zu stark waren, als dass er sie für immer unter seiner Kontrolle halten konnte ...

Ein leises Wispern unterbrach Gorian in seinen Gedanken. Im ersten Moment glaubte er tatsächlich etwas gehört zu haben und drehte sich um, aber dann erkannte er, dass dieses Geräusch oder wie immer man es auch nennen mochte, nur in seinem Kopf gewesen war.

„Erinnerst du dich nicht an mich? Hast du Ar-Don schon vergessen?“

Gorian versuchte den Gedanken an den Gargoyle zu verdrängen, der plötzlich überraschend stark auf ihn Einfluss auszuüben versuchte. Vielleicht sah er seine Zeit für gekommen, nun, da Gorian schwach war und womöglich empfänglich für irgendwelche Hilfsangebote. Immerhin musste Ar-Dons Magie noch immer recht stark sein, wenn er ihn mit seinen Gedanken zu erreichen vermochte, obwohl Nhorich ihn doch an einem verborgenen Ort vergraben und zusätzlichen mit einem sicherlich sehr starken Zauber gebannt hatte.

„Scher dich sonst wohin!“, sagte Gorian laut.

„Oh, sprichst du inzwischen auch mit Unsichtbaren?“, fragte Beliak plötzlich wie aus dem Nichts heraus. „Vielleicht sollten wir beide unsere Gesprächspartner mal einander vorstellen.“ Der Adh trat zwischen einigen der knorrigen Bäume hervor und schritt dabei vollkommen lautlos über den Waldboden.

„Beliak!“

„Ja, hast du vielleicht nicht mehr mit mir gerechnet?“

„Du warst plötzlich verschwunden!“

„Na, nun übertreib mal nicht. Ich bin ein paar Schritte in das Untererdreich gegangen, das ist alles. Für die Trägheit der menschlichen Sinne kann mich niemand verantwortlich machen.“ Den unteren Saum seines Wamses hielt er mit der Linken wie eine Schürze. „Hier, ich habe ein paar Beeren gesammelt. Ist nichts dabei, was deinem empfindlichen Magen nicht bekommen würde. Ja, nun schau nicht so misstrauisch, ich habe wirklich genau darauf geachtet, und du kennst mich eigentlich gut genug, zum zu wissen, dass du mir vertrauen kannst, auch was diesen Punkt betrifft.“

Von Adhen war bekannt, dass sie durchaus auch Beeren und andere Pflanzen zu sich nahmen, die für Menschen giftig waren. Sie schienen aus diesen Giften sogar besonders viel Kraft zu ziehen, sodass man sie in früherer Zeit auch mit dem Ausdruck Giftesser belegt hatte.

Ein flüchtiges mattes Lächeln huschte über Gorians Gesicht. Das Wiederauftauchen des Adh kam gerade recht, denn es lenkte ihn von Ar-Don ab. Davon abgesehen knurrte ihm nun wirklich der Magen. Also nahm er sich ein paar von den Früchten, die Beliak gesammelt hatte. „Ich baue darauf, dass du mich nicht unter Einsatz des eigenen Lebens gerettet hast, um mich an einer elenden Magenverstimmung krepieren zu lassen“, sagte er feixend.

„So dumm wäre ich wirklich nicht“, bestätigte Beliak.

Die Beeren schmeckten ziemlich bitter, aber Gorian nahm sich trotzdem mehr von ihnen, auch wenn er ansonsten alles andere als ein Freund von Beerenkost war und ihm diejenigen, die Beliak ihm reichte, auch bisher nicht als genießbar bekannt waren. Doch er schlang sie regelrecht hinunter, schließlich konnte er nicht wissen, wann sie Gelegenheit für die nächste Mahlzeit bekamen.

„Und jetzt weiter!“, forderte Gorian.

„Solltest du dich nicht etwas ausruhen? Du hast viel durchgemacht, und soviel ich über die menschliche Natur weiß, kommt ihr ohne regelmäßigen Schlaf nicht aus.“ Adhe hingegen schliefen manchmal eine ganze Woche oder auch anderthalb Jahre, dann wieder ein ganzes Jahrzehnt überhaupt nicht. Wonach sich das bei ihnen richtete, war nicht bekannt, und für gewöhnlich sprachen Adhe mit Außenstehenden auch nicht über solche Dinge.

„Im Moment könnte ich ohnehin keinen Schlaf finden“, sagte Gorian. „Also lass uns weitergehen.“

„Dann schlage ich vor, dass wir dem Bach folgen. Die hiesigen Wassergeister waren mir wohlgesonnen, immerhin haben sie mich trinken lassen – was in meiner Heimat durchaus keine Selbstverständlichkeit ist.“

„Ich kenne diesen Bach. Wenn wir ihm folgen, müssten wir irgendwann auf die alte Straße nach Segantia stoßen. Die führt durch ein Dorf, und von dort weiß ich auch den Weg zu dem Tempel, wo zumindest ich mich eine Weile verbergen könnte. Dir fällt es ja ohnehin leicht, plötzlich zu verschwinden.“



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