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Rushhour

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Verantwortlich für eines der Spitzenteams des größten Schutzunternehmens im Sonnensystem, der Sol Guard, hatte Lester Benx vor seiner Versetzung mit den Herausforderungen einer Bergbaukolonie wie Kap Rosa gerechnet. Der Mond war zu jener Zeit für sein ungastliches Klima und den Dauerregen bekannt gewesen. Außerdem für die illegalen Niederlassungen von Kristalldieben und Schmugglern sowie eine extrem hohe Kriminalitätsrate. Wenn er damals jedoch gewusst hätte, was ihn hier tatsächlich erwartete, und dass es zwei volle Jahre kosten sollte, den Sumpf aus Verbrechen und Schwarzhandel trocken zu legen, er wäre auf der Erde geblieben. Selbst die höhere Gehaltsklasse und der Rang eines Chief-Officers hätten ihn kaltgelassen.

Nach den Hürden der Eingewöhnung war erfreulicherweise seine Begeisterung zurückgekehrt, die er bereits als Neunjähriger für den Mond empfunden hatte. Jeden Informationsschnipsel um dessen Besiedlung hatte er damals aufgesogen. Aber auch jedes Detail um deren Ende. Am deutlichsten war ihm die Kapitulation der Kolonisten im Gedächtnis haften geblieben, ihrem Scheitern an den Umweltbedingungen. Und das Desinteresse der Erdbevölkerung an dem Drama. Zutiefst enttäuscht hatte er seine Hoffnungen zu Grabe getragen, in der neuen Welt als Pionier oder Spezialist Heldentaten zu vollbringen.

Im Verlauf seines Kindheitstraumas war ihm nie in den Sinn gekommen, dass einem das Leben für Vieles eine zweite Chance bot und er eines Tages am Neubeginn der Menschheit auf dem Mond mitwirken durfte, nur eben in einer Minenstadt.

Leider relativierte die Lage jene mühevoll erarbeiteten Erfolge, denn das Chaos des anfänglichen Förderbetriebs meldete sich zurück. Die Häufigkeit der Zwischenfälle in den letzten Wochen erreichte den Level von vor vier Jahren, dem Zeitpunkt seines Dienstantritts.

Vielleicht war mir das fragile Gleichgewicht nicht bewusst, in dem wir hier leben, vermutete Lester, als er um 05:58 Uhr eine der Gleiterbahnen bestieg, die zwischen den Ebenen des Towers pendelten. Das Transportmittel befuhr eine Spiralroute innerhalb der Außenwand des Gebäudes und würde ihn zu einer der drei Startplattformen mehrere Ebenen tiefer bringen. Von dort aus wollte er mit seinem Nahverkehrsgleiter zu Mine C fliegen, dem Fundort der Leiche.

Die Bahn quoll über. Neben dem regulären Durcheinander, das Bergarbeiter und Personal auslösten, besuchten vor den Feiertagen viele Händler von der Erde die Stadt. Sie boten ihre Waren auf den Weihnachtsbasaren an und durften mit hohen Umsätzen rechnen. Natürlich besaßen konsumfreudige Kunden die Möglichkeit, ihre Einkäufe von zu Hause aus, im Extended-Reality-Space zu tätigen. Aber vor Heiligabend war der Bedarf an individuellen Geschenken groß, daher platzten die Einkaufszentren von Kap Rosa aus allen Nähten.

Weihnachtstourismus … auch dafür sind wir berühmt. Nicht nur für das Brymm und die gescheiterte Kolonisierung.

Wie auf Kommando drängten sich die einstigen Pläne der Erdregierung in Lesters Sinn. Pläne, die sechs Jahrzehnte zurücklagen und die sich um den Mond als Prestigeobjekt gedreht hatten, um einen Hoffnungsträger, der Goldgräberstimmung verbreiten sollte. Das, was im Endeffekt aus den Plänen geworden war, hinkte weit hinter den Versprechen der Politiker her, und man durfte in Bezug auf den Lebensraum, der erschlossen wurde, getrost das Prädikat »Fehlschlag« in den Mund nehmen. Aus historischer Sicht allerdings hatte die Menschheit ihre Feuertaufe bestanden und aus den Fehlern gelernt, was die Eroberung anderer Planeten erleichterte.

