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Bount Reiniger hatte die Fingerspitzen gegeneinandergelegt und stützte die Arme auf die Schreibtischplatte. Sein Besucher war gegangen, und er dachte nach. Er hatte alles erfahren, was Nail noch wusste. Und das war eine ganze Menge.

Das nächste Thema war die schlechte Gesellschaft, in die der Sohn geraten war. Auch hier gab es einige Ansatzpunkte.

Bount gähnte und blickte auf die Uhr. Es war kurz vor neun. Er war allein. June March hatte das Büro schon vor einigen Stunden verlassen. Er hatte noch genug Zeit, um ein paar Nachforschungen anzustellen. Er nahm das Bild in die Hand, das Henry Nail ihm überlassen hatte.

Es zeigte einen jungen Mann mit naivem Gesicht, der unsicher in die Kamera blickte. Bount prägte sich das Gesicht ein, bis er sicher war, es jederzeit wiederzuerkennen.

Er stand auf und zog seinen Sakko über. Nail hatte ihm einige der Lokale genannt, wo sein Sohn sich neuerdings aufhielt. Von den drei Freunden kannte er nur die Vornamen: Dan, Walt und Dave. Wo sie wohnten oder wovon sie lebten, wusste er nicht. Aber das würde er herausfinden.

Die Gegend, wo der junge Nail sich herumtrieb, lag in der Nähe von Chinatown am East River. Manchmal war er auch in Greenwich Village. Bount blieb nichts anderes übrig, als die Lokale abzuklappern. Irgendjemand würde den blonden Jungen auf dem Bild erkennen.

Nach dem sechsten erfolglosen Versuch war Bount Reinigers Laune auf den Nullpunkt gesunken. Das Foto hatte nur Kopfschütteln ausgelöst. Seine Fragen nach den drei anderen wurden mit einem Achselzucken beantwortet. In einer Stadt wie New York gab es viele, die Dan, Dave oder Walt hießen. Nein, Mister, da kann ich nicht dienen. Und er versuchte es in der nächsten Kneipe.

Bount fand eine Parklücke, in die er den Mercedes hineinbugsieren konnte, und stieg aus. „The Green Lamp“ hieß das Etablissement, und lautstarke Musik scholl bis auf die Straße. Die grüne Lampe über der Tür symbolisierte den Namen des Lokals.

Es dauerte einige Sekunden, bis er Einzelheiten erkennen konnte. Die Beleuchtung war außerordentlich sparsam, Zigarettenrauch zog in dichten Schwaden durch den Raum. Das Lokal war gut besucht, und die meisten Gäste waren Jugendliche.

Bount drängte sich zur Bartheke durch und schwang sich auf einen der wenigen freien Hocker. Niemand nahm Notiz von ihm. Er bestellte eine Cola und sah sich die Gäste an. Erst als er sicher war, dass der junge Nail nicht hier war, zog er das Bild aus der Tasche. Er hielt den Barkeeper am Arm fest und zeigte ihm das Foto.

Er bemerkte, dass die Augen des Barkeepers kurz aufblitzten, ehe das Gesicht wieder undurchdringlich wurde. Der andere hatte den Jungen sofort erkannt. Das war sicher.

„Haben Sie diesen Mann schon mal gesehen?“, fragte Bount Reiniger. „Ich habe gehört, dass er hier verkehrt.“

Der Barkeeper zögerte, und seine Augen verengten sich. Abschätzend starrte er Bount an. Schließlich rang er sich zu einem Entschluss durch. Er nickte langsam.

„Schon möglich. Aber ich bin mir nicht ganz sicher. Hier verkehren Hunderte von jungen Leuten. Wie soll man die alle im Kopf behalten.“

Bount steckte das Bild wieder ein.

„Oh. Ich glaube, Sie haben ein gutes Gedächtnis. Ich bin sicher, dass Sie den jungen Mann wiedererkannt haben.“

Der Barkeeper zuckte nur mit den Achseln. Dann beugte er sich über den Tresen. Leise fragte er: „Polizei?“

Bount lächelte. „Nein. Es ist eine private Angelegenheit. Ich suche den Jungen nur, weil ich mit ihm reden will.“

Der Barkeeper wischte geistesabwesend über den Tresen.

„Ich habe ihn seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Er kam sowieso nur sehr unregelmäßig.“

„Allein?“

Wieder zögerte der andere.

