Читать книгу Traumexpress - Alicia Frick - Страница 17
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ОглавлениеNachdem Jakob von seinem Kinderarzt die Gesundheitsbestätigung erhalten hatte, meldete ihn Stefanie in der Regenbogen-Kita an. Ein Kind ist gerade umgezogen, dadurch ist spontan ein Platz frei geworden. Heute ist Jakobs erster Tag und sichtlich unbeeindruckt folgt er seiner Mutter durch den Flur, in dem die Jacken und Schuhe der Kinder aufbewahrt werden. Der Flur wirkt hell durch die großen Fenster, die Ausblick in den angrenzenden Garten schenken. Die Wände sind bunt beschmiert mit kleinen Handabdrücken, beklebt mit Fotos und dekoriert mit Luftschlangen und lauter Dingen, die glücklich machen sollen: Luftballons an den Decken, Sonnenlampions und gebastelten Smileys. Die Schränke sind mit verschiedenen Farben und den Namen der Kinder angemalt.
Der Kindergarten betreut nur zwei Gruppen, dafür umso mehr Mitarbeiter, die sich um die Schützlinge kümmern. Jakob wird von einer Erzieherin mit braunen Haaren und runder Brille begrüßt und wird mit seiner Mutter gebeten, im morgendlichen Kreis Platz zu nehmen.
„Hallo Jakob. Bitte setz dich doch zu uns in den Stuhlkreis. Wir begrüßen uns jeden Morgen, indem wir ein Lied singen und so den gemeinsamen Tag beginnen.“
Der Gruppenraum ist überschaubar. In jeder Ecke gibt es ganz unterschiedliche Spielsachen zum Entdecken. Am Fenster steht ein kleines Aquarium, in dem bunte Fische schwimmen. Einen Spielteppich mit Straßen und Häusern darauf gibt es auch. Ein Sofa, viele Schränke und eine Spielküche. Alles was das Kinderherz begehrt.
Stefanie setzt sich im Schneidersitz auf ein freies Kissen und Jakob platziert sich direkt neben sie.
„Liebe Kinder, ich wünsche uns einen wunderschönen guten Morgen. Heute möchte ich euch Jakob vorstellen, der ab sofort mit euch in dieser Gruppe jeden Tag seine Zeit verbringen wird.“
Während die Erzieherin das sagt, werden ihre Worte von einer wilden Gestik begleitet.
„Vielleicht ist es ein bisschen irritierend für dich, Jakob, wenn ich mit meinen Händen mitspreche. Wir haben hier ein gehörloses Mädchen in der Gruppe. Damit sie mich verstehen kann, übersetze ich ihr alles in Gebärdensprache.“
Jakob nickt nur und schaut der jungen Erzieherin bei ihren Handbewegungen zu.
„Jetzt singen wir alle zusammen ein Begrüßungslied für Jakob und heißen ihn willkommen.“
Die Gruppe beginnt zu singen und ein Mädchen steht auf und dreht sich im Kreis. Als das Lied beendet ist, faltet die Erzieherin ihre Hände vor dem Oberkörper und verbeugt sich. Dies erinnert an eine Yoga-Technik, die Dankbarkeit ausdrücken soll.
„So ihr Lieben. Jetzt machen wir eine kleine Vorstellungsrunde, damit Jakob eure Namen kennenlernen kann. Finn, möchtest du beginnen?“
Ein Junge in Jeans und T-Shirt steht lässig auf, nickt eifrig und beginnt zu erzählen: „Mein Name ist Finn. Ich wohne hier ganz in der Nähe und meine Lieblingstiere sind Meerschweinchen. Davon haben wir zuhause vier. Ich bin sechs Jahre alt und komme nächstes Jahr in die Schule.“
Die Erzieherin lobt ihn: „Sehr gut gemacht, Finn. Wer möchte als nächstes?“
Finn setzt sich zufrieden wieder auf sein Kissen. Seine blauen Augen leuchten.