Auf den 3D-Bildschirmen der Bahn, die sich über beide Wandflächen erstreckten, flimmerte die übliche Produktwerbung. Schöne Menschen präsentierten Luxusgüter, Reisen zu exotischen Urlaubsorten und natürlich die neuesten Software-Erweiterungen der populärsten Ex-R-Welt Traglylon.

Das alles beachtete Lester kaum mehr. Als sich die Bahn in Bewegung setzte, blieb er an einem Platz unweit des Türkraftfeldes stehen, entging jedoch nicht der Aufmerksamkeit eines Hologramms im Geschäftsmann-Outfit. Es durchschritt einige Leute und sprach ihn mit einer Vertretermasche an, die vor Penetranz triefte.

»Haben Sie Ihren Job gründlich satt? Suchen Sie nach neuen beruflichen Herausforderungen? Möchten Sie mehr Geld verdienen oder Ihre Position verbessern? Wenn ja, sind wir von Organic-Mind-Enhancements in der Lage, Ihnen ein unglaublich attraktives Angebot zu machen! Für eine angemessene Summe Craedos und in einer unkomplizierten und schmerzfreien Prozedur, erhalten Sie das Fachwissen für Ihren Traumberuf. O-M-E bietet zukunftsorientierte Qualifizierungen für Ihren MindCell, die durch unsere enge Zusammenarbeit mit allen namhaften Instituten und Akademien auf dem neuesten Stand der Wissenschaften sind. Garantiert! Millionen zufriedener Kunden jeder Alters- und Einkommensklasse sprechen eine deutliche Sprache, denn wir sind die Marktführer im Bereich moderner Weiterbildung!«

Die Stimme des Hologramms nahm einen vertraulichen Ton an, den Lester äußerst schmierig fand.

»Oder Thema Jugendschutz. Welche leidgeplagten Eltern kennen das nicht: Sex und Gewalt in den Medien bestimmen das Leben der Erwachsenen. Durch ein kleines Update bei Ihren Kindern erreichen Sie, dass die Augen und Ohren der lieben Kleinen nur für sie geeignete Inhalte wahrnehmen. Wir stimmen uns hierbei mit der Medienbranche ab, um die geeigneten Zensur-Standards zu etablieren. Sind das nicht viele gute Gründe, über ein Update nachzudenken? Die Liste unserer Dienstleistungen und Preise wurde Ihnen soeben per VidMail gesandt. Zögern Sie nicht länger, schauen Sie bei uns vorbei. Ändern Sie jetzt ihr Leben und die Welt wird Ihnen zu Füßen liegen! Organic-Mind-Enhancements … professionelle Updates, die Sie sich leisten können!«

Eine einschmeichelnde Melodie erklang, und das Hologramm begann ohne Erbarmen, seinen Spruch von vorne aufzusagen.

Lester wechselte den Stehplatz.

Manchmal fragte er sich, wie die Menschheit früher ohne den MindCell ausgekommen war. Inzwischen gehörte es zur Standardprozedur, jedem Neugeborenen einen Biocomputerchip auf der Basis menschlicher DNA in das Gehirn einzupflanzen. Der Chip enthielt umfangreiches Grundwissen, eine Quasi-Gebrauchsanleitung für den Körper und die vier Hauptsprachen der Erde. Gut situierte Eltern ließen Spezialkenntnisse hinzufügen, und eine Einbindung des Kindes in familiäre Netzwerke geschah automatisch ab dem ersten Lebensjahr.

