Читать книгу Pumping Art - Andre Garfeld - Страница 2
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ОглавлениеFrank ist unterwegs zu seinem ersten richtigen Job.
Es ist ein Job, sagt er sich.
Das Auto jedenfalls ist schon Teil davon.
Er kennt das Auto nicht. Ein paar Schalter hat er immer noch nicht gefunden und gehört deswegen in dem dunklen Hamburger Regenwetter zu der kleinen Fraktion, die in dem dichten Verkehr ohne Licht fährt. Auch das Navi hat er noch nicht eingeschaltet. Dazu hätte er einmal anhalten müssen. Und das wollte er auf keinen Fall. Er ist sowieso spät dran. Allerdings müßte er Peters Studio auch so wiederfinden. Er ist schon zweimal dagewesen. Zuletzt heute vormittag, um dessen Sachen für den Umzug einzuladen. Beziehungsweise einladen zu lassen von Jan, dessen Assistenten. Anschließend war Frank zu seiner eigenen Bude gefahren, um seine Sachen zu verstauen. Das war Peters erster Vertrauensbeweis an Frank, ihn mit seiner Ausrüstung herumfahren zu lassen. Frank wohnt in einem Studentenwohnheim, ohne zu studieren. Ein Mädchen hält für den Mietvertrag ihren Namen hin. Sie selbst ist vor einem halben Jahr zu ihrem Freund gezogen. Frank hat sozusagen ihre Stelle eingenommen. Er hat in vier Monaten Abiturprüfung, weiß aber noch nicht, was er studieren könnte. Kunst kommt in Frage. Aber er will sich von einem Kunststudium nicht vereinnahmen lassen. Er hat Angst davor. Er will seine Unschuld nicht verlieren. In der Kieler Kunsthalle hat er vor Pencks Riesengemälden gestanden und war wie elektrisiert. In der Kunsthalle Hamburg vor einem Bild von Rothko und da war wieder etwas passiert zwischen ihm und der Leinwand. Er hat es gespürt. Dann ein Besuch in der Tate in London vor einem Jahr. Da war er noch sechzehn.
Er glaubt, daß das eines der Motive für Peter ist, ihm den Job überhaupt angeboten zu haben, ihn mitzunehmen als inzwischen dritten Assistenten. Peter meint, daß Frank studieren soll. Er hat ihn einen Monat in seinem Atelier malen lassen. Peter meint, das es ihm nur an Anschub und echter Förderung fehle. Frank hat das abgewehrt. Seine Malversuche seien bisher mehr als schlecht. Wenn er nach London mitkomme, sei das nur der Job als Fahrer. Fahrer und Assistent für Peter als Fotograf bei diesem einen Projekt. Mehr nicht. Nur dafür schwänze er zwei Wochen die Schule. Und er sagte das so, das auch klar war, daß er nicht etwa als Peters Beute in Frage käme. Peter ist stockschwul und macht daraus keinen Hehl. Aber wenn Franks Anschein für Peter kein Problem darstellt, ist das umgekehrt genauso.
Den Job anzutreten, fährt er Peter nun abholen, um mit ihm pünktlich am Fähranleger zu sein. Peter hat keinen Führerschein mehr seit einer Alkoholkontrolle im Straßenverkehr. Daraus war ein Drogendelikt geworden. Peter war nicht nur betrunken gewesen. Seine jetzige Zweite Assistentin, Mona, die das Atelier verwaltet, war nach diesem Vorfall kurzzeitig seine Fahrerin, bis sich beide in gegenseitigem Einvernehmen von dieser Idee trennten. Seitdem amtiert Jan, der Erste Assistent, als Fahrer, wird aber ständig im Atelier gebraucht, weshalb Frank den Job als Fahrer machen soll. So hat Jan als letzte Amtshandlung just vor zwei Tagen, nach einer Fete, auf der sowohl Peter als auch er selbst verschollen gegangen sind, Peters Auto in irgendeiner Straße stehen lassen. Jan hat Frank die in Frage kommenden Straßennamen genannt, unter denen er den Wagen sehr wahrscheinlich finden würde, mit dem Hinweis, daß im linken Kotflügel ein Ersatzschlüssel klebe. Vermutlich total mit Dreck überkrustet. Danach sollte er zum Atelier kommen, und Peters Sachen einladen. Frank fand beides. Auto und Schlüssel. Fuhr zum Atelier und anschließend zu seiner eigenen Bude.
