Читать книгу Florentine Blix (1). Tatort der Kuscheltiere - Alice Pantermüller - Страница 25
ОглавлениеAuch am folgenden Tag saß Bo Ture Tordenskjold wieder am Tisch rechts neben mir, viel zu nah. Das machte mich nervös. Erschwerend kam hinzu, dass wir in der ersten Stunde Französisch hatten. Ich hatte gehofft, auch in diesem Fach einen neuen Lehrer zu bekommen … allerdings nur so lange, bis Frau Flauschke den Klassenraum betrat.
»Oh«, hat Frau Flauschke gemacht, als sie Bo Ture entdeckt hat. »Wir haben einen neuen Mitschüler.«
Wir? »Sind Sie Bestandteil unserer Klasse?«, habe ich sie gefragt. Vielleicht bleibt sie ja deshalb für immer und ewig unsere Französischlehrerin: weil sie auf irgendeine Art und Weise untrennbar mit der 8c verbunden ist.
Doch die anderen haben alle nur gelacht und Frau Flauschke hat mich ignoriert. »Wie heißt du denn?«, hat sie lediglich gefragt.
»Bo«, hat Bo Ture Tordenskjold gesagt.
»Und seit wann lernst du Französisch?«
»Ich habe noch nie Französisch gelernt«, hat Bo Ture erklärt.
Da hat Frau Flauschke ihre Augen weit aufgerissen und den roten Spalt unter ihrer Nase einen Moment lang fest aufeinandergepresst. »Du … du hattest keinen Französischunterricht an deiner alten Schule?«, hat sie gefragt.
»Nein«, hat Bo Ture gesagt.
»Aber warum hast du dann nicht Latein gewählt statt Französisch?«, hat Frau Flauschke nachgehakt.
»Weil ich das auch nicht kann.«
Wieder haben meine Mitschüler gelacht. Sie haben zwischen Bo Ture und Frau Flauschke hin- und hergesehen. Ich glaube, sie fanden das Gespräch sehr interessant.
»Du hattest weder Französisch noch Latein an deiner alten Schule?«, hat Frau Flauschke dann noch mal gefragt. Noch mal!
Ich glaube, es wird so langsam deutlich, warum es die richtige Entscheidung war, die Französischstunden zu nutzen, um Dänisch zu lernen.
Leider war Frau Flauschke noch nicht fertig. »Aber was hast du dann als zweite Fremdsprache gewählt?«
»Deutsch«, hat Bo Ture gesagt.
Wieder haben alle gelacht, während ich mir ziemlich fest auf die Lippen beißen musste, um nicht zu schreien.
»Ach so, du kommst aus … aus …?« Jetzt hat Frau Flauschke ausgesehen wie ein aufgeschreckter Kranich.
»Aus Dänemark«, hat Bo Ture gesagt und aus dem Fenster gezeigt. Und zwar genau in die Richtung, in der Dänemark nicht liegt, sondern nur Wees und Munkbrarup. Wenn man natürlich seinen Arm in der Luftlinie sehr weit verlängerte, kam man irgendwann an die Südspitzen der dänischen Inseln Langeland und Lolland und letztlich bis nach Polen und sogar Vilnius, der Hauptstadt von Litauen. Zumindest wenn man die Erdkrümmung nicht berücksichtigte. Aber soweit ich es verstanden hatte, kam Bo Ture aus Egernsund an der Flensburger Förde und nicht von so weit her.
»Dann hast du also noch nie Französischunterricht gehabt«, hat Frau Flauschke jetzt fast atemlos gejapst und da wurde es mir wirklich zu viel.
»Nein, Bo Ture hat noch nie Französischunterricht gehabt«, habe ich ihr erklärt. »Es ist unnötig, dreimal nachzufragen. Damit ändern Sie nichts an den Tatsachen.«
Jetzt war das Gelächter in der Klasse so laut, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Und als es dann endlich wieder ein bisschen ruhiger war, hat Aaron zu Frau Flauschke gesagt: »Ich würde Florentine nicht weiter provozieren, sonst eskaliert sie wieder.« Anschließend wurde noch lauter gegrölt, wenn das überhaupt möglich war.
Unnötig zu erklären, dass ich noch niemals im Unterricht von Frau Flauschke eskaliert bin.
Aaron spielte nur auf eine Situation im Mai an, als ich darum gebeten hatte, das Fenster zu schließen.
Gedächtnisprotokoll Florentine Blix:
7. Mai, 10.21 Uhr
„Nur sehr ungern, Florentine. Sehr ungern. Endlich ist der Frühling da mit seinen lauen Lüften!“, hatte Frau Flauschke gerufen und so albern mit den Armen gewedelt.
„Aber in einem Baum draußen auf dem Schulhof eskaliert gerade ein Vogel“, hatte ich ihr erklärt. „Deshalb kann ich mich nicht konzentrieren.“ Ich weiß nicht, was daran so lustig war, dass ich es bis zum heutigen Tag immer wieder zu hören bekomme.
Wie ich ja bereits angedeutet habe, lerne ich im Französischunterricht kein Französisch. Abgesehen davon, dass ich Frau Flauschke nicht ertragen kann, brauche ich die Sprache in meinem weiteren Leben auch nicht.
Stattdessen lerne ich Dänisch. Ich habe mir ein Lehrbuch gekauft und eine App aufs Handy geladen. Denn als zukünftige Kommissarin bei der Mordkommission im Grenzgebiet will ich beide Sprachen sprechen können.
