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I

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Vilo hatte keine wirkliche Ahnung, wie lange sie schon auf den Beinen waren.

Das letzte Mal, als er einen ungehinderten Blick in den Himmel richten konnte, war, als sie zu einer Mittagspause rasteten, um etwas zu essen und zu trinken und sich ein wenig auszuruhen.

Neben einer kurzen Pause am Vormittag war es ihre einzige Rast am heutigen Tage gewesen.

Der Sonnenstern hatte zu diesem Zeitpunkt seinen Zenit bereits überschritten und Vilo schätzte, dass all das schon einige Stunden her war.

Ihr Weg durch die schier unerschöpflichen Wälder im nördlichen Orotash führte sie beinahe ausschließlich durch Gebiete mit mächtigen Rombaskiefern, deren Kronen derart dicht waren, dass sie nur spärliches Tageslicht hindurch ließen. Die Gruppe um Vilo musste sich daher durchweg mit einem trügerischen Zwielicht zufriedengeben. Dennoch hatte er das unbestimmte Gefühl, dass es merklich dunkler um sie herum wurde und er ging davon aus, dass mittlerweile der Abend nahte.

Durch den dichten Baumwuchs gab es auf dem Erdboden kaum größere Pflanzen zu sehen. Kleine Grasflächen wechselten sich mit Moosen ab. Hier und da gab es Bereiche, in denen Farne und Büsche wuchsen, die dann nicht selten mannshoch waren.

Dennoch stellten sie kaum Hindernisse dar. Die meiste Zeit über schritt die Gruppe über mehr oder weniger ausgetretene Trampelpfade auf erdigem Waldboden. Außerdem hatte es längere Zeit nicht geregnet, sodass er sehr trocken und somit gut begehbar war.

Vilo hatte stets das Gefühl, dass sie gut und zügig vorankamen, wenn er dies anhand der für ihn doch oft genug gleichförmigen Landschaft jedoch nicht festmachen konnte.

Während all der Stunden ihres langen Weges hatten die drei Männer kaum ein Wort miteinander gewechselt. Damos, der Alte aus dem Dorf, vor dem sie notgelandet und von dem aus sie mit dem ersten Licht des Tages gestartet waren, bildete die Vorhut, Captain Cosco die Nachhut ihrer kleinen Gruppe, in der offensichtlich jeder lieber für sich allein war, anstatt mit den anderen zu reden.

Vilo war das auch ganz recht so. Äußerlich wirkte er zwar eher ernst und ruhig, innerlich aber war er ziemlich nervös und angespannt. Zu Beginn ihres Marsches sogar noch viel mehr und er hatte Damos ein ums andere Mal genervt, ob sie nicht schneller marschierten konnten und ob der Alte sich seines Weges wirklich sicher war.

Irgendwann dann aber begriff er, dass Damos sehr wohl wusste, was er tat und das ihr Marschtempo genau richtig war, um nicht schon nach zwei Stunden hechelnd zusammenzubrechen oder durch falsche Schritte Verletzungen zu riskieren.

Entsprechend hielt Vilo seine Klappe und hing seinen Gedanken nach, die seine innere Nervosität, obwohl absolut verständlich, natürlich nicht zu lindern vermochten.

Immerhin waren sie hier am südlichen Ende dieses scheinbar niemals enden wollenden Waldgebietes notgelandet, nachdem sie aus Adi Banthu flüchten mussten, als diese Insel von den Außerirdischen angegriffen und wie alles andere vorher auch systematisch und mit einer beinahe schon widerlichen Präzision in Schutt und Asche gelegt wurde.

Zusammen mit Captain Cosco und Damos hatte er sich deshalb auf den beschwerlichen Weg nach Norden gemacht, wo sich ein weiteres Dorf befinden und in dem es Treibstoff für ihren Bomber geben sollte, sodass sie letztlich wieder von hier verschwinden konnten.

Vilo war zwar kein Nuri mehr, aber dennoch konnte und wollte er sich seiner militärischen Verantwortung für die Menschen in seinem Land und letztlich auch auf dem ganzen Planeten nicht verschließen. Deshalb war es notwendig, dass sie Treibstoff besorgten, damit sie so schnell als möglich nach Süden fliegen konnten, um von dort aus Kontakt zu ihren Streitkräften, was immer davon auch noch übriggeblieben sein mochte, aufzunehmen.

Ihr Feind, der ohne jede Vorwarnung, dafür aber umso wuchtiger, konsequenter und gnadenloser über sie gekommen war, war dabei, diesen sinnlosen Krieg sowas von glasklar zu gewinnen, dass Vilo in Anbetracht ihrer eigenen Hilflosigkeit dagegen fast schon übel werden konnte.

Doch sie durften nicht aufgeben, sich nicht geschlagen geben, denn der Verlierer in diesem Krieg würde entweder schonungslos versklavt oder vollständig ausgerottet werden und alles auf Santara, das je von Menschenhand geschaffen worden war, bis ans Ende aller Tage derart vollständig zerstört werden, dass nichts mehr an die Rasse der Menschen zurückerinnern würde.

