Читать книгу Krimi Doppelband 2225 - Alfred Bekker - Страница 9
Erstes Kapitel
ОглавлениеOhne Vorwarnung kam sie aus dem Bad gestürmt und baute sich vor dem Bett auf, beide Fäuste in die Seite gestemmt: „Soll ich dir mal ganz genau sagen, was du bist?“
„ Vielen Dank, lieber nicht!“, erwiderte Landau höflich.
„ Ein Chauvi, ein größenwahnsinniger Macho, ein Potenz-Protz, also insgesamt ein hochkarätiges Arschloch.“
Die Gardinen waren nicht ganz zugezogen, und das Sonnenlicht, das durch den Spalt fiel, leuchtete sie ausgesprochen verführerisch aus. In den vergangenen zwei Wochen war sie tiefbraun geworden, bis auf den weißen Streifen des Bikini-Höschens und den hellbraunen Streifen quer über dem prachtvollen Busen, der jetzt vor Erregung und Wut wippte. Ihre rotbraunen Haare funkelten regelrecht, und der unbändige Zorn machte sie begehrenswert. Temperament besaß sie für zwei, aber die Kombination von ungezügelter Launenhaftigkeit und Egoismus pur ging ihm mittlerweile auf die Nerven. Und dann, wenn er sich mehr Temperament erhofft hatte, war sie lieber eingeschlafen. Was bei ihr nicht länger dauerte, als sich auszuziehen.
„ Na? Keine Antwort?“
„ Was willst du hören, liebe Vera? Du hast meinen Charakter glänzend beschrieben, du willst also abreisen, was soll ich da noch sagen?“
„ Verflucht sei der Tag, an dem ich dir begegnet bin!“, platzte sie heraus. Weil sie fähig war, das Tablett mit dem Frühstücksgeschirr nach ihm zu werfen, nickte er nur demütig. In Windeseile zog sie sich an und packte ihren Koffer, er schaute gleichmütig zu und wunderte sich, mit welcher Energie sie Kleider, Hosen, Wäsche und Blusen zusammenknüllte und in die Lücken stopfte, nur um ihm zu zeigen, dass sie es keine Minute länger mit ihm aushielt. Natürlich hatte sie in der Dusche wieder die Hähne nicht richtig zugedreht, er hörte das rhythmische Tropfen. Mit einer Hand schob er das Kopfkissen hinter seinen Rücken an das Oberteil des Bettes, setzte sich auf und schaute gelassen zu. Als die Kofferschlösser knackten, unterdrückte er ein Gähnen der Erleichterung und sagte: „Tschüss, Vera. Es war nur mäßig schön mit dir.“
„ Das kann ich von dir nicht behaupten“, blaffte sie ihn an, worauf er die Schultern zuckte. Jetzt bloß keine Auseinandersetzung mehr! Sein Bedarf an Zank war auf Jahre gedeckt! Wie hatte er sich nur so in ihr täuschen können?! Seine Partnerin Mona Thiesow hatte ihn gewarnt, aber das hatte er für Stutenbissigkeit gehalten und ihr unterstellt, sie habe sich mit ihrer Vorzimmerfee in der Agentur, mit Ella Marx, wieder einmal verschworen, ihm den Urlaub mit einer neuen Freundin zu vermiesen.
Eine Stunde später warf auch er seinen Koffer auf das Bett. Vera Lüders hatte darauf bestanden, an die See zu fahren, er war kein Sonnenanbeter und Bräunungsfetischist, der Strand langweilte ihn schnell, schwimmen konnte er auch im Freibad, und die mitgebrachten Bücher hatte er bereits alle gelesen und sich über alle geärgert; noch mehr allerdings über die lobenden Rezensionen im Tageblatt , hier hielt ihn nichts mehr.