Allerdings ist es ziemlich schwierig, Dänisch zu lernen, wenn gleichzeitig alle anderen in der Klasse versuchen, Französisch zu sprechen. Aber noch schwieriger ist es, wie ich an diesem 1. September feststellen musste, wenn direkt neben einem jemand sitzt, der auch nicht am Französischunterricht teilnimmt. Jemand, der bereits Dänisch spricht, weil es seine Muttersprache ist. Jemand, der sich langweilt.
Ich konnte mich heute überhaupt nicht konzentrieren, weil Bo Ture nämlich
Die Französischstunde hat sich so lang hingezogen, dass es eine Qual war! Das Einzige, was ich tun konnte, war, ab und zu einen heimlichen Blick auf mein Smartphone zu werfen, um mein Häuschen zu kontrollieren. Mir war allerdings nicht wohl dabei, weil es ja verboten ist, im Unterricht aufs Handy zu schauen. Und als es dann endlich geklingelt hat, hat sich Frau Flauschke erst einmal wieder an Bo Ture gewandt, den sie die ganze Stunde über ignoriert hatte. »So geht das aber nicht weiter, Tom«, hat sie erklärt. »Entweder du nimmst am Unterricht teil oder … oder du musst in der Zeit den Klassenraum verlassen. Sag deinem Klassenlehrer, dass er dir eine sinnvolle Aufgabe geben soll.«
Da habe ich mich gemeldet.
»Ja, Valentine?«
»Es hat geklingelt«, hab ich Frau Flauschke erinnert, ohne sie darauf hinzuweisen, dass ihr mein Vorname nach einem gemeinsam verbrachten Schuljahr so langsam mal bekannt sein dürfte. »Die Stunde ist vorbei.«
Sofort wurde ihr lippenloser Mund noch schmaler. »Der Lehrer beendet den Unterricht. Das solltest du mittlerweile wissen.«
»Aber wie ist es möglich, dass alle Schüler immer pünktlich zum Stundenbeginn da sein müssen und die Lehrer Schluss machen dürfen, wann sie wollen? Das verstehe ich nicht.«
Wieder haben alle gekichert, dabei habe ich es wirklich nicht verstanden. Warum gelten ständig für alle möglichen Leute unterschiedliche Regeln – und welche Regeln muss man überhaupt befolgen und welche nicht?
Es wäre doch viel einfacher, wenn es ein Buch gäbe, in dem man alle wichtigen Regeln nachlesen könnte. Zum Beispiel auf Fragen wie:
Aber wie so häufig hat Frau Flauschke meine Frage nicht beantwortet und sich stattdessen wieder an Bo gewandt. »Also, Roy, entweder du holst das Verpasste zu Hause nach und beteiligst dich am Unterricht – oder du musst dir während meiner Französischstunden eine Tätigkeit außerhalb des Klassenraums suchen.«
Bo Ture schien über diesen Vorschlag nicht besonders unglücklich zu sein. Aber sicher war ich mir nicht – ich bin nicht so gut darin, Gesichtsausdrücke zu entschlüsseln.
Als wir endlich gehen durften, habe ich schnell erledigt, was ich mir für heute vorgenommen hatte. Unangenehme Sachen bringt man am besten gleich hinter sich, sagt Papa immer.
»Kann ich dir helfen?«, hab ich Bo Ture gefragt und dabei angestrengt auf seine Nasenspitze geguckt, die voller Sommersprossen war, so wie sein ganzes Gesicht. Das hat es ziemlich schwierig gemacht, sich auf einen einzelnen Punkt zu konzentrieren.
Doch er hat nur zurückgestarrt, mit meergrünen Augen, und diesmal konnte ich seine Mimik wirklich nicht lesen.
Ich hatte keine Ahnung, ob er gleich loslachen oder mich beschimpfen oder einfach weggehen würde.
Und da er nicht geantwortet hat, habe ich die Frage ein wenig umformuliert. »Wie kann ich dir helfen?«
»Wobei?« Jetzt hat er sein Gesicht verzogen und ich wusste nicht, weshalb.
»Das weiß ich nicht«, habe ich ihm erklärt, wobei ich mir Mühe gegeben hab, ihm weiterhin ins Gesicht zu schauen. Zumindest auf die Nasenspitze. »Das kannst nur du mir sagen. Ich kenne dich doch überhaupt nicht.«
Wieder war es kurz still. »Hold kæft«, hat Bo Ture schließlich gesagt. »Du hast doch wirklich eine Klatsche.« Und dann hat er mich stehen lassen und ist in die Pause gegangen.
Das sind die Momente, die ich nicht so gern mag. Weil ich mich dann wirklich fühle, als sei ich nicht normal. Außerdem wusste ich nicht, was Hold kæft bedeuten sollte. Ich habe es auch nicht im Online-Wörterbuch gefunden, als ich es gleich darauf gesucht hab. Daher kann ich wohl davon ausgehen, dass es sich um ein ganz besonders schlimmes Schimpfwort handelt.
Und dabei habe ich doch nur das getan, worum mich die unsichtbare Stimme gebeten hatte.
Aber wenn ich es mir so recht überlege, dann sollte man wohl lieber nicht auf das hören, was einem unsichtbare Stimmen nachts zuflüstern. Das Beste wäre wahrscheinlich, unsichtbare Stimmen einfach zu ignorieren und lieber seinem Verstand zu folgen.