Читать книгу Genesis III - Alfred Broi - Страница 2
Prolog Nur ein Traum
ОглавлениеOh, es war ein wahrhaft wundervoller Tag, der sich ihm offenbarte!
Jorik wusste zwar nicht mehr, welcher Gedanke ihn dazu veranlasst hatte, auf die Hochebene südlich von Ara Bandiks zu fahren, doch es musste eine himmlische Eingebung gewesen sein, denn mit dem freien Blick über das vor ihm liegende Land konnte er die ganze grandiose Pracht seiner Heimat in vollen Zügen genießen.
Saftige, sattgrüne Wiesen, soweit das Auge im Osten reichte, in denen unzählige Blumen in allen nur erdenklichen Formen und Farben funkelten wie Edelsteine.
Mächtige Bäume, deren Kronen sich majestätisch in den Himmel streckten und einem dichten Blätterdach, unter dem sich wohltuende Schatten ausbreiteten.
Im Westen schoben sich erste Sanddünen durch das Grün, bis sie schließlich dominierten und den schönsten und feinsten Badestrand Poremiens, vielleicht sogar auf ganz Santara bildeten. Dahinter schimmerten die schier unendlichen tiefblauen, beinahe violetten Wassermassen des galpagischen Meeres.
Weit im Norden konnte Jorik sogar die ersten Ausläufer des dortigen Hochlands erkennen, die sich, stahlgrau und weiß, wuchtig in den Himmel schoben. Beinahe glaubte er, er könne heute selbst die höchsten Gipfel in über dreiundzwanzigtausend Metern Höhe erkennen.
Davor, und eingerahmt vom Ozean, dem Grünland und der Hochebene, auf der er stand, lag Ara Bandiks, Hauptstadt von Poremien und die wohl atemberaubendste Metropole auf dem ganzen Planeten.
Weit über zwanzig Millionen Menschen lebten und arbeiteten dort und erlebten jeden Tag aufs Neue die Wunder einer faszinierenden Metropole, deren Herzschlag niemals verebbte und der weithin zu hören war.
Mit unverhohlenem Stolz ließ Jorik seinen Blick über die unterschiedlichen Viertel der Stadt schweifen.
Im Westen schmiegte sich der größte Hochseehafen des Planeten sanft an die Meeresküste und war pulsierender Umschlagplatz für alle nur erdenklichen Waren. Im Osten lag das weitläufige Gelände des hochmodernen Mariamuk-Flughafens, auf dem täglich mehrere hundert Maschinen landeten und ebenso viele Flugzeuge in alle Himmelsrichtungen starteten und Zehntausende von Personen bequem, pünktlich und sicher an ihr gewünschtes Ziel brachten.
Im Norden der Stadt erhoben sich gigantische Fabrikhallen und mächtige Versorgungsanlagen, die genug Energie und Rohstoffe lieferten, um die vielfältigen Bedürfnisse und Wünsche der Einwohner zu decken.
Im Süden erstreckten sich über viele Kilometer Wohngebiete in unterschiedlichen, abwechslungsreichen Baustilen, die den Bewohnern Schutz und Heim in ansprechender Optik und überwiegend tadelloser Qualität boten.
Daneben schloss sich das beeindruckende Gelände der Kaliamu-Universität an.
Bei ihrem Anblick musste Jorik fröhlich lächeln, denn genau dort wusste er einen seiner besten Freunde und sah ihn bildlich vor sich, wie er mit zerzaustem Haar und zerknautschten Kleidern in seinem Labor saß und weitere bahnbrechende und wundersame Erfindungen hervorbrachte.
Ja, Shamos war ganz sicher ein grandioser Wissenschaftler, der schon so vielen Menschen mit seinem brillanten Verstand das Leben erleichtert hatte. Für Jorik aber war er noch weit mehr als das: Nicht nur einer seiner besten Freunde, wenn nicht sogar der engste Vertraute, den er hatte, war Shamos für ihn der klügste Kopf, den dieser Planet je hervorgebracht hatte und Jorik hatte allerhöchsten Respekt vor diesem Mann und empfand großen Stolz, ihn als seinen Freund bezeichnen zu dürfen.
Für einen Moment verfiel Jorik in tiefe, aber wohltuende Gedanken, dann glitt sein Blick weiter auf das faszinierende und grandiose Zentrum der Metropole, einem Schmelztiegel für Konsum, Kultur und Entertainment. Hier waren neben unzähligen Kaufhäusern und Modeimperien, Entertainment-Tempeln, Stadien und Veranstaltungshallen, die mächtigsten Industrieunternehmen ansässig und lieferten sich zusammen mit den größten Banken des Planeten, einen schier grenzenlosen Kampf um das höchste und atemberaubendste Bauwerk auf Santara.