Und genau das durfte nicht geschehen – zumindest nicht kampflos. Deshalb musste Vilo nach Süden, Kontakt zu seinen Leuten aufnehmen oder, egal, zu irgendeinem militärischen Etwas, das noch überlebt hatte, um einen Plan zu entwickeln, mit dem man dem schier übermächtigen Feind Paroli bieten und die beinahe schon sichere Ausrottung einer ganzen Rasse doch noch verhindern konnte.

Natürlich aber war Vilo auch nervös wegen Kaleena, seiner wunderbaren und wundervollen Frau, die er in dem Dorf am heutigen Morgen hatte zurücklassen müssen.

Der Zufall, das Schicksal, egal, wie auch immer man es nennen wollte, hatte dafür gesorgt, dass sie in diesen furchtbaren Stunden bei ihm war. Vilo war für diesen Umstand unendlich dankbar, hatte er so doch zumindest die Chance, sie zu beschützen und musste sich nicht auch noch mit einer quälenden Ungewissheit über ihr Wohlergehen beschäftigen.

Auch deshalb war er zu Beginn ihres Marsches sehr nervös gewesen, denn er wollte so schnell als möglich zurück zu seiner Frau, um die er sich seit einiger Zeit echte Sorgen machte.

Mehr als deutlich konnte er es in ihren Augen sehen, dass etwas nicht stimmte. Obwohl die Umstände natürlich alles andere als gut waren, hatte Vilo jedoch gehofft, Kaleena würde die Situation besser verkraften, als sie es augenscheinlich tat. Eine Verletzung, die sie ihm vielleicht verschwiegen haben mochte, wie er anfangs befürchtet hatte, war es nicht. Dennoch hatte Vilo seine Frau noch nie so ernst, so eingefallen und so schwach erlebt. Sie musste innerlich schlimme Qualen aufgrund des Krieges erleiden, weit mehr, als sie je zugeben würde.

Und auch deshalb wollte Vilo schnell wieder bei ihr sein, um ihr die moralische Unterstützung zu geben, die sie jetzt dringend nötig hatte.

In seinen Gedanken versunken hatte Vilo ein wenig den Anschluss zu Damos verloren, doch als er beschloss, seinen Schritt zu beschleunigen, um wieder aufzuholen, konnte er erkennen, dass der Alte langsamer wurde und schließlich gänzlich stehen blieb.

Vor ihnen tat sich eine Art Allee auf. Neben der üblichen Reihe von mächtigen Kiefern, deren Kronen scheinbar noch dichter als sonst waren, wuchsen hier auch Tannengewächse von gut sechs Metern Höhe zwischen ihnen und bildeten einen dichten, beinahe undurchdringlichen Tunnel von gut einhundert Metern Länge. Am Ende dieses Tunnels konnte Vilo im oberen Bereich das dunkle Blau des Himmels erkennen und er war ziemlich sicher, dass sie endlich das Ende dieses gewaltigen Waldstücks erreicht hatten. Sofort machte sich Hoffnung in ihm breit, dass sie vielleicht schon am Ende ihres Weges angelangt waren, wenngleich das letzte Stück dorthin alles andere als einladend, sondern im Gegenteil düster und bedrohlich wirkte.

In dem Moment aber, da er Damos erreicht hatte, trat auch Cosco zu ihnen und atmete einmal hörbar tief durch. Vilo schaute zu ihm und erkannte sein sehr finsteres Gesicht.

„Täusche ich mich...?“ meinte der Captain leise, aber mit klarer Stimme, ohne einen der beiden anderen Männer dabei direkt anzuschauen. „...oder kann es sein, dass wir beobachtet werden?“

Damos huschte ein knappes Lächeln über die Lippen und er nickte langsam. „Wir werden beobachtet!“ bestätigte er. „Eine ganze Weile schon!“

„Und...?“ Vilo schaute sich kurz um, konnte in dem Halbdunkel jedoch absolut nichts Verdächtiges erkennen. „...von wem?“

Wieder lächelte Damos, doch sein Gesicht verformte sich gleich darauf zu einer angestrengten, gequälten Grimasse. „Schwer zu sagen!“ Er atmete einmal tief durch. „Wenn wir Glück haben, von einem Rudel Aparo-Füchsen. Die kleinen Biester sind hartnäckig, aber wohl nur auf ein paar Abfälle aus, die wir vielleicht liegen lassen könnten!“

Cosco nickte. „Und wenn nicht?“

„Dann...!“ Wieder verformte sich das narbenübersäte, ohnehin schon mächtig verwitterte Gesicht des Alten zu einer gequälten Grimasse. „...sind es Grujak-Bären!“

„Und dann?“ fragte Vilo gespannt.

Damos schaute ihn direkt und beinahe ausdruckslos an. „Sind wir ziemlich am Arsch, Junge!“

„So schlimm?“

Damos nickte. „Fünfhundert Pfund pure Muskelmasse verteilt auf vier mächtigen Pfoten mit rasiermesserscharfen Krallen. Ein Maul, so groß wie zwei Männerköpfe, mit Reißzähnen lang wie Unterarme. Und das alles bei locker über zwei Metern Schulterhöhe!“ Er schaute Vilo mit großen Augen direkt an und erkannte, dass sein Gegenüber ziemlich beeindruckt war.

