Читать книгу Krimi Doppelband 2214 - Alfred Bekker - Страница 11
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ОглавлениеBewaldete Berghänge schlossen den winzigen Ort ein. Zwei Dutzend Holzhäuser, eine Schule, eine Kirche und die lebensnotwendigsten Läden. Zu letzteren gehörte auch die einzige Kneipe, deren Inhaber vorwiegend davon lebte, dass Holzfällertrupps aus den Bergen herunterkamen, um sich das Sägemehl aus der Kehle zu spülen.
„Illahe ist ein schlechter Platz für Sie, Mister“, sagte der krummbeinige kleine Mann, der auf dem Kopf eine ölverschmierte Pelzmütze und über dem Ölverschmierten Overall eine ölverschmierte Felljacke trug. „Hier weiß jeder über jeden Bescheid. Wir haben nicht mal hundert Einwohner. Man wird sich Gedanken machen über Sie und Ihre Leute.“
Hai Girard winkte ab.
„Gedanken sind nicht schädlich, Fogarty. Jedenfalls nicht für mich. Und Sie haben keinen Grund, sich zu beklagen, oder?“
„Nein, nein, natürlich nicht“, sagte Fogarty eilig. Die fünftausend Bucks, die in seiner Brieftasche steckten, vermittelten ihm ein äußerst angenehmes Gefühl. Und die Gegenleistung, die dieser hagere Fremde dafür von ihm verlangte, verursachte keine hohen Kosten. Es war also ein beträchtlicher Profit herauszuholen. Mehr, als Fogartys kleine Reparaturwerkstatt in einem halben Jahr abwarf. Er konnte daran denken, ein bisschen zu investieren. Neues Werkzeug, eine neue Hebebühne ... genug, um endlich auch die größeren Traktoren der Holzfäller zu verarzten.
Fogarty blickte auf die erbärmliche Bretterfassade seiner Bude und träumte von einer umsatzträchtigeren Zukunft.
Girard schloss den oberen Knopf seiner Felljacke, schob die Hände in die Taschen und spähte fröstelnd die schmale Provinzstraße entlang, die zum nördlichen Talausgang führte. Graue Wolkenbänke schoben sich über die Höhenzüge und verdüsterten den Morgenhimmel. Girard kannte dieses Land nicht, doch er wusste soviel, dass es neuen Schnee geben würde. Einesteils war das günstig, weil Neuschnee Spuren verdeckte. Aber andererseits konnte es die ganze Aktion verzögern.
Girard unterdrückte die Zweifel, bevor sie vollends aufkeimen konnten. Er hatte die beste Ausgangsposition, die er sich wünschen konnte. Illahe lag am westlichen Rand des Josephine County, und Fogartys Reparaturwerkstatt befand sich auf einem Hügel an der Provinzstraße, einen Steinwurf weit vom nördlichen Ortsrand entfernt. Ein günstigeres Hauptquartier konnte man sich nicht wünschen.
Und Hai Girard hatte verlässliche Männer angeworben. Ausgekochte Typen, die einen schnell verdienten Dollar der knochenschindenden Schufterei in den Holzfällercamps vorzogen.
Die Sache, von der er in Chicago Wind bekommen hatte, betrachtete Girard als einen persönlichen Glückstreffer. Auf unerwartete Weise hatte es sich ausgezahlt, dass er mit seinen ständigen Kontrahenten vom FBI genau das Gleiche tat, was sie auch mit ihm machten. Er ließ sie beschatten, ihre Funkgespräche abhören ...
Die Leute von CIA und FBI waren wie aufgescheuchte Hühner durch Chicago gejagt, als die Flugzeugentführung auf dem O’Hare Airport bekannt geworden war. Für Girard war es in dem Moment ein Kinderspiel gewesen, seine Verbindungen zu nutzen, um im Handumdrehen die Details zu recherchieren. Dann hatte er eine Blitzentscheidung getroffen, als die Geschichte Formen angenommen hatte. Fünfhunderttausend Dollar waren eine Summe, für die selbst Girard und sein Chicagoer Syndikat normalerweise schon einige Mühe aufwenden mussten. Und hier, im unwegsamsten Zipfel von Oregon, bot sich die Chance, eine halbe Million mit relativ geringem Kostenaufwand einzukassieren. Bei allen Coups dachte Girard in erster Linie nach kaufmännischen Gesichtspunkten. Wenn ihm ein Reingewinn von vierhunderttausend Dollar blieb, so war das ein beträchtliches Kapital, das er investieren konnte, um seine Machtposition in Chicago weiter auszubauen.
Er blickte ungeduldig auf seine Armbanduhr.
