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Eine miese Falle

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Tag 12

Nördliche Wälder, Minnesota

Fast zwei Wochen waren seit Hannahs Ankunft vergangen, und sie fühlte sich mittlerweile pudelwohl in der Hütte. Auf ihrem zweiten Ausflug in die Stadt hatte sie weitere Gerätschaften erworben, die ihr das Leben angenehmer gestalteten, hauptsächlich für die Küche. Außerdem hatte sie sich zwei warme Decken besorgt, da die Nächte langsam schon kühler wurden.

Bereits nach wenigen Tagen fand sie ihren Rhythmus. Morgens erledigte sie die Hausarbeit und wanderte dann los. Das Wetter hatte bisher mitgespielt, so dass sie ausreichend Gelegenheit fand, ihren Skizzenblock zu füllen. Auf jeder ihrer Wanderungen hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein, doch immer noch konnte sie keinen richtigen Blick auf das geheimnisvolle Tier werfen.

An diesem Tag war sie ehrlich gespannt, ob sich das heute ändern würde. Wie immer schloss sie morgens die Hütte hinter sich ab und lief mit dem Rucksack auf dem Rücken los.

Doch anders als sonst blieb sie neben dem Wagen stehen und stieg ein. Ohne zu zögern, startete sie und fuhr los.

Eine halbe Stunde später bremste sie auf einem Seitenweg und parkte den Wagen so, dass er gut gesehen werden konnte, aber niemanden behindern würde. Dann wanderte sie los.

An diesem Tag lief sie wieder auf unbekanntem Gebiet und musste sich neu orientieren, aber das war ja auch ihre Absicht gewesen.

Mit wachen Sinnen durchquerte sie den Wald. Und zum ersten Mal fühlte sie sich tatsächlich allein.

Sie grinste zufrieden in sich hinein. Offensichtlich hatte ihr Verfolger nicht mit diesem Schachzug gerechnet. Sie war gespannt, ob er sie aufspüren würde.

Sie war etwa eine Stunde unterwegs, als sie aufhorchte. Ein seltsames Geräusch drang an ihr Ohr. Gespannt lauschte sie. Da war es wieder. Es klang wie ein Winseln. Fast wie Weinen.

Vorsichtig folgte sie dem Geräusch und je näher sie ihm kam, umso sicherer war sie sich, dass da offensichtlich jemand in Not war.

Sie fand einen Wildwechsel und folgte ihm, bis sie die Quelle des Winselns erreicht hatte.

Vor ihr auf dem Pfad lag ein Wolf. Er sah ihr entgegen und fletschte die Zähne, doch sie hatte den Eindruck, dass das eher aus Angst geschah. Es fehlte der entschlossene Ausdruck in seinen Augen.

Hannah blieb stehen und betrachtete ihn. Eine Hinterpfote hing in einer riesigen Schlagfalle und sah gar nicht gut aus. Das gezackte Eisen hatte sich tief in die Knochen gebohrt, so dass die weißen Knochensplitter durch die blutige Haut stachen.

Hannah war ehrlich erschüttert. Diese Verletzung war mit Sicherheit äußerst schmerzhaft. Kein Wunder, dass er so außer sich war. Zorn machte sich in ihr breit. Wer stellte solch grausame Fallen auf? Welcher Unmensch tat denn so etwas?

Vorsichtig trat sie näher. Sie war sich sicher, dass das Tier noch sehr jung war. Der Wolf war klein und dunkelgrau. Sein Fell wirkte eher plüschig und war ungewöhnlich lang.

Jetzt, wo sie ihn aus der Nähe betrachtete, war sie sich doch nicht mehr so sicher, ob vor ihr ein Wolf lag. Die Pfoten wirkten anders. Die Krallen waren deutlich länger und sahen gefährlich aus. Der Rest stimmte allerdings. Die Augenfarbe war - grün.

Hannah stutzte erst, doch dann schüttelte sie den Kopf. Wie kam sie dazu, die Augenfarbe eines Wolfes mit der von Theo oder Tucker O’Brian zu vergleichen?

Sie trat noch einen Schritt näher und hockte sich dann hin.

