Читать книгу Florentine Blix (1). Tatort der Kuscheltiere - Alice Pantermüller - Страница 18

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Im Erdgeschoss der Schule hing eine Liste mit allen Klassenräumen aus. Ich bin jetzt in der 8c und unser neuer Klassenraum war zum Glück noch immer der alte: Raum 122 im ersten Stock.

Dafür hatten wir einen neuen Klassenlehrer. Und zwar weil Frau Schulz im Mutterschutz ist. Sie hat nämlich ein Kind bekommen.

Also, ich finde, man hätte der Einfachheit halber auch gleich Mutterschulz sagen können. Und das habe ich auch, am Ende des siebten Schuljahres. Aber da haben mal wieder alle aus meiner Klasse gelacht und ich wusste nicht, warum. Ich fand das Wort eher ökonomisch als lustig.

Unser neuer Klassenlehrer heißt Herr Jessen, und als er die Tür aufgeschlossen hat, bin ich hinter dem großen Pflanzkübel hervorgekommen und hinter den anderen in die Klasse geschlüpft. Ich musste mich an Mia, Annika und Isabell an der Wand vorbeidrängeln, um zu meinem Tisch ganz hinten im Klassenraum zu gelangen. Puh! Ich hatte ganz vergessen, wie laut es immer ist, bevor der Unterricht beginnt.

Schnell habe ich mich hingesetzt und hätte fast schon aufgeatmet, aber da hat sich Aaron zu mir umgedreht und mich angeguckt. Er hat nichts gesagt, bloß so komisch geguckt. Und da wusste ich nicht, wohin ich schauen sollte.

»Du bist also Florentine Blix?«, hat Herr Jessen im selben Augenblick gefragt und mich ebenfalls angeschaut. »Ich habe schon von dir gehört.«

»Aha.« Da sitzt man also ruhig in der Klasse und tut keinem was und trotzdem haben die Lehrer schon von einem gehört.


Erst da hab ich gesehen, dass neben Herrn Jessen jemand stand, den ich nicht kannte. Ein Junge mit roten Haaren. Nicht so rötlich wie meine, sondern richtig rot. So wie Orangenblütenhonig. Oder auch wie Orangen. Also ziemlich deutlich im roten Bereich meiner Farbskala.

Was machte der hier? Und wo sollte er sitzen? In der Klasse war doch gar kein Platz mehr frei!

Herr Jessen hat uns begrüßt, aber ich habe nur auf die Schuhe des Jungen geguckt. Er hatte solche Stiefel an wie ich. Nur in Schwarz, nicht in Grün. Obwohl ja Sommer ist und in der warmen Jahreszeit glauben die meisten Leute, dass man keine Stiefel tragen soll, sondern lieber Sandalen. Aber ich mag es nicht, wenn meine Zehen vorne rausgucken.

»Wir haben einen neuen Mitschüler«, hat Herr Jessen erklärt. »Willst du dich eben mal selbst vorstellen?«

»Bo Ture Tordenskjold«, hat der Junge gesagt.

Anschließend war es kurz still im Raum. Doch viel zu schnell fingen wieder alle an zu reden: »Hä?« – »Bo – was?« – »Wie heißt der?«

»Ich heiße Bo«, hat Bo Ture Tordenskjold gesagt und dann hat er sich an den Tisch direkt vor mir gesetzt. Da saß er nun und ich musste immer auf seine orangeroten Haare gucken und auf sein verwaschenes graues Hemd, das ein kleines Loch am Rücken hatte.


Herr Jessen hat angefangen, zu erzählen und Stundenpläne zu verteilen, aber ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren. Es war viel zu laut und es hat nach Deo und nach Turnbeutel gerochen (obwohl gerade sechs Wochen Ferien waren und in der Zeit kein Sportunterricht stattgefunden hat), und draußen auf dem Schulhof haben zwei Mädchen gelacht, und jemand hat viel zu dicht vor mir gesessen und mit den Füßen geschluffelt.

