Читать книгу Florentine Blix (1). Tatort der Kuscheltiere - Alice Pantermüller - Страница 20

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Keine Minute später habe ich meine Zimmertür hinter mir geschlossen und mich kurz auf mein Bett gelegt, auf die grüne Baumwolldecke.

Mein Zimmer ist der ordentlichste Raum im ganzen Haus – aber selbst das hat heute nicht gereicht. In meinem Kopf war nämlich gerade überhaupt nichts ordentlich. Vom Weckerklingeln um sechs Uhr fünfundfünfzig bis zu diesem Augenblick war bereits so viel passiert, dass es zwischen meinen Ohren nur so brodelte.

Daher brauchte ich jetzt unbedingt:

•MAJA

•MEIN HAUS

Ja, ich habe ein eigenes Haus. Oder eher: ein Häuschen. Das ist mein allergrößtes Geheimnis. Nicht mal meine Eltern und Emilian wissen davon. Und, nein, ich habe sie nicht angelogen (weil ich nämlich nicht gut lügen kann) … Ich habe ihnen einfach nur nichts von dem Häuschen erzählt.

Es liegt am Fördehang, nur hundertneunundvierzig Meter (Luftlinie) von meinem Bett entfernt. Allerdings ist es von so viel Dickicht und Gestrüpp umgeben, dass man das Wasser von dort aus nicht sieht. Selbst auf Google Maps kann man das Haus nur erkennen, wenn man genau weiß, wo es sich befindet, denn das grün bemooste Dach unterscheidet sich kaum von den Birken, den wilden Brombeerhecken und den riesigen Farnen, die das ganze Grundstück überwuchern.

Das habe ich überprüft. Mehrmals.

Außer Maja und mir weiß niemand, wie man den schmalen Trampelpfad durch die Dornen und Ranken findet. Nur ich habe einen Schlüssel für die verwitterte Haustür, die irgendwann mal genauso grün gestrichen war wie die Fensterläden, die wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten schief in den Angeln hängen.

Schon beim Gedanken an Maja und mein Häuschen wurde mir gleich wieder etwas grüner zumute. Am liebsten hätte ich sie sofort angerufen, aber leider geht das nur, wenn sie zu Hause ist. Ihre Eltern sind nämlich ziemlich altmodisch, deshalb darf sie kein Smartphone haben. Glücklicherweise lag die Wahrscheinlichkeit, dass Maja sowieso schon unterwegs zu mir war, bei ungefähr fünfundneunzig Prozent.

Und tatsächlich: Siebenundzwanzig Sekunden später hat sie an meine Zimmertür geklopft. »Huhu!«, hat sie gerufen und gegrinst und ihre blauen Augen haben mich angefunkelt. Ich habe mich gefreut und sie kurz umarmt.

Normalerweise mag ich es nicht, andere Leute zu umarmen. Aber Maja ist eine Ausnahme, und zwar weil sie sich angenehmer anfühlt als die meisten Menschen. Sie riecht auch nicht komisch, nach Parfum oder Erdbeershampoo oder so, sondern ziemlich neutral, was ich ebenfalls schätze.

»Komm, wir müssen sofort … los«, hab ich geflüstert und sie wieder aus meinem Zimmer heraus und in den Garten gewunken. Welchen Weg wir anschließend genommen haben, kann ich natürlich nicht verraten. Wie gesagt, es ist mein größtes Geheimnis.

Wir hatten unser Grundstück kaum verlassen, da hab ich Maja schon von Bo Ture erzählt und dass ich nicht weiß, wie ich dieses Schuljahr überstehen soll, wenn er immer neben mir sitzt und Geräusche macht und einfach da ist.

Sie hat kurz überlegt, wobei sie ihre Hände in die Taschen ihrer alten Jeans gestopft hat. »Ich müsste ihn kennenlernen, dann finde ich bestimmt eine Lösung, wie du ihn loswerden kannst«, hat sie gesagt, bevor sie mir von ihrem ersten Schultag nach den Ferien erzählt hat. »In meiner Klasse gibt es auch einen Neuen. Toni. Der hat sofort allen erklärt, dass er von seiner alten Schule geflogen ist, weil er den Klassenhamster gequält hat. Außerdem hat er auf dem Mädchenklo das Klopapier angezündet. Dann hat er sich direkt neben mich gesetzt und mir zugeraunt: Komm bloß nicht auf die Idee, mir auf den Sack zu gehen, sonst kleb ich dir Kaugummi in die Frisur.« Maja hat ihre langen hellblonden Haare über die Schultern geworfen und nüchtern genickt. »Sobald ich mit Toni fertig bin, fällt mir auch was für Bo Ture ein. Todsicher.«


Ich glaube, es ist klar, warum Maja meine beste Freundin ist. Sobald ich mit ihr rede, habe ich das Gefühl, dass meine Probleme gar nicht mehr so groß sind – und dass es für alles eine Lösung gibt. So gut ich im Lösen von Kriminalfällen bin, so gut ist Maja beim Lösen von Rätseln mit Menschen.

