Читать книгу Krimi Doppelband 2214 - Alfred Bekker - Страница 7

1

Оглавление

Die schlanke Nase der Jet Star jagte blutigem Rot entgegen. Der Sonnenuntergang, der den westlichen Horizont in einen purpurnen Vorhang verwandelte, tauchte das Cockpit der zweistrahligen Maschine in ein unwirkliches Licht.

Brett Hartford richtete die Laufmündung seiner Walther PP auf die Schläfe des Piloten.

„Neuntausend Fuß Höhe, maximale Fluggeschwindigkeit zweihundert Meilen pro Stunde“, sagte Hartford, „prägen Sie es sich gut ein, und halten Sie sich daran! Genau zwanzig Minuten lang!“

Der Pilot schluckte, zögerte, nickte dann — aschgrau im Gesicht. Hartfort wandte sich halb um, so dass er auch die beiden anderen Mitglieder der Cockpitbesatzung im Auge hatte.

„Versucht nicht, mich hereinzulegen, Leute! Ich war Fallschirmspringer bei der Army, und ich habe ein Gefühl für Höhe und Geschwindigkeit. Ich denke, ihr werdet euch gegenseitig zur Vernunft bringen, falls einer auf krause Gedanken kommt.“

„Mann!“, flüsterte der Copilot kopfschüttelnd. „Sie müssen lebensmüde sein! Wissen Sie, was da unter uns ist?“

Hartford grinste.

„Jede Menge Bäume, jede Menge Schnee und keine Menschenseele. Genau das, was mir vorschwebt.“

„Ich denke, Sie können ein offenes Wort vertragen, Mister“, sagte der Bordingenieur, „Sie haben uns fair behandelt, auch wenn Sie nach dem Buchstaben des Gesetzes nichts anderes sind als ein Hijacker.“

„Danke für die Blumen“, nickte Hartford, „lassen Sie Ihr offenes Wort hören, bevor wir anfangen, uns gegenseitig mit Komplimenten zu überschütten!“

„Die Wildnis da unten ...“, erklärte der Ingenieur gedehnt, „hat sich seit Jahrhunderten nicht verändert. Im Umkreis von hundert Meilen und mehr gibt es keine menschliche Ansiedlung. Dann die Kälte ... Zur Zeit haben wir zehn bis zwanzig Grad unter dem Gefrierpunkt, je nach Höhenlage. Ohne ein Minimum an Ausrüstung ist es praktisch Selbstmord, was Sie machen.“

Hartford zog sich zur Cockpittür zurück und klopfte dem Mann mit der freien Linken auf die Schulter.

„Ihr seid anständige Jungens. Wenn ich euch nicht gehabt hätte, wäre ich schon nicht mehr am Leben. Und über alles andere solltet ihr euch keine Gedanken machen. Okay ...“ Er blickte auf seine Armbanduhr. „Die Frist läuft in genau fünf Minuten an. Wer von euch kontrolliert das?“

Der CoPilot hob die Hand.

„Ich.“

„In Ordnung. Haltet den jetzigen Kurs und seht zu, dass ihr in fünf Minuten auf neunhundert Fuß und zweihundert Stundenmeilen seid! Nach zwanzig Minuten könnt ihr abdrehen. So long, Freunde. Ich wünsche euch einen guten Flug.“ Hartford schlüpfte hinaus und drückte die Cockpittür von außen zu. Er verbarrikadierte sie mit den beiden vorbereiteten Aluminiumflanschen und sicherte den oberen zusätzlich mit einem Vorhängeschloss, dessen Schlüssel er in den Abfallbehälter der kleinen Bordküche warf. Er brauchte keinen unnötigen Ballast.

Im Cockpit hatten sie nach wie vor Funkverbindung mit dem Tower des Airports in Grants Pass. Es spielte keine Rolle. Die Positionsmeldungen, die die Cockpitcrew durchgab, waren für Hartfords Verfolger praktisch wertlos. Und er wusste, dass sie sich daran hielten, keine zweite Maschine zur Beobachtung hinterher zu schicken. Denn immerhin stand das Leben der drei Geiseln auf dem Spiel. Der Pilot hatte diese Warnung eindringlich genug an den Tower durchgegeben.

