Читать книгу EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018) - Andreas Bulgaropulos - Страница 14
Brymm
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*** 05:32 Uhr ***
*** Kap Rosa, Sektor C, Mine C ***
»Mann, Coffee, warum geben die uns ständig die Schrottaufträge? Geht dir das nich auch auf’n Sack? Ich mein, ich bin nich so lange bei dem Verein dabei wie du. Na ja … erst seit zwei Wochen, okay. Aber ey, sei doch ma ehrlich … ist doch Gülle, dass du, als so’n cooler Typ, so’n Shit zugeschoben kriegst, stimmt’s? Und für mein Image ist das genauso Dreck! Meine Kumpels auf der Erde kringeln sich, weil ich bei den Babysittern für die Berghirnis gelandet bin. Selbst meine Freundin, ey … vor der hab ich geprahlt, was für’n geilen Job ich hab, bei dem ich so Heldendinger abziehen muss. Da hat sie gegrinst und gesagt, ich könnte ihr von der Kohle ja jetzt täglich ’n Geschenk kaufen. Voll scheiße, oder?! Servier ich eh bald ab, die Tussi. Die kapiert gar nix. Was’n mit dir? Haste auch so ’ne nervige Alte am Start? Ich sag dir, die stecken alle unter einer Decke, die Weiber … und alle anderen auch! Mega uncool, dass ich jetzt auf dem Mond rumhänge und mir den Stress der Maulwürfe reintue. Kennen nur ihre Arbeit, die Miner-Idioten. So blöd war ich noch nie, ey. Hab immer gekriegt, was ich nehmen konnte. Kennst den Spruch, oder Coffee? Heißt so viel wie: Wenn du durchtrainiert bist, kannste auch was schleppen, klaro? Deswegen bin ich ja auch jeden Tag im Fitnessstudio, um zwischen den Freaks hier nich zu verblöden. Aber was will man machen? Wir haben uns die Gülle nich ausgesucht, oder? Ich mein … du bist’n Farbiger, der ’ne Familie durchfüttern muss, und ich bin’n Weißer, der von seinem Onkel hier reingesteckt wurde. Wir halten für die Berghirnis unsre Ärsche hin, bei den gefährlichsten Einsätzen und für kaum Kohle, stimmt’s? Wieso lassen wir uns das gefallen, Bruder? Pennt die Gewerkschaft? Ich mach das jedenfalls nich mit. Schätze, ich haue bald wieder ab. Hey, und du? Willste dich echt von der Sol Guard, Korvalinski oder den Maulwürfen noch länger verarschen lassen? Ich geb dir mal’n Tipp, den mein Onkel mir immer gibt. Der sagt: ›Junge, sei clever und pass auf, sonst wirst du noch zu Brymm-Staub.‹ Fuck, wow! Tiefsinniger Spruch, was?! Oder, warte mal … na, jedenfalls so ähnlich ging er. Egal, genau das isses doch, verstehste? Jeder macht mit einem, was er will … auch wenn du das nicht willst. Und falls du das doch willst, machen die genau das Gegenteil. Kapiert? Solltest du dir also merken den Spruch, ist nämlich ’n schlauer Fuchs, mein Onkel. Alle anderen Loser haben null Durchblick. Aber ey … zusammen machen die uns nich kaputt, klaro?! Wir, alle echten Männer, halten zusammen wie Pech und Kacke! Das hat man früher so gesagt … kannst mir glauben. Weiß ich von meiner Freundin. Hatten damals schon ’n Riss in der Schüssel, die Wichser im Mittelalter. Cool, oder?! Okay … du und ich ziehn die Scheiße hier schon runter, was Coffee?«
Cit hieb seinem Teamführer vertraulich auf die Schulter und fuhr mit seinem Monolog fort.
Master-Officer Cole Goffey, für seine Freunde Coffee, stand mit dem Gesicht zur Wand des Hochgeschwindigkeits-Aufzuges und versuchte, diesen Pisser zu ignorieren. Er starrte konzentriert durch die Sichtfenster nach draußen, obwohl er dort nur die Wände des Hauptschachtes von Mine C sah, die in einem aberwitzigen Tempo vorbei rauschten.
