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Frühe Kindheit

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Meine Eltern waren noch sehr jung, als ich in ihr Leben trat, und man kann nicht behaupten, dass ich eine unbeschwerte Kindheit hatte. Meine Mutter war Alkoholikerin, eine sogenannte Quartalstrinkerin, die sich seit ihrem vierzehnten Lebensjahr immer wieder aus dem realen Leben in den Alkohol flüchtete. Häufig saß meine Oma stundenlang am Fenster, um auf ihren Mann, ihre Tochter und ihren Sohn zu warten. Mein Halbonkel war der Grund dafür, dass meine Mutter alkoholabhängig wurde. Jahre des Missbrauchs durch ihn und seine Freunde hatten sie beinahe zerstört; ein normales Leben war nicht mehr möglich.

Angefangen hatte der Missbrauch bereits mit elf Jahren, als ein ›Freund‹ der Familie sie erstmals vergewaltigte. Ich weiß noch, dass ich mir Kinderbilder meiner Mutter ansah, speziell ihr Konfirmationsfoto, und dabei dachte: »Wie traurig sie doch ausschaut!«

Mein Opa, ein warmherziger, kluger und sensibler Mann, entdeckte meine Oma beim Spaziergang, als sie damit beschäftigt war, den Garten umzugraben und alle anderen im Haus feierten. »Schön blöd sind Sie!«, sprach er meine Oma an. »Da drinnen wird gefeiert, und Sie sind mit Umgraben beschäftigt!« Er brachte damit zum Ausdruck, was allen Angehörigen der weiblichen Ahnenreihe meiner Großmutter zu eigen war, und das galt auch für mich: Arbeit bekam im Leben absolute Priorität.

Als ich dreizehn Jahre alt war, sprach meine Mutter erstmalig über ihre traurige Vergangenheit. Anlass war ein Übergriff auf mich selbst, den ich glücklicherweise verhindern konnte. Ein Polizist hatte sich, während ich schlief, an mich herangemacht. Eine Freundin der Familie, die aufgrund eines stationären Aufenthalts meiner Mutter im Krankenhaus auf meine jüngere Schwester und mich aufpasste, brachte ihn mit ins Haus. Als ich spürte, dass mich etwas am Körper berührte und ich deshalb aus dem Schlaf gerissen wurde, um sogleich in ein fremdes Gesicht zu blicken, schrie ich im Schock nach Leibeskräften aus und schlug den Mann damit in die Flucht.

Meine Mutter spürte im Krankenhaus, dass etwas vorgefallen sein musste, und nachdem ich widerwillig aussprach, was geschehen war, packte sie kurzerhand ihre Sachen und eilte vorzeitig nach Hause. Dort angekommen, erzählte sie mir ihre deprimierende Geschichte, die mich erschütterte und mir die Tränen in die Augen trieb.

Nach einer langen Pause, in der ich ihr voller Mitgefühl den Arm streichelte, fragte ich sie: »Warum hast du Oma nichts davon gesagt?«

»Oh, das habe ich versucht. Aber sie hat mir nicht geglaubt, und bevor ich zu Ende reden konnte, hat sie mich als Spinnerin abgetan. Kurz darauf schickte sie mich zu Verwandten an die Ostsee. ›Zwangsausweisung‹! Ich habe nie wieder versucht, mit ihr darüber zu reden.« Meine Oma und meine Mutter hatten deshalb ihr Leben lang ein schwieriges Verhältnis.

Ich denke, dass ich in meiner medialen Tätigkeit deshalb auch immer wieder vielen Frauen begegne, die das gleiche Schicksal wie meine Mutter teilen, weil ich durch diese Erfahrungen sensitive Antennen für das Erkennen von Missbrauch und Alkoholismus entwickelt habe. Und natürlich, weil ich am eigenen Leib erlebt habe, was dies für den Betreffenden selbst sowie für seine Angehörigen bedeutet.

Mein Vater hatte eine gleichermaßen schwierige Kindheit. Bereits als Baby wurde er zur Adoption freigegeben. Er kam in eine Pflegefamilie, die bereits drei Kinder aufgenommen hatte. Seinen Pflegeeltern ging es vor allem um das Geld, welches sie für die Aufnahme und Betreuung der Kinder erhielten. Es gab für alle vier Kinder weder Liebe oder Zärtlichkeit, noch Mitgefühl oder Verständnis.

Mit diesen Kindheitserfahrungen lernten sich meine Eltern kennen und beschlossen, gemeinsam alles besser zu machen. Sie mieteten ein Haus in Calw, wünschten sich eine große Familie und wollten ihre eigenen Kinder mit Liebe großziehen. Zwei Menschen, denen die Flügel gestutzt worden waren und die versuchten, gemeinsam wieder ganz zu werden und fliegen zu lernen. Weder Vater noch Mutter schafften es, sich von ihrer Vergangenheit zu lösen, und Alkoholkonsum spielte bei beiden eine große Rolle. Trotzdem waren sie bemüht, eine normale Familie zu sein und uns Liebe zu schenken.

