Читать книгу Drachenreiter und Magier: 4 Fantasy Abenteuer - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 32
1. DIE PROPHEZEIUNG
ОглавлениеDie Sonne ging auf und der Wind pfiff eisig über die Klippen von Arkull. Die GEEDRA war ein gewaltiges Schiff. Kryll stand am Bug und blickte auf das Meer hinaus.
Hinter ihm stand Norjan.
Die Segel blähten sich auf und gaben dem Schiff bald eine beträchtliche Geschwindigkeit.
"Mein König, Ihr wisst, dass es ein riskantes Unternehmen ist, den Ring von Kuldan zu erobern", erklärte der alte Ritter. "Wir wissen noch nicht einmal genau, worum es sich bei diesem Ring handelt!"
Kryll wandte sich nicht um.
"Der Namenlose begleitet uns. Er wird uns zu helfen wissen!" Die Stimme des Königs klang ruhig und gelassen.
"Mein König, ich will auf etwas anderes hinaus!"
"Sprecht nur, Freund Norjan!"
"Vielleicht wäre es besser, wenn Ihr diese Reise nicht mitmachen würdet!"
"Und wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?"
"Ihr setzt Euch einer unnötigen Gefahr aus!"
Aber Kryll lachte nur.
"Ich habe keine Angst!"
Kryll blickte zurück. Die Zinnen von Burg Arkull verschwanden am Horizont.
Dann fiel des Königs Blick auf die zusammengekauerte Gestalt des Namenlosen. Er hatte sich gegen den Mast gelehnt und harrte dort schweigend und fast bewegungslos aus.
Kryll fragte sich, ob der Namenlose von seinem Äußeren her ein typischer Bewohner des Schattenlandes war.
Aber dann sagte er sich, dass das ziemlich unerheblich war.
Es kam schließlich einzig und allein auf die Wirkungskraft jener Heerscharen an, die Tarak ihm zu schicken versprochen hatte.
Die Gischt spritzte wild gegen die Planken des Schiffes.
Kryll genoss das Gefühl, auf einem praganischen Langschiff zu stehen und durch die Wellen zu schneiden. In der Ferne war noch so etwas wie eine Ahnung der praganischen Küste zu sehen. Wild und rau ragten die Felsen in die Luft, so dass man sie bereits aus meilenweiter Entfernung ausmachen konnte.
Nicht dieses öde Land ist die Heimat der Praganier, sondern die Langschiffe, ging es dem König durch den Kopf.
"Na, wie gefällt Euch die GEEDRA, mein König?", fragte der Kapitän, der sich neben Kryll gestellt hatte. Sein Name war Lathor, und er war kein Praganier. Seine Heimat war Drakanien im tiefen Süden. Mochte der Teufel wissen, was ihn in den Norden verschlagen hatte. Jedenfalls stand er schon seit Jahren im Dienste des Lord von Arkull.
"Die GEEDRA ist ein Schiff nach meinem Geschmack, Lathor", bekannte Kryll. Sein Gesicht hatte einen zufriedenen Ausdruck.
"Wir sind nicht viele, aber es ist eine schlagkräftige Truppe, und ich bin sicher, dass es uns gelingen wird, den Ring von Kuldan zu erobern!", meinte Lathor zuversichtlich.
Der Kapitän schickte einen kurzen Blick zu dem Namenlosen hinüber und wandte sich dann wieder an Kryll. "Euer namenloser Freund gefällt mir nicht, mein König", raunte er.
Kryll winkte ab. "Keine Sorge, er ist in Ordnung."
"Trotzdem! Ich traue ihm nicht!"
Kryll legte dem Kapitän die Hand auf die Schulter.
"Wenn Ihr Euch schon nicht dazu durchringen könnt, ihm zu vertrauen, dann lasst ihn Euer Misstrauen wenigstens nicht spüren. Von ihm hängt wesentlich das Gelingen unseres Unternehmens ab! Ohne ihn sind wir nichts..."
Der Kapitän nickte leicht.
Ich werde aber dennoch die Augen offenhalten, dachte Lathor stumm bei sich.
*
Kryll kam es so vor, als fliege das Schiff geradezu über die Wellen.
