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Regungslos kauerte Hartford hinter dem Stamm einer Föhre am Waldrand. Vor ihm lag ein sanft abfallender Hang, der sich auf etwa zweihundert Yard bis zum Beginn des nächsten Waldstückes erstreckte. Das Sonnenlicht hatte eine matte Färbung angenommen. Von Südwesten und Westen schoben sich dunkelgraue Wolkenbänke heran. Spätestens in zwei oder drei Stunden würde es schneien. Hartford war froh darüber. Es erleichterte ihm den Weg, der noch vor ihm lag.

Die vordringlichste Arbeit hatte er hinter sich. Der Behelfsschlafsack, auf ein transportables Maß verkleinert, lag zusammengeschnürt neben ihm. Die Fallschirmgurte und einen Teil der Seide hatte er mühselig unter einer Baumwurzel vergraben und mit Schnee bedeckt. Auch die Blutspuren des Kojoten hatte er beseitigt. Der Kadaver, den das Rudel zerrissen und verschlungen hatte, war nicht mehr aufzufinden gewesen.

Hartford schätzte, dass er inzwischen etwa drei Meilen in nordöstlicher Richtung zurückgelegt hatte. Und wenn seine Rechnung aufging, tat er damit haargenau das, was seine Verfolger sicherlich am allerwenigsten erwarteten. Wenn sie von Grants Pass aus aufbrachen, lief er ihnen praktisch in die Arme. Aber wahrscheinlich verlegten sie sich darauf, das Schwergewicht ihrer Suchtrupps von Westen her in die Bergwildnis vordringen zulassen.

Hartfords Gedanken wurden schlagartig in die Wirklichkeit zurückgerissen.

Die Bergantilope verließ ohne jede Scheu das gegenüberliegende Waldstück und begann, den Hang zu erklimmen. Es war ein junges Tier, soviel konnte Hartford erkennen. Doch er hatte keine Zeit, über die unverhoffte Chance aus der Fassung zu geraten. Die Antilope kam rasch näher, fast unmittelbar auf ihn zu. Der Wind stand äußerst günstig. Vorsichtig hob Hartford die MPi, die auf Einzelfeuer geschaltet war. Er entsicherte, visierte sorgfältig an und wartete, bis das Tier auf hundert Yard herangekommen war. Dann erst zog er durch. Trotz des Schalldämpfers hatte Hartford das Gefühl, dass der Schuss verräterisch laut durch die Einöde hallte. Aber er wusste, dass es seine Nerven waren, die ihm dies vorgaukelten. Und er gab sich keinen Illusionen hin. In den kommenden Tagen, vielleicht Wochen, würde er seine eigenen Nerven als einen seiner gefährlichsten Gegner betrachten müssen.

Er brauchte keine zweite Patrone zu vergeuden. Die Antilope lag regungslos. Ein sauberer Blattschuss, wie Hartford feststellte, als er den Hang hinunterlief. Jeder Jäger hätte ihm dafür Anerkennung gezollt. Er sicherte die MPi, schulterte sie, packte das tote Tier an den Vorderläufen und warf es sich über den Rücken. In den eigenen Fußspuren kehrte er zu seiner ursprünglichen Position zurück.

Wenige Schritte innerhalb des Waldrandes ließ er die Antilope zu Boden sinken, richtete sich wieder auf und öffnete den Reißverschluss des Armeeparka, um das Messer aus dem Westenfutteral zu ziehen.

Der Mann trat plötzlich hinter einem Baumstamm hervor, keine vier Yard entfernt. Er musste mit der Lautlosigkeit eines Schattens herangepirscht sein.

Hartford riss die Augenbrauen hoch. Ohne dass er es wollte, sank seine Kinnlade herab. Es war zweierlei, was ihm gleichermaßen einen Schreck einjagte und ihn in grenzenlose Verblüffung versetzte. Die Tatsache, dass es jemand schaffte, sich ihm unbemerkt zu nähern, war für Hartford schon mehr als überraschend.