Ich hab mir ja wirklich Mühe gegeben, ganz ruhig zu bleiben. Aber ich habe mich gefühlt, als würden rote Blitze durch meinen Kopf zucken. Und da hab ich mich gemeldet.

Weil Herr Jessen gerade über irgendeine Klassenfahrt gesprochen und keinen richtigen Unterricht gemacht hat, hat er das erst nach neunzehn Sekunden gemerkt. »Ja? Florentine?«, hat er dann gesagt, nur um anschließend selbst weiterzureden: »Wie wirst du eigentlich genannt? Flo? Oder Flori?«

Da haben mich schon wieder alle angeguckt, was ich genauso wenig mag, wie wenn Leute über mich lachen. »Ich heiße Florentine«, habe ich schnell erklärt, »und es geht nicht, dass Bo Ture Tordenskjold direkt vor mir sitzt. So kann ich nicht arbeiten. Er muss sich woanders hinsetzen.« Ich hab gehofft, das war jetzt nicht schon wieder so schlimm wie Petzen und anschließend sind alle wieder wütend auf mich.


Aber die meisten haben nur ein bisschen gekichert. Und Bo Ture Tordenskjold hat mich stumm angeguckt, mit Augen, die so grün waren wie die Ostsee bei gutem Wetter.

»Du tust besser, was sie sagt, Bo«, hat Nils erklärt, ohne sich vorher zu melden. »Sonst wird ihre Rache fürchterlich sein.«

Jetzt haben fast alle gelacht, und Herr Jessen hat Bo Ture gefragt, ob er sich einen anderen Platz suchen möchte.


»Aber nicht hier und nicht da!«, hab ich schnell gerufen und auf die Tische links und rechts von mir gezeigt. »Da kannst du auch nicht sitzen.«

Herr Jessen hat geseufzt. »Ich habe gehört, dass du zum Arbeiten Ruhe brauchst, Florentine. Es ist aber kein anderer Platz frei.«

»Nils und Aaron könnten etwas zusammenrücken, dann passt noch ein dritter Schüler an ihren Tisch«, habe ich das Offensichtliche erklärt.

Jetzt haben alle noch viel lauter gelacht und Bo Ture hat seine Sachen zusammengepackt und sich an den Tisch rechts von mir gesetzt.

Ich glaube nicht, dass ich mich so unklar ausgedrückt habe. Doch bevor ich mich beschweren konnte, hat Herr Jessen schon wieder geredet. »Florentine, wir versuchen es jetzt so, okay?«

Da es eine Frage war, habe ich geantwortet. »Nein, nicht okay.« Aber er hat nicht mehr reagiert.

Und dann hat Bo Ture Tordenskjold neben mir gesessen und Da habe ich mich zu ihm rübergebeugt. »Wir dürfen im Unterricht keine Smartphones benutzen«, hab ich ihm erklärt. Ich dachte, es ist besser, wenn ich das erst mal nur zu ihm selbst sage und nicht zu Herrn Jessen. Sonst bin ich vielleicht wieder eine Petze und alle sind böse auf mich.


Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er das zu würdigen wusste.

»Warum nagelst du dir nicht einfach eine Frikadelle ans Knie und drehst so lange daran, bis du den Polizeifunk hören kannst?«, hat er gefragt und dabei ist ihm eine rote Haarsträhne über eins seiner grünen Augen gefallen.

Also, das war ja jetzt wirklich so dämlich – und zwar gleich aus mehreren Gründen –, dass mir darauf keine Antwort eingefallen ist.

Da es in der Schule tatsächlich so schlimm war wie erwartet, musste ich mich später am Tag dringend noch mit Maja treffen. Es fühlt sich nämlich meistens apfelgrün an, mit ihr zusammen zu sein. Wann immer in meinem Kopf alles zu einem roten Klumpen verknäult, dröselt sie es wieder auf. Und dabei ist sie stets gut gelaunt. Ich habe noch nie so eine gute Freundin gehabt wie sie.

