Читать книгу Pumping Art - Andre Garfeld - Страница 9
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ОглавлениеSein Vater trug ganztags Anzüge für seine Firma. Es gab ein Büro in der Innenstadt, mit vier Mitarbeitern. Sein Vater betrieb eine Finanzberatung. Wenn sein Vater nach Hause kam, verschwand er meistens zuerst in ein Arbeitszimmer, im Erdgeschoß neben dem großen Wohnzimmer. Und immer, wenn er wieder herauskam, sah er diesen Fußballtrainern ähnlich, die zum Spiel in vollem Anzug erscheinen, inklusive Krawatte, den sie im Verlaufe höchster Arbeitsamkeit, die sie mit ihrer Mannschaft auf dem Rasen teilen wollen, zur Hälfte ablegen, indem sie noch während der ersten Halbzeit das Jackett ausziehen oder aber so nach der Pause zur zweiten Halbzeit erscheinen, hemdsärmelige Entschlossenheit oder Kampfeswille oder irgendwas Ähnliches signalisierend. Bei Trainern mag das diese Wirkung haben. Bei seinem Vater hatte es das nicht. Aber oft genug kam er so die Küche, wenn Frank sich einen Moment dort aufhielt. Das sah jedesmal zufällig aus. Aber sein Vater kam immer zu schnell und zu gut vorbereitet auf sein Thema zu sprechen. Die Schule.
Sein Vater bekam davon absolut nichts mit.
Frank antwortete deshalb stets unverbindlich. Harmlos. Und auch deshalb aßen sie nur noch äußerst selten zusammen. Darauf achtete Frank.
Und war dann echt angepißt, als sein Vater mit seinem AudiTT auf dem Parkplatz vor der Schule absichtlich achtlos parkte, ins Gebäude verschwand und mit einem der Lehrer sprach. Davon hatte er vorher nichts verlauten lassen. In der Pause hatte der Audi schon die Runde gemacht. Und Frank wäre lieber auf dem Bauch nach Hause gerutscht, als zu seinem Vater eingestiegen, falls der ihm das angeboten hätte. Aber da war der Wagen schon wieder weg.
Nachmittags trafen sie sich in der Küche.
Sein Vater im weißen Hemd, die Ärmel hochgeschlagen. Er müsse noch zu einem Meeting, sagte er. Aber vorher wolle er noch mit Frank sprechen. Er sei in der Schule gewesen und habe mit seinem Klassenlehrer gesprochen. Frank fragte erst gar nicht, was der Scheiß sollte. Schlimmer, als irgendwelche Auseinandersetzungen, war, keine zu haben. Genau das war aber der Stand der Dinge des letzten Jahres.
„Ich wußte nicht, daß du Nachhilfe in Mathe und Physik gibst.“
„Dann weißt du´s jetzt.“
„Werde nicht fluzzig.“
„Oh, wieder ein Wort aus deiner Jugend?“
„Herr Roth meinte, daß du sogar höheren Jahrgängen Nachhilfe gibst.“
„Ja und?“
„Das ist ...“
„Was ist damit? Du hast ja nicht mal richtig mitgekriegt, das ich eine Klasse übersprungen habe!“
„Doch, das habe ich.“
„Welche?“
„Was?“
„Welche Klasse?“
„Siebte.“
„Achte.“
„Okay. Achte. Aber hast du jetzt schon mal daran gedacht, was du studieren willst? Zum Beispiel Betriebswirtschaft? Darüber wollte ich mit dir reden. Du wirst demnächst siebzehn ...“
„Es geht um die Firma, was?“
„Ja. Nein, nicht nur ... .“
„Wegen der Mama dich verlassen hat.“
„Sie hat ...“
„Sie hat dich wegen deiner scheiß Firma verlassen.“
„Hat sie das gesagt?“
„Ja.“
„Wann?“
„Wie wann?“
„Wann hat sie das gesagt?“
„Als ich sie das letzte Mal gesehen habe.“
„Und wann war das?“
„Vor drei Monaten.“
„Vor drei Monaten?“
Frank sah ihn immer noch nicht an. Er war eigentlich damit beschäftigt, zwei American Sandwich Toastscheiben dick mit Quark einzustreichen und mit Tomaten und Käse zu belegen.
„Du warst bei ihr?“
„Ja.“
„Wieso weiß ich nichts davon?“
„Du weißt Vieles nicht.“
Sein Vater hatte die Kühlschranktür geöffnet. Sie blieb offen, während er davor stand. Niemand würde eine Kühlschrank so lange offen lassen, schon aus dem Drill heraus, sie gleich wieder zuzumachen, um Energie zu sparen. Wie er es selbst immer erklärt hatte. Jetzt atmete er einmal tief ein und wieder aus. Als hätte er den spürbaren Austritt der Kälte abgewartet, um genau die einatmen zu können.
„Und das hat sie gesagt: scheiß Firma? Oder sagst du das?“
„Fang gar nicht erst an, zu schreien.“
„HAT SIE DAS GESAGT ODER SAGST DU DAS?“
„Schrei nicht, verdammt nochmal.“
„ICH SCHREI, WANN ES MIR PASST!“
Damit schlug er die Kühlschranktür zu hart zu, so daß sie gleich wieder einen Spalt aufsprang. Und im Kühlschrank hatte etwas laut geklirrt.
