Читать книгу Krimi Doppelband 2214 - Alfred Bekker - Страница 13
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ОглавлениеGalice war eine Kleinstadt von knapp 2000 Einwohnern, an der Provinzstraße kurz vor dem Sexton Mountain Pass gelegen. Es gab nicht mehr als ein halbes Dutzend Seitenstraßen. Überwiegend reihten sich die Wohn- und Geschäftshäuser an der Straße auf. Zum Greifen nahe ragten hinter den Gebäuden die tief verschneiten, bewaldeten Berghänge empor.
Nachdem er einen fahrbaren Untersatz gemietet und für zehn Tage im Voraus bezahlt hatte, stellte Norton seine Ausrüstung zusammen. Er verbrauchte die Hälfte des Spesenvorschusses dafür. Anschließend schlenderte er quer über die Straße und betrat die Filiale der „Oregon National Bank“. So klein die Bankzweigstelle mit ihren beiden Angestellten auch war, schienen doch größere Summen an der Tagesordnung zu sein. Der Clerk hinter dem Panzerglas quittierte den Inkasso-Beleg für den 50.000 Dollar Scheck, ohne mit der Wimper zu zucken, und füllte den Überweisungsauftrag für Nortons New Yorker Konto aus.
Als er die Bank verließ, schwebten die ersten Schneeflocken vom verdüsterten Himmel herab. Das Wetter änderte sich hier anscheinend von einer Stunde zur anderen. Norton schlug die Kapuze seiner neu erworbenen Felljacke hoch und steuerte auf den Hof der Fahrzeugvermietung, wo der fertig beladene und aufgetankte Snow Cat Tractor bereitstand. Es war das Allround-Vehikel in dieser Gegend. Etwas größer als ein Armee-Jeep, besaß das Ding vorn lenkbare Kufen und wurde hinten über breite Ketten mit griffigen Metallprofilen angetrieben. Führerhaus und Ladefläche waren mit einer Plane überdacht. Für eine ausreichende Rundumsicht sorgten glasklare Kunststofffolien, die mit der Plane vernäht waren. Angetrieben wurde der Snow Cat von einem 250 PS starken Achtzylindermotor.
Norton schwang sich hinter das Lenkrad, schob den Zündschlüssel ins Schloss und ließ den Motor kommen. Durch das rückwärtige Tor des Hofes lenkte er das Fahrzeug kettenrasselnd und dröhnend auf einen Weg mit festgefahrenem Schnee, der parallel zur Provinzstraße verlief. Schon nach wenigen Minuten hatte der Motor seine Betriebstemperatur erreicht. Norton schaltete die Schwingfeuerheizung aus und knipste das Gebläse an, das die motorabhängige Heizwärme unter dem Planenaufbau verteilte.
Etwa eine Meile außerhalb der Stadt schwenkte der Weg vom Parallelkurs mit der Straße ab und führte in nordwestlicher Richtung in das „Sunny Valley“ — ein Tal, das sich auf gut zwanzig Quadratmeilen westlich von Galice ausdehnte.
Norton hatte sich die Karte genau genug eingeprägt, um sich an den Landschaftsmerkmalen zu orientieren. Bei den markanten Geländepunkten handelte es sich überwiegend um Bergformationen, die in der Karte eingezeichnet waren. Ohne Schwierigkeiten gelang es Norton, seinen Westkurs einzuhalten. Der Snow Cat fraß sich brav durch den verharschten Schnee, rumpelte über Bodenwellen, röhrte mit gedrosseltem Motor die Hänge hinab und arbeitete sich dröhnend die Steigungen hinauf. Die Scheibenwischer fegten die Schneeflocken weg, die gegen die Windschutzscheibe klatschten und sofort auftauten.
Nach einstündiger Fahrt erreichte Norton den alten Holzfäller-Trail, der in der Karte als gestrichelte Linie eingezeichnet war. Der Weg, über den früher die Baumstämme aus dem Sunny Valley weggekarrt worden waren, verlief ohne nennenswerte Steigungen auf der Talsohle. Es gab keine Spuren in der verharschten Schneedecke. Nur die Schneisen zwischen den aufgeforsteten Hängen markierten den Verlauf des Trails.