Der Highspeed-Lift transportierte ihn selbst, seinen nervigen neuen Kollegen und siebzig Bergleute mit einer Geschwindigkeit von 6.000 km/h in die Tiefen des Mondes hinab. Die extrem widerstandsfähige Zwölf-Meter-Kapsel bestand aus flexiblem Bioglas, in deren Inneren die Passagierplattform um neunzig Grad gekippt war und somit in der Senkrechten stand. Die Fahrgäste wurden durch ein Schwerkraftfeld in der Schräglage gehalten, welche dem Lift die Form eines Torpedos ermöglichte. G-Kraft-Absorber glichen die Schubkräfte aus, während er in dem elektromagnetischen Hyperfeld der Schachtröhre nach unten raste.
Coffee interpretierte es als Tiefpunkt seiner Karriere, wenn ihn bereits die Newbies mit seinem Spitznamen anredeten. Und ausgerechnet er durfte heute den Aufpasser für dieses Spatzenhirn spielen. Höchste Zeit also, Tacheles zu reden. Er knurrte, ohne sich umzudrehen: »Dass hier keine Missverständnisse aufkommen, Cit … für dich bin ich nicht ›Coffee‹, sondern Master-Officer Cole Goffey, dein Vorgesetzter.«
Cit glotzte und platzte heraus: »Oh … klaro … das ist … echt total cool, Mann. Habe ich absolut keine Probleme mit.« Er nahm Haltung an, salutierte und schnarrte im Militärjargon: »Ja, Sir! Verstanden, Sir!« Ein dämliches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Logo, du Boss, ich Untergebener … mackermäßig. Aber jetzt ma im Ernst … wär’ doch ätzend, wenn ich den Titelscheiß wie ›Sir‹ benutze. Wie soll ich’n dich also akut anreden, Kollege? Cole oder … Goff vielleicht?«
Coffee drehte sich um. »Versuch’s mit Master-Officer Goffey.«
Sein Gegenüber grinste noch breiter. »Geht in Ordnung, Coffee … Sir … äh, Goffey. Nenn mich einfach Cit, cool?«
Coffee hatte in seinen Dienstjahren einige Vollidioten getroffen, aber der hier schlug alle anderen um Längen. Vielleicht würde er dem Kleinen zuerst beibringen, wie man einen Höflichkeitsabstand zu anderen Personen von mindestens fünfzig Zentimetern einhielt, sodass man seinem Gesprächspartner beim Reden nicht ins Gesicht spuckte.
Wäre ein Anfang.
Er atmete auf, als er draußen im Schacht die andersfarbigen Leuchtmarkierungen erkannte. Endlich drosselte der Highspeed-Lift in fünfhundert Kilometern Tiefe, am Beginn einer Brymm-Ader, die Fahrt. Der Kern des Mondes lag weitere achthundert Kilometer tiefer, doch bis der Schürfbetrieb dort ankam, würden noch Jahre vergehen.
Während des Bremsens verformte sich der Lift zu einer Kugel, und die Passagierplattform im Inneren drehte sich in die waagrechte Position. Schließlich stoppte die Blase sanft am Boden der Röhre, in der sich gleich darauf ein Tor öffnete.
Auch im Bioglas der Fahrstuhlkugel bildete sich eine Öffnung. Die beiden Sol Guard-Männer traten als erste ins Freie und gelangten über eine Rampe hinunter zum Zentrum der Minenzentrale.
In der riesigen Halle herrschte Hochbetrieb. Jeder der acht nach außen zeigenden Arme des Zentralgebäudes, dessen Grundriss einem Stern glich, koordinierte die Arbeitsabläufe einer Sektion, und obwohl eine davon gesperrt war, erkannte Coffee in dem Treiben keinen Unterschied zu anderen Tagen.
Er bedeutete seinem neuen Kollegen zu warten.
Mit finsteren Blicken drängten die Bergleute an ihnen vorüber und verteilten sich auf sieben der acht Gebäudeeingänge. Die schlechte Laune war den Männern kaum zu verübeln, weil Cit bei seinem Selbstgespräch gegen den Lärmpegel des Aufzugs angebrüllt hatte. Leider trug Coffee als Teamführer die Verantwortung für das Benehmen dieses Burschen mit dem IQ einer Amöbe. Und die Chancen standen mehr als mies, ihn in naher Zukunft loszuwerden, denn Bazille war auf Weisung »von oben« zur Sol Guard gekommen.
Unvermittelt verselbstständigte sich die Fantasie des Master-Officers, in der er sich mit den Minenarbeitern verbündete und den Jungen gefesselt und geknebelt vor eine aktive Laserfräse warf.
