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Es war bereits Abend, als wir in der 332 MacMillan Road in Riverdale eintrafen, wo der in zweiter Ehe verheiratete James Longoria in einem schmucken Bungalow gewohnt hatte. Riverdale gehörte zur Bronx, zeigte aber ein Bild, das man von diesem Stadtteil gar nicht erwartete. Mit den verfallenen Straßenzügen, wie man sie leider immer noch in der South Bronx finden konnte, hatte Riverdale nichts zu tun. Stattdessen gab es hier von Bäumen gesäumte Straßen mit ein- bis zweistöckigen Häusern und kleine Geschäftszentren.

Ich parkte den Sportwagen, den uns die Fahrbereitschaft des FBI zur Verfügung stellte, am Straßenrand. Wir stiegen aus, traten an die Haustür und klingelten.

Eine junge Frau öffnete uns. Longoria war 56 Jahre alt geworden, seine Frau war schätzungsweise zwanzig Jahre jünger als er.

Wir stellten uns vor und zeigten Mrs Ann Longoria unsere Ausweise.

Insgeheim war ich froh darüber, dass bereits ein Kollege vom NYPD hier gewesen war, um Ann Longoria darüber zu informieren, dass sie nun Witwe war. Ihre Augen wirkten rot geweint.

„Kommen Sie herein“, sagte sie. „Ich bin mit den Prozeduren, die auf einen Mord folgen, durchaus vertraut, wie Sie mir glauben können.“

„Natürlich, Ma’am“, nickte ich.

Ich stutzte, als wir das Wohnzimmer betraten. In einem der breiten Ledersessel saß ein hagerer Mann mit hohen Wangenknochen und eisgrauen Augen. Das graumelierte Haar war voll, aber sehr kurz geschoren. Ich schätzte sein Alter auf Mitte fünfzig.

Ich hielt ihm meine ID-Card entgegen.

„Agent Jesse Trevellian, FBI“, stellte ich mich vor und deutete dann auf Milo. „Dies ist mein Kollege Milo Tucker. Darf ich fragen, wer Sie sind?“

Er reichte mir die Hand.

Sein Händedruck war sehr fest. Wie bei einem Mann, der gleich klarmachen will, wer der Chef war. „Mein Name ist Miles Buchanan“, sagte er in einem ruhigen, tiefen Tonfall. „Ich bin ein Freund des Hauses. Vielleicht trifft es das am Besten.“

„Woher kannten Sie Mister Longoria?“, fragte ich.

„Wir haben uns während des Jura-Studiums kennen gelernt. Allerdings habe ich es nie bis zur Zulassung als Anwalt gebracht, sondern einen völlig anderen geschäftlichen Weg eingeschlagen. Aber es würde zu weit führen, Ihnen die ganze Story jetzt in ein paar Sätzen auseinanderzusetzen.“

„So fern eine Verbindung zum Fall besteht, habe ich auch gegen längere Erzählungen nichts einzuwenden“, erwiderte ich.

Miles Buchanans Gesicht verzog sich zu einem dünnen Lächeln. „Ich bin recht erfolgreich in der Immobilienbranche tätig. Vor ein paar Jahren trafen James und ich bei der gemeinsamen Vorstandsarbeit für eine gemeinnützige Stiftung wieder aufeinander, für die wir uns beide engagiert haben."

„Ich verstehe", sagte ich.

„Im Moment bin ich hier, um Ann in ihrer schwierigen Situation beizustehen. Ich denke, sie braucht jetzt jemanden, der sich um sie kümmert."

„Ganz sicher!“

„Wenn ich irgendetwas tun kann, um Ihnen bei Ihren Ermittlungen zu helfen, dann lassen Sie es mich bitte wissen.“

„Oh, ich weiß Ihre Kooperationsbereitschaft zu schätzen, Mister Buchanan.“

„Meine geschäftlichen Verbindungen bilden ein exzellentes Netz, das sich natürlich auch zur Erlangung von Informationen eignet. Also, wenn Sie mal wollen, dass ich meine Verbindungen spielen lasse...“

„...werden wir auf Sie zurückkommen“, mischte sich nun Milo ein. Der Tonfall, in dem er sprach, verriet, dass ihn die anbiedernde Art dieses Mannes einfach nur nervte.

Ich wandte mich an Ann Longoria, die schweigend dasaß, den Blick in sich gekehrt und wie versteinert wirkend. Für sie musste das alles ein wahrer Albtraum sein.