Maja kenne ich seit genau einem Jahr und dreihundertsiebenundfünfzig Tagen:


Gedächtnisprotokoll Florentine Blix:

8. September, 6.49 Uhr

Ich saß allein am Kopf der Mole am Yachthafen. Hinter meinem Rücken stand ein kleiner, rot-weiß geringelter Leuchtturm und auf der Mole gegenüber, auf der anderen Seite der Hafeneinfahrt, ein grün-weiß geringelter.

Es war so diesig, dass man die Ochseninseln, die in 4,3 km Entfernung vor der dänischen Küste liegen, nur schemenhaft erkennen konnte. Kein Windhauch wehte, das Wasser vor meinen Füßen war spiegelglatt.

Es war totenstill.


Daher hab ich zunächst auch nur das Schnaufen gehört, bevor die schwarze Rückenflosse kurz darauf die nebelweiße Wasseroberfläche durchschnitt. Und dann habe ich auch schon das Atemgeräusch eines zweiten Schweinswals gehört und den gewölbten Rücken mit der dreieckigen Flosse gesehen, kaum zwanzig Meter entfernt.

Ich war allein auf der Mole; im Dunst über der Förde war nicht ein einziges Boot zu erkennen. Nur ab und zu ein Schnaufen, nur die beiden Schweinswale und ich. Ansonsten Stille.

Ein guter Moment, lindgrün.

WUSSTEST DU EIGENTLICH, DASS SCHWEINSWALE AUCH KLEINE TÜMMLER ODER MEERSCHWEINE GENANNT WERDEN?

„Gaaaah!“

Erschrocken

bin ich herumgefahren.


Hinter mir, etwas

oberhalb auf der Mole,

stand ein Mädchen, so hellblond, dass es fast selbst ein Teil des Nebels zu sein schien.

„Sie sind verwandt mit den Großen Tümmlern, den Delfinen. Die ihre kleinen Brüder allerdings gern grundlos angreifen und sogar töten.“ Dann hat sie sich neben mich auf die Mole gesetzt. „Hallo. Ich bin Maja.“

Anschließend haben wir uns lange unterhalten. Nämlich darüber:


Ich weiß sehr viel über Meeressäuger – Maja aber auch. „Delfine können richtige Arschlöcher sein“, hat sie zum Schluss erklärt.

Von dem Tag an waren wir befreundet. Und ich bin sehr froh, jemanden zu kennen, der so klug ist und so viele Dinge weiß wie Maja. Jemanden, der nicht ständig nur Unsinn redet, sondern sich lieber an Tatsachen hält. Eine Freundin, mit der man sich unterhalten kann, ohne dass sie böse wird, weil man Delfine nicht süß findet.

Aber zurück zum 31. August. Als ich an diesem feuerlöscherroten Tag mittags aus der Schule nach Hause gekommen bin, wurde es noch merkwürdiger: Der Müllsack mit den Kuscheltieren war nämlich von der Hollywoodschaukel verschwunden.

Während ich noch im Garten stand und überlegt hab, was wohl passiert sein mochte, hat Papa eins der beiden Wohnzimmerfenster geöffnet. Genauer gesagt: das linke, obwohl vor dem rechten ein Fliegenschutzgitter ist. Dabei befinden sich beide Fenster direkt nebeneinander. »Suchst du was?«, hat er gefragt und dann ist eine Fliege durchs Fenster ins Haus geflogen.


Ganz ehrlich, ich verstehe meine Eltern einfach nicht.

Angestrengt hab ich versucht, die Fliege zu ignorieren. »Hast du den Sack mit meinen Kuscheltieren gesehen?«, habe ich Papa stattdessen gefragt, aber das hatte er nicht.

Aha. Das war ja höchst interessant. Sofort sind meine kriminalistischen Instinkte erwacht. Ich musste unbedingt herausfinden, was passiert war. Auch wenn ich mich noch nie für die acrylfaserbepelzten Tierimitate interessiert habe.

Doch offensichtlich war hier etwas geschehen, was einer Aufklärung bedurfte!


Florentine Blix (1). Tatort der Kuscheltiere

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