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Seine Mutter wohnte in Frankreich. Vor zwei Jahren hat sie das Haus verlassen. Frank hat sie fast ein Jahr nicht gesehen. Als er dann, vor einem Jahr, hingefahren war, sah sie schrecklich aus. Künstlich blondiert, faltig geworden, sichtlich gealtert. Sie war vierzig. Frank war mit Jen zu ihr gefahren. Er hatte irgendwann nach der Schule erwähnt, das er einen Kurztrip nach Frankreich machen wolle, um seine Mutter zu besuchen. Seine Schwester Fanny hatte ihm geschrieben, daß sie schon dort gewesen war. Mit ihrem neuen Freund, einem älteren Typen, den sie bei der Rothko-Ausstellung in Hamburg getroffen hatte. Von dem Typen hatte sie geschrieben, nachdem sie wieder zurück in ihre Wohnung in Berlin war. Der Mann kam ebenfalls aus Berlin und wollte tatsächlich gerade Urlaub in Frankreich machen. Er lud Franks Schwester ein, mitzukommen. Und sie hatte eingewilligt, wenn sie die Gelegenheit nutzen dürfe, ihre Mutter dort zu besuchen. Was sie schon länger vorgehabt habe. Der Typ hatte nichts dagegen. Alles schien zu passen. Berlin. Frankreich. Nur das der Typ dreißig Jahre älter war als Fanny. Die Mutter war davon richtig angepißt. Fannys Freund war sogar älter als sie selbst. Andererseits war er wahrhaftig kultiviert. Und trug teure helle Anzüge. Hatte Vermögen. Was alles Fannys Mutter beeindruckte. Nur Fanny selbst interessierte das nicht. Von ihr aus gesehen war etwas völlig anderes zwischen ihnen passiert. Und das sah auch die Mutter.

Jedenfalls gab das für Frank den Ausschlag, ebenfalls nach Frankreich losfahren zu wollen. Fanny war immer sein Vorbild gewesen. Sie war die große Schwester, die ihn inspirierte. Sie schickte ihm seit Jahren Bücher, CDs mit Musik, Bildbände über Gegenwartskunst und vor einem Jahr war sie es, die durch ein Gespräch mit ihm sein Projekt mit den Interviews für den Kunst-Kurs angeregt hatte. Und sie war ihm bis heute Vorbild, auch wenn sie weit weg in Berlin wohnte. Was er stark fand: Sie war dort in verschiedenen Bewegungen aktiv, wechselte häufig ihre Partner, schrieb ihm auch darüber Briefe, aus denen er nur durch Montage einen Brief-Roman hätte machen können. Vielleicht sollte er das eines Tages tun. Er würde sie natürlich um Erlaubnis fragen.

Immer wieder wollte er sie in Berlin besuchen. Dann war sie verreist. Dann paßte es bei ihm nicht. Am liebsten wäre er mit Fanny zur Mutter gefahren. Aber dann war Fanny mit ihrem neuen Freund schon dagewesen, ehe Frank mit ihr hätte fahren können. Als er danach einmal Ratz und Göbsen seine Absichten erzählte, nach Frankreich zu fahren, sprach Jen ihn an. Sie lief mit ihnen nach dem Unterricht zum Busbahnhof und erzählte ihrerseits, daß sie in der zehnten Klasse als Austauschschülerin nach Frankreich zu einer Familie im Süden des Landes gesollt hatte, aber wegen einer Erkrankung hatte absagen müssen. Und leider war es nie zu einer Neuauflage gekommen. Der Wunsch aber, dahin zu gehen, war geblieben und immer stärker geworden. Ob sie nicht mitkommen könne. Frank gab das einen Stich. Er hatte bis dahin zwei Freundinnen gehabt. Und stellte sich nun vor, mit Jen vier Tage unterwegs zu sein, mit Bahn und Bus und viel Zeit zum reden. Jen sah zu gut aus, um einfach so mitzufahren. Frank gehörte zwar zum attraktiveren Kern in seiner Klasse, aber er war sich deswegen gegenüber den Mädchen absolut nicht sicher. Vor allem Jen gegenüber nicht. Jeder mochte sie. Er auch. Er besonders. Warum also fragte sie ihn?

Trotzdem willigte er spontan ein.

Und so fuhren sie zusammen.

Es wirkte wie Klassenfahrt zu Zweit. Unverbindlich. Frank hatte die Nacht vorher nicht geschlafen, weil er mit Ratz wieder mal mehr als die halbe Nacht an der X-Box COD Deathmatches gezockt hatte. Manchmal machten sie das in Franks Haus zu viert oder fünft. Da war Platz. Und es gab immer Vorräte.

