Читать книгу Genesis III - Alfred Broi - Страница 5
II
ОглавлениеMarivar hatte die Wunde gewissenhaft versorgt und war jetzt dabei, einen dünnen, aber engen Verband anzulegen, der verhindern sollte, dass die tiefe Schnittwunde wieder aufbrach.
Der junge Mann, der neben ihr saß, verzog ein wenig sein Gesicht, als er ein deutliches Ziehen spürte, doch blieb er stumm.
Marivar konnte ihm dies auch nicht ersparen. Er hatte sogar noch Glück, dass sie seine Wunde klammern und somit zumindest verschließen konnte. Sie war wirklich erstaunt, wie gut das Lazarett der Amarula ausgestattet war.
Einige unverletzte Männer hatten ihr dabei geholfen, alle notwendigen Sachen in die große Höhle zu bringen, in der sich im Moment nahezu alle Passagiere des Flugbootes befanden und auf ihre Rettung warteten - die hoffentlich auch kommen würde.
Sicher war das aber nicht, denn obwohl mit Kendig und Rimbo die wohl am besten hierfür geeigneten Personen aufgebrochen waren, wusste niemand zu sagen, ob sie den Weg nach Norden nach Kanda-i tatsächlich schaffen würden.
Anfangs hatte sich Marivar große Sorgen um sie gemacht und versucht, ihre eigenen Zweifel zu verdrängen, letztlich aber konnte sie nur die eigene Arbeit von ihren ernsten Gedanken abbringen.
Und davon gab es mehr als reichlich, denn der Angriff der Fremden auf Kimuri hatte nicht nur schrecklich viele Todesopfer gefordert, sondern auch etliche Verletzte hervorgebracht.
Marivar war also ganz in ihrem Element und konnte mit ihrem ausgezeichneten medizinischen Wissen all denen helfen, die ihre Hilfe auch nötig hatten.
Zum Glück gab es keine lebensgefährlich Verletzten an Bord. Zwar hatten sie drei Schwerverletzte, aber es gelang ihr, ihren Zustand so zu stabilisieren, dass zumindest keine akute Lebensgefahr mehr bestand.
Wie lange sie in der Höhle zugebracht hatte, konnte sie nicht mehr sagen, doch nachdem sie den jungen Mann versorgt hatte, verspürte sie den deutlichen Wunsch nach frischer Luft.
„Okay!“ meinte sie schließlich und betrachtete noch einmal den Verband. „Das sollte halten!“ stellte sie zufrieden fest und nickte dem Mann zu, der ihr dankbar zulächelte. „Liegen bleiben, ruhig halten und genügend trinken!“ mahnte sie, während sie aufstand. „Wenn wir in Kanda-i sind, werden wir weitersehen!“ Ein schwaches Lächeln fuhr ihr über die Lippen, dann drehte sie sich um und ging in Richtung Höhlenausgang. Dabei kam sie an einer älteren, aber noch immer äußerst rüstigen Dame vorbei. Marivar schätzte sie auf knappe sechzig Zyklen. Ihr Name war Alista. Sie war eine der Flüchtlinge gewesen und hatte bei dem Angriff auf Kimuri ihren Ehemann verloren. Da sie aber eine Ausbildung als Krankenschwester besaß, hatte sie sich sofort als Assistentin zur Verfügung gestellt und die letzten Stunden mindestens genauso hart gearbeitet, wie Marivar selbst. Jetzt war sie gerade dabei, zwei kleinen Kindern Wasser zu geben, das diese nur allzu gierig herunterschlingen wollten. Alista ermahnte sie höflich und liebevoll, langsam und ruhig zu trinken.
Als Marivar sie erreicht hatte, blieb sie einen Moment seitlich zu ihr stehen und beobachtete sie. Ein müdes, aber auch mitleidiges Lächeln huschte über ihre Lippen. Alista erinnerte sie an sich selbst. Marivar hatte bei dem unfassbar grausamen und alles vernichtenden Angriff auf Ara Bandiks ihren Ehemann Glowin verloren. Doch auch ihr war keine Zeit geblieben, über diesen Verlust zu trauern, denn auch dort gab es andere Menschen, deren Leben zumindest noch eine Chance hatten, gerettet zu werden. Und durch diese Arbeit konnte sie ihren Schmerz verdrängen – für eine gewisse Zeit.
Dann aber war er umso wuchtiger gekommen.