Meine eigenen Kindheitserinnerungen sind spärlich, sie liegen im undurchsichtigen Nebel der Vergangenheit. Das Wenige, das ich in mir bewusst gespeichert habe, waren Umstände und Situationen, die später beim Erkennen und Verstehen meines Wesens eine maßgebliche Rolle spielten. Ich weiß zum Beispiel noch sehr genau, wie ich mit zwei Jahren das Gitter des Kinderbetts meiner Schwester, die als Neugeborene friedlich in ihrem Bettchen schlummerte, festhielt. »Endlich bist du da!«, dachte ich, und betrachtete sie mit Entzücken. Stundenlang hätte ich sie so anschauen können. Lange, bevor sie in dieses Leben geboren wurde, freute ich mich schon über ihre Ankunft. Maya sagte ihr einmal, sie habe eine engelsgleiche Seele. Das muss ich bereits als Kind gespürt haben. Irgendwie wusste ich, dass jetzt mehr Licht gekommen war und somit auch für mich Unterstützung. Obwohl so viele Geschehnisse ausgeblendet sind, gibt es doch diese schöne Erinnerung an die Ankunft meiner Schwester ‒ ein Stern in dunkler Nacht!

Eigentlich hätte ich auf sie eifersüchtig sein müssen, war sie doch das bevorzugte Kind meiner Mutter. Ich selbst fühlte mich als Kind an der Seite meiner Mutter unsicher, ja sogar ängstlich. Der Grund hierfür sollte sich später, als ich bereits in die spirituelle Welt eingetaucht war, zeigen.

Wir lebten in einer winzigen Wohnung in einer einfachen Gegend. Graue, eintönige Gebäude reihten sich aneinander, es gab einen steinigen Innenhof und kaum Grün. Der Kindergarten war nur einen Sprung entfernt, die Schule ebenso. Als Kind empfand ich die Dimensionen natürlich anders. In der Küche stand eine winzige Sitzbadewanne aus Zink, was ich damals schon als ulkig empfand, und meine Schwester und ich teilten uns ein Zimmer. Die Wohnung selbst war gruselig, überall gab es Geister von Verstorbenen, und niemals wollte oder konnte ich ohne Licht einschlafen. Hier begann mein Sehen und Hören.

Jahre später, als ich bereits erwachsen war, erzählte mir mein Vater, dass ich mit zwei oder drei Jahren meine Eltern warnte, sich nicht ins Wohnzimmer zu begeben. »Ihr könnt da nicht rein! Seht ihr nicht, dass schon alles voll ist? Viel zu viele Leute!« Ich sprach schon sehr früh, noch bevor ich gehen lernte. Natürlich glaubten mir meine Eltern nicht. Sie dachten, das Kind hätte einfach eine rege Phantasie.

Ich fürchtete mich sehr in dieser Wohnung, und für meine Schwester und mich gab es nur einen sicheren Ort zwischen diesen Wänden, nämlich außerhalb davon! Wir richteten uns den Balkon her, mit Tüchern als Himmelsdecken, und bauten somit unseren sicheren ›Bunker‹ als Schutz vor den Geistern. Oft hörte ich in der Nacht klar ›die andere Seite‹, die immer wieder, wenn der Abend den Tag ablöste, meinen Namen rief, und jedes Mal erschrak ich aufs Neue bis ins Mark. Ich wusste innerlich, dass dies nicht die Stimmen des Lichts waren, die mich bedrängten und auch in meinen Träumen verfolgten.

Mit fünf Jahren wachte ich eines Tages, im Bett zwischen meinen Eltern liegend, auf. Ich wurde von einem fremden Wesen, das vor mir am Fußende des Bettes stand, geweckt. Der Mann, mit einem dunklen Umhang und einem merkwürdigen altmodischen, schwarzen Hut bekleidet, hielt seinen Blick durchdringend auf mich gerichtet. Ich erschrak zu Tode!

In meiner Panik war mein nächster Gedanke, meine Eltern zu wecken, doch gleichzeitig wusste ich, dass sie den Mann nicht sehen würden. Also zog ich die Bettdecke zum Schutz über mein Gesicht in der Hoffnung, er würde sich von alleine in Luft auflösen. Sehr langsam zog ich die Decke wieder herunter, gerade so weit, dass meine Augen frei lagen und ich erspähen konnte, ob der Mann noch da war.

Unglücklicherweise hatte er sich nicht in Luft aufgelöst. Da stand er immer noch, die dunklen Augen auf mich gerichtet. Er versuchte, mir etwas mitzuteilen, doch meine Angst war übergroß, und so nahm ich die Decke wieder zu Hilfe. Decke hoch, Decke runter … irgendwann muss ich vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Erst heute, vierzig Jahre später, habe ich die Antwort darauf erhalten, wer dieser Mann war und dass ich mich vor ihm zumindest nicht hätte fürchten müssen.

Meine Kindheit erlebte ich als eine dunkle Zeit. Selbst der tägliche Aufenthalt im Ganztageskindergarten lässt keine schönen Erinnerungen aufkommen, im Gegenteil: Ich hasste es, dorthin zu müssen.