Hartford ging zum hinteren Ende der Kabine, wo auf zwei Sesseln der Fallschirm und seine übrigen Sachen lagen. Es war höllisch wenig, womit er sich auf den Weg nach unten begab. Aber es musste reichen. Ihm blieb keine andere Wahl.

Er streifte sein Jackett ab und zog die gefütterte Lederweste mit den eingenähten Innenfutteralen an. In eines der passgenau geschnittenen Futterale schob er die Walther PP. In weiteren Futteralen befanden sich der Schalldämpfer für die Walther, der Schalldämpfer für die MPi, die MPi selbst, die abschraubbare Leichtmetallschulterstütze, die Reservemagazine, die Munitionspäckchen und das Klappmesser. Hartford verstaute auch den Inhalt seiner Hosen und Jackentaschen in der Weste: zwei Streichholzheftchen, drei Schachteln Zigaretten, ein Päckchen Papiertaschentücher, eine Tafel Schokolade und die Brieftasche mit den gefälschten Personalpapieren.

Um die Hüfte band er die lederne Geldkatze, in deren Taschen die Scheine gleichmäßig verteilt waren, so dass sie kaum auftrugen. Er knöpfte die Weste zu und streifte die Armee-Parka über, die er auf Anforderung zusammen mit der Geldkatze erhalten hatte. Außerdem: ein Paar gefütterte Handschuhe und eine Pelzmütze mit Ohrenklappen. Die Springerstiefel hatte er bereits in seinem Handgepäck gehabt, als er an Bord gegangen war. Bei der laschen Sicherheitskontrolle hatte er die Spezialweste mit den Waffen ohne große Mühe durchschmuggeln können.

Hartford blickte abermals auf seine Armbanduhr, ehe er den Fallschirm anlegte. Noch zwei Minuten bis zum Beginn der Frist. Die Maschine befand sich bereits im Sinkflug. Er spürte es.

Der Pilot würde sich voll darauf konzentrieren müssen, den Berggipfeln und Höhenzügen auszuweichen. Nachdem die Frist angelaufen war, wartete Hartford genau siebzehn Minuten, ehe er in den hinteren Teil des Rumpfes vordrang und den Mechanismus der Sprengbolzen auslöste.

Es gab einen dumpfen, puffenden Laut, als die Ladeluke nach außen wegflog.

Eisige Kälte fauchte herein, traf wie mit tausend Nadelspitzen auf Hartfords ungeschützte Gesichtshaut. Die gleißende Helligkeit des Schnees blendete ihn. Sekundenlang schloss er die Augen, ehe er sich daran gewöhnt hatte.

Der Kurs stimmte. Westen. Er sah es an dem langen Schatten der Maschine, der über verschneite Baumwipfel glitt. Nach den letzten Meldungen herrschte Westwind, Stärke zwei bis drei. Es passte haargenau zu Hartfords Kalkulationen. Die Männer im Cockpit hatten keine Chance, seinen Absprung zu beobachten. Er würde sehr schnell nach Osten abgetrieben werden.

Die Jet Star flog über ein ausgedehntes Tal in den Bergwäldern des Josephine County im westlichen Bundesstaat Oregon.

Brett Hartford sprang.

Das grelle Weiß der Winterlandschaft raste ihm entgegen. Die Kälte umschloss ihn wie eine unerbittliche Klammer. Seine Gesichtshaut begann zu schmerzen. Er zog die Reißleine. Ohne mit der Wimper zu zucken, ertrug er den harten Ruck, mit dem der Schirm sein Körpergewicht auffing.

Minutenlang pendelte er in den Gurten, ehe sich sein Abwärtsschweben stabilisierte. Er hob den Kopf. Über ihm blähte sich die weiße Fallschirmseide.

Weit entfernt im Westen schimmerte der silberfarbene Rumpf des Jets stecknadelkopfklein vor dem Rot des Sonnenuntergangs, um im nächsten Moment hinter einer Bergkette zu verschwinden. Noch etwa zwei Minuten musste der Pilot auf Kurs bleiben, ehe er zum Rückflug nach Grants Pass abdrehte.