„Na, bei unserem Scheiß-Glück in der letzten Zeit...!“ meinte Cosco sofort. “…gehen wir mal von denen aus. Mit wie vielen müssten wir rechnen?“

„Sie jagen immer zu zweit!“ erwiderte Damos und schien in den Wald hinein zu lauschen. „Nicht lautlos, aber eiskalt und sehr effektiv!“ Seine Augen huschten durch das Dickicht. „Wir sollten uns beeilen!“

Cosco nickte ihm zu und zusammen mit Vilo machten sie sich daran, in den Tunnel hineinzugehen. Damos erhöhte ihr Schritttempo schnell, ohne dabei jedoch anzufangen, zu laufen. Vilo und Cosco blieben ihm dichtauf.

Dabei versuchten sie, trotz ihrer schnellen Bewegungen keinen Lärm zu machen. Angestrengt lauschten sie, ob sie ein verräterisches Geräusch ausmachen konnten, doch es war beinahe totenstill um sie herum.

Auf Vilos Zunge lag die Frage, ob es eigentlich gut war, hier in diesem natürlichen Tunnel aus Bäumen und Sträuchern zu sein, wenn da draußen wirklich diese gefährlichen Bestien auf sie lauerten, doch zum Aussprechen kam er nicht mehr, denn plötzlich vernahmen alle drei gleichzeitig tatsächlich ein Geräusch. Es war ein kurzes, aber deutliches Rascheln und es kam ziemlich genau von rechts zwischen Vilo und Cosco, der noch immer ihre Nachhut bildete, aus dem undurchdringlichen Dickicht dort. Die beiden Männer blieben sofort wie angewurzelt stehen und jegliche Farbe wich aus ihren Gesichtern. Damos drehte sich zu ihnen herum und starrte mit ernster Miene auf die entsprechende Stelle, während er langsam und leise seine Streitaxt, die er an der linken Seite an seinem Gürtel befestigt hatte, aus der Halterung löste und sie mit beiden Händen umfasste.

Als Vilo sah, was der Alte tat, zögerte er keine Sekunde und zog sein Schwert lautlos aus der Lederscheide in seinem Rücken. Während er es kampfbereit vor sich platzierte, konnte er sehen, dass auch Cosco nach seinem Schwert, das er ähnlich wie Damos an der linken Seite trug, griff.

Plötzlich war ein erneutes Rascheln zu hören. Dieses Mal länger, deutlicher – näher! Und es blieb gegenwärtig, kam noch näher. Dann begannen sich die Blätter an den Sträuchern dort zu bewegen. Zunächst kaum merklich, schließlich sehr schnell immer deutlicher.

Keiner der drei Männer wagte jetzt noch zu atmen, Cosco hielt in seiner Bewegung inne. Alle starrten auf die Stelle und erwarteten das Schlimmste.

Einen Wimpernschlag später trat das Tier aus dem Dickicht. Sein hellbraunes Fell glänzte matt im fahlen Licht. Mit seiner langen, spitzen Nase suchte es schnüffelnd den Waldboden ab. Als es erkannte, dass es nicht mehr allein war, blickte es auf und sah in drei große, angespannte Augenpaare. Sofort erschrak es, stieß eine Art spitzen Schrei aus und fauchte dann wie eine Katze, während sich das buschige Fell an seinem langen Schwanz deutlich aufplusterte.

Alle drei Männer atmeten hörbar erleichtert aus, ihre Körper entspannten sich.

„Doch ein Aparo-Fuchs!“ meinte Damos zufrieden. „Na, er wird nicht der Einzige bleiben!“

Cosco war froh, dass es kein Bär war, denn er hatte seine Waffe noch immer nicht gezogen, doch als er Damos zustimmen wollte, vernahm er ein weiteres Geräusch schräg rechts über ihm. Es klang so, als würde jemand die Büsche mit einem kräftigen Zug dort auseinander drücken.

Instinktiv hob er den Kopf an und nur eine Sekunde später gefror ihm alles Blut in den Adern, als er keine dreißig Zentimeter vor sich das halb geöffnete Maul eines Untiers mit pechschwarzem Fell erkennen konnte. Rasiermesserscharfe, irrsinnig lange Reißzähne waren zu sehen, dahinter eine weiße, dickfleischige Zunge. Cosco konnte den Atem der Bestie auf seinem Gesicht spüren. Er roch nach Verwesung und Blut. Unwillkürlich hob er seinen Kopf weiter an und erstarrte sofort, als er in die brennend roten Augen des Bären blickte, die ihn mitleidlos und eiskalt anstarrten und aus denen nichts Geringeres als der Tod sprach.

„Oh Mann!“ entfuhr es ihm. Er musste hart schlucken und seine Stimme klang schwer beeindruckt, aber auch bereits total erschlagen. In den Augenwinkeln konnte der Captain sehen, dass auch Vilo und Damos das Geräusch und seine Worte vernommen hatten. Als sie die Bestie vor ihm erkannten, weiteten sich ihre Augen voller Schrecken.

Scheinbar wurde auch der Bär dem gewahr, denn er stieß ein tiefes, bösartiges Grollen aus.

