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Kapitel 2

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„Entschuldigen Sie, ist hier noch frei?“

Ein Zittern durchfährt mich und reflexartig hebe ich meinen Rucksack auf den Boden.

„Ich wollte Sie nicht erschrecken. Entschuldigung.“

„Setzen Sie sich.“

„Wo fahren Sie hin?“

Ich rolle mit den Augen und antworte nur kurz: „Meine beste Freundin besuchen.“

Hoffentlich fällt ihm auf, dass ich keine Gegenfrage gestellt habe, denn ich hasse Small-Talk. Meine Augen schließen sich wieder von selbst und ich spüre die Blicke des Unbekannten auf mir.

Ich träume mich wieder zu Jakob und seiner Mutter, die noch gar keinen Namen hat. Ich taufe sie Stefanie.

„Ich werde mir einen Kaffee holen. Möchten Sie auch etwas?“

Hat der Typ nichts Besseres zu tun, als mit einer fremden Frau zu quatschen, deren Augen geschlossen sind?

„Ein Brötchen mit Tomate-Mozzarella und ein stilles Wasser, bitte. Danke.“

„Wie die Dame wünscht.“ Er dreht sich von mir weg und läuft entschlossen in Richtung Bord-Bistro. Ich kann nicht einmal erwidern, dass das eigentlich ein Witz war. So würde ich zumindest etwas zu essen bekommen.

Es lohnt sich nicht, mich zu Jakob und seiner Mutter Stefanie zu beamen. Das Bord-Bistro ist nur einen Waggon von uns entfernt. Solange keine Menschenmasse ansteht oder der fremde Typ eine Großbestellung aufgibt, müsste er gleich zurück sein.

Genauso ist es auch. Stolz überreicht er mir mein gewünschtes Brötchen und stellt das Wasser auf dem Klapptisch ab.

„Vielen Dank. Was schulde ich Ihnen?“

Ich gebe meinen Blick.

„Die nächste Runde übernehmen Sie.“

„Die nächste Runde? Wie viel wollen Sie denn essen?“

„Bis ich in Kiel ankomme. Wissen Sie, ich werde meine Schwester besuchen.“

„Na dann. Guten Appetit.“

Beide gleichzeitig beißen wir herzhaft in unsere Brötchen. Soweit ich es erkennen kann, ist auf seinem Salami.

Er streckt mir sein Brötchen entgegen: „Wollen Sie probieren?“

„Nein, danke. Ich bin Vegetarierin.“

„Oh. Sorry.“

„Konnten Sie ja nicht wissen.“

Wir schweigen eine Weile, bis wir aufgegessen haben und der Arme meint wohl immer noch, ich bin an einer Unterhaltung mit ihm interessiert.

„War lecker, oder?“

Ich nicke nur und schließe wieder die Augen. Kaum habe ich überlegt, wo Jakob und seine Mutter gerade sind, stöhnt neben mir ein gewisser Herr in meine Ruhe hinein.

„Scheiß Weiber“, regt er sich auf und stopft sein Handy zurück in die Hosentasche. Ich starre ihn verständnislos an.

„Entschuldigung. Nicht Sie“, erklärt er mir.

Ich drehe mich wieder weg, aber anscheinend hat der Fremde Redebedarf.

„Meine Freundin und ich wohnen noch nicht lange zusammen. Ich hatte mir das echt schöner vorgestellt. Wir haben eine kleine Dachgeschoss-Wohnung, die sie fast ohne mich eingerichtet hat. Jetzt ist alles rosa und beige. Ich bin keinen Tag von zuhause weg, schon bekomme ich ständig Nachrichten von ihr. Wo ich denn die Post hingelegt hätte oder ihr Rasierer wäre. Sie beschuldigt mich wegen jeder Kleinigkeit.“

„Das habe ich mir schon gedacht.“

„Wie bitte?“

„Ich habe Sie am Bahnhof beobachtet. Sie haben wütend auf Ihr Handy eingeschlagen. Ich tippte auf einen Streit mit der Freundin.“

„Was Sie nicht alles sehen.“

Meine Augen. Ich will sie schließen. Wie erwartet hält mich jemand auf.