Marivar erkannte, dass Alista die Arbeit hier ebenfalls nahm, um ihren Schmerz zu verdrängen. Doch auch sie würde sich letztlich nicht auf Dauer davor verschließen können, wenn sie zur Ruhe kam und den Verlust dann doch und sehr viel schlimmer realisierte.
Marivar beschloss, ihre eigene Pause nicht zu lange dauern zu lassen und sofort danach Alista an die frische Luft zu schicken. Nicht, weil sie wollte, das auch sie Schmerzen empfand, sondern damit sie ihn herausließ, bevor sie daran ersticken würde.
Alista schaute zu ihr auf und lächelte. Noch einmal warf sie den Kindern einen mahnenden, aber liebevollen Blick zu, dann erhob sie sich.
„Ich muss für ein paar Minuten an die frische Luft!“ meinte Marivar sofort.
Alista nickte. „Natürlich! Gehen sie nur! Sie haben hervorragende Arbeit geleistet und sich eine Pause mehr als verdient!“
Marivar nickte. „Ohne sie hätte ich all das nicht zustande gebracht. Ihnen gebührt der Dank dieser Menschen ebenso!“ Marivar suchte den Blick der Frau, doch Alista schlug verschämt die Augen nieder. Dennoch nickte sie.
„Ich werde nicht lange brauchen!“ meinte Marivar dann. „Und wenn ich zurückkomme, werden sie eine Pause machen!“
„Ach...!“ Alista lachte leise auf und winkte ab. „...das ist nicht nötig, das geht schon!“
„Das stimmt nicht!“ erwiderte Marivar sofort sanft, aber mit erstem Blick, denn im Gesicht ihres Gegenübers zeigte sich genau das gegenteilige Gefühl. „Ich weiß, dass sie es hinausschieben wollen, solange es geht!“ Wieder suchte sie den Blick der Frau und ließ ihn dieses Mal auch nicht mehr los. „Aber je eher sie sich ihren eigenen Verlusten stellen, desto schneller werden sie erkennen, dass jetzt nichts wichtiger ist, als selbst zu überleben, weil alles andere noch viel weniger Sinn macht, als das, was wir gerade erleben!“ Sie wartete, bis Alista ihr zunickte, dann nickte sie ebenfalls. „Geben sie mir zehn Minuten. Dann bin ich zurück!“ Sie drehte sich um und ging hinaus.
Die Luft, die ihr außerhalb der Höhle entgegenschlug, war angenehm kühl. Ein wundervoller Gegensatz zu den letzten Stunden, der sie sofort spürbar erfrischte.
Während Marivar verharrte und einen tiefen Atemzug nahm, erkannte sie, dass bereits der Morgen dämmerte. Deutlich war ein helles Lichtband am Horizont zu erkennen. Ein neuerlicher Tag in der Hölle war dabei anzubrechen.
Blitzartig und ohne dass sie es hätte verhindern können, schossen ihr widerliche Gedankenfetzen der letzten Ereignisse in ihren Kopf, doch noch bevor sie sie wirklich gefangen nehmen konnten, wurde sie von einem jungen Mann gestört, der zu ihr trat.
„Marivar?“
Sie reagierte nicht sofort, denn ihr Name klang wie aus weiter Ferne zu ihr. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass Jemand neben sie getreten war und so wandte sie sich mit verklärtem Blick um. „Ja?“ fragte sie mehr instinktiv, als dass sie den jungen Mann wirklich erkannt hatte.
„Darf ich sie kurz stören?“
Marivar nickte. „Ich komme. Lassen sie mich noch kurz verschnaufen!“ Sie atmete einmal tief durch, dann drehte sie sich zurück zur Höhle und wollte schon losgehen, als sie merkte, dass der Mann ihr nicht folgte. „Wohin?“ fragte sie verdutzt, da sie angenommen hatte, es gäbe einen weiteren Verletzten.
„Zu Sergeant Impriss bitte!“ Der junge Mann deutete auf die Amarula, die unter dem großen Felsvorsprung stand, den der Herrgott für sie dorthin gesetzt haben mochte. So war sie für Blicke von außerhalb der tiefen und schmalen Schlucht nicht sichtbar und verlieh ein trügerisches Bild von Sicherheit. Denn da sie beschädigt und fluguntüchtig war, würde sie für ihre Rettung nicht mehr beitragen können - wenn es denn überhaupt eine geben würde.