Eine schöne Vorstellung. Von Arbeitsunfällen hörte man immer wieder.
Dumm nur, dass er sich aus Zeitgründen den Papierkram wegen eines toten Einzellers nicht aufhalsen konnte. Wahrscheinlich gehörte er doch nicht zu den coolen Typen.
Nachdem die Bergleute an ihnen vorbei waren, nickte Coffee Cit zu. Sie passierten den gesperrten Eingang, über dem »SEKTION 4, INAKTIVER BEREICH« auf einem Display blinkte. Im Anschluss an die Verifizierung ihrer Personensignaturen durchquerten die beiden Männer das Gebäude und bestiegen die Gleiterbahn, die sie dorthin bringen sollte, wo vor gut einer Stunde die rätselhafte Leiche entdeckt worden war.
Die Tür-Kraftfelder bauten sich auf, und das schlanke Fortbewegungsmittel zischte durch den Tunnel davon.
Coffee wies seinen Begleiter an, ebenfalls die Hand in das Injektionsgerät des Kopfschmerzmittels Silica-7 zu legen und verschwendete während der Fahrt keinen Gedanken an einen Wortwechsel mit Cit. Denn erstens besaß eher das Injektionsgerät die Intelligenz, Befehle zu begreifen. Und zweitens hatte Simon Isherhill, Coffees Chef, beim Briefing durchblicken lassen, wie gelegen ihm ein zügiges Versagen des Jungen käme.
Geritzt!, freute sich der Master-Officer innerlich und orderte am Getränkeautomaten der Bahn einen Kaffee. Inoffiziell will man ihn feuern, also werde ich dem natürlichen Lauf der Dinge nicht im Weg stehen.
Da der Kleine den Job durch seinen Onkel bekommen hatte, der im Skyrock-Firmenvorstand saß, waren Isherhill und Korvalinski offensichtlich solange die Hände gebunden, bis Bazille sich einen Superpatzer leistete. Sollte der Junge also ruhig in dem Stil weitermachen, dann landete er mit der Nase richtig schön in der Scheiße.
Als die Bahn nach ihrer einminütigen Fahrt hielt und die Türen aufzischten, verstummte Cits Gefasel abrupt: Die zwei Männer wurden von blauem Leuchten empfangen. Sie stiegen aus und betraten das Herz des Brymm.
Die Strahlen der Gangscheinwerfer brachen sich überall in dem Mineral, an den Wänden, dem Boden und der Decke – Myriaden Lichtreflexe, die sich so oft spiegelten, bis das Glitzern ein Eigenleben zu entwickeln schien.
Coffee genoss die Einsätze, die ihn in die Minentunnel führten. Wenn er jemandem dieses Meer aus tiefem Blau beschreiben wollte, verglich er es mit dem Aufenthalt in einem Saphir von der Größe eines ganzen Höhlensystems. Ein unvergessliches Erlebnis für die Privilegierten, die Zugang hatten. Voller Genugtuung beobachtete er seinen Begleiter, der den Lichterglanz angaffte und dessen Kinnlade der Schwerkraft folgte. Sogar Einzellern rang der Anblick ein Höchstmaß an Ehrfurcht ab. Endlich hält die Nervensäge für ein paar Minuten das Maul.
»Heilige Turboscheiße! Is’ ja voll abgefahren hier«, röhrte Cit.
Coffee schloss in stillem Gebet die Augen. Der Idiot war durch nichts zu beeindrucken.
»Geilomat, Bruder! Das ist … soo scheiiiiß blau. Yeeha! Wow, mir fehlen voll die Worte. Warum haste mir nich vorher gesagt, wie krass das ist, hä? Dann wär ich längst mit meiner Freundin hergekommen. Imponiert den Weibern ja immer, so ’ne beknackte Romantikkacke.« Cit kicherte senil. »Da kann man schön ’ne Nummer auf dem blauen Zeug schieben! Na ja, was nich ist, kann ja noch warten, was Goff?«
Der Master-Officer sparte sich jeglichen Kommentar und setzte sich in Bewegung, war jedoch zu seinem Leidwesen nicht außer Hörweite, als seinen neuen Kollegen eine Eingebung heimsuchte.
