Читать книгу Ava und die STADT des schwarzen Engels - Andreas Dresen - Страница 11
Aufbruch
ОглавлениеAls Baddha sie allein gelassen hatte, ging Fahrat ins Schlafzimmer und suchte einige Sachen zusammen. Ava folgte ihm.
„Was machst du?“, fragte sie.
„Packen!“, fuhr er sie an. Fahrat war nun ausgesprochen schlechter Laune.
Er hatte sich geschworen, keine Abenteuer zu beginnen. Zu sehr hatte er sich mit seinen Eltern überworfen. Zu schlimm waren der Druck, die Schmähungen gewesen. Sein Vater, der große Heinrich deReemer, der furchtlose Heinrich, war berüchtigt gewesen. Die ganze Familie deReemer war gespickt mit Helden und Abenteuern, Freibeutern und Freigeistern. Manchmal braucht es aber auch den Heldenmut dazu, selbständig zu denken und das zu tun, was einem das richtige erschien. Sein eigenes Leben zu gehen. Und sei es nur aus Faulheit.
Sein Großvater war ein solcher Held gewesen. Er sprengte die Fesseln der STADT und der Familie und suchte sein Glück außerhalb der Stadtmauern. Keiner von den deReemers wusste so recht, was er davon halten sollte. Sollte man stolz sein? Sollte man sich seiner schämen? Man wusste ja noch nicht einmal etwas Genaues. Ob er überhaupt noch am Leben war. Und überhaupt: Außerhalb der STADT gab es eigentlich nichts … Die Ehre der Familie lag nun auf Fahrats Schultern. Sein Großvater war weg, sein Vater war zwar immer noch ein Haudegen, aber engstirnig und eigensinnig geworden. Fahrat war der letzte der Familie, der jüngste Spross.
Diesem Erwartungsdruck hatte er nicht lange standhalten können. Schließlich konnte er die Hoffnungen seiner Familie nicht mehr erfüllen. Irgendwann wollte er es auch nicht mehr. Er hätte nur verlieren können, egal was er angestellt hätte. Nichts wäre gut genug gewesen, kein Abenteuer so gefährlich wie die seines Vaters, kein Schatz so groß wie die, die sein Onkel mit nach Hause brachte und nichts so unverschämt wie das, was sein Großvater getan hatte. Keine Abenteuer, hatte er sich daher zum Leitspruch gemacht. Und bisher hatte er sein Lebensmotto auch immer sehr gut einhalten können. Doch nun …
Anstatt Ava in Sicherheit zu bringen, hatte er sie nach Hause und damit in die Höhle des Löwen gebracht. Er hätte genauso gut direkt beim Vizekanzler anrufen und Bescheid geben können, wo er sie abholen könnte. Er war frustriert, wollte keine Abenteuer und wurde nun gezwungen, sich mitten hineinzuwerfen. Er brauchte einen Blitzableiter für seine Wut und Avas Unwissenheit und ihr Unverständnis für die Situation kam ihm da gerade recht.
„Ich packe, verdammt. Wir müssen abhauen, weil du von der STADT gesucht wirst. Musstest du mich da reinziehen?“
Ava wirkte tatsächlich wie vom Blitz getroffen. Sie schwieg und blickte auf ihre Füße.
„Es … es tut mir leid. Ich wollte das doch nicht. Wie sollte ich denn …“ Aber ihre Hilflosigkeit machte Fahrat nur noch wütender.
„Wer lässt sich denn auch einfach so von wildfremden Leuten schwängern!“, platzte es aus ihm heraus Ava starrte ihn hasserfüllt an. Dann drehte sie sich um und schlug die Tür hinter sich zu.
„Geh duschen!“, rief er ihr noch hinterher. „Wer weiß, wann wir das nächste Mal dazu kommen.“ Dann packte Fahrat seinen Rucksack und ärgerte sich über sich selbst.
Als Ava aus der Dusche der kleinen Wohnung kam, hatte Fahrat schon wieder etwas zu essen auf den Tisch gebracht und stellte sich vor sie.
„Es tut mir leid. Das war gemein von mir.“
„Das stimmt.“ Sie rubbelte sich die Haare mit einem Handtuch trocken. „Vergiss es.“ Sie setzte sich hin und starrte auf den Tisch.
„Schon wieder essen? Ich bin noch satt von eben.“
„Wir sollten uns gut vorbereiten, bevor wir aufbrechen. Ein paar Stunden haben wir noch, bevor es dunkel wird. Sie wird uns nicht vor Einbruch der Nacht verraten. Dann sollten wir aber schon hier weg sein. Auch ich bin jetzt nicht mehr sicher.“ Er lächelte sie verlegen an.
„Wieso wird Baddha uns verraten?“, fragte Ava unsicher. „Sie war doch so nett. Was hat sie mit dem Vizekanzler zu tun? Wieso überhaupt Vizekanzler? Wovon? Ich verstehe gar nichts mehr.“
„Iss etwas, dann erkläre ich es dir beim Essen.“ Fahrat hob eine gusseiserne Pfanne vom Herd und schob Ava ein paar Löffel voll gebratener Eier mit Gemüse und kleinen Speckstreifen auf den Teller. In einer anderen Pfanne brutzelten Würstchen mit Pilzen. Ava lief das Wasser im Mund zusammen. Sie hob den Deckel eines kleinen Topfes und ein Hauch von Knoblauch und anderen Gewürzen wehte ihr um die Nase. Diverse Soßen und frisches Brot rundeten das Menü ab.