Es meldet sich ein weiterer Junge, der etwas kleiner ist als Finn. Er trägt schicke Hosen und dazu ein kariertes Hemd mit Hosenträgern. Sein Mittelscheitel ist komisch anzusehen. Als er seine Brille zurechtgerückt hat, steht er auf und berichtet: „Ich bin Alexander. Ich habe Angst vor Tieren, deshalb haben wir auch keine zuhause, außer die Schmetterlinge im Garten, die so schön bunt sind. Jeden Tag kommen uns andere besuchen und ich hüpfe ihnen hinterher. Ich bin vier Jahre alt und meine Schwester ist schon groß.“
„Super Alex. Setz dich wieder.“
Die junge Frau zeigt auf das Mädchen mit ihren zwei geflochtenen Zöpfen. Sie stellt sich ebenfalls hin und kommuniziert über ihre Hände. Die Erzieherin übersetzt für alle anderen: „Ich bin Wilma und kann nicht hören. Ich liebe Pferde und gehe gerne reiten. Leider habe ich noch nie hören können, wie sie wiehern, aber wenn ich träume, kann ich es hören.“
Wilma setzt sich zufrieden wieder hin und hält eine Hand mit ihren fünf Fingern gestreckt in die Luft.
„Das heißt, dass sie fünf Jahre alt ist. Genau wie du Jakob. Übrigens tanzt Wilma immer, wenn wir singen, auch wenn sie die Musik gar nicht hören kann.“
Stefanie ist beeindruckt von dem kleinen lebenslustigen Mädchen und lächelt ihr freundlich zu.
„Möchtest du uns zeigen, wen du mitgebracht hast?“
Die Frage ist an Jakob gerichtet.
Während er auf den Boden schaut, zeigt er erst auf seine Mutter, dann auf seinen roten Drachen und das grüne Krokodil. Die Erzieherin bittet Stefanie sich ebenfalls vorzustellen.
„Ich bin Stefanie, die Mama von Jakob. Ich begleite ihn heute zu seinem ersten Tag hier bei euch und ansonsten unternehme ich gerne Spaziergänge mit meinem Sohn, auf denen wir immer neuen Tieren begegnen.“
„Super, vielen Dank. Dann stehen wir jetzt alle auf, räumen unsere Kissen in den Schrank und frühstücken gemeinsam. Heute gibt es Waffeln mit Erdbeeren.“
Alle Kinder befolgen die Anweisungen und Jakob schaut ihnen dabei zu. Das gehörlose Mädchen hebt das Kissen des Jungen ebenso wie ihr eigenes auf und räumt es zu den anderen in den Schrank. Jakob will sich irgendwie bedanken, weiß aber nicht wie und schenkt ihr ein breites herzliches Lächeln. Wilma lächelt zurück und zeigt Jakob, wie er Danke sagen kann: Sie legt ihre Hand ans Kinn, mit dem Handrücken nach vorne, führt diese ein Stückchen nach unten und formt mit ihren Lippen das Wort Danke. Jakob probiert es nachzumachen. Wilma versteht schon, was er versucht und sie scheint sich darüber zu freuen, denn sie lächelt wieder.
Erstaunt wendet Stefanie ihren Blick der Erzieherin zu: „So gelächelt hat er zuletzt als Baby.“
Finn sitzt bei den Autos auf dem Teppich, Alexander malt etwas am Tisch und Stefanie weiß gar nicht wohin mit sich. Die Erzieherin beginnt eine Unterhaltung mit ihr. Sie stellt sich als Kristin vor und erklärt, dass heute ein Kind fehlen würde. Es dürfe wegen des Geburtstages seines Vaters zuhause bleiben. Die zweite Erzieherin, die normalerweise auch in der Gruppe tätig ist, sei krank.
„Wissen Sie, Stefanie, wir versuchen die Gruppen der Kinder so zu gestalten, dass sich die Jüngeren etwas an den schon Älteren orientieren können und wir gleichzeitig mehrere Kinder im gleichen Alter betreuen. Unser Ziel ist es immer, dass alle Kinder später auf eine Regelschule gehen können und dort auch den Anforderungen nachkommen. Wenn sie im gleichen Alter sind, haben sie gute Chancen zusammen in die Grundschule gehen zu können. So kennen sie schon mal mindestens einen Schüler und fühlen sich nicht ganz einsam. Mit den Grundschulen hier sind wir in engem Austausch und stehen auch danach den Lehrern noch beratend zur Seite, wenn sie die Kinder erst einmal kennenlernen müssen.“
Stefanie nickt ihr anerkennend zu. Dieses Konzept ist durchdacht. Wäre schön, wenn Jakob im nächsten Jahr so große Fortschritte bewältigt, um auf eine Regelschule gehen zu können.
Jakob zeigt Wilma seine mitgebrachten Stofftiere und die kann gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Ansonsten musste sie immer alleine spielen, denn die anderen Kinder scheinen sie einfach zu übersehen. Stefanie beobachtet ihren Sohn und ist überglücklich ihn so zu sehen. Vielleicht versteht er sich genau deshalb mit Wilma, weil sie eben nicht spricht.