Doch das Äußere dieses Burschen stach alles andere aus. Hartford war versucht, sich die Augen zu reiben, um festzustellen, ob er einer Vision erlag. Aber da war die Doppelflinte, deren Mündungen ihn drohend angähnten. Er zog es vor, sich nicht zu rühren.

Hellblaue Augen musterten ihn prüfend und misstrauisch. Diese Augen blickten aus eitler furchenreichen Gesichtslandschaft, die von wallendem, weißgrauem Barthaar umrahmt war. Oben darauf eine Pelzmütze. Die braune Lederjacke war abgewetzt und speckig, mit handspannenlangen Fransen an den Ärmeln und am unteren Saum. Darunter eine graue Denimhose, die noch aus Levi Strauss’ Lebzeiten stammen mochte. Die pelzbesetzten Stiefel waren zweifellos handgearbeitet und federleicht. Ein Typ, der so aussah, als wäre er direkt aus einer Hollywoodleinwand gestiegen. Oder, als hätte ihn die Historie vor hundert Jahren hier in der Wildnis vergessen. Das einzig Neuzeitliche an ihm war die Doppelflinte. Das Alter des Mannes ließ sich schwer schätzen. Er mochte fünfzig, sechzig oder auch siebzig Jahre alt sein. Ohne Zweifel war er ein waschechter Mountain Man — Fallersteller, Jäger, Pelzsammler, Einsiedler, Menschenfeind. In der Saure-Gurken-Zeit berichteten die Zeitungen und Illustrierten hin und wieder über solche verschrobenen Burschen, die in der Einsamkeit der Rockies ein Leben wie vor zwei Generationen lebten.

„Die Hand aus der Jacke!“, befahl der Alte. „Und dann streck’ sie beide hoch!“ Seine Stimme erinnerte an eine Eiche, die sich knarrend im Wind bewegte.

Hartford erholte sich von dem Schreck. Er fing an, die verrückte Situation abzuwägen. Er zog die Rechte aus dem offenen Reißverschluss des Parka und lächelte dünn.

„Wenn ich du wäre, Mister, würde ich dafür sorgen, dass meine MPi erstmal außer Reichweite ist.“

Die Falten im Gesicht des Trappers vertieften sich, als er zornig die Augen zusammenkniff.

„Du willst dich über mich lustig machen, wie?“ Er hob die Flinte ein Stück höher, so dass die Mündungen auf Hartfords Brust zielten. „Damit du Bescheid weißt, Freundchen: Ich beobachte dich, seit du aus dem Blechvogel gesprungen bist. Und seit du hier in meinem Revier gelandet bist, habe ich dich keine Minute mehr aus den Augen verloren. Es ist schon lange her, dass irgendwelche krummen Hunde versucht haben, sich hier zu verkriechen. Die haben geglaubt, sie könnten in der Wildnis überleben. Wollten warten, bis Gras über das gewachsen war, was sie ausgefressen hatten. Nun, der alte Josh hat ihnen klargemacht, dass es mit dem Überleben schlecht bestellt ist, wenn der alte Josh es nicht will.“

Bei den Worten des Mountain Man breitete sich Eiseskälte in Hartfords Magen aus. Er ließ es sich nicht anmerken, behielt sein dünnes Lächeln bei.

„Und? Was erwartest du von mir, Josh? Bestimmte Vorstellungen?“

Der Alte grinste zum ersten Mal.

„Ehrlich gesagt, ich hab’s noch nie erlebt, dass einer mit ’nem Fallschirm heruntergekommen ist. Bei so viel Aufwand muss eine Menge dahinterstecken. Richtig?“

Hartford nickte. Er begann zu ahnen, dass dieser Bursche durchtriebener war, als man es bei seiner weltfremden Erscheinung hätte annehmen sollen.