Sollte sie der Feind hier in der engen Schlucht entdecken und stellen, würde es wohl nur ein kurzes, aber äußerst blutiges Gemetzel geben, wenn man sie gnadenlos in Stücke hackte.
Während Marivar auf die geöffnete Einstiegsluke an der Seite des Flugbootes zuging, versuchte sie diese Gedanken jedoch zu verdrängen und konzentrierte sich darauf, erneut beeindruckt von Kendigs Flugfähigkeiten zu sein, dass er es geschafft hatte, dieses riesige Schiff mit dieser Beschädigung, die ihm das Flugverhalten eines – wie sagte er – schwangeren Pelikans auf Droge verliehen hatte, derart schnell, sauber und geradezu perfekt unter diesen Felsvorsprung zu retten, der in seinen Ausmaßen nur wenig größer war, als das Flugboot selbst.
Dann war sie über die Rampe in das Innere des Schiffes gelangt, das befremdlich leer wirkte und einem das Gefühl vermitteln konnte, man würde sich im Magen eines Poribu-Wales befinden, eines der mächtigsten und größten Säugetiere in den Tiefen der Meere.
Der junge Mann deutete ihr wortlos an, ihm auf die Brücke zu folgen.
Dort konnte Marivar drei weitere Männer erkennen, von denen sie jedoch nur Sergeant Impriss identifizieren konnte. Der hochgewachsene Soldat in mittleren Jahren mit dem buschigen Schnauzbart und der glänzend polierten Halbglatze hatte von Kendig und Rimbo das Kommando übernommen, nachdem diese sich auf den Weg nach Norden gemacht hatten. Er hinkte auf dem rechten Bein, weshalb er aus der Armee vor zwei Jahren hatte ausscheiden müssen. Dennoch hatte er keine Sekunde gezögert, hier das Kommando zu übernehmen und nach allem, was Marivar gesehen hatte, machte er seine Aufgabe so gut man es nur erwarten konnte. Scheinbar hatte er noch zwei weitere Männer unter den Flüchtlingen gefunden, die ebenfalls militärische Ausbildung besaßen. Einer davon saß vor dem Radarschirm, der andere stand einen Schritt seitlich hinter ihm und schaute ebenfalls angespannt auf das Gerät. Impriss selbst hatte ihr Hereinkommen bemerkt und drehte sich zu ihr. Sein ernster Gesichtsausdruck wich einem breiten, aber nur sehr kurzem Lächeln.
„Sergeant Impriss!“ Marivar nickte ihm zu.
„Marivar!“ Er legte ihr seine rechte Hand an ihren linken Oberarm. „Wie geht es ihnen?“
Marivar schaute ihn einen Moment stumm und ausdruckslos an, als würde sie seine Frage nicht verstehen, dann atmete sie tief durch. „Es ging schon einmal besser!“
Impriss lachte leise auf und nickte. „Ja, wem sagen sie das? Wie stehen die Dinge in der Höhle?“
Wieder antwortete Marivar erst nach einem kurzen Augenblick. Ihre Stimme klang sehr erschöpft. „Wie sagt man so schön: Ernst, aber nicht hoffnungslos!“ Sie lächelte ohne Freude. „Nein, wirklich. Wir haben zwar viele Verletzte, aber keiner davon ringt mit dem Leben. Die drei schweren Fälle konnten wir stabilisieren. Allzu lange können sie ohne intensive, ärztliche Hilfe jedoch nicht aushalten! Dem Rest geht es soweit gut. Alista ist wirklich eine große Hilfe. Ohne sie sähe alles viel schlimmer aus!“
Impriss hatte ihren Ausführungen aufmerksam zugehört und nickte jetzt. „Das höre ich gern. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, sie an Bord gehabt zu haben!“ Er nickte ihr lächelnd zu, doch er erhielt nur eine geringfügige Reaktion, was ihn nicht verwunderte, denn die Ärztin sah müde und erschöpft aus. Ihr sicher sehr attraktives Äußeres hatte unter den enormen Anstrengungen der letzten Stunden deutlich gelitten. „Aber...!“ hob er dann wieder an. „…wir waren ebenfalls nicht untätig!“ Er drehte sich zu den beiden anderen Männern. „Wir haben eine tragbare Radarantenne nach oben geschafft...!“ Er deutete mit dem Zeigefinger in die Höhe. „...sie an einem günstigen Ort befestigt und gut getarnt. Jetzt sind wir in der Lage, das Gebiet um uns herum weiträumig zu beobachten. Unser Auge reicht etwa dreißig Meilen in jede Richtung!“
Marivar nickte. „Das hört sich gut an!“
Impriss schien jedoch nicht ihrer Meinung. „Wie man es nimmt!“ Er schaute ihr direkt in die Augen.