Die junge Frau an der Kasse lächelte still-vergnügt in sich hinein. Sie war hübsch und modern und perfekt, wie das ganze sündhaft teure und irgendwie bis auf die Bar steril-ungemütliche Hotel. Nachdem sie seinen spöttischen Blick aufgefangen hatte, arbeitete sie mit gesenktem Kopf weiter. Wie er Vera Lüders einschätzte, war sie lautstark abgereist, das Hotel-Personal war wohl bestens über ihn informiert, und als er sich heuchlerisch erkundigte: „Sie werden das Zimmer doch noch vermieten können?“, schluckte sie verlegen. Die zarte Röte auf der Stirn zierte sie nicht schlecht.
Auf dem Parkplatz standen nur noch wenige Autos. Wenn es keinen Stau auf der Autobahn gab, konnte er am Nachmittag zu Hause sein, ohne zu hetzen. Er freute sich auf eine Woche Faulenzen in seiner Wohnung, ohne Verpflichtungen, ohne eine anstrengende Vera. Leise pfeifend klappte er den Deckel des Kofferraumes zu und schreckte fürchterlich zusammen, als sich hinter ihm jemand heftig räusperte: „Entschuldigen Sie bitte …“
Er wirbelte herum, das Mädchen trat rasch einen Schritt zurück, und er prustete schwer: „Haben Sie mich erschreckt!“
„ Oh – oh – das tut mir leid.“ Sie stammelte, nicht weniger erschrocken, und er holte tief Luft. Mit diesen jungen Dingern hatte er seine Mühe, sie mochte fünfzehn oder zwanzig sein, das konnte er nicht schätzen. Ein hübsches schmales Gesicht mit hohen Backenknochen, Stupsnase, voller Mund und eine hohe Stirn, das wollte alles noch nicht recht zusammenpassen, aber sie würde eine bildschöne Frau werden. Aschblonde Haare, die dringend nach einem Friseur verlangten. Jeans, ein dünnes Sweatshirt, darüber eine Jeansjacke, ehedem weiße Joggingschuhe. Über der Schulter trug sie eine dieser formlosen Segeltuchwürste mit einem breiten, lila Tragegurt.
„ Ich wollte – ich habe …“
„ Ja?“, ermunterte er.
„ Ich habe das Kennzeichen Ihres Wagens gelesen.“ Sie musste sich zur Ruhe zwingen. „Und da wollte ich Sie fragen, ob Sie mich mitnehmen können.“
Eine Tramperin. Einen Moment war er enttäuscht. Trotz dieser Einheitsuniform sah sie nicht nach einer Abenteurerin aus, es ärgerte ihn ein wenig, dass er sie falsch eingeschätzt hatte. Sie missverstand sein Zögern und fügte leise hinzu: „Bitte!“
Unwillkürlich zog er die Augenbrauen zusammen und musterte sie. Zu seinem Erstaunen wich ihr Blick nicht aus, so jung sie war, so genau wusste sie schon, was sie wollte.
„ Wie alt sind Sie denn?“
„ Fünfzehn“, antwortete sie schnell.
„ Ach du meine Güte!“, murmelte er, und als sie daraufhin unvermutet lächelte, haute es ihn fast um. Mein Gott, das Kind besaß Charme! Und ein Selbstbewusstsein für weitaus mehr als fünfzehn Jahre.
„ Ich bin keine Tramperin“, erklärte sie noch immer heiter. „Ich reiße nur öfter von zu Hause aus, aber der Kerl, der mich mitgenommen hat, wurde zudringlich. Und jetzt ist mein Geld alle, deswegen muss ich leider nach Hause.“
„ Na prima!“, seufzte er, „steigen Sie ein, ich nehm’ Sie mit.“
Eine Ausreißerin, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Aber Vera Lüders hatte ihm heute Morgen einen Gefallen getan, da durfte er sich revanchieren. Wie sagt der Pfadfinder? – „allzeit bereit für die gute Tat des Tages.“
„ Danke!“, jubelte sie. Ihre Stimme gefiel ihm.
Bis zur Bundesstraße hockte sie schweigend, aber sichtlich entspannt neben ihm. Vor dem Einsteigen hatte sie die Jeansjacke ausgezogen, unter dem engen Hemdchen zeichnete sich ein hübscher Busen ab. Warum sich Frauen in so enge Jeans quälten, verstand er zwar nicht, aber sie hatte schöne lange Beine und schmale Hüften, schon die Figur einer Frau und noch das Gesicht eines Kindes. Es war etwas verwirrend.
