Читать книгу Krimi Doppelband 2225 - Alfred Bekker - Страница 13
Fünftes Kapitel
ОглавлениеLandau hatte Vera Lüders in einer Vorstellung der „Armleuchter“ kennengelernt. Die drei Kabarettisten nahmen vorwiegend Leininger Skandale und Politiker aufs Korn. Nach der Vorstellung gingen sie in ein nettes Weinlokal, das er noch nicht kannte, und tranken recht viel Weißwein, küssten sich heftig an ihrer Haustür und gingen am zweiten Abend mit etwas weniger Weißwein im Bauch in ihre Wohnung. Landau hatte sich am nächsten Tag gewundert, dass sie so rasch im Bett gelandet waren, wobei die Initiative eindeutig von ihr ausgegangen war und nichts mit seiner „unwiderstehlichen Eroberungstechnik“ zu tun hatte. Zwei Wochen später fuhren sie gemeinsam an die Ostsee, da hatte ihr nächtlicher Sexhunger schon gewaltig nachgelassen und ihre Verweigerungstechnik gewaltig zugelegt …
Vera arbeitete als Designerin in einem Studio Perlach und konnte ihm nie genau erklären, was sie da eigentlich tat. Aber offenbar verdiente sie sehr gut. Sie liebte shoppen, was Landau hasste. Jetzt kam er auf die Idee, dass sie ihn gezielt geangelt hatte, aber warum?
Hatte sie ihn verwechselt? Es gab nur noch einen Landau in Tellheim, einen Dieter Landau, und mit dem verabredete sich Dirk Landau zum Essen. Auch Dieter Landau war neugierig, einen Dirk Landau kennenzulernen und antwortete auf die Frage, ob er eine Vera Lüders kenne, prompt mit: „Natürlich kenne ich das Luder Vera. Sind Sie mein Nachfolger?“
„ So könnte man sagen. Erst hat sie mich regelrecht in ihr Bett gezerrt und dann eiskalt abserviert.“
„ Aus einem bestimmten Grund?“
„ Ich hatte mich geweigert, ihr eine beachtliche Summe zu leihen, was im Klartext wohl hieß, ihr zu schenken.“
„ Das hat sie bei mir nicht versucht. Hat Sie Ihnen auch ein Erinnerungsfoto geschenkt?“
„ Nein.“
„ Ich habe meines mitgebracht. Ist doch toll, wie?“
Eine nackte Frau in hochhackigen Schuhen, die der Kamera den Rücken zukehrte, stand in einem blau ausgeleuchteten großen Raum – einer Hotel-Lobby? – und schien auf jemanden zu warten.
„ Nee, diese Ehre hat sie mir nicht erwiesen.“
„ Wollen Sie’s behalten.“
„ Ja, gerne.“
„ Hat Vera in der Zeit, in der Sie zusammen waren, etwas von dem Tod ihrer Mutter erzählt?“
„ Immer wieder. Sie wollte unbedingt die oder den Schuldigen finden. Ich glaube, sie hat sich irgendwas von mir versprochen, aber nie gesagt, was genau und wozu.“
„ So könnte es bei mir auch gewesen sein, sobald ich was herausgefunden habe, rufe ich Sie wieder an.“
Um vier Uhr klingelte es. Er wettete mit sich selbst und gewann. Susi strahlte ihn an: „Ich lade Sie zum Eis ein.“
Warm genug war es, er wollte ohnehin aus dem Büro fliehen und deshalb verbeugte er sich feierlich: „Es ist mir eine große Ehre, schöne Frau.“
„ Das beste Eis hat Paolino am Markt.“
„ Hoffentlich kriegen wir da einen Parkplatz.“
Wie er befürchtet hatte, kurvten sie vergeblich durch die Altstadt, zum Schluss fuhr er in die Tiefgarage unter dem Rathaus, die mehr als gut besetzt war. Die Suche störte sie nicht, quietschvergnügt hockte sie auf dem Sitz, als genösse sie es, herumkutschiert zu werden, und ihm fiel ein, dass sie diesmal nicht gefragt hatte, ob sie ihn störe.