»Hey, mir kommt ’ne Idee! Ich hab gehört, du machst in deiner Freizeit mit’n paar anderen Pfeifen so ’ne bescheuerte Rap- oder Soul- oder Wasweißichmucke. Kann mit so ’ner Gülle eh nix anfangen, aber könntest du nich die superabgefahrenen Lyrics aus der Minenthematik machen? Genau … ich hab’s! Du nennst den Scheiß den ›Miner 2049er-Rap‹, und du und deine Kumpels zappelt euch dann so tierisch einen ab, wie die echten Berghirnis bei der Schufterei, klaro? Und … hey … hey, warte auf mich. Denk aber dran, das ist meine Idee. Nich, dass es hinterher heißt, du wärst drauf gekommen, green? Und falls du dich nich traust, kann ich ja mitmachen. Würde mich zu so ’ner Scheiße überreden lassen, wenn die Kohle stimmt. Ich hab … jetzt bleib doch mal stehen, Bruder. Ich hab zwar noch nie gesungen … aber kann ja nich so schwer sein. Ich komme bei eurer nächsten Probe mal mit und …«
Sackgesicht!
Coffee setzte sich von Bazille ab. Sollte diese Entgleisung menschlichen Fortpflanzungsdrangs doch hier unten verrotten. Er hatte einen Job zu erledigen.
Um 05:44 Uhr erreichten sie den Eingangsbereich zu Sektion 4, der seit einer knappen Stunde durch zwei Kommandos von Lockdown-Droiden gesichert wurde, Roboter-Einsatzkräfte, welche die Sol Guard an Schlüsselpunkten in Kap Rosa stationiert hatte. Ihre Aufgabe beinhaltete das Abriegeln von Tatorten oder Entspannen kritischer Situationen, wenn ein Sol Guard-Team nicht innerhalb von fünfzehn Minuten präsent sein konnte. Da in den Förderbereichen dieser Sektion gegenwärtig nicht an den Laserfräsen gearbeitet wurde, bestand keine Strahlungsgefahr für die Kunstgehirne der Maschinen.
An dem Nanokarbonstahl-Schott, das von Kameras und automatischen Geschützen bewacht wurde, warteten bereits sechs der Droiden. Ihr Aussehen entsprach dem des klassischen Metallroboters und stand im Gegensatz zu den Service-Droiden der Oberstadt, die ein Menschendesign besaßen.
»Guten Morgen, Master-Officer Goffey«, leitete die vordere Maschine mit einer voll klingenden Elektronikstimme ihre Berichterstattung ein. Sie überragte Coffee um fast zwei Kopflängen.
»Die Lage ist unter Kontrolle, Sir. Es fanden keinerlei Störungen durch die POE oder sonstige Individuen statt. Die Werksleitung hat nach anfänglichem Zögern kooperiert und den Bereich für Sol Guard Ermittlungen sechs Stunden lang stilllegen lassen. Sämtliche Arbeiter wurden um 04:55 Uhr aus dem Bereich abgezogen und halten sich seitdem in der Sektionszentrale zum Verhör auf. Wir haben bereits Sensoren-Scans um den Tatort herum durchgeführt und die Ergebnisse dem Untersuchungsbericht hinzugefügt. Leider war es uns nicht möglich, Indizien für ein Verbrechen oder Hinweise zur Herkunft der Toten zu finden, da das Opfer keine MindCell-Signatur besitzt. Es existieren ebenfalls keine Anzeichen eines Kristalldiebstahls oder ähnlicher krimineller Aktivitäten. Innerhalb des Werkes sind weder DNA-Spuren unbefugter Personen noch die des Verdächtigen Cabrallo feststellbar, dessen Spur im oberen Bereich der Anlage endet. Negative Lebenszeichen innerhalb der Tatort-Reinigungszelle. Ich habe die Kammer unter Verschluss gehalten und einen Posten aufgestellt, aber die Situation ist unverändert ruhig. Ein Medic-Droide steht dort in Bereitschaft, falls Sie ihn benötigen, Sir.«
»Danke, Unit 20-C«, entgegnete Coffee. Die meisten Fakten waren ihm bekannt, doch er empfand es als Erholung, sich normal mit jemandem zu unterhalten. Selbst mit einer synthetischen Lebensform. »Sie und Ihre Einheiten werden nur solange hierbleiben, bis ich den Tatort erreicht habe. Danach begeben Sie sich in die Werkszentrale und unterstützen Officer Herst und Officer Spector.«
»Darf ich nach dem Grund fragen, Sir?«
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Ich habe ein seltsames Gefühl bei dem Fall und den Verdacht, der wahre Täter könnte sich noch oben in der Zentrale aufhalten. Passt das in Ihren Zeitplan, Commander?«
»Ihre Bitte stellt kein Problem dar, Sir. Im Moment sind keine weiteren Einsätze für uns geplant. Wir stehen solange zu Ihrer Verfügung, bis wir neue Befehle erhalten. Unit-20-3 erwartet Sie im Eingangsbereich und wird Sie zum Tatort begleiten. Auf Wiedersehen, Sir.«
Die Droiden traten beiseite, und wie auf einen geheimen Befehl hin öffnete sich das Schott unter Grollen, um die beiden Sol Guard-Männer passieren zu lassen.