Die Stunden vergingen.
Sie segelten an der praganischen Stadt Thorcor vorbei. Am Abend sahen sie dann in der Ferne Alark, den südlichsten Hafen Pragans.
Aber für einen Kapitän wie Lathor war die Nacht kein Hindernis. Kryll bewunderte den Drakanier dafür, wie er ein Schiff wie die GEEDRA so sicher und souverän zu führen vermochte.
Sicherheit, Souveränität...
Das was ich an Lathor bewundere, ist dasselbe, was mir fehlt, wurde es dem jungen König klar.
*
Der Namenlose stand einfach da und schaute auf das Meer.
Er hatte während der ganzen Fahrt noch kein Wort gesprochen. Jetzt trat Kryll zu ihm.
"Ich möchte mehr über den Ring von Kuldan wissen", forderte der König. "Was hat es mit diesem Artefakt auf sich?"
Der Namenlose sprach, ohne sich dabei umzuwenden.
"Dem, der diesen Ring trägt, gibt er Kraft - magische Kraft. Aber nicht jeder kann ihn tragen."
"Das klingt seltsam", meinte Kryll.
Jetzt erst wandte der Namenlose sich zu ihm um.
"Du bist derjenige, der den Ring tragen muss! Du kannst es!" Kryll zuckte mit den Schultern.
"Warum ich?"
"Du bist dafür bestimmt!"
"Was ist mit dir, Namenloser? Warum hast du kein Verlangen danach, selbst den Ring zu tragen, wenn wir ihn erobert haben?"
"Ich kann es nicht."
"Warum nicht?"
"Kein Wesen aus dem Schattenland ist fähig, diesen Ring zu tragen."
Kryll atmete tief durch.
Sein Gegenüber schien zu dieser Sache nicht mehr sagen zu wollen.
Vielleicht wäre es gut, mehr über den Namenlosen zu erfahren, kam es Kryll in den Sinn.
"Erzähle mir vom Schattenland!", forderte der König jetzt.
Der Namenlose wandte sich wieder von Kryll ab und starrte hinaus auf das dunkle Meer.
Nach einer kurzen Pause begann er zu sprechen.
"Im Schattenland herrscht ewige Dämmerung. Es gibt dort einen See, der so schwarz wie die Finsternis selbst ist. Die Bewohner des Schattenlandes nennen ihn das Schattenauge. Genau in der Mitte dieses Sees gibt es eine Insel, auf der Tarak sein Schloss errichtet hat!"
Der Namenlose wandte den Kopf zur Seite. Die Finsternis unter seiner Kapuze erschien Kryll blicklos.
"Wir werden aus dieser Welt eine zweite Schattenwelt machen! Du und ich! Wir werden es schaffen, dessen bin ich mir sicher, denn wir haben Tarak auf unserer Seite, den Herrn des Schattenlandes!"
Ungezügelter, wilder Fanatismus war aus diesen Worten herauszuhören.
Kryll hob die Augenbrauen.
"Ein Land der ewigen Dämmerung mag für die Wesen des Schattenlandes gut sein. Aber für Menschen...?"
Der Namenlose schwieg daraufhin eine ganzer Weile lang, bis er schließlich vor sich hin murmelte: "Ich vertraue auf Tarak."
"Ich ebenfalls." Krylls Bekenntnis war wenig überzeugend.
Auf einmal spürte Kryll, dass jemand hinter ihm war. Blitzartig wirbelte er herum und blickte dann in das Gesicht von Norjan.
"Was gibt es?"
"Mein König, Ihr solltet Euch auch ein wenig schlafen legen. Morgen ist ein anstrengender Tag."
Aber Kryll schüttelte den Kopf.
"Ich noch nicht schlafen Norjan. Ich würde keine Ruhe finden..."
"Müdigkeit und Trägheit können schlimmere Feinde sein, als eine ganze Horde von Remuriern."
Als Norjan dem Blick des Königs begegnete, dachte der alte Ritter: Kryll hat an Sicherheit gewonnen!
Norjan zuckte mit den Schultern. "Nun, wie Ihr meint, mein König. Ich werde mich jedenfalls aufs Ohr legen."
Mit diesen Worten ging Norjan davon.