„ Du hast doch Ferien, nicht wahr?“
„ Ja, noch fast vier Wochen.“
„ Willst du nicht verreisen?“
„ Nö, mit wem denn?“ Weil sie die Gegenfrage ganz sachlich stellte, hielt er lieber den Mund. Irgendwie hatte sie akzeptiert, dass man auf sie wenig Rücksicht nahm, es gefiel ihr nicht, aber es regte sie nicht mehr auf. Schließlich hatte sie für sich einen Ausweg gefunden, wenn es zu arg wurde, riss sie aus, trieb sich herum und kehrte widerwillig in die Villa an der Waldparkallee zurück, wenn ihr Geld aufgebraucht war.
„ Mit wem warst du eigentlich an der Ostsee?“
„ Ludwig hieß er. So ein widerlicher, alter Knacker.“ Trotz des Ärgers kicherte sie. „Es war mein Fehler.“
„ Was soll das heißen?“
„ Ach, er hat mich gefragt, wie alt ich bin, da hab’ ich gesagt, sechzehn. Am ersten Tag ging’s ja noch, da war er ganz manierlich, aber am zweiten Tag wollt’ er mir ungeniert an die Wäsche.“
„ Hast du was anderes erwartet?“
„ Nee, ich weiß schon, warum ältere Männer junge Mädchen in große Autos einladen.“
„ Wie gut, dass du mich eingeladen hast.“
„ Ach, Sie doch nicht, Sie sind doch harmlos.“ Bei gutem Willen , so sinnierte er, konnte man es als Kompliment auffassen . „Er wurde mächtig zudringlich, und da hab’ ich gesagt, ich hätt’ mich vertan, ich wär’ noch fünfzehn. Mannomann, hat der gebrüllt. Eine knallrote Birne hat er gekriegt, und dann hat er mich rausgeschmissen, mitten auf der Straße.“ Sie kicherte wie nach einem gelungenen Streich. „Dabei hab’ ich ihm noch angeboten, er sollte mich doch an meinem Geburtstag besuchen, aber der Vorschlag war wohl keine gute Idee.“
„ Ist er geplatzt?“
„ Nur fast.“
„ Wann wirst du denn sechzehn?“
„ Am 15. September.“
Sie lief gerade vor ihm die enge Treppe der Tiefgarage hoch und drehte sich nicht um.
Paolino war proppenvoll, und Landau war bei Weitem der älteste Gast. Das Jungvolk erzeugte solchen Lärm, dass an eine Unterhaltung nicht zu denken war. Susi bereitete es sichtlich Vergnügen, und Landau wappnete sich mit Geduld. Zumal Paolino wirklich ein gutes Eis machte. Zuerst stibitzte sie ihm die Früchte aus dem Becher, und zog, als er streikte, seinen Teller zu sich heran.
„ Warum schütteln Sie den Kopf?“
„ Wo lässt du das alles?“
„ Ich hab’halt immer ein Loch im Bauch.“ Sie zahlte überaus würdevoll und gab ein zu großes Trinkgeld.
„ Und jetzt machen wir einen Schaufensterbummel, ja? Bitte!“
„ Was du magst“, willigte er verblüfft ein. Ihm wäre nie der Gedanke gekommen, eine Fünfzehnjährige latsche freiwillig oder gar begeistert durch Ladenpassagen und staubige, schmale Einkaufsstraßen. Doch ihr schien es Spaß zu machen, ob Möbel oder Uhren und Schmuck oder Geschirr oder Kleidung, überall blieb sie stehen, staunte und wollte pausenlos wissen, ob er das Stück da auch so toll, einzig, schrill, stark, geil oder himmlisch fand. Zu seiner Erleichterung erwartete sie dabei keine ernsthaften Antworten.
Schon bei dem Gedanken, ein Kaufhaus betreten zu müssen, sank seine Laune unter den Nullpunkt.
„ Gefällt Ihnen so was?“
Sie standen vor einem Wäschegeschäft, und die beiden Puppen trugen Spitzenunterwäsche, die mehr enthüllte als bedeckte.
„ Das kommt darauf an“, sagte er ehrlich, „wenn mir die Frau gefällt, die das trägt, gefällt mir auch das.“
„ Und wenn nicht?“
„ Dann finde ich’s – aufdringlich.“ Im letzten Moment hatte er das Wort „nuttig“ durch ein anderes ersetzt.