Peters Sachen sind ordentlich im Kofferraum verstaut, hauptsächlich Fotoausrüstung in stabilen Plastikkoffern und Klamotten in Lederkoffern. Genau das gefällt ihm. Eine gewisse Gedankenlosigkeit seitens Peter in der Abfolge der Dinge. Frank hätte die Sachen auch verticken und abhauen können. Stattdessen sind seine eigenen Sachen nun auch eingepackt, allerdings unachtsam auf die Rückbank geworfen. Drei Stofftaschen, ein etwas weicher Karton und eine teure Reisetasche seines Vaters. Er macht trotz des Wetters Tempo. Für die Dämmerung ist es noch zu früh an diesem Dezembervormittag, aber es dunkelt vor lauter Regenwolken, aus denen es immer stärker schüttet. Die Wischer kratzen in stetem Rhythmus unergiebig über die Scheibe. Sie müssen so alt sein wie der Wagen selbst.
Warum unterhält Peter diesen uralten Toyota Corolla, in diesem verblichenen Rot? Und will ausgerechnet mit dieser Kiste nach England? Er will ihn das noch fragen.
Frank findet die richtige Straße anhand einiger Läden, die er identifizieren kann und muß dann in zweiter Reihe parken. Im Rückspiegel sieht er, daß der nachfolgende Verkehr bremsen und auf die zweite Spur ausweichen muß. Einer hupt, einer blendet mit Fernlicht. Frank überlegt nach mehreren Minuten, ob er aussteigen und ins Atelier hoch-gehen soll. Aber er ist spät dran. Sie werden gewartet und ihn schon gesehen haben.
Tatsächlich kommt Jan aus der Tür, winkt und verschwindet wieder. Dann sprintet ein junges Mädchen von der Straße her an die Tür. Frank hätte ihr Gesicht gerne gesehen. Vielleicht gehört sie zu Peters Leuten. Oder will in eins der anderen Stockwerke. Es gibt neben Peters Atelier noch vier große Wohnungen. Kaum sieht er das Mädchen verschwinden, kaum setzt ein Tagtraum ein, der sich an dem Mädchen und der Art ihres Gangs kristallisiert wie eine Schneeflocke an einem Staubpartikel, erscheint Peter in der Tür. Er läßt einen riesigen Regenschirm aufpoppen und kommt damit, eine Reisetasche in der anderen Hand, zum Auto. Frank öffnet die Tür von innen. Peter verstaut die Tasche auf der Rückbank und steigt vorne zu Frank ein. Der Schirm verschwindet. Peter ist wie immer gut angezogen. Jeans und Hemd, darüber eine kleine Weste wie zu einem Anzug. Dabei scheint er alles grundsätzlich eine Nummer zu klein zu tragen. Er ist übergewichtig, mit einer über den Gürtel quillenden Bauchrolle. Er ist der Typ mit Doppelkinn, birnenförmigem Rumpf, aber schlankem Unterbau. Kein Hintern in der Hose, normale Beine. Womöglich also stammen die Sachen aus einer Zeit, in der er schlanker gewesen ist und er trägt diese Sachen einfach noch. Oder aber, wahrscheinlicher, er kauft sie in dieser Größe und will sie so haben. Sie sehen alle neu und sauber aus. Markenware.
Er reibt die Handflächen aneinander und läßt sie auf die Oberschenkel fallen.
Er sieht sich im Wagen um.
„Alles noch da?“
„Ja.“
„Und alles noch heil?“
„Ja.“
„Okay. Dann mal los.“