"Mir ist aufgefallen, dass du dir von diesem einfachen Ritter eine Menge sagen lässt, Kryll", stellte der Namenlose fest.
"Norjan ist für mich mehr, als nur irgendein Ritter."
"Tarak hätte so etwas nie von einem Untergebenen geduldet!"
Die Stimme des Namenlosen klang absolut kalt und gefühllos.
Der König bedachte den Mann aus dem Schattenland mit einem nachdenklichen Blick. Wenn er glaubt, dass ich bereits ein Sklave dieses Tarak bin, dann irrt er sich aber gewaltig, durchzuckte es es Kryll.
Er hatte einen Entschluss gefasst.
Er wollte den Herrn des Schattenlandes betrügen!
*
Die See bot bei Nacht einen düsteren, fast unheimlichen Anblick. Der Mond leuchtete fahl auf das unruhige Wasser herab und tauchte alles in sein bleiches Licht.
Vom Horizont her sah Kryll etwas durch die Luft herannahen.
Etwas Flatternders, Helles... Etwas Weißes!
Ein Vogel!
Doch je näher dieser Vogel herankam, desto deutlicher wurde es Kryll, dass dies kein gewöhnliches Tier seiner Art sein konnte.
Der Vogel war von riesiger Gestalt und war ganz und gar weiß. Er strahlte in einem merkwürdigen, übernatürlichen Licht, dass sich deutlich vom Licht des bleichen Mondes unterschied.
"Seht dort!", hörte Kryll einen der Seeleute rufen.
Die Männer der GEEDRA blickten wie gebannt in Richtung dieses seltsamen Geschöpfes.
"Dieser Vogel ist gefährlich", zischte die Stimme des Namenlosen an Krylls Ohr. Den düsteren Mann aus dem Schattenland hatte mit einem Mal eine kaum erklärliche Unruhe gepackt. Kryll glaubte sogar so etwas wie Furcht aus seinen Worten heraushören zu können.
"Ha!", machte der König. "Wir haben uns vorgenommen, den Ring von Kuldan zu erobern - da werden wir doch keine Angst vor solch einer fliegenden Kreatur bekommen!"
Mit den Augenwinkeln sah Kryll flüchtig, wie Norjan sich wieder von seiner Schlafstatt erhoben hatte. Nachdenklich betrachtete der alte Ritter den weißen Vogel, der mit ruhigen, würdevollen Flügelschlägen auf die GEEDRA zusteuerte.
"Gebt mir Pfeil und Bogen!", krächzte der Namenlose. "Schnell! Worauf wartet ihr?"
Niemand rührte sich, keiner sagte ein Wort.
"Na los!", forderte der Namenlose grimmig.
"Soll ich ihm einen Bogen geben?", fragte Lathor, der Kapitän, unsicher an den König gewandt.
Aber Kryll schüttelte energisch den Kopf.
"Nein!"
"Dieses Wesen ist gefährlich!", rief der Namenlose nochmals.
"Nein, der Vogel stellt keine Gefahr dar!" Der König wandte seinen Blick an die Männer, die noch immer wie gebannt waren.
Der Vogel kreiste jetzt direkt über der GEEDRA.
Er ist so groß wie ein erwachsener Mann, durchfuhr es Kryll. Und auch der König war fasziniert von diesem geheimnisvoll leuchtenden Wesen.
"Lasst mich den Vogel töten!", kreischte Namenlose fast außer sich. Aber der König hörte ihm kaum zu. Er blickte wie die anderen Männer gebannt auf den Vogel...
"König Kryll!", rief ihm der Vogel dann mit mit sanfter Stimme zu.
Einen Moment lang war Kryll wie erstarrt.
Aber es war kein Zweifel möglich. Dieses rätselhafte Wesen hatte ihn angesprochen.
"Wer bist du?", rief Kryll zurück.
Norjan stürzte herbei und packte ihn bei den Schultern.
"Mit wem redet Ihr, mein König?", fragte er besorgt.
Kryll sah den alten Ritter erstaunt an.
Hatte er den Ruf des Vogel nicht gehört?