Trotzdem war es jetzt nicht schlecht, todmüde zu sein. Er und Jen lachten bereits am Fahrkartenautomaten. Er wirkte wie betrunken. Sie amüsierte das. Sie sah blendend aus. Aber hier sah er, daß etwas nicht stimmte. Es war in ihrem Blick. Eine Form von Traurigkeit. Im Zug meinte sie, daß sie ebenfalls angeschlagen sei. Er fragte aber nicht nach der Story dahinter. Er mochte solche Storys nicht. Von niemandem. Aber weil sie beide angeschlagen waren, legten sie noch vor der südlichen Provence einen Zwischenstopp ein und nahmen irgendwo in in der Mitte Frankreichs ein Zimmer in einer kleinen Pension. Das war nicht vorgesehen gewesen. Aber in Ordnung. Jen bestritt die Konversation vor Ort. Es gab nur ein Ehebett. Hatte Jen danach gefragt? Frank mußte in diesem Bett jedenfalls feststellen, das er trotz Latte, die er sofort bekam, zu müde war und gleichzeitig zu aufgeregt, um mit Jen zu schlafen. Er konnte die Erregung nicht steigern. Etwas fehlte. Irgendwann sank er zurück und war noch in der gleichen Minute eingeschlafen.

Am nächsten Morgen war alles in Ordnung.

Sie frühstückten bei der Gastgeberin, einer älteren Dame. Jen sprach mit ihr französisch. Jen wirkte frisch. Sie war zurechtgemacht. Sie drückte einmal Franks Hand. Sie waren dennoch kein Paar.

Es war immer noch wie Klassenfahrt. Nur das sie zusammen in einem Bett gelegen und Sex gehabt hatten. Aber auch das passierte auf Klassenfahrten. Das Ganze führte erstmal nicht automatisch dazu, daß sie nun zusammen waren. Es blieb eine Reise in den Süden Frankreichs.

Am Vormittag trafen sie bei Franks Mutter ein. Schon beim Klingeln an der Haustür explodierte dahinter mehrstimmiges Gebell. Dann genauso hirnlose Befehle einer brüchig-schrillen Frauenstimme. Die an dem ekelhaften Gekläffe nichts änderte. Mit dem Öffnen der Tür, die zuerst einmal gegen das Spektakel nach innen aufgestemmt werden mußte, weil die Mistviecher wie blöd dagegen drückten, kamen drei Mischlinge zum Vorschein, immer weiter bellend, die dann, als die Tür kaum halb offenstand, an Frank und Jen hochsprangen, während seine Mutter dahinter jeden einzelnen Köter mit Namen anschrie, von denen jeder idiotischer als der andere war: Schwanz, Püppi, Lakritz. Und erst, als seine Mutter mit der flachen Hand ein paar Hinterteile erwischte, zogen die Viecher jaulend die Schwänze ein, bellten noch ein paarmal, rannten aufgeregt weg und kamen nach zwei Sekunden wieder und bellten und leckten und schnupperten wie wild an den Besuchern. Das Betragen war jetzt offenbar erlaubt.

Seine Mutter lebte tatsächlich bardotmäßig mit mehreren Hunden, wie Fanny in ihrem Brief geschrieben hatte, und schien noch depressiver geworden zu sein, als Frank es erinnerte. Die jeweils äußeren Enden der Brauen ihrer Lider und der Mundwinkel waren steil nach unten gezogen. Leidensmiene. Und das inmitten dieser Hunde. Er haßte Hunde.

Er hätte schon gleich kotzen können.

Und dann tauchte dieser Typ auf, Mutters neuer Freund, der diesen Hundespast einfach ignorierte, obwohl man das unmöglich konnte. Er schaffte das deshalb, weil er selbst Teil dieser hochneurotischen Veranstaltung war. Er wartete kaum ab, bis sich die Situation beruhigt hatte, als er, in der Küche, in der es unangenehm nach Hund roch, ungefragt seine Krankengeschichte zum Besten gab. Die Hunde winselten hektisch, wollten die Hände der Besucher lecken. Und der Typ erzählte von seinem Herzinfarkt, von Stents, Reha und benutzte die Begriffe so, wie Kranke das gerne mögen, wenn sie über sich reden, mit leuchtenden Augen, und einer Stimme, die an Fahrt gewinnt. Das ist wie Wichsen. Und genau das war es. Die eigene Krankengeschichte erregte ihn, er konnte nicht mehr aufhören, sie war seine höchstpersönliche Wichsvorlage.

