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Er stößt sie auf und schaut einen Treppenabgang hinunter. Im Gehen streift er die nasse Kapuze ab. Streicht mit der Hand die langen Haare nach hinten. Am Ende der Stufen erreicht er eine weitere Tür. Dahinter ist ein Kinosaal ohne Leinwand. Ein Aufenthaltsraum mit Reihen gepolsterter Klappsitze, auf denen einzelne Typen halb sitzen, halb liegen, nur drei haben sich auf den Boden zwischen die Sitzreihen gepackt, umgeben von Rucksäcken und ausgezogenen Turnschuhen, nach denen es hier auch riecht. Die Typen verbringen so die Nacht. Frank merkt sich den Raum angesichts des Eindrucks von der Kabine, in der sie gerade ihre Taschen abgestellt haben.

Von diesem Saal hier ist man innerhalb einer Minute im Freien. Frank durchschreitet ihn, verläßt ihn und gelangt in einen langen Flur. Shopping-Deck mit Menschengedränge. Restaurantbuchten mit billigem Plastikmobiliar. Tax-free Läden. Eine Auskunft. Und zuletzt ein Saal, in den das Deck hier drinnen mündet, in dem dutzende kleine runde Tische stehen mit Stühlen daran, nur wenige Sessel. Im Hintergrund ein Podest, das eine Bühne suggerieren soll mit drei weißen Anzugtypen darauf, die auf Gitarren spielen, was wiederum Musik suggerieren soll. Das Publikum reagiert überhaupt nicht darauf. Nur hie und da johlt ein Depp, indem er den drei Musikern zuprostet, ob aus Spott oder Anteilnahme.

In dem gesamten Saal stehen nur drei Tische mit jeweils drei Sesseln. Auf einem sitzt Peter, neben ihm ist einer frei. Frank schlängelt sich durch die Leute, die überall an den Tischen sitzen.

„Wo warst du?“

„Draußen. Hatte ich doch gesagt.“

„So lange? Bei dem Wetter?“

„Immer noch besser als das hier.“

„Ah, du mußt nur genug trinken. Hier ... !“

Peter deutet auf ein volles Glas Bier. Dann auf den freien Sessel.

„Setz dich. Trink.“

Im dritten Sessel sitzt ein Mädchen, das zu jung ist, um alleine unterwegs zu sein. Es muß irgendwo zugehören. Sie sieht goth oder emo aus. Frank kann das nicht unterscheiden. Dies hier ist schwarz gekleidet, gewollt ungepflegt, schwarzes Haar nach allen Richtungen abstehend, dunkel geschminkte Augen, große Ohrringe. Magerer Typ. Sie guckt Frank intensiv an.

Peter deutet auf das Mädchen.

„Das ist Julia. Sie fährt mit uns.“

„Sie fährt mit uns?“

„Sie fährt mit uns. Sie hat irgendwie ihr Geld für London verloren. Wir nehmen sie das Stück mit.“

„Ist sie allein?“

„Ja.“

„Du kannst mich auch selbst fragen“, sagt sie und ihre Stimme ist so hell, das sie zum vermuteten Alter paßt. Frank schätzt sie auf dreizehn, vierzehn. Sie schaut ihn immer noch an. Als müsse sie das tun.

„Hat sie dich angesprochen?“

„Yowp.“

„Peter ... .“

„Nun setz dich doch endlich!“

„Wie alt bist du?“

„Vierzehn.“

„Frank, bitte!“

„Vierzehn?“

„Ja.“

„Hast du einen Ausweis?“

„War in meiner Tasche. Die ist mir geklaut worden. Da war auch alles andere drin. Mein Laptop und mein Geld vor allem.“

„Ist dir just nach der Abfahrt gestohlen worden?“

„Nein, vor der Abfahrt.“

„Und du bist trotzdem auf dem Schiff?“

„Ja.“

„Normalerweise geht zuerst zur Polizei oder zum Amt oder so.“

„Ich bin aber hier.“

„Das ist doch scheiße!“

„Was?“ fragt Peter erstaunt.

„Wir sollen sie mitnehmen? Die ist doch niemals legal unterwegs.“

„Ich will nur nach London.“

„Und sie reist ohne Papiere ein. Mit uns. Oder was?“

„Ihr nehmt mich erst hinter dem Zollgelände mit.“

Siehst du? Alles klar“, meint Peter.

„Was sehe ich?“

„Das wir sie nicht an Land schmuggeln. Wir nehmen sie hinter dem Zollgelände mit nach London. Easy doing.“ Er hebt sein Pint, prostet Frank zu und trinkt es in vier langen Zügen leer.

„Du bist keine vierzehn.“

„Okay, ich werde vierzehn.“

„Setz´ dich doch endlich, scheiße nochmal.“

„Und du?“

„Was?“

„Wie alt bist du?“

„Was tut das jetzt zur Sache?“

Sie trägt auf ihrem mageren Körper mehrere Lagen Kleidung, jede einzelne dünn, jede einzelne sichtbar, wie gefächerte Textilproben. Ein Top, darüber ein Shirt, darüber noch ein Shirt, darüber eine Weste, ein Tuch und zuletzt eine dünne Jacke. Sie hat drei Stecker-Piercings im Gesicht, in einer Braue, einem Nasenflügel und auf der selben Seite über der Oberlippe. Und auf einem ihrer dünnen Unterarme schaut halb aus dem Ärmel ein Tattoo heraus. Das ist zu erwachsen für ein Mädchen ihres Alters.

Sie sieht ihn immer noch an.

Frank setzt sich endlich.

Die Combo im Hintergrund macht jetzt einen auf mexikanisch und ein paar Spacken im Publikum ermuntern sie noch, indem sie applaudieren. Ein älteres Paar steht Tatsache auf und beginnt, sich stocksteif und unrhythmisch umeinander zu drehen.