Eines Tages spielten wir im Hof des Kindergartens Cowboy und Indianer. Als Kind liebte ich Indianerfilme, und wenn mein Vater ankündigte: »Heute Abend gibt es im Fernsehen einen Cowboyfilm!«, war meine erste Frage: »Ist er auch mit Indianern?« Ohne sie interessierte mich der Film nämlich nicht im Geringsten. Wir spielten also Cowboy und Indianer.

Im Innenhof des Kindergartens gab es eine große Buche, sie muss schon viele Jahre alt gewesen sein. Natürlich war ich der Indianer! Eine Gruppe Kinder fing mich ein und fesselte mich an den Baum. Am Anfang war es ein Spiel, doch bald wurde bitterer Ernst daraus. Als Kind hat man nicht das Zeitgefühl wie ein Erwachsener, aber ich schätze, dass ich mindestens eine Stunde lang am Buchenstamm gefesselt war und schließlich in Panik ausbrach. Ich schrie und schrie, aber keiner kam, um mich zu erlösen.

Einige Leben zurück: Gefesselt an einen Pfahl auf einem Hügel schaue ich hinunter auf ein Dorf. Mit Tränen in den Augen erblicke ich ein grauenvolles Bild: Die Bewohner des indianischen Dorfes, das ich sehe, werden von weißen Männern regelrecht massakriert. Keiner kommt mit dem Leben davon. Mein Geist befindet sich unter hilflosen, schreienden Menschen.

Einige davon sind mir auch aus diesem Leben bekannt. Ich schaue nach rechts … ein junger Mann ist parallel zu mir an einen weiteren Pfahl gebunden. In tiefer Trauer um diesen Mann, der, wie mir mein inneres Wissen mitteilt, meine zweite Hälfte ist, sehe ich, wie ihm die Kehle durchgeschnitten wird. Danach bin ich an der Reihe. Ich sehe, wie mein Körper, in dessen Bauch ich ein Kind trage, aufgeschlitzt wird.

»Ich bin schuld an diesem Massaker!« Während dieses Gedankens fühle ich unendliche Traurigkeit über den Verlust und all das Leid und den Schmerz, den diese Menschen durchlebt haben.

Später erfuhr ich die Hintergründe zu meinen inneren Bildern und das erneute Miterleben: Meine Dualseele und ich hatten die Obhut über dieses indianische Volk. Die Weißen verlangten von uns, ihnen zu sagen, wo wir unser Gold versteckt hielten. Für uns war klar: Wenn wir es ihnen sagen, werden sie es sich nehmen und uns töten. Doch die andere Option brachte das gleiche Ergebnis.

Dieses Ereignis und die wiederkehrende Erinnerung daran, als Fünfjährige an einen Baum gefesselt gewesen zu sein, wurden in der nachfolgenden Zeit ein Nährboden für mein daraus resultierendes Denken und Fühlen. Das verbleibende Gefühl von Schuld spielte eine maßgebliche Rolle in meinem weiteren Leben. Meine damalige Inkarnation wirkte immer noch bis in diese Existenz, und so nahm ich ein großes Gefühl von Verantwortung, Angst, etwas Falsches zu tun, und das Gefühl von Hilflosigkeit mit in dieses Leben hinein. All das legte sich wie ein Schatten auf meine Seele und erwirkte die Begrenzungen, die ich später nur mühevoll durch Vergebung auflösen konnte.

Erst wenn der Mensch in der Lage ist, nicht nur anderen, sondern sich selbst zu vergeben, werden die Schatten von unserer Seele genommen, wie Maya es gerne ausdrückte. »Weißt du, eigentlich bin ich eine Fensterputzerin!« Ich höre ihr helles Lachen noch heute in meinem Ohr nachklingen. »Jaja, nichts anderes ... eine Fensterputzerin! Ich bin mit Putzen beschäftigt. Ich putze die Flecken, die auf den Seelen liegen weg, so dass das Licht durchbrechen kann!«

Funktioniert das bei jedem Menschen? Für diejenigen, die auf Seelenebene ihre Einwilligung geben, ja! Das bedeutet, dass ein Mensch auf innerer Ebene bereit sein muss für Vergebung. Dafür haben wir unseren freien Willen von Gott bekommen, um entscheiden zu können.

Wir können uns stets für die Liebe oder das Leid entscheiden; wir können wählen, ob wir am Elend festhalten wollen, oder unser Herz in Hingabe öffnen für den Frieden, der im richtigen Augenblick der Bereitschaft Heilung schenkt. Es ist keine Frage und liegt auf der Hand, was Gottes Hoffnung und Wunsch für uns bedeutet: Er liebt uns alle so sehr, dass er uns in Freude sehen möchte, und deshalb ist es so wichtig, dass wir auflösen, was wir an ›Unverdautem‹ aus vergangenen Zeiten mitgebracht haben.

Mein damaliges Indianer-Leben ist ein gutes Beispiel dafür, wie diese alten Schuldgefühle sogar für eine krankhafte Manifestation im Körper sorgen können.

Tore zur Freiheit

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