Sie betraten eine Schleuse. Warnleuchten blinkten.
Nachdem sich das Metalltor hinter ihnen geschlossen hatte und erneut ihre Personensignaturen überprüft sowie ihre Körper gescannt worden waren, öffnete sich das zweite Tor zum eigentlichen Anlagenbereich.
Der innere Teil der Mine unterschied sich stark von den höhlenartigen, blau leuchtenden Tunneln draußen. Die Gänge besaßen Kunststoffverschalungen und erhielten durch Computerterminals, Analysegeräte und Werkzeugregale einen technischen Charakter. Wartungsdrohnen schwirrten durch die Luft.
Hinter der Schleuse wartete der Lockdown-Droide mit der Bezeichnung LD-U20-3 auf Coffee und Cit, um ihnen den Weg durch die Einrichtung zu weisen. Der Roboter sicherte unter mechanischen Geräuschen seine Waffensysteme und stapfte vor den Männern her. Sie hatten mehrere Abteilungen und Stockwerke bis zu ihrem Ziel zu durchqueren, das im unteren Bereich der Mine lag, in den Kristallreinigungszellen. Dabei handelte es sich um Ultraschallkammern, zu denen die Brymm-Brocken transportiert und von Verunreinigungen befreit wurden, nachdem sie von den Laserfräsen in den Stollen gelöst worden waren. Dort, in einer der nur für das Minenpersonal zugänglichen Zellen, befand sich die mysteriöse Frauenleiche.
Coffee rief mit Gedankenbefehlen sein Holo-Visier auf und stellte eine Verbindung zu seinen zwei Teamkollegen her. Sie waren vor ihm in der Minenzentrale eingetroffen, um die Angestellten zu verhören. Die plastischen Projektionen von Patricia Herst und Warren Spector glitten vor sein Gesicht. Beide hatten ebenfalls den Master-Officer-Rang inne und gehörten zur älteren Generation.
»Hi, Coffee«, flötete Patricia. Ein schadenfrohes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Du hast vorhin nach dem Briefing so lange mit dem Neuen rumgetrödelt, dass ich dir nicht mehr mein Beileid aussprechen konnte.«
Coffee stierte sie düster an. Seine Kollegin war zwar schon immer der kumpelhafte Typ gewesen, mit dem sich Männer sogar über Frauenprobleme unterhielten. Aber ihre gute Laune erlöste ihn nicht von seiner Misere.