„ Das sag’ ich Mama auch immer.“ Sie sprach so leise, dass er sie kaum verstand. „Hannes schaut sowieso nicht mehr hin. Oliver, ja, der kriegt Stielaugen, aber vor Oliver ekelt sie sich.“
„ Was macht dieser Oliver eigentlich?“
„ Keine Ahnung. Im Moment sucht er Arbeit, und so lange liegt er Hannes auf der Tasche.“ Bei diesen Worten verfinsterte sich ihr Gesicht. „Olli fällt allen auf den Geist.“
Zumindest machte sie aus ihrer Abneigung kein Hehl, deshalb besänftigte er: „Das haben viele Besucher so an sich.“
„ Hannes stöhnt, er würde sonst was dafür geben, wenn er ihn loswürde, und Mutter schimpft, als sie Hannes heiratete, wäre von alten Hausfreunden und Dauergästen keine Rede gewesen.“
„ Weißt du, woher er kommt?“
„ Nein, ich hab’ ihn früher nie gesehen, und Hannes hat ihn auch nie erwähnt. Bin ich froh, wenn der wieder die Kurve kratzt.“
Zufällig sah er sie gerade an und bemerkte, dass sie die Fäuste ballte, doch vor dem nächsten Schaufenster lachte sie schon wieder unbefangen.
„ Haben Sie eigentlich eine Freundin?“
„ Was verstehst du unter einer Freundin?“
„ Na, eine Frau, mit der man bumst.“
Einundzwanzig, zweiundzwanzig, ganz ruhig bleiben, Dirk – „Nein, dann hab’ ich keine Freundin.“
„ Warum nicht? Sie sehen doch ganz gut aus.“
„ Ich bin etwas älter als du, auch altmodischer, und eine Frau nur fürs Bett interessiert mich nicht.“
„ Dann glauben Sie an Liebe und Treue und so was?“
„ Liebe ist ein großes Wort, Zuneigung tut’s auch schon, und Vertrauen muss sein.“
Sie tat zwar so, als höre sie gar nicht genau hin, aber ihr nervöses Blinzeln war ihm nicht entgangen. Das Thema beschäftigte sie mehr, als sie zugeben würde, und mittlerweile wusste er, dass er nur abzuwarten brauchte. Je weniger er sagte, desto schneller packte sie aus. Ihre Fragen waren nicht dreist gemeint, sie wollte sich nur jedes Mal vergewissern, ob sie ihm noch vertrauen durfte. „Hannes hat auch keine Freundin“, verkündete sie dann auch sehr beiläufig. „Er nimmt mit, was er kriegen kann.“
„ Meinst du?“ Wenn es darum ging, Gleichmut zu zeigen und Überraschung zu verbergen, war er ihr überlegen.
„ Das weiß ich!“, trotzte sie. „Und für die schmeißt er das Geld nur so raus.“
„ Woher willst du das wissen?“
„ Ach, er hat doch nie Geld. Dauernd gibt’s Zoff zu Hause, weil er so viele Mäuse ausgibt. Mutter ist stinkwütend und nennt ihn nur noch den Blanken Hannes.“
Über das Wortspiel musste er schmunzeln.
„ Ja. Mutter hat sich einen festen Freund angelacht.“ Auf diese Botschaft war sie die ganze Zeit über zugesteuert, und genau dafür wusste er keinen Trost. Dass er sie aufrichtig bedauerte, wollte sie nicht hören. Hilflos strich er ihr über den Kopf, aber sie duckte sich weg und lief voraus.
Kurz vor Büroschluss erreichte er im Präsidium noch den Hauptkommissar Arne Wilster, der das Polizeiarchiv leitete. Sie hatten sich vor Jahren bei einem Fall kennengelernt und verstanden sich seitdem so gut, dass Landau wusste: Die Planstelle als Leiter des Archivs war nur die halbe Beschreibung seiner Funktion; Wilster befasste sich in erster Linie mit alten ungelösten Fällen, die kurz vor der Verjährung standen oder – wie Mord – nicht verjährten. Die eigentliche Archivarbeit leistete die Kommissarin Anja Stich, wegen ihres Namens und ihrer spitzen Zunge allgemein „Die Nadel“ genannt, eine ungewöhnlich tüchtige Frau mit sagenhaften Elektronik-Kenntnissen.