Wir waren am Park mit dem verwilderten Gebüsch und den knorrigen Birken angekommen. Nacheinander haben wir uns durch die Sträucher gezwängt, bis wir das dichte Gestrüpp erreicht hatten, das mein Haus umschließt wie die Rosenhecken das Schloss von Schneewittchen (oder wie die noch gleich hieß. Ich interessiere mich nicht so für Märchen, weil die sowieso alle nicht wahr sind).

Wie immer haben wir uns so lautlos wie möglich angeschlichen. Leider ist Maja dann auf einen Stock getreten. Es hat geknackt und sie hat leise gekichert. »So hat es sich angehört, als ich mir mal den Arm gebrochen hab.«

Vielleicht sollte das ein Witz sein. Vielleicht auch nicht. Sicherheitshalber habe ich aber auch leise gekichert. Weil man das so macht bei Witzen. Danach hab ich mich nur noch auf mein Häuschen gefreut.

Es ist nämlich der beste Ort in meinem Leben.


Direkt vor der Haustür sind wir aus dem dichten Grün hervorgekrochen, das alles überwuchert hatte, was früher mal ein Garten gewesen war. Auch an der Hauswand wachsen Efeu und wilde Ranken empor, sodass man kaum noch etwas von der braunen Holzverkleidung erkennen kann.

Ich hab sofort gesehen, dass etwas nicht stimmte. Ich bin nämlich eine sehr gute Beobachterin, trotz meiner Brille. Mein Herz hat angefangen, schnell zu schlagen. »Alarmstufe Rot!«, hab ich gekeucht.

Die Haustür und das Fenster rechts daneben waren wie immer fest verschlossen. Aber das linke Fenster stand einen Spalt offen. Einen winzigen Spalt nur – doch als ich daran gezogen hab, öffnete es sich schwerfällig und knarzend.

»Tod und Teufel!«, hat Maja gezischt. »Jemand ist hier gewesen. Schnell, schließ die Tür auf!«

Doch ich konnte mich kaum bewegen. Das durfte einfach nicht wahr sein … Jemand war in meinem Hauptquartier gewesen!

Mit zitternden Fingern hab ich die Schnur mit dem Haustürschlüssel über meinen Kopf gestreift, aber mir war so übel, dass ich ihn Maja in die Finger drücken wollte (obwohl ich den sonst nie, nie, niemals aus der Hand gebe).

Doch Maja hat den Kopf geschüttelt und ist einen Schritt zurückgetreten.

Und da hab ich den Schlüssel ins Schloss gesteckt, und obwohl es ein alter und ziemlich großer Schlüssel ist und ein altes und ziemlich großes Schloss, hat es deutlich länger gedauert als sonst, bis ich die Tür geöffnet hatte. Ich hatte furchtbare Angst, was mich drinnen erwartete. Durch die riesigen Farne und die Brombeerranken schien die Sonne, doch im Haus war es wie immer sehr still und ziemlich dunkel.

Normalerweise bleibe ich zunächst ein paar Sekunden im Eingang stehen und warte darauf, dass ich mehr erkennen kann als die beiden schiefwinkligen Lichtvierecke mit dem Kreuz in der Mitte, die die Sprossenfenster auf die Holzdielen werfen. Jedes Mal atme ich als Erstes tief durch. Das ist sonst immer ein sehr grüner Moment.

Aber heute hab ich ungeduldig in die Dunkelheit geblinzelt. Mein Herz hat mir noch immer bis zum Hals geschlagen.

»Jemand ist hier gewesen«, hat Maja dicht hinter mir wiederholt und dann gefragt: »Willst du nicht das Licht anmachen?«

Ach ja, stimmt. In diesem Haus gibt es Strom. Das vergesse ich manchmal, weil ich das Dämmerlicht so gern mag. Ich kann alles sehen, ohne gesehen zu werden. Aber jetzt habe ich doch lieber den Kippschalter neben der Tür mit einem Klack hinuntergedrückt.

Die Deckenlampe ist kugelrund, mit einem bräunlichen Stoff bezogen und hängt direkt über dem massiven Schreibtisch aus dunklem Holz, der mitten im Raum steht. An die Wände auf beiden Seiten drängen sich ein altmodisches Sofa und zwei Stühle, ein Regal und eine Kommode. Mehr Möbel gibt es nicht und auch keine Zierdeckchen oder Bilder oder so – und das ist auch gut, denn auf diese Weise bleibt der Raum sehr übersichtlich.

Alles war genauso ordentlich und aufgeräumt, wie ich es hinterlassen hatte.

Und trotzdem. »Jemand ist hier gewesen«, hab ich gekrächzt, obwohl ich es doch überhaupt nicht leiden kann, wenn Leute die offensichtlichsten Dinge ständig wiederholen müssen. Vorsichtig bin ich an meinen Schreibtisch herangeschlichen. »Und vielleicht ist die Person noch immer hier.«

»Nein«, hat Maja mit solch einer Sicherheit gesagt, dass ich ihr sofort geglaubt hab.