"Kryll!", kam es erneut von oben an das Ohr das Königs. Kryll blickte hinauf zu dem weiß leuchtenden Vogel hinauf. "Kehrt um, Kryll von Arkull! Dient nicht länger dem König der Schatten oder Ihr werdet großes Unglück über die Welt bringen! Rührt den Ring von Kuldan nicht an und kehrt zurück nach Arkull!"
Kryll schüttelte stumm den Kopf und löste sich aus der Umklammerung, in der Norjan ihn noch immer hielt.
"Nein!", schrie Kryll. "Ich kann nicht zurück!"
"Ihr werdet Eure Entscheidung bereuen, Kryll", prophezeite der weiße Vogel mit schrecklicher Endgültigkeit.
*
In diesem Moment vernahm Kryll ein hässliches, pfeifendes Geräusch, das ihn abrupt aus einem Zustand herausriss, der einer Art Trance nahekam.
Es war ein Pfeil! Es folgte verzweifeltes Flügelschlagen, ein Kreischen und wenig später platschte es, als der tote Körper des Vogels ins Meer stürzte.
Kryll wirbelte herum und sah den Namenlosen, in dessen dünnen, feingliedrigen Fingern sich ein Bogen befand. Kalter Grimm stieg in Kryll auf.
"Wer hat ihm den Bogen gegeben?", flüsterte er.
Schweigen.
Niemand wagte es, einen Ton von sich zu geben und die düstere, unheilschwangere Stille zu durchbrechen.
"Ich frage noch einmal: Wer von euch hat ihm den Bogen gegeben?"
"Mein König...", begann einer der Seeleute zu stottern.
"Rede schon, Olkyr!", wurde der Mann von Kryll angeherrscht.
"Der Namenlose...", stieß Olkyr hervor. "Er hat mir meinen Bogen aus den Händen gerissen!"
Der König nickte und atmete deutlich hörbar aus.
"Schon gut", murmelte er und wandte sich an den Namenlosen.
"Warum hast du das getan?", rief er dem Düsteren entsetzt entgegen. Die Hände des Namenlosen hielten den Bogen fest umklammert.
"Der Vogel war gefährlich", behauptete er zum wiederholten Male, ohne es weiter zu erklären.
Krylls Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
"Was an ihm war gefährlich?"
Der Namenlose schwieg.
Kryll sah nichts weiter, als das Dunkel unter seiner Kapuze. Dann spürte der König, wie Norjan ihm eine Hand auf die Schulter legte.
"Warum regt Ihr Euch über den Tod eines gewöhnlichen Vogels so auf, mein König?", fragte der alte Ritter.
Kein anderer in den Reihen des Königs von Pragan hätte sich ein solches Verhalten erlauben können.
Der weiße Vogel hat nur zu mir gesprochen, drang es in Krylls Bewusstsein. Die Männer hatten davon nichts mitbekommen. Zweifellos mussten sie ihren König in diesem Moment für verrückt halten...
In Krylls Innerem hallte die Warnung des weißen Vogels dutzendfach wider. 'Ihr werdet großes Unglück über die Welt bringen!' hatte ihm der Vogel vorausgesagt. Wie ein spitzer Pfeil hatten sich diese Worte in Krylls Seele gebohrt. Kalte Schauder liefen ihm über den Rücken.
"Ihr seht müde aus, mein König", stellte Norjan fest.
Kryll nickte stumm. Er fühlte sich tatsächlich sehr müde.
"Legt Euch jetzt schlafen, mein König", sagte Norjan sanft.
"Ja", echote der König.
Man bereitete ihm einen Schlafplatz nahe am Mast. Die Schiffe Pragans hatten keinerlei Luxus, sondern waren ganz auf ihren praktischen Zweck hin ausgerichtet. So fehlten beispielsweise jegliche Aufbauten, wie sie für die Schiffe des Südens so kennzeichnend waren. Alles geschah an Deck und selbst ein König hatte keine andere Wahl, als im Freien zu schlafen.
Der weiße Vogel - er ließ den König der Praganier auch die Nacht über nicht los und verfolgte ihn bis in seine dumpfen Träume hinein.
Aber Kryll war wild entschlossen, sich durch nichts und niemanden von seinem Weg abbringen zu lassen.