„Schsch“, machte sie und fuhr mit leiser Stimme fort. „Ich will dir helfen. Aber dafür solltest du dich erst einmal beruhigen.“

Der Wolf (oder Hund?) winselte wieder und verdrehte die Augen. Aber zu ihrer Überraschung stellte er das Zähnefletschen ein. Trotzdem wartete sie kurz ab, bevor sie sich weiter näherte. Er ließ sie nicht aus den Augen, machte aber keine Anstalten, nach ihr zu schnappen. Wahrscheinlich war er vor Schmerz viel zu erschöpft dafür.

Hannah bewegte sich äußerst langsam, als sie den Rucksack ablegte und ihre Jacke auszog. Sie griff nach einem kräftigen Ast und betrachtete die Schlagfalle. Wenn sie diese aufhebeln wollte, benötigte sie viel Kraft. Außerdem würde das mit Sicherheit dem Wolf noch mehr Schmerzen zufügen. Die Gefahr, von ihm gebissen zu werden, war daher hoch.

Also musste sie tricksen.

Wieder griff sie in den Rucksack und zog eine Mullbinde hervor. Dabei kommentierte sie mit leiser Stimme jeden ihrer Handgriffe. Offensichtlich schien ihn das zu beruhigen.

Also doch ein Hund?

„Ich glaube, ich hab dich schon einmal gesehen.“

Ihre Stimme war wie ein leiser murmelnder Bach.

„In Dark Moon Creek. Ich hab dich tatsächlich für einen Wolf gehalten. Aber du scheinst Menschen zu kennen und das kommt bei deinen wilden Verwandten wohl eher selten vor. Ich werde dir jetzt die Schnauze zubinden. Leider muss ich dir wehtun, um diese verdammte Falle loszuwerden. Da heißt es jetzt die Zähne zusammenbeißen und bitte nicht mich.“

Er ließ sie tatsächlich an sich heran und mit einer geschickten Bewegung streifte sie ihm die Mullbinde als Schlaufe übers Maul und zog sie sofort zusammen. Wieder winselte das Tier. Sanft legte Hannah die Hand auf seine Schulter. Das Fell war wirklich wundervoll weich.

„Du bist ein hübscher Kerl“, murmelte sie. „Hoffen wir mal, dass wir deine Pfote wieder hinkriegen.“

Jetzt, wo zumindest die spitzen Zähne sicher verpackt waren, arbeitete sie zügiger. Wieder griff sie in den Rucksack und zog ein großes Messer heraus.

„Weißt du, das Ding hat mir ein Ranger in Kanada geschenkt mit der Auflage, es immer dabei zu haben. Jetzt weiß ich endlich warum“, lächelte sie. „Er hat zwar sicherlich anderes im Sinn gehabt, aber letztendlich ist ein Messer auch nur ein Werkzeug.“

Dann widmete sie sich der Schlagfalle. Mit aller Kraft hebelte sie mit Hilfe des Messers und des dicken Astes die Falle auf. Der Wolf/Hund stieß ein hohes Wimmern aus, das ihr durch und durch ging. Irgendwie gelang es ihr, den Schlaghebel so zu verkeilen, dass sie die Pfote vorsichtig herausheben konnte. Das Winseln verstummte schlagartig. Ein Blick auf seinen Kopf zeigt ihr, dass der arme Kerl ohnmächtig geworden war.

Mit einem leisen Fluch kickte sie die Schlagfalle zur Seite, die sofort wieder zuschlug.

Der Anblick der verletzten Pfote zerriss ihr schier das Herz. Dass das Tier jemals wieder richtig laufen würde, konnte sie sich kaum vorstellen. So vorsichtig wie es ihr möglich war, umwickelte sie die blutige Pfote mit Mull und ihrem Halstuch. Dann packte sie den Rucksack und griff nach der Falle. Vielleicht konnte jemand herausfinden, wem dieses Ding gehörte. Das Tellereisen war schwer, aber die Mühe nahm sie gern auf sich, wenn damit ein Wilderer gefasst werden konnte.

