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Achtes Kapitel

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Den Rest seines letzten Urlaubstages wollte Landau auf seinem Balkon vertrödeln.

Seine mäßig gute Laune verflog blitzartig, als er hinter seiner Wohnungstür in der Diele den Zettel hochnahm:

Warum waren Sie bloß nicht zu Hause? Es ist etwas Schreckliches passiert! Susi.“

Jede halbe Stunde schreckte er hoch und schlich wie gerädert um sieben Uhr zum Telefon. Zu früh für einen höflichen Anruf, hoffentlich nicht zu spät, Susi zu helfen.

Bei Döhle nahm niemand ab. Immer wieder, alle zehn Minuten, versuchte er es, das Telefon in der Waldparkallee klingelte vergeblich. Zwischendurch kochte er einen wirklich starken Kaffee, schluckte Tabletten gegen seinen schweren Kopf, duschte eiskalt, würgte trockenen Zwieback herunter und begann zu beten: „Susi, melde dich doch!“ Um acht Uhr hielt er es nicht mehr aus und sauste in die Garage.

Die Villa in der Waldparkallee lag wie verlassen. Trotz Klingeln, Klopfen und Rufen kam niemand an die Haustür. Das Garagentor war verschlossen. Es konnten doch nicht alle Hausbewohner ausgeflogen sein!

Laut fluchend warf er sich ins Auto und fuhr in die Firma Feldmann & Küster . Sein Schädel brummte trotz Tabletten, seine Laune sank unaufhaltsam. Auch die Büchse der Pandora musste leer sein, damit man die Botschaft auf dem Boden lesen konnte: „Hoffnung“.

Die junge Dame am Empfang witterte wohl, dass seine Höflichkeit nicht mehr lange vorhalten würde. Jedenfalls beeilte sie sich mit dem Telefon und schüttelte jedes Mal verwunderter den Kopf: „Nein, Herr Döhle ist noch nicht in seinem Büro.“ – „Nein, Frau Döhle auch noch nicht.“ – „Tut mir schrecklich leid, ich versteh’ es auch nicht, aber Frau Sieloff ist auch noch nicht da.“

„ Dann werde ich hier warten.“

„ Bitte, natürlich. Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen?“

Sie war an der verfahrenen Situation nicht schuld, deswegen riss sich Landau zusammen: „Das wäre sehr nett, vielen Dank.“

Viertel nach neun. Chef, Chefin und Chefsekretärin nicht am Platze. Gegen den harten Wutknoten in seinem Magen musste er schwer anatmen. Dann endlich erschien Inge Sieloff und steuerte verwundert auf ihn zu: „Was machst du denn hier?“

Inge Sieloff hatte er vor vier oder fünf Jahren kennengelernt. Damals hatte Landau einen Job bei einer Wach- und Schließgesellschaft und sie erledigte Steuern und Versicherungen für die Belegschaft und stellte die Dienstpläne zusammen. Dann wurde in der Firma geklaut wie bei Rabens , sodass man für die tragenden Deckenteile fürchten musste. Dirk Landau ließ praktisch im Alleingang eine ganze Bande auffliegen, und Inge Sieloff bestärkte ihn in seinem Wunsch, eine eigene Privatdetektei aufzumachen und die Freundschaft hielt immer noch an.

„ Ich hab’ in letzter Zeit viel von dir gehört.“

„ Wie denn das?“

„ Chef und Chefin haben erzählt, dass du Susi von der Ostsee nach Hause gebracht hast und sie ab und zu zum Essen und ins Schwimmbad mitnimmst.“

„ Ja, sie ist ein reizendes Mädchen und hat großen Kummer mit ihren Eltern.“

„ Immer schon gehabt, Dirk.“

„ Aber wohl besonders stark, seit sich ein alter Kumpel ihres Vaters im Hause Döhle einquartiert hat. Ein Oliver Rendel. Kennst du ihn?“

„ Der Chef hat ihm mal die Firma gezeigt. Bei der Gelegenheit haben wir uns die Hände geschüttelt.“

„ Dicke Freunde?“

„ Glaube ich nicht. Alte Kumpel, die mal in einer Firma gearbeitet haben und in ihrer Freizeit nichts haben anbrennen lassen, was längere Haare besaß und einen Rock trug und bei drei nicht auf den Bäumen war.“

„ Susi meint, das sei bei Vater Hannes immer noch so. Die Mutter Sina zöge dagegen feste Verhältnisse vor.“

„ Das Mädchen beobachtet recht genau.“

Landau hätte Inge Sieloff gern noch nach dem momentanen Liebhaber der Mutter gefragt, doch in dem Moment rauschte Sina Döhle auf sie zu.