Noch immer jedoch war dies der unscheinbare, ja fast dürr anmutende Paliavith-Tower, der von allen Bewohnern nur liebevoll-verächtlich The Stripe genannt wurde.
Selbst hier, in einer Entfernung von rund zwanzig Meilen, konnte Jorik die schillernde Welt der Leuchtreklame sehen und den tiefen, lebhaften Rhythmus der Metropole spüren, in den er selbst so gern eintauchte.
Über allem thronte ein strahlend blauer, beinahe wolkenloser Himmel, von dem Lexis, der urgewaltige, scheinbar nie versiegende Sonnenstern sein funkelndes, wärmendes und lebensspendendes Licht auf den Planeten warf, über den ein sanfter, wohliger Wind strich und ein leise flüsterndes, fröhliches Lied sang.
Ja, Jorik konnte es nicht leugnen. An Tagen wie diesen – und davon gab es auf diesem wunderbaren Planeten nicht wenige – spürte er einen tiefen Stolz in sich und er empfand eine wundervoll belebende Freude, ein Teil dieser Welt zu sein, die er seine Heimat nennen durfte.
All dies aber wäre für ihn so sehr bedeutungslos gewesen, wenn er nicht genau die Person neben sich gewusst hätte, für den er mehr als für jeden anderen Menschen dieses Gefühl empfand, das allgemein hin als Liebe bekannt war, das jedoch so unendlich viel mehr als nur eine einzige Empfindung ausdrückte.
Alisha war sein Traum vom Leben, der auf so wundervolle und unfassbar himmlische Weise tatsächlich wahr geworden war.
Für Jorik war sie nicht nur die schönste, intelligenteste und warmherzigste Frau auf dem ganzen Planeten, sondern sie verkörperte für ihn auch eine unwiderstehliche Erotik, eine so herrlich wohltuende geistige Tiefe und eine allüberstrahlende aufrechte Lebensweise, dass er nie wirklich verstanden hatte, warum Alisha sich ausgerechnet ihn zum Lebenspartner auserkoren hatte.
Und doch war es so und als Jorik seinen Blick nach rechts wandte, wurden seine tiefen Gefühlen zu seiner Frau mit einem Blick in ihre strahlenden, tiefgrünen, wie Edelsteine funkelnden Augen, auf wunderbar wärmende und beruhigend sichere Weise bestätigt.
Auch Alisha genoss die Aussicht, die sich ihnen bot und die Eindrücke dieses herrlichen Sonnentages in vollen Zügen und ihr strahlendes Lächeln, das sie ihm zuwarf, ließ eine kribbelnde Gänsehaut über seinen Körper huschen.
Jorik fühlte sich wunderbar leicht und frei und noch während er die Vögel hoch oben in den Lüften für ihre Fähigkeit, fliegen zu können, beneidete, spürte er, wie sich in seinem Inneren alles auf wundersame, aber auch wundervolle Weise veränderte.
Wie selbstverständlich wurde sein Körper mit einem dichten Kleid aus braunen und weißen Federn überzogen, während seine Beine zu dünnen Stelzen mit kräftigen, scharfen Krallen mutierten.
Auch seine Arme veränderten sich und bogen sich zu weiten, muskulösen Schwingen.
Doch anstatt darüber in Sorge zu geraten, blickte er wieder zu Alisha und konnte sehen, dass auch sie diese Veränderung durchgemacht hatte und nun nicht mehr in Gestalt einer Menschenfrau neben ihm stand, sondern als prachtvolles strahlend-weißes Adlerweibchen.
Und da wusste Jorik tief in seinem Herzen, dass alles, was gerade geschah, richtig war und dass es nichts gab, worüber er sich Sorgen machen musste.
Und schon im nächsten Moment spürte er, wie Alisha ihre Flügel ausbreitete und sich kräftig in die Höhe drückte. Jorik zögerte keine Sekunde und folgte ihr dichtauf.
Fast hätte er vor Freude lauthals gejauchzt, als er spüren konnte, wie sich der Wind in seinen Federn fing und ihn sehr schnell in den Himmel trug, immer höher hinauf, der Sonne entgegen.
Wieder blickte er zur Seite, doch Alisha war noch immer dicht bei ihm. Sie hatte ihren Kopf gesenkt und ihre großen, schwarzen Augen schauten auf das wundervolle Land, das unter ihnen dahinzog.
Deutlich konnte er das Rauschen der Wellen hören, die teils sanft an den Sandstränden ausrollten, teils aber auch mit schier unbändiger Wucht an die Steilküste westlich der Hochebene brandeten.