„Er hatte ab und zu seine Freunde dabei.“

„Dan, Walt und Dave, nehme ich an.“

Die Augen des Barkeepers zogen sich leicht zusammen, und er blickte Bount Reiniger lauernd an.

„Ich weiß nicht, wie sie heißen, aber es waren drei. Das ist richtig. Sie trafen sich hier hin und wieder.“

„Können Sie mir sagen, wo ich sie finden kann?“

Der Barkeeper überlegte wieder lange. Zu lange, dachte Bount. Er wusste offensichtlich nicht, wie viel er erzählen sollte. Dann sagte er: „Etwa fünfhundert Meter weiter in dieser Straße liegt das ,Picadilly‘. Es ist möglich, dass sie dort sind. Es ist auch eine ihrer Stammkneipen, soviel ich weiß.“

Bount bezahlte seinen Drink und kletterte von seinem Hocker.

„Sie haben mir sehr geholfen.“

Bount drehte sich nicht um, als er das Lokal verließ. Deshalb sah er auch nicht, dass der Barkeeper zum Telefon griff und eine Nummer wählte.

Bount Reiniger ging zu Fuß. Denn es war unwahrscheinlich, dass er noch einen Parkplatz finden würde.

Das „Picadilly“ machte seinem Namen nicht viel Ehre. Es war noch drei Klassen schlechter als das vorige Lokal. Er konnte nicht begreifen, was manche Leute an solchen Kneipen fanden.

Die Musikbox dudelte leise vor sich hin - auch nicht gerade die neuesten Hits. Es waren nur zwei Tische besetzt, und an der Bar hockten ein paar Männer. Bount kannte den Typ. Hier konnte es Schwierigkeiten geben. Das waren Männer, die eines auf den Tod nicht ausstehen konnten: neugierige Frager.

Bount ging zur Bar und setzte sich. Zwischen ihm und seinem Nachbarn waren noch zwei Hocker frei. Man schätzte es hier sicher auch nicht, wenn sich Neuankömmlinge aufdrängten. Bount spürte die Spannung fast körperlich. Niemand achtete zwar auf ihn, aber er wusste, dass er trotzdem im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand.

Er bestellte ein Bier, das ihm der Wirt wortlos brachte.

Bount musterte die anderen Gäste. Da er weiter nichts tat, ließ die Aufmerksamkeit allmählich nach. Man schien ihn nicht als gefährlich einzustufen. Er suchte nach einem Vorwand, um auch hier das Bild vorzeigen zu können. Wenn er keine gute Begründung hatte, würde er hier keine Antwort bekommen.

Er wandte den Kopf, als die Tür plötzlich geräuschvoll aufgestoßen wurde. Er bemerkte drei Gestalten, die sich in das Lokal drängten. Ihre Blicke glitten durch das Lokal und blieben schließlich an ihm haften.

Wie auf Kommando lächelten sie.

Bount spürte ein Prickeln unter der Kopfhaut und beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie waren Mitte bis Ende zwanzig und sahen aus, als hätten sie schon eine Menge durch gemacht.

Einer von ihnen schnalzte mit der Zunge. Es klang wie ein Signal und wurde wohl auch so verstanden. Die Gäste an den Tischen standen auf und drängten zur Tür. Zwei der Männer an der Bar folgten schnell, nachdem sie ihre Münzen auf den Tresen geworfen hatten.

Nur ein einzelner Mann am anderen Ende der Bar blieb sitzen. Laut und deutlich bestellte er einen Whisky. Bount sah, wie sich das Gesicht eines der Neuankömmlinge vor Wut verzerrte.

Auch Bount rührte sich nicht. Im Raum herrschte unheilvolles Schweigen. Der Wirt fummelte unter seinem Tresen herum. Bount sah, dass er sich einen langen und schweren Gegenstand zurechtlegte. Dann verzog er sich ans andere Ende und verschränkte die Arme.

Bount Reiniger knöpfte seinen Sakko auf und winkelte den linken Arm ab. Seine Hände blieben regungslos auf der Theke liegen. Die drei kamen in einem Halbkreis näher. Langsam wandte er den Kopf und betrachtete sie näher.

Sie hatten typische Galgenvogelgesichter. Lauernd starrten sie ihn an. Es war klar, dass sie Streit suchten. Aber er hatte nicht die Absicht, sie zu provozieren.

