Читать книгу I Ging - Andrea Seidl - Страница 10
ОглавлениеDie Philosophie des I Ging
Das I Ging beruht auf einem metaphysischen Weltgebäude, das auch den chinesischen Kampfkünsten, dem Feng-Shui und der traditionellen chinesischen Medizin zugrunde liegt.
Die Schöpfung
Das Tao erschafft die Eins.
Die Eins erschafft die Zwei.
Die Zwei erschafft die Drei.
Die Drei erschafft alle Dinge.
(Laotse)
Die Schöpfungsgeschichte der alten Chinesen drückt sich in numerischen Metaphern aus, die direkt in die mathematische Symbolik des I Ging münden:
Am Anfang war nur das Tao, jenseits von Zeit und Raum, die Quelle allen Seins, grenzenlos, formlos, ewig und unendlich. Dieser göttliche Ursprung wird dargestellt in der Null oder dem leeren Kreis (Wu Chi) und aus ihm geht der erste Schöpfungsakt hervor: Aus Nichts wird Etwas, aus 0 wird 1, die Leere erzeugt die allumfassende Einheit (Tai Chi, das Paradies). So wie ein Magnet zwei Pole hat, umfasst diese übergeordnete Ganzheit die sexuellen Energien von Yin und Yang (Adam und Eva). Damit erzeugt die Einheit die Zweiheit. Aus der Polarität von Yin und Yang entspringt wiederum die Dreiheit – die Grundbausteine der Welt, die acht Trigramme. Und die Dreiheit erschafft schließlich die Vielheit: aus den Trigrammen entstehen die Hexagramme, der Kosmos in seiner Fülle. So gesehen bringen das männliche Yang und das weibliche Yin in einem ewigen Prozess kosmischer Sexualität die ganze unüberschaubare Welt der „zehntausend Dinge“ hervor.
Die Urpolaritäten
Alle Dinge haben im Rücken das Dunkle
und wenden sich hin zum Licht.
Wenn Licht und Dunkel sich verbinden,
kommt Harmonie in alle Dinge.
(Laotse)
Nach der Grundidee des östlichen Weltbildes ist das Universum also eine Art zweigeschlechtlicher Organismus, in dem das Leben (Chi) zwischen den Polen von Yin und Yang pulsiert. Die Welt ist nichts anderes als der Tanz dieser beiden Grundkräfte, die in ihrem ständigen, kreativen Wechselspiel alles erschaffen, was ist. Der stetige Wandel aller Dinge ist also kein Ausdruck von Chaos, sondern die natürliche Ordnung der Welt. Leben heißt Veränderung und bleibt niemals stehen. Doch diese Veränderung ist nicht willkürlich, sondern folgt einer inneren Gesetzmäßigkeit, die im I Ging aufgezeichnet ist. Seine Hexagramme geben diese fluktuierende Weltordnung, den „Fluss der Dinge“ getreu wieder. So gibt es das Zeichen „Vor der Vollendung“ (Hex. 63), ebenso wie das Zeichen „Nach der Vollendung“ (Hex. 64), ein Hexagramm, das einen stabilen Zustand namens „Vollendung“ beschreiben würde, existiert nicht.
Die beiden Pole des Lebens Yin und Yang sind grundverschieden und dennoch keine Gegensätze, wie unser dualistisches Denken uns leicht weismachen könnte. Zwischen ihnen besteht kein Konkurrenzverhältnis, sondern eine Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit. Sie befruchten und ergänzen sich, sie sind wie die untrennbaren beiden Seiten einer Medaille. Beide sind bereits ineinander enthalten. Sie sind ja nichts Absolutes, sondern grundsätzlich relativ: etwas ist yin oder yang in Bezug auf etwas anderes. Der Mann ist yang im Vergleich zur Frau. Sein Körper ist yin im Kontrast zu seinem Intellekt. Seine Körperoberfläche ist wiederum yang bezüglich des Körperinneren, usw. Wie es im Tai Chi-Symbol dargestellt ist, birgt das Yin den Keim des Yang in sich und umgekehrt. Der Mann trägt die Frau in sich, die Frau den Mann. Sie ziehen einander magnetisch an, weil sie den gegenseitigen Ausgleich brauchen. Ein starkes Yin weckt das Yang; je stärker das Yang, umso mehr verlangt es nach Yin. Auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung kippt jeder Pol in den jeweils anderen. So sorgen die Gesetze der Zeit für eine alchimistische Transformation: Yin verwandelt Yang, Yang verwandelt Yin - der Tag wird zur Nacht und die Nacht wieder zum Tag… Die Summe der möglichen Transformationsmuster ist in den 64 Hexagrammen wie auf einer qualitativen Zeittafel festgehalten.
Das älteste Bild zur Illustration der beiden Urkräfte zeigt einen Berg mit seiner sonnigen (yang) und seiner schattigen (yin) Seite. In der graphischen Darstellung wird Yang als geschlossene, durchgezogene Linie mit phallischen Charakter gezeichnet, während die durchbrochene und damit offene Linie zum Symbol des Yin wird.
Zum männlichen Yang gehören die Eigenschaften: Licht, Himmel, Tag, Sonne, Inhalt, Anfang, Ausdehnung, aktiv, schöpferisch, rational, bewusst, vorantreibend, Willenskraft, beharrlich, trocken, hart, plus, geistig …
Zum weiblichen Yin gehören: Dunkelheit, Erde, Nacht, Mond, Form, Ende, spüren, Kontraktion, passiv, rezeptiv, Ruhe, unbewusst, geschehen lassen, feucht, weich, nachgiebig, sanft, bescheiden, minus, materiell …
Diese beiden Pole sind einander völlig ebenbürtig. Allerdings klingt bei der Aufzählung der zugeordneten Begriffe unterschwellig schon an, was wir heute im Alltag ständig erleben: Yang scheint irgendwie besser zu sein als Yin, aktiv scheint besser zu sein als passiv, plus besser als minus, handeln besser als geschehen lassen – oder? …
Solche Bewertungen sind dem Kosmos fremd. Und wenn man weiß, dass die chinesische Medizin die Ursache aller Pathologien darin sieht, dass Yin und Yang nicht im Gleichgewicht sind, versteht man die Krankheit unserer Welt.