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Sonntag, 21. Juni 1997
ОглавлениеStylianos-Stift, Stuttgart
Die schrillen Schreie gellten durchs Haus und ließen alle hochfahren.
Heimleiterin Löw rannte mit einem höchst ärgerlichen Gesichtsausdruck im Bademantel über den Gang und riss die Tür auf.
Janina sass auf ihrem Bett und schrie wie am Spieß.
Die Heimleiterin trat auf sie zu und umfasste ihre Schultern.
„Janina! Hör auf, was ist denn nun schon wieder?“
„Die Spinnen!“ In den blauen Kinderaugen las sie die nackte Panik. „Da waren überall Spinnen!“
Mathilde Löw sah unwillkürlich aufs Bett, doch nichts war zu sehen. Nur das geblümte Muster der Bettdecke.
„Jetzt beruhige dich, Janina.“ Sie schüttelte das Mädchen sanft. „Hier ist keine Spinne. Nicht eine einzige. Du hast wieder geträumt.“
„Hab ich nicht“, schluchzte das Mädchen. „Sie waren hier auf meinem Bett. Ganz viele. Bitte, Frau Löw, ich möchte hier nicht mehr schlafen. Nie wieder!“
Die Heimleiterin seufzte und sah zu den anderen beiden Mädchen. Lisa hatte sich ängstlich die Decke bis unter das Kinn gezogen. Selina lag völlig ruhig in ihrem Bett und zeigte überhaupt keine Regung. Wie immer.
Wieder sah sie zu Janina. Dies war schon die fünfte Nacht, in der das Mädchen mit ihren Schreien das gesamte Haus aufgeweckt hatte.
„Also gut“, meinte sie. „Morgen wechselst du das Zimmer. In Nummer Vier ist noch ein Bett frei.“
„Ich will hier nicht bleiben“, heulte Janina. „Ich will hier sofort raus!“
Es dauerte keine zehn Minuten, dann kehrte in Zimmer Zwei wieder Ruhe ein. Janina hatte den Raum gewechselt.
„Glaubst du, dass die Spinnen noch hier sind?“, flüsterte Lisa in die Dunkelheit hinein.
„Sie sind weg.“
„Also waren sie wirklich da?“
„Ja.“
„Werden sie wiederkommen?“
„Fürchtest du dich vor ihnen?“
„Ja.“ Lisas Antwort war leise, kaum mehr ein Hauch.
„Dann nicht.“
Lisa lag mit offenen Augen in ihrem Bett und überlegte, ob sie jetzt erleichtert oder besorgt sein sollte. Woher wusste dieses seltsame Mädchen, dass die Spinnen nicht wiederkehrten? Doch sie glaubte ihr. In Selinas Stimme hatte so viel Überzeugung gelegen, dass sie ihr einfach glauben musste.