„ Wie heißen Sie eigentlich?“
„ Susanne Döhle, aber alle nennen mich Susi. Sie können mich übrigens ruhig duzen, kein Mensch sagt ‚Sie‘ zu mir.“
„ Das kommt noch“, entgegnete er wenig geistreich.
„ Hoffentlich nicht so bald.“ Wenn sie lachte, war sie schön, und bei aller Offenheit fehlte jede Spur von Dreistigkeit oder Aufdringlichkeit. „Und wie heißen Sie?“
„ Landau, Dirk Landau.“
„ Ich freue mich, dass ich Sie getroffen habe.“ Nein, den würdevollen Ton solcher Floskeln traf sie noch nicht, er kaute auf seinen Lippen und hütete sich, seine Erheiterung zu zeigen.
Auf der Bundestraße herrschte so viel Verkehr, dass er sich konzentriere musste, eine flotter Fahrer war er ohnehin nicht, und ein defensiver Mensch hatte aufzupassen, dass ihn die Risikofreudigen nicht pausenlos schnitten oder einkeilten. Allerdings konnten diese Tiefflieger ihn auch nicht mehr aufregen, und wenn er in geschlossenen Ortschaften auf Tempo 55 herunterging, ließen ihn auch die Lichthupen im Rückspiegel kalt. Trotzdem fühlte er sich wohler, als er sich auf der Autobahn eingefädelt hatte.
„ Da habe ich ja Glück gehabt“, lobte sie plötzlich.
„ Wie meinst du das?“
„ Ein vernünftiger Fahrer bis nach Hause.“
„ Danke für die Blumen.“
„ Bitte, bitte“, schnurrte sie. „Fahren Sie viel Auto?“
„ Es geht, allerdings meistens in der Stadt.“
„ Darf ich fragen, was Sie von Beruf sind?“
„ Ich bin Privatdetektiv.“
„ Wirklich?“
„ Ganz wirklich.“
„ Ein Derrick ohne Dienstmarke? Wirklich?“
„ Hundert pro.“
„ Dann sind Sie auch bewaffnet?“
„ Nein, ich benutze lieber meinen Kopf als eine Waffe. Übrigens habe ich gar keine Waffe, sondern müsste mir erst eine leihen.“
„ Oha!“
„ Enttäuscht?“
„ Warum sollte ich? Ich habe noch nie einen Privatdetektiv getroffen, sondern kenne nur welche aus dem Fernsehen.“
„ Die haben mit der Realität nicht viel zu tun.“
„ Aber sie haben so schöne Sprüche auf Lager.“
„ Damit kann ich vielleicht auch dienen.“
„ Lassen Sie mal hören?“
„ Weißt du, was Hygiene ist?
„ Ach Gott, das hat ja einen Bart. Wenn man sich die Hände häufiger wäscht als nötig.“
„ Ich sollte vielleicht doch so viel Whisky trinken wie die Vorbilder im Fernsehen.“
„ Was trinken Sie denn statt Whisky?“
„ Ich bin Weißweintrinker.“
„ Echt?“ Sie staunte. „Weißwein? Nicht Rotwein?“
„ Ganz echt. Weißwein. Deutschen sogar.“
„ Man lernt doch nie aus!“, seufzte sie so gekonnt, dass er laut loslachen musste: „Von wem hast du denn den schönen Spruch gelernt?“
„ Von meiner Großmutter. Sie hat ihn alle Augenblicke benutzt.“
„ Jetzt nicht mehr?“
„ Ich sehe sie nicht mehr so oft. Früher bin ich, wenn ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten habe, zu meiner Oma gefahren, aber die lebt jetzt in einem Pflegeheim und kann mich nicht mehr einfach so aufnehmen.“
Danach kehrte sie ihm den Rücken zu, das Gespräch war beendet. Vorerst wenigstens. Wenig später drehte sie die Lehne herunter und schlief ein.