Nach einem flüchtigen „Guten Morgen Inge“, fuhr sie Landau an: „Was machen Sie denn hier?“

„ Ich hab einen Brandbrief von Susi bekommen und suche sie jetzt.“ Damit gab er Sina Döhle den Zettel, den er in seiner Diele gefunden hatte.

„ Das Mädchen übertreibt wieder mal maßlos. Mir wäre es lieb, wenn Sie den Kontakt zu meiner Tochter abbrechen würden.“

„ Ich geh dann mal an die Arbeit“, sagte Inge Sieloff rasch, der Ton der Chefin versprach eindeutig Ärger für alle, die Sina Döhle hören konnten.

„ Kommen Sie, wir geh’n in mein Büro.“

Ungeduldig nickte Landau. Aus der Nähe sah er, dass Sina Döhle auch wenig geschlafen hatte, ihre Augen waren noch verquollen, und von der früheren Lebendigkeit war wenig zu spüren.

„ Was kann ich für Sie tun?“

„ Ich suche Susanne Döhle und kann sie nirgends finden“, bellte er sie an.

„ Susi?“ Seine schlechte Laune schüchterte sie nicht ein. „Was wollen Sie denn von Susi?“ Dann bemerkte sie, wie er sich spannte, und fuhr rasch fort: „Kommen Sie doch mit, ich habe mich schrecklich verspätet.“

Auf der Treppe lief sie voran, trotz seiner Anspannung und Ungeduld registrierte er, dass sie schöne, lange Beine hatte, und schämte sich einen Moment, dass er jetzt an so was denken konnte. Die innere Unruhe konnte er sich selbst nicht erklären, geschweige denn einem Fremden plausibel machen.

Sina Döhles Büro war nicht besonders groß und nicht einmal elegant eingerichtet. Der Stuhl vor dem Schreibtisch lud weder ein, lange zu verweilen, noch gab er durch Härte und Unbequemlichkeit zu verstehen: „Mach’s kurz und verschwinde möglichst bald wieder!“

„ Was interessiert Sie eigentlich an einem minderjährigen Mädchen?“

„ Hat Susi erzählt, wo und wie sie mich aufgegabelt hat?“

„ Angeblich auf einem Hotelparkplatz in Boltenhagen.“

„ Stimmt. Sie ist nett, war hungrig und froh, dass sie es bis in die Waldparkallee nur mit einem alten Mann zu tun hatte. Natürlich haben wir uns unterhalten und dabei ist mit klar geworden, dass Ihre Tochter sehr unglücklich ist und großen Kummer hat. Über beides kann sie wohl in ihrer Familien nicht reden, und so hat sie einem Wildfremden ihr Herz ausgeschüttet.“ Weil Sina Döhle unwillig den Mund verzog, setzte er hinzu: „Wie in einem Beichtstuhl. Dass die Detektei schon mal mit Susanne Döhle zu tun hatte, wusste ich nicht mehr.“

„ Das war alles?“

„ Ja.“

„ Bis auf diesen Brandzettel hier.“

„ Und was soll ich jetzt tun?“

„ Ich komme nicht in das verschlossene Haus und würde mich gerne überzeugen, dass dort alles in Ordnung ist.“

„ Was soll da in Unordnung sein?“

„ Susi hat angedeutet, dass es zwischen Ihrem Mann und Ihrem Logierbesuch Oliver Rendel nicht immer friedlich zugeht.“