In dieser Sekunde reagierte Vilo als Erster und riss sein Schwert wieder in die Höhe. Auch Damos bewegte sich. Cosco wollte es ihnen gleichtun, doch er sollte keine Chance mehr dazu bekommen.

Während die Bestie ihr Maul soweit aufriss, dass sie den Kopf des Captains spielend hätte umschließen können, brüllte sie hasserfüllt auf und sprang mit einem mächtigen Satz aus dem Dickicht. Mit den Vorderpranken voraus donnerte sie gegen Cosco, riss ihn um und verpasste ihm dabei einen üblen Prankenhieb gegen den linken Oberarm. Die Krallen wurden tief ins Fleisch getrieben und rissen es auf, Blut spritzte umher.

Cosco jedoch konnte dem nichts entgegensetzen, nur schmerzhaft aufschreien. Es wäre sicherlich um ihn geschehen gewesen, wenn nicht Vilo sofort herbeigesprungen wäre und den Bären mit erhobenem Schwert attackiert hätte. Mit einem bösartigen Fauchen sprang er zur Seite weg und entging seinem Hieb knapp. Gleichzeitig drehte er sich herum, sodass er jetzt Vilo direkt gegenüberstand und ihm damit zunächst keine Möglichkeit gab, sein Schwert zu nutzen, ohne Gefahr zu laufen, in die mörderischen Fänge der Bestie zu geraten.

Damos wollte ihm zur Hilfe kommen, doch als er sah, dass in dem engen Gang kein Platz für zwei kämpfende Männer nebeneinander war, wandte er sich dem Captain zu, der gerade dabei war, sich schmerzvoll stöhnend mit dem Rücken an einem Baum zurück auf die Beine zu drücken.

Mehr als einen weiteren Schritt in seine Richtung konnte der Alte jedoch nicht tun, denn plötzlich erklang hinter ihm ein neues, bösartiges Brüllen und nur einen Wimpernschlag später rauschte ein zweiter, nicht minder großer Bär durch das Dickicht in den Tunnel und erwischte Damos seitlich mit dem rechten Vorderlauf.

Der Alte wurde rüde zur Seite gestoßen und überschlug sich mit einem dumpfen Schrei.

Als das Untier mit seinen vier mächtigen Beinen auf den Boden krachte, erklang ein tiefes Dröhnen und Damos hatte das Gefühl, der Boden würde kurz erbeben. Dann war er mehr damit beschäftigt, seinen Sturz so abzufedern, dass er keine Verletzung davontrug.

Cosco hatte sich gerade wieder schweratmend auf die Beine gebracht, als er erneut erstarrte, weil der Bär direkt vor ihm sein furchtbares Maul aufriss und ihn anbrüllte, dass ihm dickflüssiger Speichel ins Gesicht geschleudert wurde und er das Gefühl hatte, ihm würden gleich die Trommelfelle platzen. Unfähig, sich weiter zu bewegen, spürte er nur, wie seine Beine unter ihm nachgaben, er seitlich wieder zu Boden rutschte und sich die Bestie über ihm aufbaute.

Vilo fand keine Lücke, um sein Schwert als Waffe gegen das Untier zu nutzen. Der Bär war trotz seiner imposanten Größe erstaunlich wendig und schnell. Er brüllte hasserfüllt auf und Vilo musste höllisch aufpassen, nicht selbst Opfer einer gegnerischen Attacke zu werden, die immer heftiger wurden, weil der Blutdurst des Tieres scheinbar immer mehr zunahm.

Als er ein weiteres Mal zurückweichen musste, krachte er mit dem Rücken gegen einen Kiefernstamm. Entsetzt sah er das mörderische Maul des Bären auf sich zu rauschen und konnte sich erst im letzten Moment zur Seite hechten und der Attacke entgehen. Das Tier schrie erbost auf, riss aber sofort seinen rechten Vorderlauf in die Höhe und verpasste seinem Gegner einen hammerharten Rückhandschlag, der ihn von den Füßen hob und drei Meter durch die Luft schleuderte. Vilo schlug auf und alle Luft wurde ihm aus den Lungen getrieben. Dennoch wuchtete er sich sofort zur Seite und sprang auf, bevor der Bär wieder bei ihm war. Nur Bewegung hielt ihn am Leben, Stillstand würde seinen Tod bedeuten – und einen ziemlichen widerlichen noch dazu.

Doch wieder war der Bär so rasend schnell bei ihm, dass er nur reagieren und dem hervorschnellenden Prankenhieben lediglich ausweichen konnte. Wenn ihm nicht schnell etwas einfiel, würde er nicht mehr lange gegen diese wütende Bestie bestehen.

Der Bär bäumte sich über Cosco auf und stellte sich mit einem markerschütternden Brüllen voller Siegesgewissheit auf die Hinterläufe. Ein eiskalter Schauer jagte dem Captain durch den Körper, doch konnte er sich nicht mehr bewegen. Gleich würde die Bestie wieder auf ihren Vorderpfoten landen, ihm ihre scharfen Krallen wuchtig in die Brust rammen und ihm sein verdammtes Herz herausreißen.