Die heutigen Holzfällercamps befanden sich weiter südlich, wo es ältere Baumbestände gab. Das Sunny Valley hatte noch für mindestens zwei Jahrzehnte Ruhe, ehe wieder Männer mit Motorsägen und Äxten anrücken würden. Perfekte Einöde.
Während drei Stunden bemerkte Norton nicht ein einziges Lebewesen. Er kontrollierte den Stand des Meilenzählers, blickte auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er einen Schnitt von etwa drei Meilen pro Stunde schaffte. Ob er außerhalb des Tales dieses zügige Tempo noch halten konnte, war allerdings fraglich. Er musste mit unwegsamerem Gelände rechnen.
Am frühen Nachmittag, nur noch eine Viertelmeile vom nordwestlichen Ende des Tales entfernt, legte er die erste Pause ein. Er lenkte den Snow Cat in eine Lichtung am Rand des Trails, stellte den Motor ab und schaltete die Schwingfeuerheizung ein. Im Cockpit des Geländefahrzeugs blieb es behaglich warm.
Norton stieg aus, schlug die Kapuze seiner Felljacke hoch und hängte sich das schwere Fernglas um den Hals. Er stieg den sanft ansteigenden Hang nordöstlich des Trails empor. Die Bewegung tat ihm gut. Es schneite unaufhörlich. Hinter dem dichten Vorhang der herabschwebenden weißen Flocken war der Himmel nur zu ahnen. Die Sichtweite betrug kaum mehr als hundert Yard.
Norton vergrub die Hände in den Jackentaschen. Durch die schnurgerade verlaufenden Baumreihen erreichte er die Hügelkuppe. Den Snow Cat behielt er im Blickfeld. Das bullig motorisierte Vehikel stand am Fuß der Anhöhe, wie ein dunkelgrüner Fremdkörper in der weißen Pracht. Dünne Schwaden von Abgasen waberten aus dem Endrohr der Standheizung.
Es gab in der näheren Umgebung keinen unbewaldeten Hügel. Kurzentschlossen kletterte Norton deshalb in den Wipfel einer der jungen Fichten hinauf, deren Äste bereits stark genug waren, um sein Gewicht zu tragen. Oben zupfte er die Schutzkappe von der Optik des Fernglases und hob es an die Augen. Durch die messerscharfen Linsen wirkte der Schneevorhang noch dichter als mit bloßen Augen. Im Nordwesten waren die grauen Konturen des Passes zu erkennen, der zwischen steil aufragenden Berghängen aus dem Tal führte — tiefer in die menschenleere Wildnis des Josephine County.
Norton schwenkte die Optik und spähte den Trail entlang, auf dem er gekommen war. Die Spuren, die sein Snow Cat hinterlassen hatte, waren gerade noch zu erkennen. Spätestens in ein oder zwei Stunden würden sie vom Neuschnee überdeckt sein.
Etwas Dunkles stieg zerfasernd durch die weißgrauen Schneeschwaden. Norton stutzte, kniff die Augen zusammen, justierte die Einstellung der Optik bis zur höchstmöglichen Schärfe. Im ersten Moment hielt er das Dunkle für eine Rauchfahne. Doch eine Rauchfahne, die sich vorwärts bewegte, konnte nicht von einem Lagerfeuer stammen.
Ein kaltes Grinsen kerbte sich in die Mundwinkel des hochgewachsenen Mannes. Was da herandampfte, waren nichts anderes als Auspuffgase. Und der dazugehörige Motor hatte einen schlecht eingestellten Vergaser. Die Entfernung betrug höchstens noch zweihundert Yard. Norton ließ das Glas sinken, nickte. Mit bloßem Auge war die Rauchfahne nicht zu erkennen. Das brillante Auflösungsvermögen der Fernglasoptik hatte ihm einen prächtigen Dienst erwiesen.
Und seine dumpfe Ahnungen hatten sich bestätigt. Aber es war kein Vorwurf, den er Celia Dawson machen konnte.