Staatsmänner und Wissenschaftler erhielten eine leistungsfähigere, mit Zusatzfunktionen ausgestattete Version des Chips, den SuperMindCell. Auch in den Köpfen der Sol Guard-Angestellten arbeitete dieses Modell und gewährleistete die effiziente Vernetzung zwischen den Gehirnen der Team-Mitglieder. Dadurch standen Ermittlungsdaten sofort jedem Beamten zur Verfügung. Außerdem zeichnete der Chip alle Erlebnisse seines Trägers auf und sorgte für ein verlustfreies Gedächtnis, da er in Verbindung mit einem LiSi praktisch unbegrenzte Speicherkapazitäten besaß.

Neuerdings machten Forscher Tests mit der Implementierung einer universellen Verständigungsart, von der man in Fachkreisen der Meinung war, sie würde die konventionellen Sprachen ablösen. Dabei ging es um Empfindungen und Gedanken, die als millisekundenschnelle Informationspakete gesendet wurden und für die SuperMindCells der übernächsten Generation zum Einsatz kamen.

Die Zukunft sollte die Vernetzung der gesamten Menschheit bringen – eine kollektive Gemeinschaft in einer neuen Dimension. Man würde sich mit anderen Personen »verlinken« und dasselbe sehen, hören und fühlen, geistige Kapazitäten sogar kombinieren können. Selbst ein Bewusstseinstransfer lag im Bereich des Möglichen. Auch in einen Droiden.

Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, aber wo führt dieser ganze Mist hin, wenn das Alter und körperliche Gebrechen keine Rolle mehr spielen? Von dem Verlust der Privatsphäre und der Identität mal ganz abgesehen …

Die Bahn hielt, Gesichter verwischten im Getümmel, die Fahrt ging weiter.

Lester registrierte auf dem Wand-Display einen Beitrag der Reihe »History Lesson Today« und fühlte sich plötzlich ausgebrannt.

Vier Jahre Kap Rosa am Stück … da ist ein Besuch auf der guten alten Erde längst überfällig. Doch in der Lage, in der sich seine Firma befand, war das Beantragen von Urlaub reinste Utopie. Ihn beschlich der Verdacht, bereits das Schicksal all jener Menschen zu teilen, die im Laufe der Zeit versucht hatten, es auf diesem verregneten Stück Felsen zu etwas zu bringen, jedoch von den Umständen zermürbt worden waren.

Der gutgelaunte Moderator der History Lesson, die Geschichte in leicht verdauliche Bilder verpackte, schien ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen.

»Unsere Leistungen auf dem Mond haben Tradition! Wussten Sie, dass schon Mitte des 21. Jahrhunderts, in diesem Gebiet, die erste Forschungsstation für Wissenschaftler und ihre Familien errichtet wurde? Siebzig Jahre später, 2122, begann die Erdregierung mit den ersten Terraforming-Versuchen. Der Mond sollte zum neuen Lebensraum werden, um der Überbevölkerung des blauen Planeten entgegenzuwirken. Gigantische Klimageneratoren, die Atmosphärenwandler, welche übrigens als Gedenkstätten zu besichtigen sind, produzierten damals den Sauerstoff, und ein Geflecht unterirdischer Gravo-Erzeuger regelte die Schwerkraft. Man siedelte gentechnisch gezüchtete Tier- und Pflanzenarten an, wodurch sich Flora und Fauna auf natürlichem Wege entwickelten. 2143 fiel der Startschuss für das Kolonisierungsprogramm.«

Filmausschnitte einer aufblühenden Landwirtschaft glitten ins Bild. Bauern betrieben Ackerbau auf fruchtbarem Boden, Ortschaften wurden gegründet, eine Infrastruktur entstand.

Der Sprecher lächelte. »In den Anfangstagen sah das Mammutprojekt vielversprechend aus.« Dann wechselten die Ausschnitte und zeigten von Unwettern heimgesuchte Gebiete, die Zerstörungen von Gewächshäusern und Ernten. Das Lächeln des Moderators verwandelte sich in einen dümmlichen Gesichtsausdruck, als ob er um Entschuldigung bitten wollte.