Sie hängte es an ihren Rucksack und schwang diesen auf den Rücken. Dann bückte sie sich und hob das verletzte Tier vorsichtig auf ihre Arme. Sie war ehrlich froh, dass es ein Jungtier war. Schätzungsweise trug sie gerade circa dreißig Kilogramm Lebendgewicht auf den Armen. Das würde ein anstrengender Rückweg werden.

Sie brauchte etwa drei Stunden, bis sie ihren Wagen erreichte. Immer wieder hielt sie an, um ihren schmerzenden Armen eine Pause zu gönnen. Zwischendurch war der Wolfshund (Hannah hatte sich auf diesen Kompromiss geeinigt) wach geworden und hatte zu zappeln angefangen, bis sie ihn anfauchte.

„Halt still! Mir macht das auch keinen Spaß, aber laufen kannst du nicht und liegenlassen kann ich dich ja wohl auch nicht. Reiß dich also zusammen!“

Der Wolfshund zuckte bei ihrem Tonfall zusammen und erschlaffte. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie automatisch ihren Kinder-Zusammenstauch-Ton angenommen hatte. Bei ihrem Nachwuchs hatte der immer Wunder bewirkt. Offensichtlich war das auch der richtige Tonfall für Teenager-Hunde.

Der Anblick ihres Wagens war eine echte Erlösung.

Schnaufend schob sie das Tier auf den breiten Beifahrersitz. Dann hockte sie sich erschöpft hinters Steuer.

Als sie den Wagen startete, nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Ihr Kopf fuhr automatisch herum und sie erstarrte.

Verblüfft betrachtete sie das Tier, das neben einem Baum stand und sie mit heraushängender Zunge anstarrte.

Das war eindeutig ein Wolf. Da war sie sich sicher. Verdammt groß, verdammt kräftig und verdammt beeindruckend. So nahe war sie noch keinem gekommen, und als sie in seine grünen Augen blickte, war sie sich sicher, dass das auch gut so war.

„Aha“, meinte sie nur und trat das Gaspedal durch.

Dark Moon Creek

Eine halbe Stunde später fuhr sie in Dark Moon Creek ein und hielt den Wagen vor dem Zentralgebäude an. Als sie ausstieg, sah sie Theo angelaufen kommen. Er wirkte überrascht.

„Hannah, - was machen Sie denn hier?“

„Oh, ich hab da unterwegs jemanden gefunden, der, glaube ich, hierher gehört“, lächelte sie und öffnete die Beifahrertür. Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig, als er den zusammengerollten Wolfshund sah.

„Verdammt“, stieß er heraus.

„Was ist hier los?“

Tucker O’Brians breite Gestalt schob sich ins Sichtfeld.

„Hannah hat Peter - äh Peters Hund gefunden.“

Theo ließ O’Brian vorbei. Dieser stieß einen unterdrückten Fluch aus, als er das blutige Halstuch an der Pfote sah. Er warf einen grimmigen Blick zu Hannah.

„Was ist passiert?“

Hannah griff wieder in den Wagen und zog die Schlagfalle heraus. Mit einem Scheppern ließ sie das Eisen vor seine Füße fallen.

„Das da“, meinte sie nur. „Ich hab ihn etwa dreißig Kilometer von hier in dem Ding gefunden. Gott sei Dank ist er ja ein verständiges Kerlchen, so dass ich ihn da raushebeln konnte. Ich hoffe, er nimmt es mir nicht allzu übel, dass ich ihm die Schnauze zugebunden habe. Aber ich mag es nicht so gerne, gebissen zu werden.“

Tucker gab Theo einen Wink, der sofort das verletzte Tier auf die Arme hob und forttrug. Hannah sah ihm nach. Nur am Rand nahm sie wahr, dass eine Frau aufgeregt auf Theo zu rannte und heftig auf ihn einredete, als Tucker O’Brians Gestalt sich auch schon in ihr Sichtfeld schob.

„Was hatten Sie in dieser abgelegenen Gegend zu suchen?“

Hannah sah ihm unerschrocken ins grimmige Gesicht.