„Hab’ ich’s mir doch gedacht“, nickte der Trapper selbstzufrieden. „Okay, ich nehme deinen Vorschlag an. Lass’ dieses widerwärtige Ding fallen, mit dem du Strolch auf Antilopenjagd gehst! Aber vorsichtig! Ich kenne die Tricks, mit denen deine Sorte arbeitet.“

Hartford gehorchte. Behutsam zog er den Riemen von der Schulter und streckte den Arm. Die MPi versank zwei Inches tief in der Schneekruste. Er hob die Hände in Kopfhöhe.

„Zur Seite treten?“, erkundigte er sich spöttisch. Aber hinter seiner gelassenen Fassade stellte er die nüchternen Überlegungen an, die in diesen Minuten für ihn lebenswichtig waren.

Das Gesicht des Trappers verzerrte sich.

„Die Späße werden dir noch vergehen“, zischte er. „Bleib stehen, wo du bist! Und heraus damit: Was willst du hier? Wovor verkriechst du dich? Und weshalb? Wieviel Geld hast du bei dir?“

„Geld?“, wiederholte Hartford staunend. „Wozu brauchst du Geld, Oldmann?“

„Für Geld kann man Sachen kaufen. Und nicht nur Sachen ... auch anderes, was ein Mann manchmal braucht ...“

Hartford begriff. Die Fakten reihten sich aneinander. Nüchterne Fakten, die in einer einzig möglichen Konsequenz gipfelten. Schon als unerwünschter Zeuge hätte dieser alte Sonderling eine Gefahr bedeutet — selbst wenn er in friedlichen Absichten gekommen wäre. Doch offenbar widmete sich der Kerl in unregelmäßigen Abständen einem teuflischen Nebengeschäft. Immer dann wenn Einzelgänger in der Wildnis auftauchten. Und bei solchen günstigen Gelegenheiten jagte der gute alte Josh nicht länger Antilopen, Bergziegen und sonstiges Getier, sondern Menschen.

„Ich habe fünfhunderttausend Bucks bei mir“, sagte Brett Hartford, „willst du sie sehen?“

Der Alte starrte ihn an. In seinem offenen Mund klafften Zahnlücken.

„Bist du verrückt?“, flüsterte er. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass du mich nicht zum Narren halten sollst!“

„Fünfhunderttausend“, wiederholte Hartford, „in Worten: eine halbe Million US Dollar.“

„Ist das wahr?“

„Sicher. Du hast selbst festgestellt, dass bei so viel Aufwand eine Menge dahinterstecken muss.“

„Dann zeig her!“

„Ich trage den Zaster um die Hüfte. Ich müsste meine Jacke dazu aufmachen ...“

„Mann, dann tu’s schon!“ In den Augen des Weißbärtigen war ein gieriges Flackern zu sehen.

Hartford ließ die Arme sinken, zog am Reißverschluss und sackte aus der Bewegung heraus blitzartig in sich zusammen. Seine Linke packte die MPi. Im gleichen Atemzug stieß er sich mit den Beinen ab, zur Seite weg.

Ein heiserer Fluch erscholl. Brüllend entlud sich die Schrotflinte.

Während er sich zwei Schritte entfernt abrollte, hörte Hartford die prasselnden Einschläge der Bleikugeln in den Baumstämmen. Aus der letzten Drehung schnellte er hoch, kam federnd auf die Beine und entsicherte die MPi in dem winzigen Sekundenbruchteil, den er brauchte, um sie in Anschlag zu bringen.

Der alte Josh schwenkte die Flinte herum, um den zweiten Lauf abzufeuern. Hartford jagte einen Feuerstoß von vier, fünf Kugeln über das Schaftholz der Flinte und in die Lederjacke des Mannes.

Die MPi blubberte dumpf, wurde im nächsten Moment vom nochmaligen Aufbrüllen der Schrotflinte übertönt. Aber die gebündelte Bleiladung richtete keinen Schaden mehr an, fauchte zu den Baumwipfeln empor, als der Trapper von der tödlichen Wucht der MPi-Einschüsse nach hinten geschleudert wurde.

Hartford überzeugte sich, dass der Mann tot war. Dann horchte er in die Stille, die ihn wieder umgab.

Krimi Doppelband 2214

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