Deshalb schloss er mit seinem Leben ab und sah für den Bruchteil einer Sekunde seine verstorbene Frau und seinen Sohn Kendig vor sich, von dem er im Moment nicht einmal wusste, ob er noch lebte und wo er sich aufhielt. Dann schloss er seine Augen.

Doch mitten hinein in das Brüllen der Bestie glaubte der Captain plötzlich einen zweiten Schrei zu hören. Und er irrte sich nicht.

Damos war aufgesprungen und losgelaufen und hatte dem Untier seine Axt mit aller Kraft in den Rücken, direkt zwischen die Schulterblätter, getrieben. Das Monster brüllte überrascht und schmerzerfüllt auf, während Blut aus der Wunde schoss. Da die Axt noch immer tief in seinem Leib steckte und Damos sie auch nicht loslassen wollte, wurde er mitgerissen, als der Bär nach vorn auf seine Vorderbeine kippte. Instinktiv stemmte der Alte seine Beine in den Rücken und fand knappen Halt darauf, während er nochmals all seine Kraft zusammennahm, um die Axt aus dem Körper des Tieres zu ziehen.

Cosco hatte derweil großes Glück, denn durch die Ablenkung von Damos Attacke landeten die Pranken der Bestie nicht in seinem Leib, sondern donnerten dicht neben ihm auf den Boden. Das Maul des Bären verharrte nur wenige Zentimeter vor seinem Kopf. Der brüllende Schrei, der ihm um die Ohren jagte, war begleitet von ekelerregendem Gestank und weiterem zähen Schleimfluss. In den Augen des Bären jedoch sah Cosco, dass das Monster nicht ihn anbrüllte, sondern vor Schmerzen schrie.

Sofort bäumte sich der Bär wieder auf und versuchte mit seinen Vorderbeinen seinen Peiniger im Rücken zu greifen, doch Damos entzog sich geschickt den scharfen Krallen. Mit einem tiefen Stöhnen fiel das Untier wieder nach vorn und erneut krachten seine muskulösen Tatzen seitlich neben Cosco.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Damos endlich seine Axt aus dem Rücken der Bestie befreit. Als der Bär wieder aufschrie und sich nochmals aufrichten wollte, handelte er schnell, konsequent und äußerst effektiv.

Während sich der Bär erhob, ließ Damos seine Axt mit einer kraftvollen und schnellen Bewegung vor seinem Körper kreisen und zerfetzte dabei dem Tier, begleitet von einem widerlichen Knacken, die Halswirbelsäule und trennte ihm den Kopf mit diesem einen Schlag sauber vom Körper.

Das wütende Brüllen der Kreatur verstummte abrupt, der Körper senkte sich wieder auf seine Vorderläufe und der Schädel klatschte dicht neben Coscos Kopf zu Boden.

Der Captain war tief geschockt und schrie erstickt auf. Der Anblick des rohen Fleisches, der blanken Knochen und der durchtrennten Sehnen und Adern am Rumpf der Bestie raubte ihm den Atem. Im selben Moment ergoss sich ein tiefroter, klebriger und widerlich stinkender Schwall Blut aus dem Stumpf mitten hinein in sein Gesicht und der ekelhafte Geschmack von Metall fing sich in seinem Mund. Cosco konnte nicht mehr reagieren und verschluckte sich an dem Blut des Bären.

Bevor er jedoch richtig husten konnte, kippte der Körper des Tieres über seine noch immer durchgedrückten Vorderbeine weiter vornüber und der Captain musste sich blitzschnell zur Seite rollen, um nicht von der gewaltigen Masse des Monsters begraben zu werden.

Zwischen Oberkörper und linker Pranke kam er zum Erliegen, konnte seinem Würgereiz dann jedoch nicht mehr standhalten und übergab sich dort auf der Stelle.

Damos sprang mit federnden Beinen vom Rücken des Bären und betrachtete dabei sein Werk in einer Mischung aus Ekel und Stolz.

In der nächsten Sekunde aber fingen seine Augen Bewegungen in einigen Metern Entfernung auf und sein Blick fiel auf Vilo, der noch immer im Kampf mit dem zweiten Bären stand. Und da war jegliche Freude in ihm über den errungenen Sieg gegen die erste Bestie dahin.

Ohne zu zögern lief er los, doch sah er, dass Vilo derart in Bedrängnis war, dass er keine Zeit mehr verlieren durfte.

„Hey!“ rief er laut und schon schleuderte er seine Axt in die Richtung des Monsters.

Der Bär reagierte sofort darauf, richtete sich auf und drehte seinen Oberkörper mit einem verächtlichen Brüllen in Damos Richtung. Obwohl seine Waffe gut gezielt war und dem Tier sicherlich sauber in die Brust gefahren wäre, konnte der Bär diese Attacke abwehren, indem er blitzschnell seine rechte Pranke in die Höhe riss und sie gegen die heransausende Axt donnerte, sodass ihre Flugbahn abgelenkt wurde und sie mit einem kurzen Pfeifen in eine Rombaskiefer ein paar Meter weiter donnerte und dort tief in das Holz schlug.

Der Bär fauchte verächtlich, fast wirkte es, als würde er lachen.