Sie schnaubte: „Susi hat zu viel Fantasie.“

„ Aber sie beobachtet auch sehr genau.“

„ Sie wollen also, dass ich mit Ihnen in die Waldparkallee fahre?“

„ Das wäre sehr hilfreich.“

Mit einer Handbewegung deutete sie auf den vollen Schreibtisch. „Ich ertrinke in Arbeit. Das passt mir ausgesprochen schlecht in den Kram.“

Ihm kam ein Idee, wie man mit einem Streich zwei Mücken erledigen konnte: „Wäre es möglich, dass Ihre Sekretärin mit den Schlüsseln und mir in die Waldparkallee fährt: Sie hat ein Auge auf mich und Ihre Wertsachen und ich bringe sie nachher ins Büro zurück.“

Dem stimmte Frau Döhle nach einer Weile zu: „Ich muss sowieso erst die Post lesen. Und Frau Sieloff hat einen Hang für Abenteuer.“

Landau hatte eher den Eindruck, dass Inge Sieloff froh war, ihrer Chefin für einige Zeit entfliehen zu können, was Inge sofort bestätigte: „Sie ist fleißig und tüchtig, auch zuverlässig, aber manchmal unerträglich ungeduldig.“

„ Und ihr Mann?“

„ Der ist zum Glück selten in der Firma. Ein tüchtiger Ingenieur, das sagen alle, und er arbeitet am liebsten in Lokalen und Bars und skizziert, was ihm dabei einfällt, auf Bierfilzen, Rückseiten von Speisekarten oder Angeboten und Preislisten von willigen Damen oder auf den Rückseiten ihrer Werbefotos. Diese Kritzeleien werden sorgfältig abgeheftet und wenn uns einmal eine Steuerprüfung ins Haus steht, werden die Leute annehmen, wir betrieben einen Ring von Bordellen.“

„ Er ist also gut beschäftigt?“

„ Immer.“

„ Und seine Frau?“

„ Sina hat es längst aufgegeben, ihn zu verändern und lebt mit Hape Küster zusammen.“

„ Küster?

„ Ja, mit Hans-Peter oder Hape Küster.“

„ Das ist doch …“

„ Ja, der Teilhaber an Feldmann & Küster .“

„ Die Partner wissen voneinander?“

„ Natürlich. Sie kommen sogar gut miteinander aus.“ Inge Sieloff krauste die Nase: „Schwierig wird es nur in den Phasen, in denen sich Sina Döhle eine Auszeit aus dem festen Verhältnis gönnt. Dann neigt Hape zur Hysterie.“

„ Trotz dieser komplizierten Verhältnisse an der Spitze geht es der Firma gut?“

„ Nicht berauschend, aber gut, ja. Jedenfalls mache ich mir keine Sorgen um meinen Job und mein Gehalt.“

„ Und wo lebt Hapes Frau?“

„ Irgendwo weit weg in Kanada. Von ihr sieht und hört man nichts.“

Äußerlich war die Villa unverändert, nur der Eindruck der Leere hatte sich seltsam verstärkt. Mit quietschenden Reifen bremste er vor der Garage und wartete ungeduldig auf Inge Sieloff, die Schlüssel in der einen Hand, den Zeigefinger der anderen fest auf den Klingelknopf gepresst. Ihr schmaler Mund verriet ihre Spannung und schließlich trat sie vor Ungeduld von einem Fuß auf den anderen; vor Ungeduld glitt der Schlüssel ab, dann donnerte sie die Tür gegen den Stopper, als wollte sie den aus dem Boden schlagen.

„ Susi! Chef!“

Etwas langsamer folgte Landau ihr, und als er den Wohnraum betrat, hatte sie schon die Türen zur Veranda geöffnet und begann hysterisch zu schreien.

Die Sonne leuchtete die Szene gnadenlos aus, das Licht fing sich in den Scherben eines Glases, die vor dem Swimmingpool auf den Platten lagen. Der Mann auf dem Grund des Beckens schwebte mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen, das Gesicht dem Boden zugewandt, so ruhig und friedlich wie die kräusellose Oberfläche des Wassers. Jeden Moment musste er sich umdrehen und mit einem kräftigen Beinschlag auftauchen, unwillig über den Lärm und das Geschrei der Frau, die fassungslos auf die Knie gesunken war und die Arme nach dem Toten ausstreckte, bis ihre Stimme erstickte und sie wie eine Marionette zusammensank, deren Fäden mit einem Schlag gekappt wurden. Erst danach konnte sich Landau wieder bewegen.