Jorik konnte Herden von Bomaris sehen, die friedlich grasend auf den saftigen Weiden umher trotteten, aber auch Gruppen von wildlebenden Schellaks, die ungezügelt über die sanfte Hügellandschaft im Westen preschten.
Eine aufbrausende Windböe erfasste Jorik und trug ihn ruckartig noch höher hinauf. Alisha neben ihm entfuhr ein heiserer Schrei. Als Jorik seinen Kopf zu ihr drehte, um ihr zu sagen, dass alles in Ordnung sei, erkannte er, dass sie starr nach vorn schaute.
Er folgte ihrem Blick und war sofort überrascht, wie groß und dicht das Wolkenpaket war, das sich urplötzlich vor ihnen auftürmte. Von der Hochebene aus hatte es lange nicht so mächtig, schon gar nicht aber so dunkel und bedrohlich gewirkt.
Schade, dachte Jorik sofort, denn so würden sie keinen ungehinderten Blick auf Ara Bandiks bekommen, wenn sie es überfliegen würden.
Es sei denn, sie würden tiefer gehen und die mittlerweile schon sehr dichte Wolkendecke unterfliegen.
Jorik wollte diesen Gedanken gerade an Alisha weitergeben, als ihm eine dunkle, ja beinahe schon schwarze Wolke die Sicht auf ihr versperrte.
Himmel, fuhr es ihm durch den Kopf, wie schnell hatte sich das Wetter nur verschlechtert? Ein kleines, schwaches Gefühl von Sorge machte sich in ihm breit, doch sagte er sich, dass sie dennoch grundlos war, solange Alisha an seiner Seite weilte.
Und das tat sie auch, nach wie vor.
Aber als die schwarze Wolke vorübergezogen war, wusste Jorik sofort, dass sich dieses unangenehme Gefühl doch nicht grundlos in ihm festgesetzt hatte und dass es nicht nur Zeit war, sich Sorgen zu machen, sondern dass hier etwas vollkommen grundlegend und auf furchtbare Weise gänzlich schieflief, denn mit panischem Entsetzen und grausamer Hilflosigkeit musste Jorik erkennen, dass sich Alisha urplötzlich wieder in ihre ursprüngliche Gestalt zurückverwandelte!
Für eine kurze Sekunde konnte er dabei in ihre geweiteten, angsterfüllten Augen in ihrem schreckensbleichen Gesicht schauen und ein ersticktes Aufstöhnen aus ihrer Kehle hören, bevor sie wie ein Stein innerhalb eines Wimpernschlages durch die schier undurchdringliche, bedrohlich dunkle Wolkendecke in die Tiefe stürzte.
Ein tiefer, schmerzerfüllter Schrei entwich ihm. Sein Gehirn war von einer Sekunde zur nächsten wie leergefegt. Nichts in ihm konnte sich auch nur im Ansatz erklären, was geschehen war, dass ihr wunderbarer Flug durch die Lüfte so abrupt und so furchtbar enden sollte.
Und doch erkannte er, dass er selbst noch immer die Gestalt eines Adlers besaß und so ließ er sich ohne zu zögern ebenfalls in die Tiefe stürzen.
Während er die Flügel an seinen Körper schmiegte, spürte er, wie er pfeilschnell durch das bedrohliche Schwarz um ihn herum hindurch jagte. Nur einen Atemzug später hatte er das dicke Wolkenpaket direkt über der Stadt durchdrungen, hielt sofort nach Alisha Ausschau und wurde doch von dem Anblick der Metropole unter ihnen abgelenkt, der ihm den nächsten erschütternden Schock durch die Glieder jagte.
Denn was sich dort unter ihm auftat, war ganz sicher nicht mehr das wundervolle und prächtige Ara Bandiks, sondern ein Schlachtfeld, wie man es sich schlimmer wohl nicht mehr vorzustellen vermochte, das Jorik sofort das furchtbare Gefühl vermittelte, er würde direkt und geradewegs in die tiefsten Abgründe der Hölle blicken.
Eine unvorstellbare Verwüstung hatte alle Teile der Metropole heimgesucht. Unzählige Gebäude lagen in Schutt und Asche, Flammen züngelten überall in den rauchgeschwängerten Himmel. Kleine, teuflisch rot glänzende Jagdmaschinen donnerten durch die Lüfte, fegten über das Gelände und luden ihre widerliche Fracht ab. Die Bomben und Raketen schlugen derart heftig ein, dass selbst hier oben die Luft davon vibrierte, und entfachten ein wahres Höllenfeuer, stetig und überall.