„Sind Sie müde, weil Sie ständig Ihre Augen zumachen?“

„Wenn ich ja sage, lassen Sie mich dann schlafen?“

„Möglich.“

Diesmal verdrehe ich die Augen direkt vor seinem Gesicht und lehne mich in meinem Sitz in die entgegengesetzte Richtung. Weg von ihm. Angelehnt an meine Jacke und mit einem Schal im Nacken, lasse ich Jakob und Stefanie Pläne schmieden, was sie mit dem angefangenen Nachmittag noch anstellen wollen. Meine Gedanken schweifen ab.

Ich bin tatsächlich etwas eingeschlafen und werde von einem verschmitzten Lächeln empfangen.

„Die humorvolle Lady ist ja wirklich müde.“

„Sie sind ja immer noch hier. Haben Sie noch nicht die Flucht ergriffen, um meinem Sarkasmus den Rücken zu kehren?“

„Offensichtlich nicht.“

Zum ersten Mal gebe ich ihm eine Chance und betrachte ihn näher. Anscheinend nimmt er meinen Humor mit Humor. Er ist schlank, aber nicht durchtrainiert. Ein sympathisches Gesicht trägt er mit sich herum, wenn er nicht gerade wütend ist. Im Moment bedeckt eine Mütze seinen Kopf. Und zwar nur seinen Kopf, nicht seine Ohren. Sowas habe ich ja noch nie gesehen. Wofür setzt man sich denn eine Mütze auf, wenn man nicht seine Ohren wärmen möchte? Unter der Mütze blitzen ein paar kurze schwarze Haare hervor. In seinen großen, dunklen Augen könnte man sich verlieren. Sie werden umrahmt von schwarzen wuscheligen Augenbrauen. Wo wird man nur hingelangen, wenn man diese Augen eine Ewigkeit bestaunt? Seine Lippen sind blassrosa und sehr schmal. Aber diese Augen…

Zum Glück unterbricht er mich: „Nikolas.“

„Was?“

„Mein Name ist Nikolas und wie heißt meine reizende Sitznachbarin?“

„Abby.“

Er lächelt und schaut an mir vorbei zum Fenster. Ich kann mein Plappermaul nicht mehr halten: „Gerade habe ich geschlafen, aber eigentlich schnappe ich Dinge auf, die ich durchs Fenster gesehen habe und denke mir dazu eine Geschichte aus.“

Sein Blick wandert zu mir.

„Das klingt spannend. Was hast du aufgeschnappt?“

„Ein Kind in einem Kinderwagen am Stadtrand. Seine Mutter war über den Kinderwagen gebeugt.“

„Und dazu hast du eine Geschichte erfunden?“

„Nicht erfunden. Woher willst du wissen, dass sie nicht zu einem Teil stimmen könnte?“

„Du bist also allwissend?“

„Sehr witzig. Nein.“

„Erzähl mir von der Geschichte mit dem Jungen und seiner Mutter.“

Ich schaue ihn fragend an, um eine weitere Bestätigung seiner Bitte zu erhalten und die bekomme ich: Er setzt sich tiefer in seinen Sitz, rutscht zu mir herüber und stellt seinen Ellenbogen auf der Armlehne ab. Er schaut erwartungsvoll in meine Augen. Ich erzähle ihm von Jakob und seiner verzweifelten Mutter, die meiner Meinung nach ihrem Kind etwas mehr Liebe und Zuwendung schenken könnte. Als ich mit dem Arztbesuch ende, öffnet sich Nikolas Mund.

„Wow. Und wie geht es weiter? Was hat der Junge?“

„Soweit bin ich noch nicht.“

„Oh. Schau mal. Eine Kuhweide.“

Nikolas zeigt mit seinem Finger zum Fenster. Eine große Wiese und mindestens zehn grasende Kühe stehen glücklich dort und kauen vor sich hin. Nur eine Kuh in näherer Ferne hat zu uns gesehen, ehe wir an ihr vorbeigerauscht sind.

„Diese Kuh können wir in meine Geschichte einbauen.“

„Eine Kuh?“

„Ja. Stefanie und Jakob müssen sich überlegen, was sie am Nachmittag noch erleben wollen. Sie könnten einen Bauernhof besichtigen, der Kühe hat.“

„Super Idee. Aber momentan stehen sie doch wieder vor der Arztpraxis. Jakob hat begonnen zu weinen, oder?“

Ich nicke, fordere Nikolas dazu auf, die Augen zu schließen und flüstere ihm den weiteren Verlauf meiner Geschichte ins Ohr. Schließlich will ich nicht das ganze Zugabteil mit meiner Unterhaltung stören.

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