Als er tanken musste, lud er sie zum Essen ein: „Hast du keinen Hunger?“
„ Doch, mächtig sogar“, gestand sie.
„ Na, ich denke, du wirst mich nicht ruinieren.“
„ Warten Sie’s ab! Ich liebe Kaviar, Austern, Hummer und Champagner.“
„ Dann sind wir in einer Autobahnraststätte ja genau im richtigen Feinschmecker-Lokal“, spottete er, und sie streckte ihm die Zunge heraus. Nur ein Kind konnte so unbeschwert lachen, und er bot ihr galant seinen Arm.
„ Was sind wir denn jetzt?“
„ Wie bitte?“
„ Ja, was stellen wir dar? Vater und Tochter oder Mann und Freundin?“
„ Wie wär’s mit Lehrer und Schülerin?“
„ Nicht Arm in Arm!“, wehrte sie ab. Auf Ironie war sie noch nicht geeicht.
„ Okay, also Patient und Krankenschwester.“
Ihr Blick ersetzte eine lang Rede, und er staunte ehrlich, was sie so in sich hineinfutterte; sie verstand seine Miene richtig und errötete: „Gestern hat’s nur zu zwei trockenen Brötchen gelangt.“
„ Dann wünsche ich dir noch einen guten Appetit.“
Im Auto betrachtete er sie amüsiert, sie fummelte an dem Jeansbund herum und schnaufte kläglich: „Es kneift.“
„ Kein Wunder bei den Mengen.“
„ Ich werde mich revanchieren.“
„ Angenommen.“
„ Dazu brauche ich aber Ihre Adresse.“
„ Im Handschuhfach liegen Karten.“
Sie holte eine heraus und studierte sie gründlich. „Die Belgerstraße kenne ich.“ Dann gickste sie. „Haben Sie keine Wohnung?“
„ Wie meinst du das?“
„ Auf Ihrer Visitenkarte ist keine Privatanschrift gedruckt.“
„ Nein, ich trenne gerne Beruf und Privatleben. Und abends oder nachts nach einem anstrengenden Tag möchte ich nicht gerne gestört werden.“ Er wollte ihr nicht erklären, dass er viel Wert auf Sicherheit legte und nicht von Verrückten oder durchgeknallten Typen, die meinten, sie müssten ihm noch was heimzahlen, in seiner Wohnung oder vor seiner Haustür angegriffen werden wollte.
„ Dann kann man Sie schwer erreichen?“
„ Nein, gar nicht, ich hör regelmäßig meinen Anrufbeantworter oder meine Mailbox ab.“
„ Darf ich die Karte behalten?“
„ Wenn du willst, kannst du sogar zwei oder drei nehmen.“
„ Vielen Dank. In meiner Klasse werden sie Augen machen, wenn ich beweisen kann, dass ich wirklich mit einem echten Privatdetektiv bekannt bin.“
Sie steckt die drei Karten ein und kramte dann eine riesige Sonnenbrille hervor. Die restliche Strecke fuhr er in bester Laune.
Gegen siebzehn Uhr passierten sie das Ortseingangsschild Tellheim , sie setzte sich gerade hin, steckte die Brille wieder ein und flüsterte: „Waldparkallee. Nummer sieben.“
„ Die Straße kenne ich“, sagte er ausdruckslos. Es war eine der besten Adressen, im sogenannten Quellenviertel: Nach Süden lag der Stadtpark, und hinter der Allee begann der Stadtwald, der den ganzen Ilsernberg bedeckte. Viele alte und große neue Villen, einflussreiche und begüterte Familien, die sich so abweisend gaben wie die hohen Gitter vor ihren Grundstücken. Materiell durfte es einem Mädchen wie Susi Döhle wohl an nichts fehlen, aber vielleicht hasste sie Gitter genauso wie er. Sehr steif saß sie neben ihm und schaute jetzt sehr starr geradeaus.
Direkt vor dem Haus Nummer sieben fand er einen Parkplatz, drehte den Zündschlüssel und fragte sachlich: „Soll ich mit zur Haustür kommen?“
„ Ja, bitte!“ Ihre Stimme kratzte.