Und über allem thronte der gewaltige, gespenstische Schlauch der Anomalie, der sich wie der Rüssel eines gigantischen Monsters aus der Wolkendecke im Westen der Stadt geschoben hatte, der in einer Mischung aus Gelb und Blau stetig zu rotieren schien und aus dem eine schier endlose Armada weiterer, feindlicher Jagdmaschinen in den Luftraum donnerte.
Deutlich spürte Jorik, wie eine eiskalte Hand nach seinem Herzen griff und es eisenhart umschloss. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er all dies schon einmal gesehen hatte und es kein Hirngespinst seines Geistes war.
Zutiefst entsetzt richtete er seinen Blick wieder nach vorn und konnte eine Sekunde später Alishas Körper direkt unter ihm entdecken, wie sie vollkommen hilflos immer weiter in die Tiefe stürzte, ihre Augen in panischer Angst auf ihn gerichtet, ihre Hände nach ihm ausgestreckt.
Ich komme! schrie Jorik innerlich auf und beschleunigte seinen Sturzflug nochmals.
Während er schnell näherkam und dabei noch einmal auf den unfassbar grausamen Schauplatz eines sinnlosen Krieges schauen konnte, spürte er plötzlich, dass der Luftzug um seinen Körper immer deutlicher und schärfer wurde.
Zunächst verdrängte er diese Feststellung und konzentrierte sich nur auf seine Frau und darauf, sie noch rechtzeitig vor dem Aufprall auf den Boden zu ergreifen und in Sicherheit zu bringen.
Immer näher kam er ihr, in ihren Augen konnte er jetzt außer Schrecken auch einen Funken Hoffnung sehen.
Halt aus, oh du mein geliebter Schatz! rief er innerlich. Ich werde dich retten. Ich komme zu dir. Ich bin bei dir. Ich lasse dich nicht im Stich!
Im nächsten Moment hatte er so dicht aufgeschlossen, dass er instinktiv seine Krallen nach ihr ausstreckte.
Doch zu seinem größten Entsetzen musste er erkennen, dass es keine Krallen waren, die sich helfend nach ihr reckten, sondern seine ganz normalen Hände.
Bevor Jorik noch richtig begreifen konnte, was geschehen war, war er sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass er sich ebenfalls wieder komplett in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt hatte.
Und so wusste er in der Sekunde, da er die flehenden Hände seiner geliebten Frau in die seinen schließen konnte und sie in Sicherheit bringen wollte, dass ihm dies nicht mehr gelingen würde und sie beide des Todes waren.
Dann blitzte um ihn herum alles in einem grellen Licht auf, das ihm beinahe das Augenlicht verbrannte und die Körper der Liebenden stürzen pfeilschnell und mit irrsinniger Wucht mitten hinein in eine gewaltige Explosion auf dem Boden, die alles in ihrer Nähe innerhalb eines Wimpernschlages verschlang.
Ein letztes Mal noch konnte Jorik in die Augen seiner Frau sehen. Neben dem Schrecken über das schier unbegreifliche Szenario um sie herum, erkannte er dort auch die klare Gewissheit des eigenen Todes und eine große Enttäuschung darüber, dass er sie nicht hatte retten können.
Dann zerplatzten ihre Körper in einem wuchtigen Aufschlag und ein schmerzhafter Schrei...
Mit einem lauten Aufschrei schreckte Jorik in die Höhe.
Sein Herz raste in einem irrsinnigen Tempo, dass er glaubte, es würde sogleich in seiner Brust zerspringen.
Sein Atem ging schneller als eine Dampflok unter vollem Kessel auf einer Berganfahrt.
Vor seinen Augen konnte er nur verschwommene Dunkelheit erkennen.
Er spürte eiskalten Schweiß auf seinem nackten Oberkörper und in seinem Gesicht, der ihm sofort eine Gänsehaut einbrachte, die ihn erzittern ließ.
Während er mit wilden, stöhnenden Atemzügen versuchte, seinen Kreislauf wieder einzufangen, donnerte der Schlag seines Herzens wie ein Vorschlaghammer unter seine Schädeldecke.
Dann endlich, nach schier endlosen Momenten der Angst, wurde das Bild vor seinen Augen deutlicher und heller. Schließlich beruhigte sich auch sein Atem und sein Herzschlag dämpfte sich.
„Jorik?“ Er hörte seinen Namen. Es war eine weibliche Stimme. Sanft, ruhig, ein wenig verschlafen, ein wenig besorgt. Sie war nicht weit entfernt, sogar sehr dicht neben ihm.
Und er kannte sie, genauso wie das Zimmer, in dem er sich befand.