„Hey!“ Dieses Mal kam der Ruf von Vilo und als sich die Bestie wieder auf die Vorderpfoten fallen ließ, um sich weiter mit seinem Gegner zu beschäftigen, stieß sie ein weiteres Geräusch aus. Allerdings alles andere als siegessicher, eher total überrascht.

Zu mehr war der Bär nicht mehr in der Lage, als er erkennen musste, dass er Damos Axtangriff zwar vereitelt, den Kampf jedoch dennoch verloren hatte. Denn die Ablenkung hatte Vilo die Gelegenheit gegeben, sich wieder aufzurappeln, kurz durch zu schnaufen und sich dann in Angriffsposition zu stellen.

In dem Moment, wo sich der Bär zu ihm zurückdrehte, hob Vilo das Schwert an und richtete die Klinge direkt auf seinen Gegner. Als der Bär erkannte, dass er verloren hatte, brüllte er noch einmal wütend auf und schob sein furchtbares Maul nach vorn, doch Vilo war gnadenlos.

Mit einer Art Ausfallschritt drückte er das Schwert von sich und rammte es der Bestie tief in das geöffnete Maul hinein.

Aus dem Brüllen wurde ein ersticktes Gurgeln und Blut schoss über die Klinge nach außen.

Da Vilo sich nicht sicher war, ob er dem Bären den Todesstoß versetzt hatte, er aber diesen Kampf nunmehr endgültig beenden wollte, drehte er sich mit dem Rücken zu ihm und riss seine Waffe, deren Klinge waagerecht im Maul steckte, schräg nach oben. Der höllisch scharfe Stahl wurde mit einem kräftigen Ruck durch den Kopf der Bestie getrieben, zerteilte auch den Schädelknochen und trat schließlich nach außen.

Ein letztes Mal noch bäumte sich das Tier auf seine Hinterläufe, während Blut aus der tödlichen Wunde nach außen spritzte, dann kippte es schräg hinten über und schlug wuchtig zu Boden.

Der Kopf landete dabei dicht neben Captain Cosco, der dem Schauspiel in einer Mischung aus Faszination und Ekel zugeschaut hatte, platzte schließlich auf und eine wahre Woge aus Blut und Gehirnmasse ergoss sich auf den ohnehin schon wie ein psychopatischer Serienkiller im Blutrausch wirkenden Captain, der sich daraufhin brüllend abwandte und sich erneut wüst übergeben musste.

Um sie herum war alles wieder still, nur Coscos Würgen war zu hören.

Damos blickte beeindruckt zu Vilo, der sich gerade wieder zu ihnen umdrehte. Als er den toten Bären auf dem Boden sah, blieb sein Gesichtsausdruck unbeweglich, ernst und ohne Freude. Auch die Sichtung des zweiten toten Tieres brachte keine Genugtuung oder Zufriedenheit in sein Gesicht.

Damos trat zu seiner Axt und riss sie aus dem Kieferstamm.

Plötzlich konnten sie alle einen weiteren furchterregenden Schrei aus dem Wald vernehmen. Er war jedoch deutlich dunkler als das Brüllen der Grujak-Bären und schien auch deutlich mächtiger zu sein.

Damos hielt in seiner Bewegung inne und schaute mit großen Augen den Tunnel entlang zu seinem Eingang. „Wir sollten von hier verschwinden!“

„Was...?“ Cosco rappelte sich gerade auf und wischte sich den Mund ab. „Was war das?“

„Sie sind verletzt!“ bemerkte Vilo und deutete auf seinen linken Oberarm, wo sein Jackenstoff zerrissen war und deutlich vier ziemlich tiefe Schnittwunden der scharfen Bärenkrallen vom ersten Prankenhieb zu sehen waren.

„Es geht schon!“ meinte Cosco.

„Das ist ein Bugon!“ Damos Gesicht zeigte echte Sorge.

„Was zum Teufel ist ein Bugon jetzt schon wieder?“ stieß Cosco gestresst hervor. „Nein...!“ meinte er dann jedoch sofort. „Ich will es gar nicht wissen. Sagen sie einfach nur wie viele! Ich bin gerade voll in Kampfstimmung, da kommen mir ein paar mehr Viecher gerade recht!“

Damos schaute Cosco direkt an und lächelte dünn. „Bugon sind Einzelgänger, aber wir haben absolut nichts, was wir ihm entgegensetzen könnten. Keine unserer Waffen könnte etwas gegen ihn ausrichten. Er ist mindestens drei Mal so groß wie ein Grujak-Bär!“

„Verdammter Mist!“ erwiderte Vilo. „Dann hat ihn der Kampflärm angelockt, was?“

Damos schüttelte den Kopf und wollte ihm antworten.

„Nein, sagen sie nichts!“ fuhr Cosco dazwischen. „Ich weiß, was ihn angelockt hat: Der Geruch von frischen Bärenblut! Richtig?“

Damos nickte. „Genau das!“

Wie zur Bestätigung erklang ein weiteres, dröhnendes Brüllen, bei dem sich jeder sehr gut vorstellen konnte, dass da etwas mächtig Großes auf dem Weg zu ihnen und auch schon deutlich nähergekommen war.

„Los jetzt!“ mahnte Damos zur Eile, übernahm wieder die Führung und rannte los.

Vilo und Cosco folgten ihm dichtauf.