Der Kerl in der Mitte bearbeitete einen Kaugummi und grinste. Er hatte relativ intelligente Augen. Der Kerl, der rechts von ihm stand, hatte eine niedrige Stirn und tief liegende Augen. Er war klein, hatte aber Schultern wie ein Möbelpacker. Ein typischer Schläger.

Der dritte war schlank und größer als die anderen. In seinem Gesicht regte sich nichts. Ein Killertyp, dachte Bount Reiniger.

Er wandte den Kopf wieder ab und beachtete die drei nicht weiter. Dann spürte er eine Hand auf seiner linken Schulter.

„He! Opa! Neue Gäste geben normalerweise eine Runde aus. Wir sind durstig.“

Bount schüttelte die Hand ab wie eine lästige Fliege, und der andere stolperte über einen Barhocker.

Der Mann an der Bar, der als Einziger geblieben war, lachte laut auf.

„Dan, merkst du nicht, dass der Gentleman deine Gesellschaft nicht schätzt? Was ich im Übrigen gut verstehen kann. Ich wäre auch froh, wenn ihr euch ein anderes Lokal suchen würdet.“

In Bounts Gehirn schrillte eine Alarmglocke. „Dan“, hatte der Mann gesagt. Und dann kam Bount die Erleuchtung. Natürlich, der Barkeeper im vorigen Lokal hatte angerufen, weil Bount nach ihnen gefragt hatte. Und jetzt wollten sie feststellen, wer sich da nach ihnen erkundigte. Bount grinste plötzlich fröhlich. Mit einem solch schnellen Erfolg hatte er nicht gerechnet.

Der heimtückische Schlag von hinten warf ihn vom Hocker. Er stürzte zu Boden. Jetzt lachte Dan laut und hässlich.

„Na? Jetzt vergeht dir wohl das Grinsen, du dreckiger Schnüffler. Wir lieben es nämlich nicht, wenn man hinter uns herspioniert. Los, Walt, nimm ihn dir vor!“

Bount kam leicht schwankend wieder hoch. Offenbar war nichts gebrochen. Und jetzt war er seiner Sache sicher.

In diesem Moment kam der Besitzer dieses Namens auf ihn zu wie ein wütender Bulle. Er schwang seine Rechte. Doch der Schlag ging ins Leere. Bount war gerade noch ausgewichen, obwohl ihn der Sturz etwas mitgenommen hatte.

Wieder musste er ausweichen. Der muskelbepackte Walt war doch schneller, als er aussah. Der nächste Schwinger traf, und Bount taumelte rückwärts. Die Faust hatte ihn am Ohr erwischt.

„Bravo, Walt!“, schrie Dan. „Mach ihn fertig!“

Bount konzentrierte sich auf den nächsten Angriff. Er war von dem letzten Schlag noch leicht benommen und sah undeutlich, dass wieder eine Faust auf ihn zustieß. Diesmal nahm er nur den Kopf zurück und schlug seinerseits zu.

Es war, als ob er eine Mauer getroffen hätte. Sein Gegner zeigte außer einem tückischen Grinsen keine Reaktion. Er wich nur einen Schritt zurück und tänzelte um ihn herum.

Dann griff er blitzschnell an. Bount konnte die Doublette nur mühsam abwehren und wich an die Bar zurück.

Der andere spielte Katz und Maus mit ihm. Er spürte, dass er überlegen war, aber er ahnte nicht, dass auch Bount Reiniger noch einiges in Reserve hatte. Er sah, dass der andere Mann an der Bar ungerührt an einer Zigarette zog und dem Kampf interessiert zusah. Der Wirt war verschwunden.

Bount verlagerte sein Gewicht. Seine Arme waren leicht vom Körper abgewinkelt. Er wartete auf den nächsten Angriff. Und der kam - mit der Wucht einer Lokomotive.

Bount blockte die Schläge zwar ab, konnte aber keinen Gegentreffer landen. Er keuchte vor Anstrengung.

Dan hatte plötzlich eine Stahlrute in der hocherhobenen Hand und schlug zu. Bount konnte nicht mehr ganz ausweichen, und das gefährliche Instrument traf ihn an der Schulter. Sie war wie gelähmt, und Bounts linker Arm hing kraftlos herunter.

Einen fairen Kampf konnte er hier nicht erwarten.

Walt nützte Bounts Schwäche sofort aus und erwischte ihn mit einem Schlag in die Herzgrube. Bount stöhnte und ging in die Knie. Ein Fußtritt von Dan warf ihn vollends zu Boden.