Er verließ seinen Ausguck, hastete zurück zum Snow Cat, schwang sich hinter das Lenkrad und ließ den Achtzylinder kommen. Er legte den Kriechgang ein und scheuchte das Fahrzeug bis zur Hälfte der Anhöhe hinauf. Der Abstand zwischen den Baumreihen reichte aus, um dem Snow Cat in allen Richtungen Bewegungsfreiheit zu ermöglichen.
Norton bog nach Südosten ab, schaltete auf den Normalgang um und beschleunigte. Mit beträchtlicher Schrägneigung wühlte sich das Kettenfahrzeug durch den Schnee. Nach knapp zweihundert Yard kam eine Schneise in Sicht. Norton benutzte sie, um zum Trail zurückzukehren.
Die Spuren hatten sich verdoppelt.
Norton lachte lautlos in sich hinein. Burschen, die sich im Großstadtgewühl mit absoluter Perfektion auf Beschattungsaktionen verstanden, waren für dieses Gelände nicht unbedingt die geeigneten Typen.
Hatten sie in der Hektik der Geschehnisse keinen Ortskundigen aufgetrieben? Möglich. Wahrscheinlich sogar. Mit Sicherheit legten sie das Schwergewicht auf die Suche nach Hartford. Norton im Auge zu behalten, betrachteten sie garantiert nur als einen Nebenjob. Für diese Nachlässigkeit sollten sie sich selbst in den Hintern treten.
Norton beschleunigte, schaltete die Scheibenwischer eine Stufe schneller, um die Sicht wenigstens etwas zu verbessern.
Unvermittelt sah er die Rauchfahne vor sich, deutlicher diesmal. Im nächsten Moment zeichneten sich die Konturen des Fahrzeugs ab. Auch ein Snow Cat. Es gab nichts Besseres für dieses Land.
Bremslichter glühten rot. Er hatte die Stelle gefunden, an der Norton vom Trail abgebogen war.
Norton rammte das Gaspedal gegen das Bodenblech. Der Achtzylinder röhrte. Die Ketten wirbelten eine Wolke von staubfeinem Schnee auf. Und er schaffte es innerhalb von wenigen Sekunden. Ehe der andere die Situation in vollem Umfang einschätzen konnte, zog Norton vorbei, stieg in die Bremse und versperrte ihm den Weg. Er klappte die Planentür auf, schwang sich ins Freie und stapfte lächelnd auf die Fahrerseite des anderen Snow Cat zu.
Der Mann, der hinter dem Lenkrad saß, rührte sich nicht, starrte ihm mit kreisrunden Augen entgegen. Höflich pochte Norton mit dem Fingerknöchel gegen die dicke Klarsichtfolie und gestattete sich, die Tür zu öffnen. Es gab keine unbeantworteten Fragen mehr.
„Lew Silverstein!“, rief Norton in gespielter freudiger Überraschung. „Verdammt klein ist die Welt! Besonders da, wo sie am ödesten ist.“
Der CIA-Mann presste die Lippen aufeinander. Er hatte ein hageres, blasses Gesicht mit einer hässlichen runden Narbe am linken Unterkiefer. Vor Jahren hatte er dort eine Kugel eingefangen. Seither musste man sich anstrengen, um ihn zu verstehen, wenn er sprach.
„Ist das ein Überfall? Oder was?“, erkundigte sich Silverstein nuschelnd. „Wer sind Sie? Was wollen Sie? Geben Sie den Weg frei, oder ich ...“
„Lew!“, unterbrach ihn Norton tadelnd. „Ich habe Sie geistreicher in Erinnerung. Ihre Fragen könnten aus einem drittklassigen Hollywood-Gangsterstreifen stammen. Schenken Sie sich das! Ich habe keine Ader für leere Dialoge.“ Er beugte sich vor und tippte ihm mit dem Zeigefinger der Rechten auf die bepelzte Schulter. „Denken Sie ein bisschen nach, Lew! Herbst dreiundsiebzig in Havanna! Ich musste Ihnen damals auf die Füße treten, weil Sie mir an den Hacken hingen. Sie hätten diesen Job ablehnen müssen, weil wir uns kennen. Aber Sie haben das verschwiegen, weil die INGUN Ihnen ein hübsches kleines Extrahonorar zahlt. Richtig?“
Silverstein knurrte wütend. Er ballte die Fäuste und stemmte sie gegen das Lenkrad. Ihm wurde klar, dass er seinen Job schon jetzt verpatzt hafte.