Trotzdem war etwas anders.

Der Ordner mit den Cold Cases hatte unter dem Ordner mit den aktuellen Fällen gelegen, als ich das Haus zum letzten Mal verlassen hatte. Jetzt lag er oben. Und er war verschoben.



Wie betäubt habe ich mich um den Tisch herumgeschoben und mich auf den ausladenden Stuhl dahinter fallen lassen. Ein Geräusch hat meine Konzentration gestört, aber es hat mehrere Sekunden gedauert, bis ich begriffen hab, dass es mein eigener Atem war. Ich habe ziemlich laut geschnauft.

Maja hat sich in der Zwischenzeit im Raum umgeschaut, allerdings mit halb geschlossenen Augen. So als würde sie etwas wittern.

Vorsichtig habe ich die dünnen Handschuhe aus einer der Schreibtischschubladen geholt, damit ich keine Fingerabdrücke zerstöre, und mit zittrigen Händen meine Ordner durchgeblättert.


Es fehlte nichts. Auch meine Polizeihandbücher standen ordentlich im Regal neben Kriminalistik für Anfänger und Kriminalistik für Fortgeschrittene von Dr. Wolf Jakubowski. Meine Ermittlungsunterlagen und selbst die Ausrüstung waren vollständig. Niemand hatte etwas vom Fingerabdruckpulver verstreut oder mit der Luftpumpe oder meinem Gummiknüppel (ein Geburtstageschenk von Emilian. Leider ist er aus minderwertigem, viel zu weichem Material) eine Scheibe zerschlagen. Selbst alle wertvolleren Gegenstände wie etwa meine Fotokamera waren noch da.


»Wer immer es war«, hat Maja gesagt, »er hat versucht, keine Spuren zu hinterlassen.« Dann hat sie einen Blick in die Küche geworfen, die von der hinteren Wand des Zimmers abging, neben dem Bad.

»Was ihm aber nicht gelungen ist.« So langsam bin ich wütend geworden. Und das war nicht das Schlechteste, weil die Wut das Durcheinander in meinem Kopf immer weiter zurückgedrängt hat. »Wir haben es hier nicht mit Vandalismus zu tun. Das ist einerseits gut – aber anderseits weiß ich nicht, ob das wirklich besser ist als eine Person, die mein Haus betritt und in MEINEN ORDNERN RUMWÜHLT.«


Maja stand zwischen mir und einem der Fenster und ihre hellblonden Haare haben in der Sonne geleuchtet.

»Und was unternehmen Sie jetzt, Blix?«, hat sie gefragt, aber dabei ein bisschen gegrinst, was mich etwas geärgert hat, weil ich die Situation überhaupt nicht lustig fand.

Im Gegenteil, es war die absolute blutrote Katastrophe!


»Ich werde Spuren sichern, Hagelstein«, hab ich geschimpft. »Vor dem Haus Sohlenprofile überprüfen – ich hoffe nur, wir haben nicht aus Unwissenheit schon zu viel zertrampelt – Fingerabdrücke nehmen … Und dann werde ich Fallen stellen. Vor allem das Fenster muss präpariert werden, damit der Einbrecher beim nächsten Mal deutliche Spuren hinterlässt … Ich … ich werde mein Hauptquartier überwachen …« Dabei hab ich mich im Sessel umgedreht und auf ein Loch oberhalb der Küchentür gezeigt, wo der Putz abgeblättert war und mehr als ein Ziegelstein fehlte. »Dort werde ich meine Überwachungskamera anbringen und dann übers Smartphone kontrollieren, ob jemand noch mal unbefugt das Haus betritt.«



Das mit dem Smartphone habe ich extra gesagt, um Maja etwas zurückzuärgern. Sie darf ja wegen ihrer Eltern keins haben.

»Und wenn Sie dann herausgefunden haben, wer der Unbefugte ist, Blix?«, hat Maja weitergefragt, ohne eine Miene zu verziehen. Sie lässt sich nämlich nicht so leicht ärgern.

»Dann … denke ich mir was aus, damit er mein Haus nie wieder betritt. Und zwar mit Ihnen zusammen. Schließlich haben Sie immer die besten Ideen, Hagelstein«, hab ich geantwortet. Weil das der Wahrheit entspricht und weil meine Polizeiarbeit noch effektiver geworden ist, seitdem ich zusammen mit Maja ermittele.

Und als sie jetzt gegrinst hat, musste ich auch ein bisschen lächeln. »Worauf warten wir denn noch, Blix?«

Ich bin von meinem Stuhl gesprungen und dann haben wir gemeinsam die Überwachungskamera in dem Loch in der Wand angebracht.

Florentine Blix (1). Tatort der Kuscheltiere

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