Die Dateisicherung oder Datenbank, in die die Nadel nicht hineinkam oder knackte, wollte erst noch erfunden werden. Landau fragte sich allerdings oft, wozu die Kripo sich eine Datenbank leistete, so lange Wilster im Dienst war. Sein Gedächtnis nahm es mit so mancher Datenbank auf.
„ Angela Lüders? Ja, ich erinnere mich. Die Automatensprengung in der Filiale Schallberg der LHB . Wie kommst du darauf?“
„ Ich war mit einer Vera Lüders im Urlaub und habe heute durch Zufall festgestellt, dass ihre Mutter auf dem Steinberger Friedhof liegt. Vera hat mit keiner Silbe erwähnt, wie ihre Mutter ums Leben gekommen ist.“
„ Wir sind auch nicht weitergekommen. Nördlich des Mains hat es Banden gegeben, die sich auf solche Sprengungen spezialisiert hatten. Das hat zum Glück nachgelassen.“
„ Geht der Tod der Angela Lüders auf das Konto dieser Banden?“
„ Das wissen wir leider nicht. Aber ich schau’ mir die Akte noch einmal an.“
„ Danke, bis dann mal, Arne.“
Mona brütete noch über einem Schlussbericht und war sofort bereit, abzuspeichern und mit ihm in die Spätlese zu fahren. Mona achtete auf ihre Figur und aß deshalb wenig, aber wenn, dann musste es gut sein. Landau wartete vorsichtshalber die Vorspeise ab, bevor er gestand: „Diese Susi Döhle geht mir nicht aus dem Kopf.“
„ Dirk. Sie ist erst vierzehn oder fünfzehn. Such’ dir irgendjemanden, die oder der zehn Jahre älter ist. Es erspart allen viel Ärger.“
Weil gerade der Hauptgang serviert wurde, eine neue Kreation des Pächters der Spätlese , ein Auberginen-Spargel-Gemüse mit einer ebenfalls selbst komponierten gebratenen „Winzerwurst“, wartete Landau, bis die Bedienung gegangen war. Nachdem er den Wein probiert hatte, öffnete sich, wie bestellt, in der Sekunde die Eingangstür und zwei Frauen kamen herein. Landau kannte beide, Vera Lüders und Susi Döhle; was hatten die beiden miteinander zu schaffen? Beide grüßten unbefangen in ihre Richtung, und Mona, die Kluge, murmelte: „Wenn man den Teufel nennt, kommt er gleich getrennt.“
„ Susi ist kein Teufel“, sagte er ärgerlich.
„ Nein, ein nettes Mädchen, aber das kann man von Vera Lüders nicht sagen.“
„ Du kennst sie?“
„ Ja.“
„ Verrätst du mir auch, woher?“
„ Sie nennt sich Designberaterin und hat im Casino an der Esplanade nicht nur einige Räume umgemodelt, sondern den weiblichen Angestellten auch neue Uniformen verpasst.“
„ Du magst sie nicht?“
„ Wen meinst du? Die Uniformen? Die sind ganz hübsch, sogar eine Spur sexy.“
„ Nein, ich meinte Vera.“
„ Nein, das ist eine Schlange.“
„ Wenn du das sagst!“
Auberginen und Spargel, auf die Idee muss man erst mal kommen.“
„ Aber es schmeckt.“
„ Sogar sehr gut. Was hat Vera Lüders mit Susi Döhle zu schaffen?“
„ Das weiß ich nicht, ich werde Susi fragen, wenn sie sich wieder einmal revanchieren will.“
„ Revanchieren, wofür?“
Also erinnerte er daran, wie und wo er Susi getroffen und sie mehrfach vor dem Hungertod bewahrt hatte. Mona amüsierte sich, vor allem über die Szene, in der Vera Lüders den lieben Dirk verlassen hatte. Er musste jede Einzelheit schildern und wusste genau, dass sie jedes Wort mit der gewohnten Übertreibung ihrer Vorzimmerfee Ella Marx weitererzählen würde.
Der Wein war hervorragend, das Dessert ein Traum, und Landau lieferte eine rundum zufriedene Mona Thiesow an ihrer Haustür ab. Zwischen ihnen hatte es gelegentlich erotisch geknistert, aber ein Funke war nie übergesprungen.