„Die Zeit wird knapp, Fogarty. Sie haben mir zugesagt, dass die Dinger spätestens bis elf Uhr hier sind. Und? Es ist jetzt zehn nach elf.“
Der Werkstattbesitzer trat von einem Bein auf das andere.
„Er kommt, Mr. Girard. Bestimmt. Auf Fred Bayliss ist hundertprozentig Verlass. Sie müssen sich vorstellen, was es bedeutet, zu dieser Jahreszeit einen Sattelschlepper von Agness herüber zu kutschieren. Das kann man nicht auf eine Viertelstunde genau vorausberechnen.“
Girard knurrt unwillig. Er hasste es, wenn, sorgfältig vorbereitete Pläne an einer Winzigkeit zu scheitern drohten.
Erste Schneeflocken schwebten vom grauen Himmel herab. Es wurde düsterer über Illahe. Wind kam auf, wirbelte die Flocken durcheinander.
Girard wollte sich abwenden, um drinnen die Überwachung des Funkverkehrs zu kontrollieren.
In diesem Moment dröhnte Motorengeräusch vom Talausgang herüber.
Fogarty atmete auf.
„Sehen Sie!“, rief er triumphierend. „Nur eine Viertelstunde Verspätung!“
Die Lichtpunkte zweier Scheinwerfer glühten durch den dichten Vorhang der Schneeflocken über der Provinzstraße. Nur verschwommen waren die Umrisse des Sattelschleppers zu erkennen. Das schwere Fahrzeug mit dem dunkelgrünen Kastenaufbau keuchte die Steigung herauf.
Girard klopfte dem krummbeinigen Werkstattmann auf die Schulter.
„In Ordnung, Fogarty. Sorgen Sie dafür, dass zügig abgeladen wird! Ich will, dass die Männer spätestens in einer Stunde aufbrechen.“
Fogarty nickte diensteifrig und rannte dem Sattelschlepper entgegen, als könnte er dadurch die Prozedur beschleunigen.
Hai Girard betrat währenddessen die Werkstatt durch die schmale Tür, die sich in dem großen Schiebetor befand. In der etwa achtzig Quadratyard großen Halle standen ein klappriger Oldsmobile mit offener Motorhaube und ein aufgebockter Traktor ohne Räder. Unter der Balkendecke summten die Kästen des elektrischen Heizgebläses, wirbelten die Luft durcheinander, die nach Öl, Benzin und noch nicht vollends verflogenen Auspuffgasen roch.
Durch herumliegendes Werkzeug und Ersatzteile bahnte sich Girard seinen Weg zum Hauptquartier, das er im Nebenraum der Werkstatt aufgeschlagen hatte. Fogarty bezeichnete die Bude hochtrabend als Büro. Genau genommen war es nicht mehr als eine Rumpelkammer, doch für Girards Zwecke bestens geeignet.
Hooker, ein baumlanger Schwarzer, der seine Armee-Dienstzeit in der Fernmeldetruppe geleistet hatte, hockte am Funkgerät, mit Kopfhörern über der gepflegten Afro-Frisur. Hooker war überhaupt der Gepflegteste von allen. Girard hatte ihn aus aus Chicago mitgebracht, für Kontroll- und Überwachungsfunktionen. Die übrigen fünf waren wilde Typen, die selbst in den miesesten Vierteln der Windy City noch aufgefallen wären. Girard hatte sie in Roseburg, fünfzig Meilen nördlich von Grants Pass, angeheuert.
Links neben der Tür standen die tragbaren Armee-Funkgeräte, die Waffen, die Kisten mit der Ausrüstung und die Proviantkartons. An der gegenüberliegenden Wand war eine Karte des Josephine County mit Klebestreifen befestigt.
Die Männer saßen auf Ersatzteilkisten, lümmelten sich an Fogartys wackligen Aktenschrank.
Auf einen Wink Girards zog Hooker die Kopfhörer von den Ohren.
„Nichts, was uns Sorgen machen müsste, Boss. Die Einsatzzentrale in Grants Pass steuert nach wie vor die Suchaktion. Bislang haben sie nicht mal Hartfords Absprungstelle ausfindig gemacht. Sie haben fünf Hubschrauber und drei kleine Propellermaschinen. Wie es aussieht, werten sie noch immer die Luftaufnahmen aus. Kein Anzeichen dafür, dass sie brauchbare Ergebnisse haben.“
Girard nickte zufrieden.
„Wo stecken unsere Freunde von CIA und FBI?“
Hooker grinste.