„Was soll das heißen?“ Marivar hatte natürlich schon eine Vorahnung.
„Wir haben vor wenigen Minuten einen Kontakt erhalten!“ Er ging einen Schritt auf den Radarschirm zu und stellte sich dabei so, dass auch Marivar auf das Gerät schauen konnte.
Sie trat neben ihn und betrachtete den runden Schirm, auf dem sich die Peillinie stetig um den Mittelpunkt drehte und das Gelände absuchte. Der Hintergrund des Schirms selbst war schwarz. Leichte gelbliche Umrisse zeigten das Schluchtenwirrwarr in ihrem Umkreis, doch verschwanden sie nach einer Sekunde stets wieder. Dann hatte die Peillinie den unteren, rechten Bereich des Schirms erreicht und plötzlich flammte ein kräftiges rotes Licht, größer und unförmiger als ein Punkt auf. Marivar erschrak leise und ihr Kopf zuckte unwillkürlich ein wenig zurück. Das Signal wurde schwächer, doch verschwand es nicht und flammte im nächsten Umlauf wieder grell auf. „Ist das gut oder schlecht?“ fragte sie, obwohl sie die Antwort doch schon kannte.
„Das ist schlecht!“ meinte Impriss. „Das Signal kommt aus Südosten. Wenn es Kendig und Rimbo wären, sollte es von Norden kommen und viel schneller sein, als dieses hier!“
Marivar nickte erschlagen, denn sie wusste, was der Sergeant damit andeuten wollte. „Wie lange noch?“
Impriss kniff die Augen zusammen. „Sie bewegen sich nicht direkt auf uns zu. Aber ich denke...!“ Er atmete kurz tief durch. „...nicht mehr als vier Stunden!“
„Vielen Dank, Sergeant!“ meinte Marivar und nickte ihm zu, während sie ihn direkt ansah. „Ich weiß es sehr zu schätzen, dass…!“
„Hören sie Marivar!“ unterbrach sie Impriss und trat einen Schritt auf sie zu. „Ich habe ihnen das nicht gesagt, um ihnen jetzt schon Angst zu machen. Sie haben irrsinnig viel für die Menschen in der Höhle...für uns alle...getan, dass ich der Meinung war, sie hätten ein Anrecht darauf, es so schnell wie möglich zu erfahren. Außer mir und meinen Männern...!“ Er schaute kurz zu den beiden Soldaten am Radarschirm. „...gibt es nur noch etwa zwei Dutzend Personen, die mit einer Waffe umgehen könnten. Wir haben aber...!“ Er schüttelte den Kopf. „...nichts, was wir diesen...Monstern entgegensetzen könnten. Und das es sich um Bodentruppen handelt, zeigt das Radarecho mehr als deutlich!“ Er hielt einen Moment inne und suchte Marivars Blick. „Wenn wir also nicht das Glück haben sollten, unentdeckt zu bleiben oder man uns vorher hier herausholt...dann wird diese Schlucht innerhalb weniger Minuten zum Schlachthaus werden!“ Impriss schaute ihr eindringlich in die Augen. „Und weil sie so viel für uns getan haben, sind wir...“ Wieder schaute er zu seinen beiden Männern, deren Gesichter betroffen waren. „... der Meinung, dass sie einen solchen Tod nicht verdient haben. Und deshalb möchten wir, dass sie dies hier...!“ Er holte eine Handfeuerwaffe aus seiner Jackentasche und hielt sie ihr hin. „...nehmen!“
Marivars Blick fiel auf die Waffe und sofort bekam sie große Augen. Scharf sog sie die Luft ein. „Aber...ich kann doch nicht!“
„Wir haben niemals genug Waffen, um gegen sie zu bestehen!“ meinte Impriss sofort. „Also nehmen sie sie und setzen sie ihrem Leben und fünf anderen damit ein Ende, dass sie selbst bestimmen können, bevor...!“ Er stoppte und musste schlucken.
Marivar blieb stumm, schaute zunächst einige Momente die Waffe an, dann mit einem tiefen Blick den Sergeanten. Schließlich nickte sie einige Male und ihre Hände griffen langsam danach. „Danke!“ sagte sie noch und Impriss nickte stumm zurück.