„Dann schrei mal alleine.“
Frank nahm das Holzbrett mit dem Sandwich und verließ die Küche.
„Warte! ... bleib.“
Frank blieb in der Tür stehen. Das war das Mindeste.
„Was?“
„Du hast Recht.“
„Womit?“
„Das ich nicht zu schreien brauche. Aber es ist keine scheiß Firma.“
„Du sagst selbst, daß sie Schieflage hat.“
„Das hat sie immer mal. Auf und ab. Das habe ich ... immer noch wieder aufgefangen. Und das werde ich auch in Zukunft.“
„Mit mir oder was?“
„Hast du mal daran gedacht?“
„Nein. Absolut nicht.“
Sein Vater atmete nochmal übertrieben tief ein. Er blieb neben dem Kühlschrank stehen.
„Ich habe ihr fast alles kaufen können.“
„Darauf kommt es nicht an.“
Sein Vater suchte wieder den Blick, den er jetzt bekam. Frank schaute ihn endlich an. Über die ganze Küche hinweg. Aber es war ein müder Blick, mit schweren Lidern. Er war müde.
Er war es müde.
„Sie hat dich verlassen. Ob sie vorher schon psycho war oder erst nachher, weiß ich nicht. Aber du hättest es wissen können. Du hättest wissen können, wie eure ... Ehe war. Aber du hast es nie gewußt. Du hast nie darauf geachtet.“
Frank hielt inne.
Das war ein Anfang.
Aber er ließ es. Er wollte nicht weiter.
Vaters neue Freundin ging ihn nichts an. Sie war fünfzehn Jahre jünger als sein Vater, depressiv, Leidensfresse. Aus psychischen Gründen aus dem Beruf als Krankenschwester ausgeschieden. Sie saß immer mit krummem Rücken da. Ellen. Ellen betrug sich Frank gegenüber indifferent. Kumpelhaft wegen des geringen Altersunterschiedes. Und erwachsen, wenn sie auf seiten des Vaters sein mußte. Beides mißglückte. Daran sah Frank, daß sie ihren Platz in dem Gefüge nicht einnehmen konnte. Und sein Vater war mit ihr nicht etwa allein deshalb zusammen, weil sie jung und gut gebaut war, mit einem langen brünetten Pferdeschwanz, der ihren reizvollen Hals betonte, sondern auch, weil sie grundsätzlich tat, was er ihr sagte. Sein Vater glaubte an die Wahnvorstellung, etwas kontrollieren zu können. Sein Leben. Das anderer. Daran glaubte er. An Kontrolle. An Macht.
Dabei war inzwischen nur noch Frank übrig geblieben. Und das auch nur physisch.
Immerhin wohnte die Freundin hier nicht.
Das war besser so.
Ellen war geschieden, ohne Kinder. Sie behielt ihre Wohnung. So konnte sein Vater sie hier im Haus ficken, ohne daß sie, umgekehrt, in ihn eindrang. In sein großes Haus. Er war vierzig, hatte gute Haut, dunkles Haar, das gut geschnitten war, helle Augen, gut durchblutete Lippen, was gesund wirkte, weiße Zähne, eine schlanke Figur in stets gut sitzender Kleidung, einschließlich teurer Schuhe. Und eine Körpersprache, die immer den Kopf gerade erscheinen ließ, als wollte er damit eine unsichtbare Decke berühren. Immer eine Hand in die Hüfte gestützt. Und hatte im Grunde alles verloren.
„Reden wir also von einem Studium?“
„Nein.“
„Wovon dann?“
„Keine Ahnung, wovon wir reden.“
„Wir reden über deine Zukunft.“
Diesmal holte Frank einmal tief Luft, leicht zittrig, was sich hoffentlich nicht nach außen mitteilte. Es gab zumindest kein Zittern in der Stimme.
„Vielleicht reden wir zum Beispiel darüber, das es allein meine Entscheidung war, nicht mit Mama gegangen zu sein, sondern hier im Haus zu bleiben. Aber DU hast damit nichts zu tun. DU hast schon lange nichts mehr mit mir zu tun. Wir sind nicht mal mehr das Rudiment einer Familie, weil es die nie gegeben hat. Es hat nie ein Ganzes gegeben. Es gab immer nur: Dich. Mama. Fanny. Mich. Jeder für sich. Wir waren NIE zusammen.“
„Gottverdammt!
„Ja genau.“
„Gottverdammt.“
„Deshalb brauchen wir auch über keine Firma zu reden, in die ich einsteige. Oder ein Studium.“
Sein Vater änderte seine Körperhaltung.
„Du lebst für deine verschissene Firma. Nicht ich. Wir brauchen also auch nicht so zu tun, als redeten wir darüber. Das ist doch nur scheiß Konvention. Fanny ist weg. Mama ist weg. Was willst du von mir? Das, was du willst? So wie immer? Aber ich weiß ja nicht mal, was ich eigentlich will! Verstehst du das? ICH WEISS NICHT, WAS ICH WILL! ICH WEISS ES NICHT!“
„Aber darüber können wir reden!“
„Können wir nicht!“
„Aber ich kann dir was bieten!“
„Nein! Kannst du nicht!“
„GOTTVERDAMMT, ich ... !“
„Herrgott! Ich komm mir vor wie scheiß James Dean mit seinem Vater!“