„Im Moment sind wir dabei, eine Liste derjenigen zusammenzustellen, die vom Tod Ihres Mannes profitiert oder ihn sich gewünscht haben könnte“, sagte ich so sachlich mir dies in der gegenwärtig emotional ziemlich aufgeladenen Stimmung möglich war.

„Mein Mann war stolz darauf, den Ruf eines Hardliners zu haben und in kriminellen Kreisen gefürchtet zu werden“, flüsterte Ann Longoria. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und brach schließlich in ein Schluchzen aus. Dann griff sie nach ihrem Taschentuch und wischte die Tränen weg, nur um sich wenig später noch einmal förmlich zu schütteln.

Miles Buchanan legte den Arm ihre Schulter. Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und atmete tief durch.

„Vielleicht ist es einfach das Beste, Sie kommen ein andermal wieder“, glaubte Buchanan. „Bitte! Sie sehen ja, wie mitgenommen Ann im Moment noch ist.“

„Das würde vor allem den Tätern und ihren Auftraggebern nützen“, stellte ich fest.

Miles Buchanan runzelte die Stirn. „Sie gehen davon aus, dass es sich um einen Auftragsmord handelte?“

„Das ist eine Hypothese“, gab ich zu.

„Die meisten von denen, die mit James noch eine Rechnung offen hatten, dürften in irgendeinem Staatsgefängnis sitzen“, glaubte Miles Buchanan.

„Einen Mord kann man leider auch aus einer Haftanstalt heraus in Auftrag geben – vorausgesetzt man hat die nötigen Verbindungen und entsprechende finanzielle Mittel“, gab Milo zu bedenken.

Ich wandte mich der Witwe zu. „Bitte, Mrs Longoria, versuchen Sie darüber nachzudenken, wer Ihren Mann so sehr gehasst haben könnte, dass er ihn tot sehen wollte.“

Ann Longoria zuckte die schmalen Schultern. „Wie schon gesagt, es gab so viele, die ihn hassten. Es verging kaum ein Tag, an dem uns das nicht auf die eine oder andere Weise klargemacht wurde. Mal durch Drohbriefe, dann wieder durch obszöne Anrufe, die uns trotz unserer Geheimnummer erreichten. In letzter Zeit waren es vor allem Emails, die ein krankes Hirn verfasste, das sich Rächer der Gerechten nennt...“

„Davon steht nichts in den Unterlagen“, sagte ich. „Warum hat er sich damit nicht an die Polizei oder an uns gewandt?“

„Das hat er“, widersprach Mrs Longoria. „Die Kollegen vom NYPD fanden heraus, dass ein Mann namens Paco Benitez dahinter steckte.“

„Der Name kommt mir bekannt vor“, meinte Milo.

„Er stand lange auf den Fahndungsseiten der Homepage des FBI“, fand Ann Longoria dafür sofort eine plausible Erklärung. „Benitez war der Mann fürs Grobe eines Drogensyndikats von Exilkubanern. Mein Mann brachte ihn für die nächsten dreißig Jahre ins Gefängnis. Irgendwie hat Benitez es geschafft, über den Internetzugang der Gefängnisbibliothek dafür zu sorgen, dass die private Mail-Adresse meines Mannes einige Zeit ständig verstopft war. Benitez bekam keinen Zugang mehr zum Bibliotheksrechner von Rikers Island, nachdem die Sache aufgedeckt wurde.“

„Wann war das?“ fragte ich.

„Vor drei Wochen hörte der Spuk auf.“ Mrs Longoria schluckte und strich sich mit einer fahrigen Geste eine Strähne ihrer brünetten Haare aus den Augen. „Jedenfalls dachte ich das...“

„Wir werden ohnehin die privaten Sachen Ihres Mannes durchsuchen müssen“, sagte ich und versuchte ihr damit schonend beizubringen, dass ein ganzes Team unserer Erkennungsdienstler eine Hausdurchsuchung durchführen würde. „Sie wissen sicher, dass das Routine in Mordfällen ist. Schließlich...“

„...war ich lang genug die Frau eines Staatsanwalts!“, vollendete Ann Longoria meinen Satz. Sie erhob sich aus ihrem Sessel. Mit verschränkten Armen stand sie einen Augenblick da, sah mich direkt an und sagte schließlich: „Tun Sie Ihren Job, Agent Trevellian und ziehen Sie diejenigen zur Rechenschaft, die mir meine Mann genommen haben! Ich werde alles tun was notwendig ist, um Sie zu unterstützen.“


Die Waffe und der Hass: Zwei Krimis

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