Nach etwa einer Minute hatten sie das Ende des Tunnels erreicht.

Gerade als sie aus dem Wald hinaustraten, konnten sie hören, wie hinter ihnen einige Bäume entwurzelt wurden.

„Wohin jetzt?“ fragte Vilo etwas außer Atem.

Unter ihnen tat sich eine große Lichtung von mindestens zwei Meilen Länge auf. Ein ziemlich steiler Abhang führte die etwa zehn Meter in die Tiefe.

„Da runter!“ rief Damos und war schon dabei, so gut es ging an der Böschung hinab zu laufen.

Wenig später hatten sie die Lichtung erreicht und sie rannten noch einige Meter weiter, bevor Damos langsam abstoppte. Dabei schaute er ab und zu zurück in das Waldstück. Schließlich blieb er gänzlich stehen und verschnaufte mit einigen kräftigen Atemzügen. „Okay!“ meinte er. „Das sollte reichen!“

„Sicher?“ Vilo war nicht überzeugt.

Damos nickte. „Bugon sind absolute Waldtiere. Sie verlassen den Schutz der Bäume niemals. Er wird uns nicht folgen!“

„Wenn er so groß ist, wie sie sagen...!“ meinte Cosco. „...wer sollte ihm dann hier gefährlich werden? Wozu braucht er dann den Schutz der Bäume?“

„Keine Ahnung! Aber es ist nun mal so! Die einzig verlässliche Sache an einem Bugon! Das und die Sicherheit, dass man ein Zusammentreffen mit ihm nicht überleben würde!“

„Was ist mit dem Geruch?“ fragte Vilo.

„Was für einen Geruch?“ Cosco schaute den ehemaligen Nuri irritiert an.

Ihrem Geruch!“ erwiderte Vilo ohne Rührung. „Mann, sie stinken schlimmer als ein Haufen Dünnschiss in der Mittagssonne!“

„Ja, danke auch!“ raunte Cosco sofort zurück. „Ich weiß selber, dass mein Deo versagt hat! Aber ich für meinen Teil bin doch eher froh, dass ich überhaupt noch lebe!“

Damos nickte. „Trotzdem!“ Er drehte sich kurz einmal um die eigene Achse und schien zufrieden. „Sie sollten ein Bad nehmen...!“ Er deutete auf einen kleinen See vielleicht hundert Meter von ihnen entfernt. „Es gibt für alles ein erstes Mal. Und wir wollen doch nicht riskieren, dass wir Zeuge werden, wie ein Bugon anfängt seine Opfer doch außerhalb des Waldes zu jagen, nicht wahr?“

Cosco nickte widerwillig. „Okay! Ab unter die Dusche!“ Er trottete zügig in Richtung See.

Zunächst wollte er sich nur das Gesicht waschen, doch dann entschloss er sich, sich komplett zu entkleiden und ein kurzes Bad zu nehmen.

Wenige Minuten später hatte er seinen Körper gereinigt, seine Haare, die ebenfalls voller Blut und weiterer, widerlich stinkender Flüssigkeiten waren, ausgewaschen und auch seine Wunde am Oberarm gesäubert, was ihm einige Schmerzen bereitete. Außerdem blutete sie noch immer und Cosco war klar, dass er sie würde versorgen müssen.

Während er sich ein letztes Mal das angenehm kühle und sehr saubere Wasser ins Gesicht warf, fiel sein Blick an das Ufer, wo er Vilo und Damos sehen konnte, die sich eine Gruppe von Findlingen gesucht und darauf Platz genommen hatten, um zu verschnaufen. Damos trank gerade aus seiner Wasserflasche, Vilo schaute kurz zu ihm herüber. Danach waren sie augenscheinlich wieder in ein Gespräch vertieft.

Cosco entspannte sich und atmete einmal tief durch. Dabei ließ er seinen Blick auf Vilo haften und stellte erneut fest, dass er erstaunt war, wie sehr sich dieser doch noch recht junge Mann im Griff hatte.

Bei all dem, was er in den letzten Tagen erlebt hatte – der Angriff der Fremden, die vollkommen überraschende Ernennung zum Nuri, die Konferenz auf Adi Banthu, die schlimme Demütigung vor der Kommission, die letztlich wieder die Aberkennung seines Nuri-Titels zur Folge hatte und die anschließende Flucht hierher – vor allem aber auch bei dem, was noch vor ihm liegen würde...bei alldem hätte sich Cosco nicht gewundert, wenn Vilo weitaus nervöser, aggressiver und unruhiger gewirkt hätte, als es jetzt den Anschein hatte und er bewunderte ihn beinahe dafür, wie besonnen er doch war und sich auf ihr Vorhaben konzentrieren konnte.

Obwohl er sich in einer Sache nicht ganz sicher war, ob Vilo sich dieses Umstandes überhaupt und wirklich bewusst war.

Für Cosco war Kaleenas Verhalten mehr als eindeutig. Seine Frau hatte sich damals ähnlich gegeben, bevor sie Kendig geboren hatte. Natürlich war jetzt alles andere als eine gute Zeit für eine Schwangerschaft, doch Cosco hatte Zweifel, dass Vilo überhaupt davon wusste. Es wäre ja auch nicht ausgeschlossen, eigentlich sogar ziemlich verständlich, wenn Kaleena ihm von seinem Glück noch gar nichts erzählt hatte.