Er wollte wieder hoch, aber ein weiterer Fußtritt in die Rippen nahm ihm die Luft. Bount wälzte sich zur Seite, sah den Fuß wieder kommen und griff zu. Eine rasche Drehung, und Dan stürzte ebenfalls zu Boden.

Bount nutzte die kurze Ruhepause und rappelte sich auf. Mechanisch wehrte er den nächsten Schlag von Walt ab. Noch zwei, drei Treffer und er war erledigt.

„Macht ihn doch endlich fertig!“, schrie Dan mit sich überschlagender Stimme. „Das Schwein hat mir fast den Fuß verrenkt. Los, Dave! Schneid ihm ein Stück Haut ab!“

Bount bekam kaum noch die Arme hoch, um die Angriffe von Walt zu parieren. Und jetzt musste er sich auch noch um den dritten Gegner kümmern, der bis jetzt noch nicht in den Kampf eingegriffen hatte. Er sah die rasche Bewegung und die blitzende Klinge. Bount erkannte sofort, dass dies sein gefährlichster Gegner war. Die Haltung verriet den Profi.

Bount schwankte und versuchte, sich auf die Abwehr zu konzentrieren. Walt hatte sich einen Meter zurückgezogen und wartete ab.

Der Stoß von unten kam blitzschnell. Nur eine Drehung aus der Hüfte und ein Abwehrhieb mit dem Unterarm bewahrten Bount davor, aufgespießt zu werden. Trotzdem zerriss der Stoff, als das Messer seinen Ärmel aufschlitzte.

Bount verlagerte sein Gewicht auf den linken Fuß und stieß mit der rechten Fußspitze zu. Dave drehte sich ein wenig zur Seite, sodass ihn der heftige Tritt nicht an der Kniescheibe, sondern nur an der Innenseite des Gelenks erwischte. Er schrie auf und taumelte.

Bount setzte zu einem Karatehieb an. Er legte alle Kraft, die er noch hatte, in die ausgestreckte Rechte.

Die Handkante traf Dave zwischen Jochbein und Nasenwurzel. Dave heulte auf, und ein Blutstrom schoss ihm aus der Nase.

Für einen Augenblick blieben alle wie erstarrt stehen. Dann hatte Walt seine Schrecksekunde überwunden und setzte zu einem neuen Angriff an. Bount spürte die Schläge kaum noch, die seine Deckung durchbrachen. Er versuchte, den Kopf zu schützen, aber er spürte, dass ihn die Kräfte verließen.

Eine Augenbraue platzte, und Blut lief über seine Wange. An der Bar sank er langsam zu Boden, von wütenden Schlägen und Tritten getroffen.

Schon halb ohnmächtig hörte er die Stimme des anderen Mannes an der Bar.

„Schluss jetzt! Ihr habt euren Spaß gehabt!“

Es war ein seltsames Gefühl, als plötzlich die Schläge ausblieben. Bount Reiniger fühlte sich wie gelähmt. Er öffnete die Augen und versuchte, durch den roten Schleier seine Umgebung zu erkennen. Erst allmählich begriff er, dass die drei Gangster das Lokal verlassen hatten. Der dunkle Gegenstand vor seinen Augen war ein Bein des Barhockers.

Mühsam stemmte er sich hoch. Ihm wurde schwarz vor Augen, und er lehnte sich gegen die Theke, wobei er sich krampfhaft an dem verchromten Rohr festhielt. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten.

Auch der Wirt war inzwischen wieder erschienen und polierte seine Gläser, als ob nichts geschehen wäre.

„Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen?“, fragte Bount Reiniger. Seine Stimme klang wie die eines Fremden. Seine Zunge fühlte sich rau und pelzig an.

Der Wirt zuckte nur mit den Achseln. „Das Telefon ist kaputt.“

Bount blickte zu dem anderen Mann hinüber.

„Und Sie? Warum haben Sie nicht eher eingegriffen?“

Der Mann lächelte. „Wobei sollte ich eingreifen? Sie sind vom Barhocker gefallen und unglücklich gestürzt. Mehr habe ich leider nicht gesehen. Und ich saß zu weit weg, um Ihnen zu helfen.“ Er wandte sich an den Wirt. „Stimmt’s?“

Der Wirt nickte. „Ich habe nichts mitgekriegt. Ich war gerade draußen. Tut mir leid.“

„Ich verstehe“, sagte Bount. „Muss wohl alles Einbildung gewesen sein.“ Schwerfällig ging er zum Waschraum.


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