»Doch aufgrund unerwarteter Schwierigkeiten im Laufe der Jahre, vermochten die Konstrukteure der Atmosphärenwandler das Klima nicht mehr zu kontrollieren. Hätten Sie es für möglich gehalten? Selbst heute noch wird mit Hochdruck nach einer Lösung des Schlechtwetterproblems auf dem Mond gesucht, und dank der verbesserten Wandler-Technologie könnte dies bald gelingen.«

Lester ärgerte sich über den flachen Erzählstil des Mannes. Damals war das Ökosystem entgleist. Punkt. Nichts hatte sich seither geändert, und es würde sich nichts ändern. Gewitter, Blitze und Donnergrollen spielten eine vierundzwanzigstündige Symphonie des Chaos über der karg bewachsenen Gerölllandschaft. Die Durchschnittstemperatur hatte sich auf 5 °C eingependelt, und von Fruchtbarkeit fehlte jede Spur.

Der Sprecher fuhr fort: »2147 legten die Farmer und Terraforming-Spezialisten noch ungeheure Energien an den Tag, um ›ihre neue Welt‹ in den Griff zu bekommen. Die Menschen ließen sich nicht unterkriegen!«

Sag dem Zuschauer doch klipp und klar, dass die Erdregierung nur wegen der investierten Steuergeld-Milliarden dem Desaster nicht sofort ein Ende setzte!

»Alle Bemühungen waren jedoch vergebens. Überschwemmungen und Dauerregen machten jegliche Erfolge in der Landwirtschaft zunichte. Inzwischen waren auf dem Mond Flüsse, Seen und Meere entstanden. Die Siedler zogen sich während der folgenden Jahrzehnte zurück, und niemand zeigte mehr Interesse daran, seine Existenz unter den gegebenen Extrembedingungen zu verbringen. Die Kolonisierung endete 2178 offiziell als Misserfolg. Seitdem stehen die Ansiedlungen und Gewächshäuser verlassen und leer.«

Lester kannte alle Infos auswendig. Trotzdem packte ihn die Traurigkeit darüber immer wieder.

Das 3D-Display zeigte einen Querschnitt des Mondes.

»Nach elf ereignislosen Jahren, 2189, machte schließlich ein Geologen-Team um den renommierten Wissenschaftler Professor Doktor Yorgen Brymm durch Zufall bei Bohrungen in einer Tiefe von fünfhundert Kilometern eine spektakuläre Entdeckung: Man stieß auf ein bisher unbekanntes Mineral, das in keinem der vorherigen Tiefenscans angezeigt worden war und dessen Herkunft und Alter unbestimmbar blieben. Nach weiteren Bohrungen stellte sich heraus, dass man zuerst nur auf eine der kilometerdicken Adern gestoßen war, die von einem Hauptvorkommen ausgingen: dem Mondkern! Er besteht nicht, wie ursprünglich vermutet, aus Eisen-Schwefel-Verbindungen, sondern vollständig aus dem Kristallgestein.«

Der Sprecher setzte eine feierliche Miene auf und betonte, wie positiv die Entwicklung der Menschheit durch die Entdeckung beeinflusst worden war, welch großes Energiepotenzial das Mineral besaß und wie leicht dieses zu aktivieren und zu kontrollieren war. Aufgrund der Andersartigkeit seiner Struktur, die einem Quasikristall ähnelte, seiner multidimensionalen Beschaffenheit und der darin gebundenen Wasserstoff- und Helium-Isotope, hatte das »Brymm« einen Platz im Periodensystem der Elemente erhalten.

»Erinnern Sie sich? In der Vergangenheit litten wir bezüglich unserer Energieversorgung unter großen Schwierigkeiten. Kernkraftreaktoren verseuchten ganze Landstriche, erschöpfte fossile Brennstoffvorkommen stürzten uns in globale Krisen, und die Zerstrittenheit unter den Anbietern alternativer Ressourcen, wie Wind-, Solar- und der damals modernen Fusionsenergie, erschwerten die Versorgung. Insbesondere die Fusionskraftwerke vermochten aufgrund ihrer komplexen Technologie nicht, den Bedarf überall zu decken und die Flexibilität für eine Zivilisation an der Schwelle des interstellaren Raumflugs zu gewährleisten. Vor achtzehn Jahren, zur Zeit der Brymm-Entdeckung, war mit allen Hindernissen jedoch Schluss. Ein goldenes, unkompliziertes Energiezeitalter und eine neue Ära der Raumschiffsantriebe brach an, die der Menschheit ein friedliches Miteinander bescherte und ihr den Weg zu den Sternen ebnete.«