Es war ihr Schlafzimmer in ihrem Haus in Orotash, dem kleinen, verträumten Vorort von Ara Bandiks, benannt nach dem mit schier unendlichen Waldgebieten überdeckten Land im Nordosten des Planeten, das sie sich vor ein paar Monaten gekauft hatten, als Jorik durch die Erfindung von Flugbooten befördert wurde und sich sein Gehalt dadurch deutlich aufgebessert hatte.
Da Alisha schwanger war, hatte er sie mit diesem Geschenk überrascht und nachdem ihre geliebte Tochter Daria geboren worden war, hatten sie sich hier ein wunderbares Heim geschaffen, in dem sich alle drei sichtlich wohlfühlten.
Jorik hob seine linke Hand ein wenig an und konnte den nackten Rücken seiner Frau an der Außenseite seiner Finger spüren. Das Gefühl der samtig weichen, warmen Haut sandte sofort ein wohliges Kribbeln über seinen Körper.
Das erste Sonnenlicht des Tages fiel sanft durch die Vorhänge des Zimmers und schaffte ein schummeriges Zwielicht aus Licht und Schatten. Eine leichte Brise wehte herein und brachte den erfrischend, klaren Duft der Marismari-Blüten mit sich.
„Was ist? Hast du schlecht geträumt?“ hörte Jorik seine Frau neben sich fragen. Noch immer lag sie auf der Seite und hatte ihm ihren Rücken zugedreht.
Ihr nackter Körper war unter einer dünnen, weißen Decke verborgen, doch ihre straffen Formen zeichneten sich verführerisch dunkel darunter ab.
Jorik drehte seinen Kopf zur Seite und konnte ihren langen, schwarzen Haarschopf erkennen, der zart schimmernd über das Kopfkissen floss.
Jorik atmete einmal tief durch, dann huschte ein freudloses Lächeln über seine Lippen. „Ja! Ich denke schon!“ erwiderte er und sein Gesicht zeigte Anspannung und Trauer.
Was zum Teufel nur hatte er da wieder für einen unfassbar schrecklichen Mist zusammengeträumt? Verdammt, das war ein wahrhaftig unbeschreiblich grausames Horrorszenario gewesen! Noch dazu in einer derart realen Intensität, dass er beinahe glaubte, er würde noch immer den Wind spüren, der an seinem Körper vorbeizischte.
„Komm leg dich wieder zu mir!“ hörte er Alisha sagen. „Es ist doch noch früh. Schenk mir ein wenig Wärme und streichle mich!“
Jetzt musste Jorik wirklich grinsen. Alishas Aufforderung an ihn war unmissverständlich und er spürte sofort, wie sich auch in ihm dieses herrliche Gefühl des Verlangens nach ihr ausbreitete.
Ja, seine Frau hatte Recht. Es war noch viel zu früh, um aufzustehen. Daria schlief ebenfalls noch und es war eine wirklich gute Idee, diese Zeit für richtig guten Sex zu nutzen.
Zum Teufel mit seinem Alptraum. Wusste der Geier allein, warum er in letzter Zeit ständig immer und immer wieder diesen ekelhaften Mist von einer Invasion von Außerirdischen und ihrem furchtbaren, alles vernichtenden Krieg über die Menschheit und der rigorosen Zerstörung von Ara Bandiks träumte.
Nichts davon war die Realität und nichts davon würde je so eintreten.
Santara war ein pachtvoller Planet, der seinen Bewohnern jeden Tag aus Neue unzählige Wunder aufzeigte. Im ganzen Universum gab es keinen besseren Platz zum Leben, als genau hier an diesem Ort, dessen war sich Jorik absolut sicher.
Dennoch war er natürlich auch realistisch genug, um seine Träume nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und er hatte bereits einen Termin bei seinem Arzt am morgigen Nachmittag vereinbart, um die Sache aufzuklären.
Vielleicht war es nur etwas zu viel Stress oder ein unentdecktes Kindheitstrauma, von dem er absolut keine Kenntnis hatte, eine Parabel möglicherweise für etwas ganz Anderes - vielleicht aber auch eine Vorahnung auf zukünftige Ereignisse!
Die Annahme, dass sie vollkommen allein im Universum sein sollten, war doch ziemlich vermessen und so war es nicht auszuschließen, dass die Dinge, die er in seinen Träumen durchlebte, Vorboten eines schlimmen Ereignisses waren.
Und Jorik hatte sich fest vorgenommen, die Ursache für seine Träume schnell und konsequent ans Licht zu bringen.
In der Zwischenzeit jedoch – und auch dabei war er sich absolut sicher – war es bestimmt eine hervorragende Idee sich mit der Frau seiner Träume bei wildem, hemmungslosem und ekstatischem Sex zu vergnügen.