Hartford spähte nach unten. Die Bäume kamen bedrohlich rasch näher — wie gigantische, pelzbesetzte Zahnstocher, die dicht an dicht in eine Schneemustorte gepiekt worden waren.

Hartford zog die Beine an, legte den Kopf vor die Brust und schützte sein Gesicht mit den Armen. Sekunden später peitschten die Zweige um seinen Körper. Schnee wurde aufgewirbelt, begleitete ihn als eine eisige Wolke. Jäh spürte er einen furchtbaren Schlag gegen den Rücken. Er wurde herumgerissen, mit dem Kopf nach unten, ehe ihn die Gurte wieder auffingen. Der Schmerz tobte durch sein Bewusstsein, Schleier wallten vor seinen Augen auf.

Ewigkeiten schienen vergangen zu sein, als es ihm endlich wieder gelang, die Augen zu öffnen. Er presste die Zähne aufeinander, blickte sich um. Unter ihm war der schneebedeckte Waldboden. Hartford schätzte, dass er nicht mehr als drei oder vier Fuß hoch über dem Boden hing. Ringsherum waren die schlanken Stämme der Föhren, deren Abstände hier unten viel größer erschienen als vom Flugzeug aus. Der Fallschirm hatte sich in den Zweigen verfangen.

Hartford bewegte Arme und Beine und den Kopf. Alles in Ordnung. Die Schmerzen im Rücken tobten mit unverminderter Heftigkeit, aber er wusste jetzt, dass es nichts Ernsthaftes war. Die Chancen, beim Absprung von einem Ast oder Baumstamm erschlagen zu werden, hatten fünfzig zu fünfzig gestanden. Vorläufig schien sich das Glück noch entschlossen zu haben, auf seiner Seite zu bleiben. Doch das konnte sich sehr schnell ändern.

Mit einiger Mühe gelang es ihm, den Reißverschluss des Parka zu öffnen und das Klappmesser aus der Weste zu fingern. Die scharfe Klinge durchtrennte die Leinen. Der Schnee dämpfte Hartfords Fall. Er rappelte sich auf, klopfte seine Kleidung ab und suchte das Messer auf, das er vorher beiseite geworfen hatte. Er schob es zurück in das Futteral der Weste.

Zwielicht lastete zwischen den Bäumen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit blieb höchstens noch eine Stunde. Hartford beeilte sich. Er unterdrückte die Schmerzen, warf die Gurte ab und hievte seinen athletischen Körper mit einem kraftvollen Klimmzug auf den untersten Ast der Föhre, in deren Zweigen sich die Fallschirmseide verheddert hatte. Mit katzenhafter Gewandtheit kletterte Hartford höher. Der Baum war gut und gerne hundert Fuß hoch und alle Äste stark genug, um das Gewicht eines Mannes zu tragen.

Mit dem Messer kappte er die Leinen, die sich verfangen hatten. Schon nach wenigen Minuten gelang es ihm, die ersten Bahnen der Fallschirmseide loszuzerren. Es war unerheblich, dass der dünne Stoff an mehreren Stellen einriss.

Das Triebwerksgeräusch des Flugzeuges näherte sich. Wie erwartet. Sie flogen auf dem gleichen Kurs zurück, hofften vielleicht, den wahnwitzigen Hijacker zu orten.

Brett Hartford hielt inne, lächelte. Er war hundertprozentig sicher, dass es ihnen nicht gelang. Der weiße Fallschirm war in der endlosen Schneelandschaft nicht besser zu erkennen als ein gelber Schmetterling über einem blühenden Rapsfeld.

Das Geräusch der Maschine verlor sich.

Hartford arbeitete weiter. Er zweifelte nicht mehr daran, dass er es vor Dunkelwerden schaffen würde. Und er brauchte die Fallschirmseide. Für die erste Nacht hatte er eine Tafel Schokolade. Zigaretten und Streichhölzer musste er streng rationieren.

Am kommenden Morgen würde der Kampf für ihn beginnen.

Der Kampf ums Überleben.

Krimi Doppelband 2214

Подняться наверх