»Mach dir nichts draus, Süßer«, scherzte Patricia weiter und wickelte sich ihre dunklen Haarsträhnen wie einen Strick um den Hals. »Morgen zieht einer von uns den Kürzeren. Obwohl wahrscheinlich keiner so gut mit dem Bengel zurechtkommt wie du, denn schließlich hast du Familie und kennst dich mit Kindern aus. Und das ist das Positive … es bestätigt dein Selbstwertgefühl!«
Ihre Herzlichkeit war zumindest erfrischend, das musste Coffee zugeben. Um seine Opferrolle dennoch auszukosten, blaffte er: »Vielen Dank, Pat! Ich weiß deinen Sarkasmus zu schätzen und revanchiere mich. Vielleicht verrate ich Cit ja die Adresse deiner Lieblingsbar, dann lernst du ihn mal von seiner romantischen Seite kennen. Seine Talente liegen zweifellos im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Aber genug Ironie … wie sieht’s bei euch aus?«
»Wir sind seit einer Viertelstunde hier und verhören das Personal. Wenn du mich fragst, hat keiner von denen was gesehen, da unsere Gesichtsmimik-Analyse kein bewusstes Lügen erkennen lässt. Allerdings nehme ich mir später den Sektionsmanager vor, dann wird’s interessanter. Der Mann ist nach der letzten Datenaktualisierung um einen Verdachtslevel aufgestuft worden.«
Coffee grinste diabolisch. »Lass noch was für mich übrig, wenn ich nachher vorbeischaue. Ich liebe Sektionsleiter … die tun wegen der unbequemen Fragen immer so schön beschäftigt. Übrigens habe ich zur Sicherheit die beiden Lockdown-Kommandos zu euch beordert. Wer weiß, vielleicht verstecken sich da oben in der Minenzentrale doch ein paar böse Jungs.«
Patricia piepste mit einer Kinderstimme: »Wenn du meinst, Daddy. Sobald die Genehmigung vorliegt, kümmert sich Warren um die Aufzeichnungen der Gangüberwachungskameras. Du erhältst die Ergebnisse umgehend. Also bis später, Schätzchen … und halt die Ohren steif.«
Der Master-Officer nickte und wollte abschalten, da ploppten zwei Mitteilungen in seinem Visier auf. Das erste Signal trug die Kennung von Lester Benx, woraus Coffee schloss, dass Lesters freier Tag dem Dienstplan zum Opfer gefallen war. Isherhill hielt es wohl für notwendig, das komplette Einser-Team auf den Fall anzusetzen, vielleicht auf Druck des Company-Inspektors Duquette. Durch Lesters Abwesenheit wegen eines Sondereinsatzes in den letzten Tagen hatte sich der Rang des Teamführers auf ihn, Coffee, übertragen. Ihm war es aber recht, wenn sich das wieder änderte und Lester zu den Ermittlungen hinzugezogen wurde. Dann brauchte er sich nicht länger mit Cit herumzuärgern. Sobald sein Boss die Null in Aktion erlebte, würde das ihr erster und einziger Außeneinsatz bleiben. Und die zweite Mitteilung stammte von Mona, der Sol Guard KI, die einen Haftbefehl gegen den verdächtigen Miner Antonio Cabrallo meldete.
Coffee deaktivierte das Holo-Visier und konzentrierte sich wieder auf die Umgebung. 05:52 Uhr.
Auf dem Weg durch die Fördereinrichtung passierten die zwei Sol Guard-Ermittler und der Droide mehrere Energiebarrieren, die zwischen den Gangwänden flimmerten, und erreichten ein weiteres Transportsystem in einer Lagerhalle.
In der Halle stapelten sich Behälter, die fertiggestellte Kristallzellen verschiedener Größen enthielten. Die Mineralstücke besaßen durch den Arbeitsvorgang in den Schleifeinheiten bereits ihre Oktaederform, und man hätte sie in ihrem jetzigen Zustand in jeden Fusionspower-Konverter einsetzten können. Aufgrund der hohen Werte, die in diesem Bereich auf den Abtransport warteten, hatten ausschließlich Minenarbeiter oder Sol Guard-Beamte mit der höchsten Genehmigungsstufe Zutritt.
Cit folgte seinem Teamführer und stellte Fragen, deren Antworten jedes Kind gewusst hätte. Coffee erklärte ihm, dass die Behälter bei laufendem Anlagenbetrieb von den Frachtbahnen durch die Tunnel bis zur Oberfläche und nach Luna-Space-Port transportiert wurden. Dort verlud man sie unter den schärfsten Sicherheitsvorkehrungen in Cargo-Schiffe, welche die kostbaren Energiekristalle vom Mond aus an Verteilerfirmen im ganzen Sonnensystem lieferten. Eskortunternehmen gewährten den Frachtern auf ihren Flugrouten Geleitschutz, da die Company um jeden Preis Raumpiratenüberfälle in den Weiten des Alls vorbeugen wollte.
Coffee, Cit und der Roboter ließen sich am Ende der Bereichsebene in den Abwärtsstrom eines Antigrav-Lifts gleiten. Während sie den Schacht nach unten schwebten, versuchte der Master-Officer seiner staunenden Bazille die zweitägige Dauerüberwachung begreiflich zu machen, der alle Personen nach dem Verlassen einer Mine unterworfen waren. Eine Maßnahme, die die Signatur-Standortbestimmung ergänzte, durch die Jedermann rund um die Uhr lokalisierbar war. Man fiel bereits in den Überwachungsstatus, sobald man sich einem Mineneingang oben in der Stadt näherte.