„Ich habe nichts gesucht, Mr. O’Brian, sondern war wandern. Deswegen bin ich ja hier. Aber keine Sorge, ich will Ihre Dorfidylle nicht weiter stören. Bestellen Sie Ihrem Peter einen schönen Gruß. Ich hoffe, dass die Pfote von seinem Hund wieder heil wird. Die sieht echt nicht gut aus. Und da Sie ja offensichtlich hier in der Gegend ein Problem mit Wilderern haben, sollte er seinen Hund vielleicht doch nicht so frei herumlaufen lassen. Zumal der ja sowas von einem Wolf an sich hat, dass man sich da schnell vertun kann.“

Sie setzte ein fröhliches Grinsen auf, dachte ‚Arschloch‘ und stieg ins Auto.

*

Tucker O’Brian blickte ihr düster hinterher. Dann sah er sich um. Inzwischen hatten sich einige Dorfbewohner bei ihnen eingefunden, die Hannahs Sätze mit großen Augen verfolgt hatten und vorsichtig Abstand zu ihm hielten.

„Wer war heute dran, dieses Weibsbild zu beschatten?“, grollte er.

„Äh, ich glaube William“, murmelte jemand in seiner Nähe.

„Und wo zum Teufel steckt er?“

Niemand antwortete. Tucker fluchte.

„Cain!“

Sein Gebrüll scholl bis in den hintersten Dorfwinkel. Sekunden später kam der Gerufene angerannt. Bevor er etwas sagen konnte, blaffte Tucker ihn an.

„Du übernimmst für den Rest des Tages diese Riemann, und zwar dalli. Falls William dir über den Weg läuft: Er soll sich bei mir melden! Und zwar sofort! Cody! Du kriegst raus, wem diese verfluchte Falle gehört. Ich will wissen, wer hier durch unsere Wälder kriecht.“

„Geht klar, Boss!“

Besagter Cody griff nach dem Eisen und trug es fort.

William erschien eine Stunde später in Tuckers Büro. Er war schweißüberströmt und wirkte völlig fertig. Schweratmend stand er vor O’Brian und wagte es nicht, den Kopf zu heben.

Tucker verschränkte die Arme.

„Also? Was war da los?“

William schluckte nervös.

„Ich - also dieses Miststück hat mich echt gelinkt. Sie hat so getan, als wolle sie loslaufen, und dann springt sie einfach ins Auto und gibt Gas. Ich bin zwar hinterher, aber sie war echt zu schnell. Als ich dann endlich den Wagen gefunden hab‘, kam sie mir mit dem Welpen auf den Armen entgegen. Keine Ahnung, wie lange sie schon mit ihm unterwegs war.“

„Sonst hast du nichts gesehen? Gerochen?“

William schüttelte den Kopf.

„Leider nicht. - Äh - Boss.“

Er hielt den Kopf noch immer gesenkt.

„Ich ... sie hat mich gesehen. Ich war schon ziemlich fertig und konnte nicht rechtzeitig abtauchen.“

O’Brian starrte ihn an. William brauchte nicht hochzusehen. Er roch bereits, dass sein Gegenüber kurz vor einer Explosion stand. Aber Tucker beherrschte sich.

„Wie hat sie reagiert?“

„Äh ... ziemlich cool. Sie hat mich angesehen, ‚Aha‘, gesagt und dann Gas gegeben.“

„Aha?“

„Ja, sowas in der Art.“

Tucker ließ sich auf seinen Schreibtisch sinken.

„Verdammt. Also hat sie euch doch bemerkt.“

William hob die Schultern.

„Sie hat sich bisher nie was anmerken lassen und wir waren echt vorsichtig. - Soll ich wieder zur Hütte?“

„Nein, ich habe Cain losgeschickt. Du schnappst dir Ethan und fährst zu der Stelle, an der du sie aufgespürt hast. Sucht den Ort, wo es den Welpen erwischt hat, und untersucht ihn auf Spuren. Ich will wissen, wer dieses Ding gelegt hat.“

William nickte und verschwand erleichtert. Das befürchtete Donnerwetter war ausgeblieben. Trotzdem war es wohl ratsam, Tucker O’Brian erst einmal aus dem Weg zu gehen.

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