„Du musst bei Kräften sein, wenn wir unterwegs sind. Wer weiß, wann wir das nächste Mal etwas zu essen bekommen.“
Ava blickte Fahrat von der Seite an. „Nun, ich mache mir da weniger Sorgen, wenn ich mir das so anschaue.“ Sie lächelte.
„Iss jetzt“, sagte Fahrat mürrisch, aber ein verschmitztes Lächeln umspielte dabei seine Mundwinkel.
„Der Mann auf dem Foto heißt Morton. Er ist der Vizekanzler der STADT.“
„Ich wusste gar nicht, dass die Stadt einen Kanzler hat“, warf Ava ein. „Ich dachte, es gäbe einen Bürgermeister und einen Senat und so weiter. Aber einen Kanzler?“
Fahrat biss in ein Stück frisches Brot und antwortete mit vollem Mund.
„Das stimmt für euch Menschen. Ihr wählt euren Senat. Wir wählen den Kanzler. Auch hinter ihm steht die Verwaltung der STADT und der Stadtrat. In ihm sind die einzelnen Gruppierungen unserer Welt vertreten. Aber der Kanzler ist mehr wie ein gewählter König, er hat sehr viel Macht, mehr, als euer Bürgermeister. Wolfram Vrada ist unser Kanzler. Er ist ein guter Mann und die Leute lieben ihn. Er war einer der höchsten Priester, bevor er in das Amt gewählt wurde.
Damit das Verhältnis der Mächte jedoch gewahrt bleibt, gibt es den Vizekanzler. Er ist das ausgleichende Element in der Zentrale der Macht und sorgt immer dafür, dass nie zuviel Macht in der Hand des Kanzlers bleibt. Als Vrada gewählt wurde, stellten ihm die Weisen Morton zur Seite. Ein charismatischer Schwarzer Engel und Herr über die Teufel und Monster der Stadt. Er betreibt er den Hexensabbat.“
Ava hatte ganz vergessen zu essen, so sehr hing sie an Fahrats Lippen. Zu faszinierend war die neue Welt, die neue Struktur, die schon ihr ganzes Leben lang in der Stadt, in der sie lebte und aufgewachsen war, existiert zu haben schien, doch von der sie nie etwas geahnt hatte.
„Und Baddha … geht zu diesem Hexensabbat?“
„Baddha ist ihm hörig. Sie ist eine Hexe. Sie kann ihm nichts verheimlichen.“
Ava schwieg.
„Sie … sie sieht nicht aus wie eine Hexe. Ich habe mir Hexen immer runzlig und bösartig vorgestellt.“
Fahrat lachte ein wenig.
„Auch alte Frauen waren mal jung. Und bösartig … nun, Baddha ist nicht immer nett.“
„Was ist denn dann eine Hexe?“
„Das ist schwer zu sagen. Baddha kann heilen, sie beherrscht ihre Art von Magie. Aus ihrem Krafttier, der kleinen grauen Katze, die sie immer dabei hat, erhält sie ihre magische Energie. Aber sie ist keine reine Heilerin. Sie ist in erster Linie eine Frau, die weiß, was sie will, und da lässt sie sich auch nicht reinreden. Und sie weiß, ihre Mittel für ihre Zwecke einzusetzen. Begriffe wie Gut und Böse sind ihr fremd. Sie kennt nur sich und ihre Ziele.“
„Aber Morton? Wie kann eine solche Frau einem Teufel …“, bei diesem Wort sah sie Fahrat fragend an, „einem Teufel hörig sein?“
„Jeder hat seine schwache Stelle“, antwortete Fahrat kurz angebunden. Es war offensichtlich, dass er über das Thema nicht weiter reden wollte. Ava ließ aber nicht locker.
„Baddha und du, wart ihr … seid ihr … ein Paar? Seid ihr zusammen?“
Fahrat ließ seinen Löffel fallen und starrte stur geradeaus.
„Du kannst wohl hellsehen“, antwortete er patzig.
„Dazu gehörte nicht viel. Wer euch beide zusammen sieht, der merkt sofort, dass es da funkt zwischen euch.“
„Wir waren zusammen. Ja.“ Er holte tief Luft und schaute aus dem Fenster. „Aber das ist vorbei. Immerhin hat sie das Loch in der Barriere der Wohnung geschlossen, dass sie mir hineingeflucht hatte.“ Den letzten Satz hatte er mehr zu sich selbst als zu Ava gemurmelt. Er stand auf.
„Wir sollten aufbrechen. Es wird bald dunkel. Am besten, du ziehst wieder die Kutte über, die du vorhin anhattest. Dort liegt ein Rucksack, da sind Sachen für dich drin.“
Wenige Minuten später verließen sie die Wohnung und schlossen die Tür hinter sich.