Dann drehte sie sich um und ging.
Von der angenehmen Luft außerhalb des Schiffes nahm sie dieses Mal nichts mehr wahr, denn ihre Gedanken rasten förmlich in ihrem Kopf.
Der Feind war auf dem Weg zu ihnen! Oh Gott!
In Gestalt dieser unfassbar widerlichen und furchterregenden Kreaturen, die als Bodentruppen bezeichnet wurden. Monströse, insektenartige Bestien auf sechs Beinen, die alles töteten, was vor ihre rasiermesserscharfen Krallen kam und deren Blutdurst auch vor der Gruppe hier in der Schlucht nicht Halt machen würde.
Doch obwohl sie die Bilder des furchtbaren Schauspiels, das sich ihnen in Ara Bandiks und auch auf Kimuri offenbart hatte, noch mehr als deutlich vor Augen hatte, war sie sich absolut nicht sicher, ob sie es dennoch schaffen würde, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen, bevor es diese Kreaturen auf so bestialische und schmerzhafte Weise tun würden.
Oh bitte, flehte sie gen Himmel, lass es nicht dazu kommen, dass ich diese schreckliche Wahl treffen muss.
Bitte, lass Kendig und Rimbo ihr Ziel erreicht haben und schon auf dem Weg zur Rettung hierher sein.
Ein Blitz schoss ihr in ihre hoffnungsvollen Gedanken und zerfetzte sie jäh.
Nein, sie machte sich etwas vor. Die beiden jungen Männer waren ganz sicher nicht auf dem Weg zu ihnen, denn sonst wären sie als Signal auf dem Radarschirm schon zu sehen gewesen.
Doch da war kein Signal, außer denen des Feindes, und das bedeutete keine Rettung. Und keine Rettung hieß, dass sie sich, egal, ob es ihr gefiel oder nicht, mit dem Gedanken an Selbstjustiz durch die Waffe in ihren Händen vertraut machen musste.
Marivar war mittlerweile in ihrer Bewegung erstarrt, ihre Schultern hingen herab, ihr Gesicht war wie versteinert. Mit einem tiefen Atemzug hob sie ihren Kopf an und blickte entlang der Schlucht nach Nordosten, wo der helle Streifen am Horizont immer größer wurde.
In ihren Augen hatten sich einige Tränen gesammelt, die jetzt an ihren schmutzigen und vom angetrockneten Schweiß, rauen Wangen herabliefen und deutliche Rinnsale hinterließen.
Sie hatte bisher großes Leid erfahren, als sie mit ansehen musste, wie ihr Ehemann Glowin bei der Landung ihres Flugzeugs in Ara Bandiks ums Leben kam und sie seinen Leichnam später auf dem zerbombten Rollfeld noch einmal entdecken konnte. Auch die schrecklichen Ereignisse bei dem alles vernichtenden Angriff auf die Metropole und später auf Kimuri hatten ihr Leid offenbart, welches sie in dieser Wucht, dieser Tragweite und dieser Intensität noch niemals gespürt hatte.
Und doch waren es nicht diese Gedanken, die ihr jetzt die Tränen ins Gesicht trieben. Nein, es waren gute Gedanken. Gedanken, an die Menschen, die sie in den letzten zwei Tagen hatte kennenlernen dürfen. Menschen, die wie sie auf der Flucht waren, die ähnlich wie sie alles verloren hatten und die dennoch alles versuchten, um sich gegen diesen schier übermächtigen Gegner zu stellen und diesen widerlichen Krieg zu beenden.
Kendig, Rimbo, Captain Cosco, Shamos – und allen voran natürlich Jorik!
Und es war genau der Gedanke an diesen Mann, den sie jetzt nicht mehr loswurde.
Wo er wohl war? Wie es ihm wohl ging? Ob er auch einen Gedanken an ihr Wohlergehen formulierte?
Sie wusste es nicht, doch war ihr klar, dass ihre Gedanken, speziell aber das Gefühl der Sehnsucht nach ihm, weder hier und jetzt, noch überhaupt richtig waren.
Aber sie wusste auch, dass er es war, an den sie denken würde, wenn das Furchtbare wirklich geschehen und sie die Waffe an ihre Stirn halten würde, um sich selbst zur richten.
Und mit dieser Gewissheit ging sie zurück in die Höhle.