Die Villa war erst nach dem Krieg gebaut worden, zu einer Zeit, als sich die meist neureichen Eigentümer und Nachkriegsgewinner ihres Geldes noch zu schämen schienen; das zweistöckige Gebäude gab sich alle Mühe, kleiner und bescheidener zu wirken. Zwischen der freistehenden Doppelgarage rechts und der Hausecke sperrte ein schmiedeeisernes Tor den Plattenweg in den Garten ab, links stand ein niedriges Häuschen – vielleicht für den Chauffeur? – Und dort diente eine dichte Hecke demselben Zweck.
Nach dem Klingeln hörte Landau, dass Susi schwer atmete, und hatte plötzlich den irrsinnigen Eindruck, dass er diese Szene schon einmal erlebt hatte.
Ein Mann riss die Haustür auf; als er Susi erblickte, verfinsterte sich blitzartig sein Gesicht und wurde hässlich vor Zorn. Doch bevor er etwas sagen konnte, schaute er auf Landau, erstarrte und riss die Augen weit auf, als habe er nicht damit gerechnet, diesen Mann hier zu sehen. Landau ging es ebenso, jeder bemühte fieberhaft sein Gedächtnis … Susi bereitete der gegenseitigen Fixierung ein Ende: „Das ist Johannes Döhle, mein Vater. Und das ist Dirk Landau, ein Privatdetektiv. Er war so nett, mich aus Boltenhagen mitzunehmen.“
Bei dem Wort „Privatdetektiv“, schien bei Döhle der Groschen respektive das Zehn-Cent-Stück zu fallen, aber nach seinem Gesicht zu urteilen, wurden dadurch keine freundlichen Erinnerungen ausgelöst.
„ Ja, so, danke, sehr freundlich.“ Döhle schwankte immer noch zwischen Verwirrung und wachsendem Zorn und drehte, fast dankbar für die Ablenkung, den Kopf zu dem Mann, der aus dem Treppenhaus in die Diele bis an die Haustür schlenderte und das Trio neugierig musterte.
„ Guten Tag“, grüßte der Fremde.
„ Guten Tag“, antwortete Landau etwas ungeduldig; Susi sagte nichts, drängte sich aber plötzlich hastig an den beiden Männern vorbei in die Diele, und Landau hörte noch, dass sie eilig eine hölzerne Treppe hinauflief. Der fremde Mann sah ihr nach, bevor er sich an Landau wandte und etwas sagen wollte, was Döhle aber verhinderte: „Ja, noch mal vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Landau, das war sehr freundlich von Ihnen. Auf Wiedersehen.“
„ Wiederseh’n“, erwiderte Landau automatisch, verstimmt über diese knappe Verabschiedung. Döhle schob den anderen schon in die Diele zurück, die Tür knallte ins Schloss, und Landau machte achselzuckend kehrt. Mehr konnte er für Susi nicht tun, und Döhle zu bitten, mit der Ausreißerin nicht zu hart ins Gericht zu gehen, hätte er auch nicht über die Lippen gebracht. Es hätte wahrscheinlich auch nichts genutzt.
Aber die Unruhe blieb, wo zum Teufel hatte er den Namen Döhle schon einmal gehört? Und wieso war ihm plötzlich der Gedanke gekommen, er habe diese Szene an der Haustür schon einmal erlebt? Also fuhr er, über sich selbst verärgert, ins Büro.
Natürlich gab Ella Marx, ihre tüchtige, aber vorlaute Vorzimmerfee, sofort ihren Senf dazu: „Schon zurück? War das Wetter da oben im Norden so schlecht?“
„ Nein, die Begleiterin war so unerträglich. Zum Glück ist sie heute Morgen freiwillig abgerauscht.“
„ Mona und ich hatten dich vor Vera Lüders gewarnt!“
Daran konnte er sich zwar nicht erinnern, aber wenn es darum ging, ihn unter dem Pantoffel zu halten, waren sich seine Partnerin Mona Thiesow und die Fee der Privatdetektei Landau & Thiesow, Ella Marx, immer einig.
