Читать книгу "Dann hör doch einfach auf…!" - Lebensgeschichte eines Alkoholikers - Alfred Endres - Страница 6

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Vorwort

München, 21.12.2010

Am frühen Morgen schaue ich durch das Fenster aus dem siebten Stock des Krankenhauses auf den Münchner Westen hinunter. Es ist grau, der Schnee der letzten Tage ist schon wieder weg, aber man spürt förmlich die Kälte, wenn man auf den vereisten Parkplatz schaut. Draußen bereiten sich die Menschen auf den Heiligen Abend vor und gehen geschäftig ihrer Wege. Meine Frau liegt in ihrem Krankenbett und schläft noch.

Mein Herz ist schwer, mein Blick gedankenlos, aber mein Kopf ist klar. Der Schmerz in meinem Bauch ist seit gestern noch nicht kleiner geworden. Die Trauer bohrt sich wie ein Loch in mein Herz und will nicht aufhören. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf und ich warte förmlich darauf, die Kontrolle über meine Gefühle zu verlieren, wie so oft in den Jahren zuvor. Aber diesmal passiert das nicht. Ich kann meine Emotionen wieder kontrollieren, und wer weiß was passiert wäre, wenn das Gleiche vor einigen Jahren geschehen wäre.

Als ob es eine Fügung gewesen wäre, bin ich gestern früher als verabredet aus der Arbeit gegangen, um meine Frau im Klinikum Großhadern zu besuchen. Es sollte eine kleine Überraschung werden, schließlich steht der große Ultraschall an, auf dem man angeblich auch ein 3D-Bild des Fötus sieht.

Als ich meine Frau auf dem Flur sehe, weiß ich in Sekundenbruchteilen, was passiert ist, ehe es mir jemand sagt. Sie weint, und die Krankenschwester, die sie im Arm hat, sagt: „Jetzt gehen Sie erst mal auf Ihr Zimmer.“ Sie kommt mir entgegen und sagt nur: „Schatz, keine Herztöne mehr …“. Es ist für einen Augenblick so, als hätte mir jemand einen Pfeil ins Herz gestoßen. Als ob man durch einen Eimer kaltes Wasser aus einem schönen Traum im Tiefschlaf geweckt wird. Ich bin nicht fähig, irgendetwas zu sagen oder zu tun, flüstere immer wieder nur „Oh nein …“

Es lebte nicht mehr, das Baby, das wir uns so sehr gewünscht hatten. Tot im Bauch der Mutter im sechsten Schwangerschaftsmonat. Zu Hause warteten die ersten Spielsachen; die Möbel fürs Kinderzimmer waren ausgesucht und im Internet hatte ich schon einen Maxi-Cosi ersteigert. Meine Mutter hatte auf dem Weihnachtsmarkt die ersten Söckchen für ihre zukünftige Enkelin besorgt. „Julia“ sollte unsere Tochter heißen, und nach der positiven Fruchtwasseruntersuchung stand ihrer Geburt Ende April nichts mehr im Wege. Auf alles hatte ich mich vorbereitet, um meinen Platz im Leben als „Papa“ einzunehmen, aber nicht auf das: Den Verlust unseres Kindes, noch bevor wir es in unser Leben lassen durften. Erst vor kurzem überflog ich einen Artikel über „Sternenkinder“, wie man Totgeburten nennt, aber ich wollte so etwas nicht einmal lesen. Zu furchtbar erschien mir diese Vorstellung. Jetzt musste ich dieses Schicksal am eigenen Leib erfahren.

Ich frage mich insgeheim etwas theatralisch, ob das der Preis ist, den ich bezahlen muss, aber im gleichen Moment versuche ich meine Gedanken wieder zu ordnen und das zu tun, was ich viele Jahre nicht mehr konnte: Klar denken, mein Schicksal annehmen und das akzeptieren, was nicht zu ändern ist.

Ich werde es durchstehen, ich werde die Kraft finden, meiner Frau beizustehen wie sie zuletzt mir beigestanden ist. Es wird mein Leben nicht aus der Bahn werfen, denn ich habe die Kraft diese Krise zu meistern. Ja, die habe ich, das weiß ich jetzt. Ich kann mehr verkraften, als ich je vermutete, denn ich habe etwas geschafft, was Millionen noch nicht geschafft haben, und darauf bin ich stolz. Und ich möchte Ihnen davon erzählen:

Ich habe mit dem Trinken aufgehört.

Ich habe den Alkoholismus überlebt und mein Leben geändert. Ich bin ein anderer Mensch geworden und ich wünschte, ich könnte diese Kraft mit denen teilen, denen es genauso geht, und die, genau wie ich noch vor kurzer Zeit, keine Hoffnung mehr haben.



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