Sie war ohnmächtig, atmete flach, doch regelmäßig, ihr Puls klopfte schwach. Mühsam drehte er sie zur Seite, hob sie hoch und schleppte sie in das kühlere Haus zurück. Die Glastüren zur Veranda standen weit offen, als sie durch den Wohnraum in den Garten gestürmt war. Er legte sie auf der Couch ab, zog den Kleidersaum hinunter und rieb sich unschlüssig das Kinn. Jetzt spürte er die kurze Nacht, den fehlenden Schlaf, das Zentnergewicht des Zettels, den Susi unter seiner Wohnungstür durchgeschoben hatte. Es war wirklich etwas Schlimmes passiert, und wie sollte er Susi jetzt schützen? Dass es seine Pflicht war, bezweifelte er keinen Moment. Schweren Herzens holte er sein Handy heraus.

Die Hauptkommissarin Lene Schelm begann sofort zu sticheln: „Dirk Landau, was ist los? Vermisst du mich so sehr? Oder fürchtest du, meine Kolleginnen und ich würden uns so sehr langweilen?“

„ Weder – noch. Rückt mal mit voller Mannschaft an, Waldparkallee sieben, Döhle. Und sagt dem Onkel Doktor, er müsste außerdem eine Ohnmächtige verarzten.“

„ Mich laust der – eine Leiche?“

„ Im Swimmingpool. Hoffentlich kannst du tauchen.“

Als er die rote Taste an seinem Handy drückte, schlug Inge Sieloff die Augen auf, und für lange Sekunden schien sie nicht zu wissen, wo sie war und was geschehen war. Dann erkannte sie Landau, und ihre Lippen begannen zu zittern.

„ Bleib liegen!“, befahl er freundlich. „Gleich kommt ein Arzt.“

„ Aber – aber – Hannes – wir …“

„ Dem Mann kann keiner mehr helfen, Inge. Bitte bleib’ liegen!“ Ihr Gesicht war weißer als die Wand und die Martinshörner der anrückenden Truppe erlösten ihn von dem schrecklich leeren Blick. Landau telefonierte mit der Firma: „Frau Döhle, Kommen Sie bitte sofort nach Hause. Es ist etwas Schreckliches passiert.“

„ Hat das nicht Zeit bis heute Nachmittag?“

„ Nein, ich höre schon die Martinshörner der Polizei.“

„ Polizei?“

„ Ich sagte doch. Es ist wirklich etwas Schreckliches geschehen. Am besten fahren Sie nicht selbst, sondern bestellen sich ein Taxi.“

„ Was ist mit Inge Sieloff?“

„ Die war ohnmächtig, hat aber eben die Augen wieder aufgeschlagen.“

Danach alarmierte er die Agentur L&T, die Mannschaft sollte so schnell wie möglich kommen. Die nächsten Stunden würden nicht erfreulich sein. Es war schade, aber die beiden Frauen Mona Thiesow, Landaus Partnerin, und Marlene Schelm, genannt Lene, Erste Hauptkommissarin im Tellheimer R-11 – (Gewaltsamer Tod und Entführung/Freiheitsberaubung) verstanden sich nicht gut. Die steife Höflichkeit, die sie füreinander aufbrachten, reichte gerade aus, um einen offenen Krach zu verhindern. Nun hatte die Agentur Landau & Thiesow nicht oft mit Mord, Totschlag und Entführung zu tun, aber ab und zu begegnete man sich doch und Lene Schelm ließ sich nicht gerne ins Handwerk pfuschen.

Dagegen verstanden sich Ella Marx und Christine Dellbusch, die Jüngste im R-11, sehr gut. Die anderen Beamten und die Techniker der Spurensicherung in ihren weißen Papieroveralls kannten ihn nicht so gut und drängten lärmend und fluchend und witzelnd ins Haus. Die Routine hatte begonnen, und vor deren herzloser Geschäftigkeit flohen erst einmal alle schwarzen Schatten.