Cit wirkte schockiert. Was Coffee umso mehr verblüffte, da die Kontrollprozedur zum Standardprozedere Kap Rosas gehörte wie das schlechte Wetter zum Mond.
»Shit, Mann, so ’ne Seuchenscheiße!«, fluchte der Junge. »D… du meinst, mir glotzen noch übermorgen irgendwelche Spanner in die Bude, nur weil ich heute in ’ner Mine war? Nee, ey … die können sich mal selbst ficken! Mein Onkel Aaron ist doch ’n großes Tier im Company-Vorstand. Muss mal mit dem reden, dass die den Schwachsinn bei uns beiden lassen, was Bruder?! Oder stehste drauf, wenn man dir beim Pissen zusieht? Was für’n Oberhirni hat sich den Scheiß ausgedacht? Da kann man gar nich für ’nen kleinen Nebenverdienst sorgen. Bisschen Extra-Asche, wenn wir so’n paar unschuldige Kristallchen mitgehen lassen und verticken, verstehste? Wär doch easy, in unserer Position … hä, hä.«
Coffee glaubte, an einer Ohrenkrankheit zu leiden. »Wie bitte?! Dein Onkel hat da nichts zu melden«, wies er Cit mit scharfer Stimme zurecht, »denn wir, die Sol Guard, haben die Bestimmungen erlassen. Du erinnerst dich: Die Unterbindung von Straftaten hat für uns oberste Priorität. Mit anderen Worten, wir sind die Guten! Oder spielst du allen Ernstes mit dem Gedanken, hier was mitgehen zu lassen? So bescheuert kannst nicht mal du sein … okay, streich meine letzte Bemerkung. Aber kapierst du, was du da angedeutet hast? Vielleicht hast du dich soeben selbst gefeuert, da wir unter Überwachung stehen. Ups, hat der Kleine das vergessen?! Kritische Bemerkungen in Unterhaltungen werden herausgefiltert und ausgewertet. Und was heißt überhaupt, du hast nichts davon gewusst? Jedem Bürger ist diese Tatsache bekannt. Sogar in den News wird täglich darauf aufmerksam gemacht. Außerdem wurden dir alle Einzelheiten über unseren Job in deinem Arbeitsvertrag mitgeteilt. Warst du imstande, den zu lesen? Weißt du überhaupt, was ’ne rhetorische Frage ist?«
Cits Glotzen verursachte Debilitätslöcher in der Luft.
»Ach komm, vergiss es! Du hast Schwein, dass noch kein SuperMindCell in deinem Schädel steckt, der deine Gedanken analysiert. Müll dieser Art wird ohne Umwege an unsere Zentrale weitergeleitet und bleibt in deiner Personalakte hängen.«
Coffee war jetzt putzmunter und steigerungsfähig. »Apropos Nichtauskennen: Hast du dir die Updates zur Minensicherheit installiert? Das muss bei deinem Standard-MindCell manuell erledigt werden und ist wichtig. Ich gehe jede Wette ein, du hast’s verpennt! Ist inzwischen auch egal, ich habe nämlich keinen Bock, das Kindermädchen für einen Vollidioten mit Beziehungen zur Verwaltung zu spielen. Ob meine Beurteilung über dich durchwachsen oder vernichtend ausfällt, liegt in deiner Hand. Also geh mir bloß nicht mehr mit irgendwelchem Schwachsinn auf den Zeiger, kapiert?!«
Bei seiner Standpauke driftete der Master-Officer in dem Antigrav-Schacht an Cit heran, um seinen Worten das nötige Gewicht zu verleihen. Da bemerkte er an der Hand des Jungen eine dunkelrote Schwellung. Bevor er nachfragen konnte, ertönte der Summerton von Cits VidCom, ein Schweinequieken, das das 3D-Display im SOS-Takt aufblinken ließ.
Coffee verdrehte die Augen.
Mit gerötetem Gesicht fummelte Cit am Ärmel seines Schutzanzugs herum. Nachdem er das penetrante Geräusch des VidComs abgewürgt hatte, endete der Strom des Lifts auf der untersten Ebene der Reinigungszellen, und er stolperte hinter seinem Teamführer und dem Roboter her. Seine Entschuldigungen gingen ins Leere, genau wie der Rest seines Geschwafels.