Komm schon! Du erwähnst nicht, wie sich damals alle auf das Megageschäft ihres Lebens gestürzt haben. Energiekonzerne, Finanzinvestoren und die ganze Bandbreite von Geldhaien haben Schlange gestanden und um Anteile und Abbaurechte gestritten. Und wer badet eure Raffsucht heute aus? Der kleine Mann!

Vor allem daran erinnerte sich Lester. Nach langen Verhandlungen hatten sich die Interessenten geeinigt und ein Konglomerat gegründet, das im Stande war, die immense Summe an Craedos für die Erschließung des Kristallvorkommens auf dem Mond zu schultern. Die Erdregierung hatte obendrein für die Vergabe der Rechte kräftig abkassiert, trotz ihrer späteren Gewinnbeteiligung.

»Die Minengesellschaft Skyrock war geboren. Erstaunlich, wie eine einzelne Firma in kürzester Zeit das Leben von uns allen so positiv beeinflusste. Dafür sollten wir dankbar sein, meinen Sie nicht?« Ein Jingle erklang.

Skyrock, der selbstlose Wohltäter … jetzt reicht’s aber!

Der Beitrag endete, und der lächelnde Moderator verschwand.

Ich sollte eine eigene History Lesson produzieren. Dabei würden die Leute die ungeschminkte Wahrheit erfahren … und ich könnte meine Koffer packen.

Trotzdem spann Lester den Gedanken weiter. Er musste bei aller Kritik zugeben, dass der Konzern sich nicht nur durch seine fragwürdigen Geschäftspraktiken auszeichnete. 2190 hatte Skyrock unweit der ersten Mondforschungsstation eine Förderanlage in Form einer Stadt aus dem Boden stampften lassen: Kap Rosa. Erbaut auf der von der Erde aus sichtbaren Seite ihres Trabanten, lag sie nördlich des Kratersees Tycho, zwischen den westlichen Ausläufern des Promontorium Taenarium und der östlichen Küste des Mare Nubium. 2195 schließlich war die Anlage mit der größten wirtschaftlichen Bedeutung im Sonnensystem in Betrieb gegangen und bot eine Flut von Arbeitsplätzen.

Nachdem der kommerzielle Abbau von Brymm, benannt nach dessen Entdecker, begonnen hatte, eroberte das Mineral alle Bereiche der Energieversorgung im Sturm und war aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die in verschiedenen Bedarfsgrößen produzierten Kristallzellen setzte man lediglich in Fusionspower-Konverter ein, in denen sie gefahrlos brannten und hohe Energiemengen lieferten. Dies funktionierte auf Basis der Pyrofusions-Technologie, bei der die Brymm-Atome ionisiert wurden und die Atomkerne ihre nötige Verschmelzungsgeschwindigkeit schon bei niedrigen Temperaturen erreichten.

Zudem war man bei dem Verbauen der Konverter nicht auf Kraftwerke wie bei der heißen Kernfusion angewiesen, sondern konnte sie Platz sparend und überall zum Einsatz bringen: in Raumschiffsantrieben, in Gebrauchsgegenständen, sogar in mikroskopisch kleinen Geräten.

Wissenschaftler hatten aufgrund der Fremdartigkeit des Minerals anfängliche Bedenken bezüglich dessen Verwendung geäußert. Einige warnten sogar ausdrücklich angesichts der nicht zu deutenden Strahlungswerte vor dem Gebrauch als Fusionselement. Doch nachdem keine Gesundheitsschäden am menschlichen Organismus nachgewiesen werden konnten, gingen jene kritischen Stimmen im Rausch der Begeisterung und Profitgier unter.

