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Einleitung Mein unordentliches Ich
ОглавлениеWeiße Zähne, originelle Kuchen und Brautkleider. Google glaubt, dass ich das suche, wenn ich »Perfektion« eingebe. Wenn ich nach »perfekt« suche, nimmt die Suchmaschine an, dass ich Linguini mit Krebsfleisch kochen oder vielleicht mein Wochenende mit dem eines Profi-Radsportlers oder einer Schauspielerin vergleichen möchte. Marks & Spencer versuchte kürzlich, uns seine Kleidung mit Slogans wie »Perfekt gekleidet«, »Perfekte Eleganz« mit einem »Perfekt designten« Kleidungsstück zu verkaufen.
Von überall werden wir mit Botschaften bombardiert, die uns auffordern, nach Perfektion zu streben: in unserem Aussehen, unserem Zuhause, unserem Leben allgemein. Die Werbung verführt uns dazu und wir vergleichen uns und unser Leben mit anderen. Wir nehmen uns diese Botschaften zu Herzen – und erinnern uns zudem dunkel daran, dass Jesus denen, die ihm nachfolgten, sagte: »Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist!« (Matthäus 5,48).
Das ist der Moment, in dem wir anfangen zu verzweifeln – oder einfach aufgeben.
Ob im Büro, in der Schule oder in der Gemeinde, alle anderen scheinen so perfekt zu sein. Nur ich nicht. Sie hat heute Morgen ihre Haare so elegant gestylt und alle Unterlagen für die Besprechung vorbereitet. Ich dagegen sehe meinen Schreibtisch kaum und konnte meine Haarbürste nicht finden, bevor ich aus dem Haus ging. Ihre Kinder benehmen sich so anständig und bringen riesige selbstgebaute Pyramiden für das Projekt »Das alte Ägypten« in die Schule. Meine kabbeln sich ständig und die Mumienskizzen haben wir zu Hause auf dem Esstisch liegen lassen. Andere Gemeinden haben lebendige Worship-Bands, keine schlechten CDs mit sonderbaren Instrumentalzwischenspielen mitten in den Songs. Und ihre Pastoren halten sich immer an die vorgesehene Zeit, vergessen nie ihre Notizen und bringen niemals die Namen der Täuflinge durcheinander. Ich sehe mir eine Kochshow an und bekomme Anflüge einer Depression beim Gedanken an die Würstchen mit Kartoffelbrei, die ich heute zum Mittagessen geplant hatte. Schon wieder. Vielleicht sollte ich dazu Rotweinsoße und Toskanische Pommes machen? Zum Weihnachtsgottesdienst mag ich keine Mince Pies mitbringen, weil mein Gebäck immer matschig wird. Und wenn es nicht selbstgemacht ist, ist es nicht gut genug. Alle anderen stellen alles selbst her, sogar die Füllung. Und ihre Kuchen sehen aus, als könnten sie den Hauptpreis bei der Back-Casting-Show Das große Backen gewinnen. Perfektion existiert; das Problem ist, dass ich sie noch nicht erreicht habe.
Perfektion existiert;
das Problem ist,
dass ich sie noch nicht
erreicht habe.
Ich muss nur einen Blick in meine Handtasche werfen, um zu erkennen, wie weit ich von diesem Ideal entfernt bin: Neben den wichtigsten Dingen, wie Geldbeutel, Schlüssel, Handy und Terminplaner finde ich eine leere Packung Malteser Bonbons und ein kleines in Folie verpacktes Schokoladenei, das von Ostern übrig geblieben sein muss. Außerdem befinden sich dort einige Programmzettel aus dem Gottesdienst vom letzten Monat, ein paar alte Predigtnotizen, die vor Wochen herausgerissene Rätselseite einer Zeitung, ein abgelaufener Gutschein für ein Sportgeschäft, Informationen über Ferienschwimmkurse für Kinder und eine Einkaufsliste mit Dingen, die längst gekauft sind. Ich finde außerdem meinen Reisepass, der eigentlich sorgsam verwahrt werden sollte, und ein Happy Families Kartenspiel, das ich letzte Woche für die Kinder gekauft und prompt wieder vergessen habe.
Meine Handtasche ist ein chaotischer Mix aus Ordnung und Unordnung: Sie enthält Dinge, die ich brauche, und überflüssiges Zeug, das ich nicht brauche. Neben Alltagsnotwendigem findet sich darin Müll, der direkt in die Tonne gehört. Und das betrifft nicht nur meine Handtasche. Das Chaos – sowohl das physische als auch das in meinen Beziehungen – erstreckt sich auf mein gesamtes Leben. Ich scheine mein Leben lang entweder aufzuräumen oder darüber nachzudenken, dass ich unbedingt aufräumen sollte. Und wenn ich mit meinen Freunden spreche, stelle ich fest, dass es nicht nur mir so geht. Viele kämpfen damit, genau wie ich. Ganz egal, wie gut wir unsere Handtaschen in Ordnung halten, fantastische Linguini mit Krabben kochen und perfekte Wochenenden organisieren, wir werden doch feststellen müssen, dass in unserem Zuhause, unserer Gemeinde, unserem Umfeld und unseren Beziehungen immer irgendetwas schiefläuft.
Und eigentlich ist uns auch bewusst, dass in jedem anderen Menschen auf Erden ebenfalls ein gewisses Durcheinander herrscht, gleichgültig, wie gut versteckt es sein mag. Tatsächlich ist es so, dass unser chaotisches Leben unser unaufgeräumtes Herz reflektiert. Mein Herz ist ein geistliches Chaos und aus diesem Grund ist auch der Rest meines Lebens nicht perfekt. Aber die gute Nachricht ist, dass wir mit unseren chaotischen Herzen in einer chaotischen Welt leben können, wenn wir uns bewusst ist, dass wir Kinder eines vollkommenen und liebenden Vaters im Himmel sind, der unsere Schwächen kennt: »Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollkommen« (2. Korinther 12,9).
Ich möchte uns also ermutigen: Gerade durch unser chaotisches Leben kann Gottes vollkommene Kraft sichtbar werden. Seine Kraft wird erkennbar, wenn er aus unserem Versagen Gutes hervorbringt. Sie wird erkennbar, wenn er unser Herz verändert. Wenn ich staubsaugen muss, aber schon den Gedanken daran nicht ertragen kann, gibt er mir Kraft. Wenn ich einen Telefonanruf machen muss, um mich zu entschuldigen, und Angst davor habe, dann reicht seine Kraft dafür aus. Wenn er mich in einem Gottesdienst, in dem es von Rückkopplungen wimmelt, etwas über sich lehren will, ist sein Geist dazu fähig. Wenn er uns in den Himmel bringen will, wird er seine Absicht nicht von unserem Durcheinander und unseren Schwierigkeiten durchkreuzen lassen. Wir müssen uns vom Chaos nicht besiegen lassen. Denn er ist genug.
Treu ist er, der euch beruft; er wird es auch tun.
(1. Thessalonicher 5,24)
Amanda Robbie
Mai 2013