Der Gerichtsmediziner Dr. Xaver Rupp stellte nur den Tod fest und weigerte sich, vor der Obduktion eindeutig auf Tod durch Ertrinken zu erkennen. Dann musste Landau mit seiner Geschichte auspacken, was mit dem überstürzten Aufbruch einer Vera Lüders in Boltenhagen begann, über eine lange Fahrt mit Susi Döhle nach Tellheim, einem Schwimmbadbesuch in Dreschbach und einem Eis bei Paolino nicht endete.

Am Montag hatte Landau noch gehört, wie Susi eine hölzerne Treppe hinauflief, während er sich noch mit Döhle und Rendel unterhielt. Es war eine breite Treppe, mit einem altmodischen, hölzernen Geländer und einem breiten Handlauf, auf dem man bequem herunterrutschen konnte. Lene und die Oberkommissarin Jule Springer hatten Susis Zimmer flüchtig durchsucht, während Lenes Stellvertreterin im R-11, Ellen König, sich Inge Sieloffs Geschichte anhöre. „Von Ordnung hält sie nicht viel“, tadelte Lene Schelm laut und Jule Springer hielt einen Pyjama hoch. „Der hat vor dem Bett auf dem Boden gelegen.“

Der Pyjama war beschädigt, der Bund der Hose eingerissen, an der Knopfleiste der Jacke hingen zwei Fadenreste.

Na ja, das war’s also. Die Beschädigung des Pyjamas gefiel Landau gar nicht. Sina Döhle, die wenig später eintraf, konnte zur Aufklärung dessen, was hier vorgefallen war, nichts beitragen, nahm aber den Tod ihres Mannes mit einer Kühle und Gelassenheit zur Kenntnis, die allen Anwesenden unangenehm auffiel. Dass Oliver Rendel verschwunden war, schien sie mehr zu beschäftigen als der Tod ihres Ehemannes und das Verschwinden ihrer Tochter.

Die Scherben des Glases neben dem Swimmingpool waren bereits eingepackt. Auf den Steinen lag jetzt der tote Hannes Döhle, bekleidet mit weiten Shorts und einem dünnen Frotteehemd mit kurzen Ärmeln. Als der kniende Arzt Lenes Schritte hörte, richtete er sich auf. „Außerdem hat er unter den Haaren eine schöne, prächtige Beule. Am ganzen Körper seltsame Hämatome und an beiden Armen Abschürfungen.“

„ Ist er verprügelt worden?“

„ Könnte gut sein.“

„ Na, danke, Dr. Rupp.“ Weil der Arzt ihr einen merkwürdigen Blick zuschoss, grinste sie breit und drehte sich schnell weg.

Gut drei Meter vom Arzt entfernt stand ein weißer Gartentisch mit einem Stuhl, das Sitzpolster schien trocken zu sein. Unter dem Stuhl lagen zwei Gummi-Badelatschen. Wenn Döhle das zersplitterte Glas hatte fallen lassen, musste es irgendwo Flaschen geben. Unauffällig schlängelte Landau sich durch die arbeitenden Leute und suchte die Küche. Auf der Spülmaschine stapelte sich gebrauchtes Geschirr; die beiden leeren Whisky-Flaschen entdeckte Landau auf der Frühstücksbar, neben einem Eiswürfelbehälter. Der gestrige Abend war warm gewesen, es hatte sich erst am frühen Morgen etwas abgekühlt. Gut denkbar, dass Döhle im Garten ohne Licht gesessen hatte, um keine Insekten anzulocken, und regelmäßig in die Küche geschlurft war, um sein Glas aufzufüllen.

Hoffentlich ließ sich genug Alkohol im Blut feststellen. Das würde so viel erklären und Susi helfen. Landau spürte, dass Lene Schelm ihn verwundert und misstrauisch betrachtete. Sie mochte keine Menschen, die Leichen fanden. Er sagte: „Im Haus fehlt anscheinend nichts, also kein Einbruch oder Raub.“ Lene Schelm zuckte die Achseln: „Und die Tochter ist tatsächlich verschwunden. Ausgerissen, was sie nach Aussage der Mutter wohl häufiger tut. Landau setzte sich, mit der Ersten Hauptkommissarin verstand er sich eigentlich recht gut. Lene Schelm wusste, dass sie sich auf seine Verschwiegenheit verlassen durfte und zog den Notizblock aus der Jeanstasche.