Und genau deshalb atmete er noch einmal tief durch und drehte sich zur Seite, wo er sofort in Löffelchen-Position zu Alisha ging. Seinen linken Unterarm ließ er noch auf der Matratze abgestützt, damit er mit der rechten Hand ihre Haare aus ihrem Gesicht streichen konnte, um sie dann sanft auf ihre rechte Wange zu küssen.
Dabei hatte er seine Augen geschlossen, um die Berührung und ihren herrlichen Duft besser genießen zu können.
Überrascht musste er jedoch feststellen, dass seine Frau heute alles andere als gut roch. Ob sie wohl gestern Abend nicht mehr geduscht hatte? Nein, schalt er sich sofort. Alisha war eine absolut reinliche und körperpflegebewusste Frau. Sie hätte niemals vergessen zu duschen. Dennoch aber war da dieser merkwürdige Geruch an ihr, der Jorik auf eine gewisse, unangenehme Art irgendwie bekannt vorkam.
Außerdem musste er im nächsten Moment erneut stutzen, als seine Lippen ihre Wange berührten.
So oft hatte er das schon getan. Immer war ihre Haut weich und samtig gewesen, warm und straff.
Was er jetzt aber spürte, war weit entfernt davon. Sie war feucht und wabbelig, dabei kalt und rau.
Jorik öffnete seine Augen, um die Ursache hierfür zu ergründen und hatte beim Anblick seiner Frau sofort das Gefühl, er würde den Verstand verlieren!
Augenblicklich fühlte er sich wieder zurückversetzt in die für ihn so unvorstellbar reale Welt seiner Alpträume und die eiskalte Klammer um sein Herz drückte gnadenlos zu.
Denn er schaute eben nicht in das wunderschöne und atemberaubende Gesicht seiner Frau, sondern in eine furchtbar zugerichtete Masse aus verbrannter Haut und bleichen Knochen.
Dabei starrten ihn die schneeweißen Pupillen aus den weit geöffneten Augen Alishas direkt an und ließen ihn bis in sein Innerstes frösteln. Dann öffnete sie ihren Mund und Jorik konnte in einen blutigen, zerfetzten Schlund blicken.
Der Schock, den er empfand, ließ ihn sich ruckartig aufrichten und hinterrücks vom Bett springen.
„Was ist denn?“ hörte er Alisha fragen und gleichzeitig richtete sich auch der zerstörte und verbrannte Körper seiner Frau auf. Während ihn ihre schneeweißen Pupillen nicht mehr losließen, verteilten sich Blut und Hautfetzen auf dem hellen Laken.
Jorik war außer Stande, etwas zu sagen, nur ein schreckliches Gurgeln entfuhr seinem Mund. Immer weiter taumelte er hinterrücks durch den Raum.
Der furchtbar entstellte Körper seiner Frau erhob sich vom Bett und kam auf ihn zu. „Warum weichst du zurück? Gefällt dir nicht, was du siehst?“ hörte er sie fragen, während sie ihre Arme nach ihm ausstreckte.
Jorik schreckte zusammen, wich immer weiter zurück, bis er schließlich die Schlafzimmertür in seinem Rücken spüren konnte.
„Das ist es, was du aus mir gemacht hast!“ rief Alisha und ihre Stimme klang jetzt vorwurfsvoll und kalt. „Du hast mich nicht beschützt! Du hast Schuld, dass ich so geworden bin! Das ist dein Werk!“
Jorik riss seine Augen auf und glaubte beinahe, den Verstand zu verlieren. Mit einer letzten Kraftanstrengung konnte er seinen Blick von ihr lösen und sich herumwerfen. Mit zittrigen Fingern tastete er nach dem Türknopf und schaffte es, ihn ungelenk zu öffnen. Er riss die Tür ruckartig auf und wollte hinausstürmen, weg von diesem furchtbaren Ort des Grauens, als er kaum einen Schritt vor sich, Alishas schrecklich, verbrannten Körper erneut vor sich sehen konnte.
Joriks Kopf wirbelte herum, doch vor ihrem Bett, wo seine Frau noch vor einer halben Sekunde gestanden hatte, war niemand mehr zu sehen.
Er drehte sich abrupt zurück zu ihr und glaubte schon im nächsten Moment, er würde auf der Stelle tot umfallen.
Denn dieses Mal war Alisha nicht allein. In ihren Armen, ihren blutigen, verbrannten Armen lag – Daria!
Gekleidet in ihr rosé-farbenes Nachtkleidchen konnte Jorik sofort ihre furchtbar blasse Hautfarbe erkennen. Dann sah er ihren Kopf, der kraftlos in den Nacken gefallen war und die kalten, toten Augen seiner kleinen Tochter blickten ihn an.