In seinem Zimmer warf er den Computer an und suchte nach dem Namen Döhle. Im vorigen April war eine Sina Döhle zu ihnen ins Büro gekommen: „Meine Tochter Susanne ist wieder einmal ausgerissen, bitte suchen Sie Susi, bevor es einen Skandal gibt oder sie in ernsthafte Schwierigkeiten gerät.“ Weil er einen anderen Auftrag erledigen musste, hatte Mona den Fall übernommen, bei dem sie mithilfe einer Schulfreundin Susis rasch herausfand, dass Susi wohl zu ihrer Oma nach Dürrenbach gefahren war. Dort hatte Mona sie gefunden und nach Tellheim zurückgebracht. Susi war gerade noch rechtzeitig bei Oma Hermine Feldmann eingetroffen, um einen Notarzt zu rufen, der Oma mit einem schweren Schlaganfall ins Krankenhaus schaffen konnte. Oma überlebte, war aber seitdem auf Hilfe angewiesen und musste das schöne und geräumige Haus in Dürrenbach aufgeben.
„ Wo ist Mona?“, fragte er Ella.
„ Sie hat einen Aushilfsdienst im Casino übernommen. Und was willst du jetzt machen?“
„ Ich fahre nach Hause, kaufe unterwegs ein, packe meinen Koffer aus, werfe die Waschmaschine an und werde meinen restlichen Urlaub ganz entspannt auf dem Balkon vertrödeln und genießen.“
„ Viel Spaß.“
„ Ach, noch was, Ella. Wenn eine Susanne, Susi Döhle, mich sprechen will, gibt ihr ruhig meine Handynummer und Adresse.“
„ Neue Freundin?“ Nein, Ella war nicht wirklich neugierig, allenfalls etwas interessiert an seinen sozialen Kontakten. Oder besorgt darüber, dass er vereinsamen könnte.
„ Und was mache ich, wenn Vera Lüders anruft?!“
„ Dann weißt du nicht, wo ich mich gerade herumtreibe.“
„ Na gut. Also kein Versuch, etwas zu kitten?“
„ Nein, bloß nicht“, antwortete er knapp. „Die Dame ist mir zu anstrengend.“ Er sah, dass ihr zu „anstrengend“ eine eher unanständige Frage auf den Lippen schwebte, aber zu ihrem Glück schluckt sie die Wörter rechtzeitig herunter.
Es blieb noch Zeit, in aller Ruhe einzukaufen, und bis er alles verstaut, seinen Koffer ausgepackt und die erste Maschine mit schmutziger Wäsche angeworfen hatte, verdrängte er den Namen Hannes Döhle. Dann spürte er ein steifes Kreuz, zog seine Laufschuhe an und fuhr auf den Ilsernberg, um gemächlich eine Stunde zu laufen. Von Joggen hielt er nichts, Nordic Walking kam ihm zu albern vor, er liebte das altmodische Spazierengehen mit langen Schritten. Nach einer dreiviertel Stunde begann er eine angenehme Müdigkeit zu spüren. Vera hatte stundenlang am Strand geröstet, das Wasser aber gemieden – zu kalt, zu dreckig, zu viele Menschen. Er hätte sie nie zum Urlaub einladen sollen. Mit Discos und Bars und Prominenten-Kneipen freundete er sich nicht mehr an, und wenn er froh war, endlich wieder frische Luft zu atmen, fing sie prompt mit dem Gähnen an. Kurz vor dem Bett erreichte es seinen Höhepunkt, und der schon lange schwelende Krach war am Sonntagabend losgebrochen, als er ihr ein „rein senkrechtes“ Temperament bescheinigte, was sie genau richtig verstand und ihm sehr übel nahm. Okay, daraufhin hatte sie sich verabschiedet, er musste sie nicht wegschicken, zwei verkorkste Urlaubswochen ließen sich verkraften, und im Fernsehen hatte die Meteorologin ein stabiles Hoch mit hochsommerlichen Temperaturen versprochen.