Eine Gänsehaut kribbelte auf Lesters Nacken, als er daran dachte, in welchem Tempo sich die Skyrock Corporation zum einflussreichsten Megakonzern der Erdgeschichte entwickelt hatte. Der technische Fortschritt Ende der Neunziger war explodiert, wodurch die Besiedlung weiterer Planeten und Monde zur greifbaren Realität geworden war. Vor wenigen Jahren versuchte sich die Regierung sogar daran, das Klima auf der Erde zu korrigieren – mit Erfolg. Endlich hatte der Mensch dem Treibhauseffekt und den Naturkatastrophen Einhalt geboten.

Das Klima des Mondes hingegen bekam niemand in den Griff.

Wegen ihrer angeblich unökonomischen Nutzungstechnologien waren Solar- und Windkraftanlagen in den Hintergrund getreten. Zwar existierten weiterhin Städte, die ausschließlich auf Sonnenenergie setzten, wie New Attika, der im Jahr 2159 gegründete Stadtstaat auf dem Mars. Der Prozentsatz der »Nicht-Brymm-Consumer« auf dem Verbrauchermarkt ging jedoch gegen Null, ein Markt, der sich schnell an die leicht zu handhabende Mineralenergie gewöhnt hatte.

Viel zu schnell … und nun kriegen wir die Quittung!

Trotz der üppigen Kristallvorkommen zahlten die Abnehmer hohe Preise an Skyrock. Andere Energiegiganten wurden von dem Konzern geschluckt, und sogar das Kartellamt war in dessen Besitz übergegangen und arbeitete zu Gunsten des De-facto-Monopolisten. Rückendeckung bei vielen dieser »Deals« hatte die Erdregierung geleistet, die nicht nur die Hände aufhielt, sondern auch dem Druck der Skyrock-Lobbyisten unterlegen war.

Skyrock war zum Shootingstar geworden, und viele Leute bezeichneten das Unternehmen ehrfürchtig als »Die Company«. Dennoch verlief der Bergbau auf dem Mond nicht reibungslos, da die Kriminalität in Form illegaler Kristalltransporte und Schmuggel eine Begleiterscheinung seit dem ersten Tag gewesen war. Überfordert hatte der Polizeiapparat nach acht Jahren eingestanden, die Lage nicht unter Kontrolle zu kriegen.

Womit wir in der Gegenwart angekommen wären, verehrte Zuschauer der ›Benx’ History Lesson‹. 2203 verpflichtete die Company eine bis dato kleine aber erfolgreiche Schutzfirma für die Mineneinrichtung … die Sol Guard! Und für den ehrgeizigen Lester Benx und seine Kollegen begann vor vier Jahren die Arbeit auf dem Erdtrabanten.

Wie auf ein Stichwort zeigten die Wand-Displays Hinweise zur Minensicherheit, in denen eine junge Frau auf die Gefahren des Arbeitsalltags hinwies. Abschließend folgte das Skyrock-Logo, welches von dem Leitspruch der Firma »In God And Brymm We Trust And Therefore Lay Our Future Into The Hands Of Skyrock« umrahmt wurde. Das Logo schwebte vor einem Wolkenhimmel, in dessen Hintergrund ein Abbild der Company-Raumstation angedeutet war.

Die Bildschirme schwärzten sich, dann liefen wieder Werbeclips.

Beeindruckend. Und beängstigend … wie effizient ein ganzes Imperium von dort oben aus seine Fäden zieht.

Skyrock-Central erschien vor Lesters innerem Auge, die 1,35 Kilometer hohe und 912 Meter breite Zentralverwaltung der Minengesellschaft, die aus drei übereinander liegenden Diskus-Ebenen bestand und in einer hohen Umlaufbahn um den Mond kreiste. Auf der obersten jener Ebenen befand sich zudem der Sitz des Gründers und Chefs der Sol Guard, der gegenwärtig nicht um seinen Job zu beneiden war.

EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018)

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