„Die halten sich aus dem Funkverkehr heraus. Federführend bei der Suchaktion ist offiziell die County Polizeibehörde. Aber ich denke, damit können sie bestenfalls einen schlafenden Grizzly täuschen.“
„Okay“, sagte Girard, „es läuft nach Plan. Die Snow Cats sind da und werden jetzt abgeladen.“ Er deutete auf die Karte, auf der das County durch vertikale Rotstiftlinien in sechs etwa gleich große Abschnitte unterteilt war. „Hooker, Sie übernehmen Abschnitt D. Damit befinden Sie sich ungefähr in der Mitte unseres Gebiets. Das ist notwendig, damit Sie die Aktion zum entscheidenden Zeitpunkt wirksam koordinieren können.“ Der Schwarze lächelte. Girard wandte sich den anderen Männern zu und fuhr fort: „Abschnitt A für Sie, Wooley. Pierce, Sie übernehmen Abschnitt B. C ist für Sie, Delavan, und die Sektionen E und F bleiben für Owyhee und Turner. Hat jeder die Karten?“
Die Männer nickten.
„Sonst noch Fragen ... speziell, was den Funkverkehr betrifft?“
Keine Fragen.
„Hooker, Sie tragen die Verantwortung dafür, dass der Code strikt eingehalten wird. Lagemeldungen an mich geben Sie nach dem festgesetzten Zeitplan durch. Außerhalb dieses Zeitplans nehmen wir nur Funkkontakt auf, wenn eine grundlegende Entscheidung von mir erforderlich sein sollte.“
„Verstanden, Boss“, nickte Hooker.
„Noch ein paar Worte, bevor Ihr eure Sachen zusammenpackt, Männer“, sagte Girard, „jeder von euch weiß, worum es geht. Es ist mein Prinzip, einem Mitarbeiter reinen Wein einzuschenken. Denn nur dann, wenn es keine Geheimnisse gibt, kann ich einen hundertprozentigen Einsatz von ihm erwarten. Ich bin mir darüber im Klaren, dass es kein einfacher Job ist, der euch da draußen erwartet. Aber ihr habt mir gesagt, dass ihr mit der Bezahlung zufrieden seid. Und außerdem winkt euch noch die Erfolgsprämie, wenn alles klappt. Ich zweifle nicht daran, dass ihr hundertprozentige Arbeit leisten werdet. Trotzdem wäre es denkbar ... nun, sagen wir, es könnte da draußen in der Wildnis eine besondere Situation entstehen, die wir nicht einkalkuliert haben. In einer solchen Situation wäre es möglich, dass einer von euch auf den Gedanken kommt, das Geschäft auf eigene Faust abzuwickeln, sobald er Hartford vor dem Schießeisen hat. Ich habe volles Verständnis dafür, denn solche Gedanken sind durchaus menschlich. Deshalb setze ich euer Einverständnis voraus, wenn ich eine kleine Sicherung einbaue ...“
„Wir machen keine krummen Touren“, sagte Wooley, ein hochgewachsener Mann mit struppigem blondem Vollbart. Seine gedehnte Aussprache ließ vermuten, dass er aus Texas stammte.
„Das nehme ich auch nicht an“, entgegnete Girard, „aber ich spiele mit offenen Karten. Die Sicherung sieht folgendermaßen aus: Ihr steht ständig untereinander in Funkkontakt. Hooker leitet den Einsatz an Ort und Stelle, aber ihr habt keinen Grund, ihn als Wachhund zu betrachten. Jeder von euch hat die Aufgabe, jeden anderen im Auge zu behalten — per Funk. Derjenige, der einen anderen bei einem Alleingang ertappt und ihn zur Rechenschaft zieht, bekommt von mir zusätzlich noch einmal die Summe, die er schon gekriegt hat. Außerdem natürlich die Erfolgsprämie. Ich denke, durch dieses System wird es keine Pannen geben. Hat jemand Einwände?“
Deutlich war zu erkennen, wie es hinter den Stirnen der Männer arbeitete. Jeder von ihnen wusste nur zu gut, dass Girards Sicherungssystem funktionieren würde. Und Girard selbst vertraute auf die kleine Portion Misstrauen, die er gesät hatte.
Er übernahm den Platz am Funkgerät, während Hooker die Ausrüstung nach draußen schaffen ließ. Eine halbe Stunde später waren die Männer abmarschbereit, hatten ihre Snow Cat-Tractors beladen. Der Fahrer des Sattelschleppers war unverzüglich wieder aufgebrochen, nachdem er von Fogarty seinen Lohn erhalten hatte. Einen siebenten Snow Cat hatte Girard für alle Fälle zu seiner besonderen Verfügung hinter der Werkstatt bereitstellen lassen.