Seine Mutter erläuterte währenddessen den Hunden, was sich denn wohl gehöre und was nicht. Seid ihr jetzt mal brav! Das tut man doch nicht! Das ist doch mein Kleiner, der uns besuchen kommt!

Als der Wichser nicht aufhörte, zu erzählen, fuhr Frank ihm über den Mund und fragte seine Mutter, ob sie eigentlich irgendeinen Geldbetrag vom Vater bekomme oder wenigstens ihren Schmuck mitgenommen habe. Sie schüttelte den Kopf. Ihm fiel ein, daß sie das vor dem Wichser vielleicht nicht zugeben durfte. Der Typ holte gerade seine Medikamentenschachteln und breitete sie auf dem Küchentisch aus. Die Hunde bellten sofort wild den Tisch und den Mann an, als hätte er Fressen daraufgeschüttet. Die Mutter hatte offenbar ein Einsehen und brachte zwei der Hunde raus in irgendein anderes Zimmer. Übrig blieb ein Wackelpudding, der wie verwandelt dasaß und blöd glotzte und leise winselte. Aber auch das ödete Frank an. Er haßte die Viecher wirklich.

Aber es war immerhin ruhiger geworden.

Aus einem Nebenraum hörte man einen Fernseher. Die Mutter blieb lange weg. Der Typ erzählte, zeigte seine Brustnarbe. Seine Mutter kam wieder und fragte, ob er und Jen etwas essen wollten. Nein, ganz bestimmt nicht hier. Das sagte Frank nicht. Aber das dachte auch Jen. Das sah er. Nein, sie würden in der nächsten Stadt essen und dann auf ihr Zimmer, sich ausschlafen. Die Mutter nickte und wollte lächeln, was mehr oder weniger mißglückte. Mein Junge, sagte sie.

Erst außer Sichtweise des Hauses überlegten sie, wohin sie überhaupt wollten. Sie hatten kein Zimmer. Jen sagte ein paar französische Leute- oder Städtenamen. Frank hatte Französisch in der Mittelstufe nach einem Jahr abgewählt, weil er keinen Zugang zu der Sprache fand. Er mochte sie nicht mal hören. Deshalb sagte er zu Jen, sie solle entscheiden, wohin.

Letztendlich kamen sie zwei Stunden später am Nachmittag mit einem Bus irgendwo an der Südküste an. Jen sprach paar Sätze Französisch mit dem Busfahrer, der sie daraufhin breit anlächelte.

Und abends lagen Frank und sie wieder in einem kleinen Zimmer zusammen in einem Bett. Es war dunkel geworden. Vom Küstenstädtchen fiel diffuses Licht gegen die Zimmerdecke.

„War das schlimm für dich?“

„Was jetzt?“

„Deine Mutter?“

„Geht so. Vielleicht sollte man von der Idee Abschied nehmen, daß Familie automatisch was bedeutet. Letztendlich können das einem total fremde Leute sein“

„Familie bedeutet aber was.“

„Aber nicht automatisch.“

„Doch.“

„Mußt du gerade sagen.“

„Meine ist nicht repräsentativ“, sagte sie.

„Was ist denn repräsentativ?“

„Du kommst immerhin aus sowas wie gutem Haus.“

„Komme ich nicht.“

„Weil deine Eltern sich getrennt haben?“

„Nein. Es war nie ein gutes Haus. Doch, das Haus war gut. Ist es noch. Das Haus selbst. Aber nicht die Leute, die darin gewohnt haben.“

„Auch deine Schwester nicht?“

„Doch. Ich meine meine Eltern.“

„Aber du hast immer Geld gehabt oder nicht?“

„Ja. Aber Geld ist kein Ersatz ...“

„Für ... ?“

„Familie.“

„Weißt du denn, was das ist?“

„Was, Ersatz?“

„Nein, Familie.“

„Ich glaub nicht. Ich verstehe mich mit meiner Schwester.“

Sie legte eine Pause ein.

„Und was machst du jetzt?“ fragte sie dann.

„Ich weiß es noch nicht.“

„Okay, dann sollten wir jetzt schlafen.“

„Willst du schlafen?“

„Ja.“

„Okay.“

„Kraulst du mir noch den Rücken?“

„Aber du mir dann auch.“

Pumping Art

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