Dieses Mal schrie Jorik entsetzt auf und doch konnte er nichts Anderes tun, als wieder zurückzuweichen.
„Schau kleine Daria, da ist der Papa!“ hörte er Alisha in einem verächtlichen Ton sagen, während sie ihm durch die Tür in das Schlafzimmer folgte. „Er hat uns nicht mehr lieb, siehst du! Er hat Angst vor uns! Dabei ist er es doch, der uns das angetan hat!“ Alishas Stimme wurde immer tiefer, hasserfüllter, bedrohlicher. „Es ist nur seine Schuld! Er hat uns getötet! Er war es! Er war es!“
Die Worte seiner Frau hämmerten glühend heiß durch seinen Verstand und rissen an ihm, wie ein Orkan an einer Sommerblume. Jorik war sicher, er würde jede Sekunde vollkommen wahnsinnig werden und doch gelang es ihm nicht, diesen Alptraum zu beenden.
Mittlerweile hatte er das Zimmer komplett durchquert und schritt jetzt hinterrücks durch die Balkontür ins Freie.
Sofort erfasste ihn dort ein heißer, böiger Wind. Zufällig blickten seine Augen um sich und er konnte einen blutrot flackernden Himmel erkennen, über den dunkle Rauchschwaden hinwegfegten. Gleichzeitig hörte er das Geräusch von jaulenden Triebwerken und unzähligen Detonationen tief unter ihm, die jedoch den Boden, auf dem er stand, deutlich erzittern ließen.
Jorik wandte sich vollkommen um. Es war noch immer sein Balkon, auf dem er stand, doch fehlte ihm das Brüstungsgeländer und unter ihm tat sich das furchtbare Schlachtfeld von Ara Bandiks auf. Joriks Körper versteifte sich, er blieb abrupt stehen und konnte sehen, wie Dutzende feindlicher Jagdmaschinen ihre tödlichen Bomben und Raketen in die Tiefe warfen und eine unvorstellbare Zerstörungswelle auslösten.
„Mörder!“ Das Wort war nur schwach zu hören, doch Jorik spürte, dass der Mund, aus dem es kam, ganz nah an seinem Ohr lag. „Mörder!“
Jorik riss sich von dem Anblick des Schlachtfeldes los und wirbelte erschrocken herum. Sofort setzte sein Herzschlag aus, denn Alishas auf so schreckliche Weise zugerichteter Körper stand direkt vor ihm. Er konnte jede grausame Einzelheit an ihr erkennen und ihren faulig-verbrannten Atem riechen, der ihm eine schwere Woge von Übelkeit in den Magen trieb.
„Mörder!“ Noch einmal rief sie dieses eine Wort, dieses Mal laut und verächtlich, wobei ihr Kopf nach vorn zuckte.
Jorik erschrak zutiefst, stieß einen erstickten Schrei aus und wollte weiter zurückweichen. Als ihm sein Verstand sagte, dass es aber keinen Ort mehr gab, an den er hätte fliehen können, kippte er auch schon nach hinten über und stürzte in die Tiefe.
Während sein Körper zu Boden rauschte, war er wieder wie gebannt von den schneeweißen Pupillen seiner Frau, die ihm nachschaute und dabei den Körper ihrer toten Tochter Daria in den Armen hielt.
Und bei diesem Anblick überkam ihn eine erschütternde Welle von tiefstem Schmerz und ein einzelner, verzweifelter Schrei entfuhr seiner Kehle. „Nnneeeiiinnn!“
Doch schon in der nächsten Sekunde wurde er umhüllt von einem höllischen Flammenmeer, das seinen Körper...
Joriks Körper rauschte abrupt in die Höhe, während sich ein schmerzvoller Schrei aus seiner Kehle löste.
Sein Herzschlag und sein Atem rasten förmlich um die Wette, sorgten dafür, dass er das Gefühl hatte, sein Körper würde gleich zerspringen und das Bild vor seinen Augen zu verschwommenen, wabernden Schemen verkommen ließen.
Dunkelheit umgab ihn, dass konnte er gerade noch erkennen, doch wusste er nicht mehr, wo er war und in den nächsten Sekunden verspürte er eine allumfassende, grausame Angst in sich, wie er sie noch nie zuvor empfunden hatte.
Dann jedoch gelang es ihm, sich zu beruhigen, die Dunkelheit klärte sich ein wenig und die Bilder vor seinen Augen wurden schärfer.