Im Laufe der vielen Stunden, die sie nun schon unterwegs waren, hatte er einmal mit dem Gedanken gespielt, mit Vilo darüber zu reden. Die verdammte Eintönigkeit war ihm auf die Nerven gegangen und er wollte sich einfach nur ein wenig unterhalten. Da er jedoch nicht sicher war, inwieweit Vilo von Kaleenas Schwangerschaft wusste, verwarf er diesen Gedanken wieder.

Wenn Vilo es nämlich nicht wusste, dann hatte Cosco nicht das Recht, ihm davon zu erzählen, solange Kaleena es nicht getan hatte. Nein, in dieses Fettnäpfchen wollte er dann doch lieber nicht treten.

Vilo würde es erfahren, wenn Kaleena es wollte und nicht anders.

Ein stechender Schmerz zuckte durch seinen Oberarm.

Zeit, sein Bad zu beenden, dachte Cosco und machte sich daran, aus dem See zu steigen.

„Wie weit ist es noch?“ fragte Vilo. In den Augenwinkeln sah er, dass der Captain aus dem Wasser auf sie zukam. Deutlich konnte er die vier Schnittwunden an seinem Oberarm erkennen und das Blut, dass noch immer aus ihnen sickerte.

„Das kommt darauf an, was sie als Ziel definieren!“ meinte Damos und blickte ebenfalls zu Cosco. Mit seiner rechten Hand kramte er sogleich in seinem Rucksack und holte eine Verbandsbox hervor.

„Was soll das heißen?“ Vilo war sichtlich irritiert. „Ich dachte, unser Ziel sei das Dorf im Norden, wo wir Treibstoff für unseren Bomber finden würden!“

Damos nickte. „Das ist unser Endziel!“ Er öffnete die Box und fischte ein sauberes Tuch und eine blaue Tube mit Wundgel hervor. „Wir werden es – denke ich – morgen am frühen Nachmittag erreichen!“

Mittlerweile hatte sie Cosco erreicht. Er hatte sich inzwischen von der Hüfte abwärts schon wieder angekleidet. Sein T-Shirt hielt er in der linken Hand, das feuchte Lederwams, dass die größte Menge Blut und sonstigen Ekel abbekommen hatte und das er ebenfalls im See abgewaschen hatte, legte er auf einen der Findlinge zum Trocknen direkt in die Sonne.

„Kommen sie!“ meinte Damos zu ihm und hielt ihm die Tube hin. „Ich werde ihre Wunde versorgen!“

Cosco nickte ihm zu und setzte sich so neben ihn, dass der Alte gut an den Oberarm herankam. Zunächst tupfte Damos die Wunde mit dem Leinentuch trocken und sauber. Dabei sog der Captain einmal scharf die Luft ein und sein Gesicht zeigte Schmerzen. Schließlich trug Damos das Wundgel auf.

„Welche anderen Ziele hätten wir denn ihrer Meinung nach noch?“ fragte Vilo dann unvermittelt.

Damos grinste kurz freudlos. „Nun, wir werden jetzt zunächst diese Lichtung überqueren. Das wird etwa eine Stunde dauern. Dann müssen wir wieder in den Wald...!“ Er deutete mit dem Kopf in die entsprechende Richtung, wo Vilo und Cosco den dunklen Streifen erkennen konnten, der sich dort auftat. Beide hatten das Gefühl, dass dieser Wald noch viel größer und vor allem noch viel dunkler zu sein schien, als der, aus dem sie gerade herausgetreten waren. Man sah beiden an, dass sie nicht sonderlich scharf auf dieses Abenteuer waren. „...und dort werden wir...ich schätze mal…kurz nach Anbruch der Nacht, unweigerlich das Herz des Waldes erreichen!“ Er hielt für eine Sekunde in seinen Bewegungen inne, atmete einmal tief durch und schaute mit einem gedankenversunkenen Blick ebenfalls zu dem Waldstück am Ende der Lichtung. „Ich dachte, sie meinten diesen Ort!“

Vilo nickte, doch man sah ihm an, dass er es nicht wirklich verstand.

Damos blieb stumm, legte das Wundgel beiseite und verband Coscos Verletzung schließlich mit einer sauberen, festen Binde. Dabei hing er seinen eigenen Gedanken nach.

Er hatte noch ziemlich deutlich die fast schon Beschimpfungen zu nennenden Worte seiner Dorfbewohner im Kopf, als er sich angeboten hatte, Vilo und Cosco durch den Wald nach Norden zu führen. Alle anderen hielten das für viel zu gefährlich.

Vilo aber hatte auf ihn vertraut und so hatten sie sich auf den Weg gemacht. Allerdings schien es dem Alten jetzt, als glaubten sowohl Vilo, als auch Cosco, dass sie den schwierigsten und vermeintlich gefährlichsten Teil ihrer Reise schon hinter sich hatten.

Doch dem war nicht so – aber Damos beschloss, diese sicher nicht ganz unwesentliche Information lieber noch für sich zu behalten...

Genesis III

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