„Seid ihr ein Paar?“

„Wir?“ fragt Peter. „Nein.“

Erst jetzt schaut sie ihn an.

„Aber du bist doch schwul, oder?“

„Gutes Auge, mein Kind. Und er?“

„Nein.“

„Was?“

„Er nicht.“

„Woran willst du das sehen?“

„Seh´ ich.“

„Und du?“

„Was ich?“

„Freund oder Freundin?“

„Nein.“ Dann: „Gehabt.“

„Und? Sowas wie Liebeskummer?“

„Nein.“

Frank interessiert das alles nicht. Er denkt lieber an das, was vor ihm liegt. England. Der Job. Vielleicht irgend etwas Neues. Dabei schweift sein Blick durch diesen Saal voller Menschen. Überall stehen übereinander gelegte Papppaletten mit Dosenbier auf dem Boden neben den Tischen. Tax-free-Ware. Allein dafür sind einige auf dem Schiff. Und nehmen, um mehr davon einkaufen zu können, irgendwen mit, der nicht einkauft, es aber offiziell getan hat. Freund, Nachbar. Um das gesetzlich erlaubte Kontingent auszuschöpfen. Ohne Steuern ist Schnaps, Zigaretten, Parfüm spottbillig.

„ … ihr in London?“

„Ein Projekt.“

„Was für ein Projekt?“

„Wenn ich es dir sage, darf ich dich fotografieren.“

„Was?“

„Nur Portrait. Ich mache auch Portraits, in Schwarzweiß. Und du bist … so jung und … mager. Laß mich von dir Bilder machen. Ausrüstung hab ich im Wagen.“

„Nein.“

„Warum?“

„Nein. Möchte ich nicht.“

„Die Bilder kommen auch nicht ins Netz, wenn du das meinst. Die nehme ich nur für mich. Du paßt in meine Sammlung.“

„Nein.“

Peter hebt die Hände.

„Okay. Gut.“

Er ist trotzdem rot im Gesicht geworden. Frank weiß inzwischen, daß das seine Art von Schüchternheit ist. Er spricht zwar dauernd Leute an, redet mit ihnen auch offen, wird dann aber oft genug selber rot.

„Was macht ihr also in London?“ fragt das Mädchen.

„Hat was mit der Kunstszene zu tun.“

„Bist du ... Künstler?“

Sie sieht dabei aber wieder Frank an.

„Ich habe ein Fotoatelier in Hamburg. Lebensmittelfotografie. Was auf Packungen drauf kommt. Er ist mein Assistent.“

„Lebensmittel?“

„Fotos. Vorher machen wir die Dummys davon. Die echten Lebensmittel würden die Studiobedingungen nicht heil überstehen. Deshalb stellen wir Dummys von ihnen her. Spaghetti mit Sauce zum Beispiel. Aus Kunststoff.“

„Und damit verdienst du Geld?“

„Kann man so nicht sagen. Im Moment sind die Ausgaben höher als das, was reinkommt. Aber auch dafür fahre ich nach London. Als eine Art Investition ins Geschäft.“

„Aha.“

Und als wäre damit alles gesagt, steht er plötzlich auf und geht auf den Thresen im Hintergrund zu, an dem Bier ausgeschenkt wird. In englischen Pubs und Cafés gibt es keine Tischbedienung. Hier genausowenig. Peters Gang ist leicht schwankend. Er hat also nicht nur das Bier hier getrunken. Frank weiß, das er einen silbernen Flachmann einstecken hat, den er auf dieser Fähre mindestens einmal nachfüllen wird. Und das er immer noch etwas zusätzlich einwirft. Tabletten. Kicks. Eckis. Jedenfalls dockt er nun nach einem Slalom zwischen den Tischen regelrecht an dem Thresen an. Für ihn ein Stück Heimat.

Das Mädchen gräbt in ihrer riesigen Umhängetasche und holt daraus Zigaretten und Feuerzeug hervor. Sie steckt sich eine an. Hält Frank die Packung hin. Er winkt ab.

„Was genau ... machst du?“

„Hierbei? Ich bin der Fahrer.“

„Nur Fahrer?“

„Keine Ahnung. Assistent.“

„Wofür?“

Frank will sich nicht mit dem Mädchen unterhalten. Er würde ihr nicht angeboten haben, mitfahren zu können. Egal ob hinter dem Zollgelände oder nicht. Das Mädchen ist ihm nicht ganz geheuer. Etwas stimmt mit ihm nicht. Nicht nur, daß es in dem Alter, mit einem solchen Outfit, alleine unterwegs ist.

„Er soll der Assistent eines Fotografen sein, der das Atelier eines verstorbenen Malers fotografiert. Francis Bacon.“ Er weiß nicht, warum er das jetzt sagt. „Das ganze versiffte Ding soll kartographiert, fotografiert und archiviert werden, damit es original in Dublin wieder aufgebaut werden kann.“ Vielleicht sagt er es lediglich noch einmal für sich selbst. „So will es der Kunstmarkt.“

„Er ist dann also auch Assistent?“

„Ja.“

„Ein Assistent, der seinen Assistenten mitbringt?“

„Äh, ja.“

Sie stößt Rauch steil vor sich in die Luft. Und bohrt ihre schwarz geschminkten Augen in seine. Das kann sie. Und das wirkt nicht kindlich. Ist sie vielleicht doch älter? Nein. Ist sie nicht. Vielleicht aber größer, als sie da in dem Sessel aussieht. Sie sitzt mit gekrümmtem Rücken da. An ihr ist nicht viel Weibliches.

Pumping Art

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