Während er kalten Schweiß auf seinem ganzen Körper spüren konnte, der ihn frösteln ließ, erkannte er, dass er auf einem Bett saß und dass der Raum, in dem er sich befand, keine Fenster hatte. Eine schmale Eisentür war halb geöffnet und führte in einen weiteren Raum, in den er jedoch nicht weiter hineinschauen konnte, eine zweite, ebensolche Tür auf der anderen Seite des kleinen Zimmers war verschlossen. Durch den kleinen Spalt unter ihr fiel ein dünner, heller Streifen Licht.
Während er sich weiter beruhigte, konnte Jorik weitere Einzelheiten erkennen. Außer seinem Bett gab es nur noch einen alten Sessel, auf dem seine Kleider lagen, neben einem einfachen Tisch und einem kleinen Spiegel an der Wand, die, wie die anderen auch, aus kaltem, dunklem Fels zu bestehen schienen.
Und da wurde ihm plötzlich bewusst, wo er sich befand.
Er war in Kos Korros, dem geheimen Militärstützpunkt an der Steilküste im südlichsten Teil Poremiens.
Shamos, Esha und Mavis waren auch hier.
Und sie alle waren es, weil sie hatten flüchten müssen. Flüchten vor...
Plötzlich ertönte neben ihm ein kurzer Piepton und sofort danach flammte ein kleiner Bildschirm auf dem kleinen Tischchen neben seinem Bett auf. Das Bild eines Offiziers der poremischen Streitkräfte in mittleren Jahren und kurzgeschorenen blonden Haaren erschien. Sein Blick war ernst, aber offen. „Sir? Alles okay bei ihnen?“
Jorik drehte seinen Kopf zu ihm und schaute einen Moment stumm auf den Bildschirm. Dann atmete er tief durch und sein Körper sackte einige Zentimeter in sich zusammen. „Nein!“ erwiderte er erschlagen und schüttelte kurz den Kopf. „Aber das ist nicht ihr Problem!“
Der Mann nahm Joriks Worte ohne jegliche Reaktion auf. „Es ist jetzt sechs Uhr! Sie wollten um diese Zeit geweckt werden!“
Jorik nickte. „Danke!“
Der Offizier nickte stumm zurück und dann erlosch der Bildschirm wieder.
Als der Raum sich erneut in Dunkelheit hüllte, fühlte sich Jorik plötzlich vollkommen hilflos und allein.
Mit zwei kurzen Stößen seiner Füße drückte er sich rücklings an die Wand an der Kopfseite des Bettes, dann zog er seine Beine an und schlang seine Arme ganz fest um sie.
Noch bevor er seinen Kopf auf die Knie stützen konnte, schossen auch schon Tränen aus seinen Augen.
Für einen kurzen Moment glaubte er, nein, hoffte er, dass er auch dieses Mal noch immer träumen würde, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass es nicht so war.
Dieses Mal befand er sich in der Realität, sein Traum hatte geendet, er war endgültig erwacht.
Und doch wusste er nicht, ob er sich wünschen sollte, dass es nicht so wäre.
Denn obwohl seine Träume so unendlich schrecklich waren, so gaben sie ihm dennoch die Hoffnung, dass sie nicht real waren.
Doch jetzt, wo er erwacht war, gab es keine Fiktion mehr, sondern nur noch eiskalte, brutale und schonungslose Wahrheiten.
Nichts von dem, was er geträumt hatte, war so geschehen, wie er es dort erlebt hatte und doch änderte es nichts an den Tatsachen, dass Alisha und auch Daria tot waren.
Gestorben als eine der ersten Opfer in einem schrecklichen, wahnsinnigen Krieg, von dem sie nicht einmal wussten, warum er überhaupt angezettelt worden war, in dem sich ihre Gegner jedoch als unglaublich gnadenlos und konsequent herausgestellt hatten.
Innerhalb von nur zwei Tagen war der halbe Planet in Schutt und Asche gelegt und Hunderte Millionen von Menschen in einem allumfassenden Flammenmeer getötet oder durch die bestialischen Bodentruppen dahingeschlachtet worden.
„Oh bitte!“ Joriks Worte waren kaum mehr, als ein schwaches, erschütterndes Flüstern.
Die Bilder in seinen Träumen waren so furchtbar schlimm gewesen, dass er zu zittern begann und doch wusste er, dass sie nichts im Vergleich zu der Realität waren, die sie alle im Moment erlebten.
Während er in seinen Träumen die Bilder einer Kriegshölle gesehen hatte, befand er sich hier und jetzt so schrecklich hilflos mitten in ihr.
Und es war eine unfassbar brutale Hölle, die dabei war, den Planeten Santara, seine geliebte Heimat, zu zerstören und dabei jede Stadt und jedes Lebewesen auf unglaublich grauenhafte Weise unwiederbringlich und endgültig auszulöschen.