Als ein paar Stunden mit Spielen, Essen und Singen vergangen sind, kommen alle Eltern, um ihre Kinder abzuholen. Die Eltern von Alexander sammeln ihn ein und sind gleich wieder verschwunden. Kristin erzählt Stefanie, dass sein Vater Physiker ist und seine Mutter Schulsekretärin. Stefanie muss sich ein Lachen verkneifen, als sie Alexanders Vater Leonhard zum ersten Mal betrachtet: Er sieht aus wie sein Sohn, nur in groß. Oder Alexander wie sein Vater, nur in klein? Kariertes Hemd, Hosenträger, schicke Hose, Lackschuhe und Aktentasche unterm Arm. Die dazugehörige Frau Sandra läuft mit Rock, T-Shirt und zu hohen Schuhen herum.
Finns Oma ist gekommen, um ihn nach Hause zu begleiten und begrüßt den Neuen in der Gruppe: „Hallo. Du musst neu sein. Ich bin Evelyn. Einen schönen Nachmittag wünsche ich euch allen zusammen.“ Eine sympathischere und hübschere Oma hätte sich niemand wünschen können. Ein bisschen ähnelt sie der Schauspielerin Debra Mooney, die Evelyn Hunt in Grey’s Anatomy verkörpert. Sie trägt ihre grau glänzenden Haare in einem schulterlangen Bob und ihre Augen blühen sofort auf, wenn sie ihren Enkel sieht. Sie ist eine tolle Großmutter und kümmert sich liebevoll um Finn, wenn seine Eltern Susanne und Thorsten mal wieder zu sehr mit ihrem neugeborenen Sohn beschäftigt sind, was in letzter Zeit ständig so ist. Finn sollte in diesen Kindergarten kommen, um zu lernen mit behinderten Kindern umzugehen. Seine Eltern sind der Meinung, er würde seinen kleinen Bruder so besser akzeptieren. Anstatt Finn zu vernachlässigen, hätten sie ihn viel früher an der Schwangerschaft teilhaben lassen müssen.
Übrig geblieben ist Wilma, deren Eltern gerade durch den Türspalt zu sehen sind und heftig winken, um ihre Tochter zu begrüßen. Sie winkt zurück und fordert Jakob auf, mit ihr an die Tür zu gehen. Sie gestikuliert wild vor den Augen ihrer Eltern und Kristin erklärt Jakob, dass sie ihnen gerade von ihm erzählt. Wilmas Eltern sind ein hübsches junges Paar. Rebekka trägt ein Sonnenblumen-Kleid, welches zu ihren langen braunen Haaren passt und Sven kommt sportlich mit Jeans und T-Shirt. Sie freuen sich Jakob kennenzulernen: „Du bist also Jakob. Schön dich zu sehen. Wilma hat noch nie mit Kindern in einem Kindergarten oder auf dem Spielplatz gespielt. Sie wurde einfach übersehen… Schön, dass du in ihre Gruppe gekommen bist.“
Stefanie kommt dazu und ist überrascht: „Sie können ja sprechen. Entschuldigen Sie meine Verwunderung. Ich dachte, Sie können auch nicht hören.“
„Keine Ursache. Das denken viele, die uns noch nicht kennen. Wir freuen uns, dass Wilma sich so gut mit Jakob zu verstehen scheint. Vielleicht können wir ja mal nach dem Kindergarten etwas zusammen unternehmen“, schlägt Sven vor.
„Das wäre bestimmt schön, aber ich denke heute hat Jakob genug neue Eindrücke erhalten. Wir sollten nach Hause gehen und uns alle etwas ausruhen.“
Rebekka entgegnet verständnisvoll: „Oh ja, natürlich. Wir sehen uns sicherlich beim Abholen der Kinder nun öfter. Morgen Nachmittag sind wir auf dem Reiterhof. Vielleicht gefällt es Jakob dort auch und unsere Kinder freunden sich noch mehr an.“
„Wir waren dort vor ein paar Tagen, als wir zufällig die Reitlehrerin kennenlernten. Jakob hat Tiere offensichtlich sehr gerne und mal sehen, wohin uns der Wind morgen weht.“
Stefanie lächelt zufrieden und zusammen verlassen alle Eltern mit ihren Kindern das Gelände und finden ihren Weg nach Hause.