„Oder arbeiten Sie diesmal für die CIA?“ Norton zog die Augenbrauen hoch. Dann lächelte er und trat einen Schritt zurück. „Sie brauchen nichts zu sagen, Lew. Wenn Sie Ihren Fußmarsch hinter sich haben, richten Sie Ihren Freunden aus, dass es mit dem Trick nicht klappt. Ich ziehe es vor, ohne Schatten zu arbeiten. Capici?“
„Fußmarsch?“, wiederholte Silverstein verblüfft nuschelnd.
Norton nickte, ging nach vorn zur Motorhaube, löste die beiden Hartgummiverriegelungen, klappte die Haube hoch und zupfte die Zündkabel heraus. Dann drehte er die Verteilerkappe ab und steckte sie in die Tasche.
Es war der Moment, in dem der CIA-Mann erwachte — aufhörte, sich wegen der Pleite zu bemitleiden. Denn er begriff, dass es jetzt nur noch um sein persönliches Wohlbefinden ging. Mit wutverzerrtem Gesicht sprang er aus dem Führerhaus und schnellte auf Norton zu. Reaktionsschnell wirbelte der hochgewachsene Mann herum, tauchte unter den zupackenden Fäusten weg und rammte Silverstein den rechten Unterarm gegen das Zwerchfell. Der CIA-Mann klappte zusammen, stöhnte, schlug mit dem Gesicht auf Nortons harte Schulter. Norton stieß ihn weg.
Silverstein stolperte mit unsicheren, hastigen Schritten rückwärts, versuchte vergeblich, sein Gleichgewicht durch rudernde Armbewegungen einzufangen. Ein Baumstamm bremste seinen Schwung. Silverstein blinzelte, sah mit glasigen Augen, wie Norton ein Klappmesser hervorzauberte und ein drei Zoll langes Stück der Benzinleitung herausschnitt. Der CIA-Mann stieß einen Schrei aus. Seine Rechte zuckte unter die Pelzjacke.
Norton drehte sich fast gemächlich um. In seiner Faust schimmerte der matte Stahl des Colt Cobra. Silversteins Bewegung erstarb im Ansatz.
„Gehen Ihnen die Pferde durch, Lew?“, fragte Norton mit verständnislosem Kopfschütteln. „Was bringt es Ihnen ein, wenn ich Ihnen eine Kugel durch den Arm jagen muss? Mann, Sie brauchen Ihre ganze Kraft für den Rückweg nach Galice! Wenn Sie zügig marschieren, können Sie es bis morgen früh schaffen. Also vergessen Sie die krausen Rachegedanken. Damit überlebt sich’s in der Wildnis schlecht.“
„Elender Schweinehund!“, zischte Silverstein.
Norton war mit zwei Schritten bei ihm, drückte ihm die Laufmündung des stupsnasigen Revolvers gegen die Stirn und presste auf diese Weise den Hinterkopf des CIA-Mannes gegen die Baumrinde. Silverstein lief rot an. Aber er wagte nicht, sich zu rühren. Seine Augen wölbten sich beängstigend schielend zu dem brünierten Stahl empor, der knapp oberhalb seiner Nasenwurzel eine weiße Druckstelle in der Haut hervorrief.
„Verfluchter Dreckskerl!“, flüsterte Silverstein regungslos. „Dafür wirst du ...“
Norton befreite ihn mit einem blitzschnellen Griff von seiner Colt Government und schob die schwere Automatikpistole zu der Verteilerkappe in die Jackentasche.
„Fluchen Sie sich alles von der Seele, Lew! Das erleichtert.“
Ray Norton wandte sich ab, stieg in seinen Snow Cat Tractor und fuhr weiter.
Er war gewarnt.