„ Wo Döhle den Donnerstag verbracht hat, wissen wir auch noch nicht. Am frühen Nachmittag, so gegen vierzehn Uhr, hat er mit seiner Frau einen lautstarken Streit in der Firma angefangen.“

„ Was nicht ungewöhnlich war“, warf Inge Sieloff ein. „Um diese Zeit wurde er durstig und deshalb grantig.

„ Danach ist er wutentbrannt abgedampft, kein Mensch weiß, wohin, und seitdem – Fehlanzeige.“

„ Worum ging’s denn bei dem Streit mit Sina Döhle?“

„ Sie sagt, wieder einmal um alles. Um einen wichtige Auftrag, den Hannes vertrödelte. Um Geld – er scheint eine Menge für Wein, Weib und Gesang auszugeben. Um Susi. Um Döhles neue Freundin …“

„ Hat sie einen Namen genannt?“

„ Nein. Um ihn als Mensch und Charakter, also, Hund und Katze ist schon kein Vergleich mehr.“

„ Ist in dem Streit auch der Name Oliver Rendel gefallen?“

„ Doch, ja. Sie hat wohl die Schnau … – ähem – dieser Rendel geht ihr mächtig auf den Keks. Es war so ein runder, saftiger Krach zwischen Eheleuten, die schon lange nicht mehr miteinander können und sich gleichgültig geworden sind.“

„ Hat sie das so formuliert?“

„ Ja. Frau Döhle hat auch freiwillig gesagt, dass sich ihre Trauer um Hannes Döhle in sehr engen Grenzen hält.“

„ Donnerwetter“, murmelte Landau geistesabwesend. Lene konsultierte ihren Block. „Sie hat sich dann einige Stunden um Personalakten gekümmert, ist anschließend in die Stadt gefahren und danach – wo sie die Nacht verbracht hat, hat sie nicht gesagt, weißt du es?“

„ Wo, das weiß ich auch nicht.“

„ Aber du hat einen Verdacht, mit wem?“

Wieder mischte sich Inge Sieloff ein: „Sie sollten sich mal bei Hape Küster erkundigen.“

Landau begriff endlich, warum Lene Schelm so offen in Inge Sieloffs Gegenwart gesprochen hatte. Mona warf ihm auch häufiger vor, von weiblicher List verstünde er trotz seines vorgeschrittenen Alters so gut wie nichts.

„ Wir haben auch versucht, uns noch um diesen Oliver Rendel zu kümmern. Der ist wie vom Erdboden verschluckt. Ehefrau Sina sagt, dass es mit Rendel in letzter Zeit mächtig Zoff gegeben hat.“

„ Warum eigentlich?“

„ Ja, das ist etwas komisch. Es ging angeblich fast immer um Geld.“

„ Warum zweifelst du daran, verehrte Marlene?“

Sie blinzelte in Richtung Inge Sieloff und Landau wiederholte seine Frage nicht.

„ Wir sehen uns ja noch“, beendete Lene das Gespräch, und diesmal klang es wie eine Drohung.

Landau verspürte Hunger und wünschte sich einen langen Mittagsschlaf. Er nahm Inge Sieloff mit in das Lokal Konrads Kombüse , das nicht weit von der Agentur L&T in der Belgerstraße lag. Konrad hatte wieder zwei so flotte wie tüchtige Bedienungen gefunden und bot als Hauptgericht Labskaus an: „Man kann es essen, beruhigte Landau seine Begleiterin. „Konrad hat viele Jahre auf einem Dampffrachter gekocht und manchmal bricht seine Salzwasserseele durch.“

Sie waren fast fertig, als Mona und Ella hereinkamen. Sie hatten noch im Präsidium warten müssen, bis sie ihre Aussagen unterschreiben konnten.

Krimi Doppelband 2225

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