Читать книгу Ava und die STADT des schwarzen Engels - Andreas Dresen - Страница 9

Unterwegs

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Als Fahrat mit Ava zu seinem Parkplatz kam, blieb er überrascht stehen.

Die Einfahrt, in der er seinen Wagen abgestellt hatte, war leer. Sein Wagen war abgeschleppt worden.

Grimmig betrachtete er das Schild auf der Toreinfahrt, auf dem ein Abschleppwagen abgebildet war. Er fluchte. Als Mitglied der Schwertträgergilde war er zwar ein ausgezeichneter Kämpfer, Spurenleser und Schätzeheber, aber es mangelte ihm an irgendwelchen magischen Fähigkeiten. Er war den Vorschriften und Gesetzmäßigkeiten der Natur genauso unterworfen, wie es auch die normalen Menschen waren. Natürlich hätte er dem Wagen eine magische Tarnfunktion einbauen lassen können. Dabei wurde einfach ein spezieller, magischer Lack auf das Auto aufgetragen, der bei Bedarf mit einem kleinen Schalter im Innenraum aktiviert werden konnte. Alltagsmagie im 21. Jahrhundert. Aber nicht ganz billig. Und Fahrat hatte schon lange keine neuen Schätze mehr gehoben. Für einen arbeitslosen Schwertler wäre dies allerdings die einzige Möglichkeit, etwas zu verdienen. Und seine Eltern würde er erst recht nicht um Geld bitten.

Ava stand unbeweglich neben ihm. Alle Kraft und Eigeninitiative schienen aus ihr verschwunden zu sein. Seitdem er beschlossen hatte, sie in Sicherheit zu bringen, hatte er nur ein paar Worte aus ihr herausbekommen. Sie war ihm einfach gefolgt, ohne groß Aufhebens darum zu machen.

Diese Frau brauchte Hilfe. Sie war kein normaler Mensch. Sie war zwar keine von ihnen, aber sie konnte die anderen sehen. Das konnten normale Menschen definitiv nicht. Seit Jahrhunderten lebten die magischen Wesen unter den Menschen, ohne dass diese etwas davon bemerkten. Jedes Zwischenweltgeschöpf hatte eine Aura und konnte die der anderen sehen. Man erkannte sich. Nur starke Magier konnten ihre Aura verstecken, und das auch nur kurze Zeit und unter großem Kraftaufwand.

Doch Ava hatte keine Aura. Jedenfalls keine, die Fahrat sehen konnte. Sie schien ein Mensch zu sein und war offensichtlich sehr verwirrt wegen der Dinge, die sie plötzlich um sich herum sah.

Fahrat hatte auf dem Weg zum Parkplatz darüber nachgedacht. Wenn ein Mensch, der vorher nichts von der Existenz der Zwischenwelt geahnt hatte, plötzlich in diese Welt hineingeworfen würde, dann müsste er den Verstand verlieren. Überall tauchten dann Kobolde, Hexen und Schwertträger auf. Nachts würde es beim Blick auf die leere Straße in den Schatten nur so wimmeln von Geschöpfen, die es eigentlich nicht geben durfte. Wenn Ava dies zugestoßen war, dann brauchte sie seine Hilfe.

Fahrat deReemer war am Rande der Stadt aufgewachsen. Sein Vater und sein Onkel waren berühmt-berüchtigte Schwertkämpfer gewesen, die gemeinsam so manches Abenteuer bestanden hatten. Die Hallen des Familiensitzes waren vollgestopft mit Schätzen aus Drachenhöhlen und Koboldgruben.

Die Nachbarn in der kleinen Straße hatten nie etwas bemerkt oder gesehen. In ihren Augen passte das kleine Reihenhaus perfekt in die gewohnte Vorstadtidylle. Rote Rosen rankten durch den kleinen Vorgarten und Efeu bewuchs die Garage. Der Bürgersteig war immer gefegt und man sah Fahrats Mutter im Garten die Wäsche aufhängen.

Was die Nachbarn nicht sahen oder nicht sehen wollten, waren die Türme, die an den Seiten des Hauses in den Himmel ragten. Auf dem Dach endeten die Regenrinnen in den grässlichen Fratzen der Wasserspeier, die den Regen in den großen Graben hinab spieen, der das Haus umgab. Auch das hin und wieder Hunde und Katzen aus der Umgebung verschwanden, brachten die Nachbarn eher mit Tierfängern als mit dem Lindwurm aus dem Wassergraben in Verbindung.

Fahrat hatte in seiner Jugend oft zu Füßen seines Vaters am Kamin gesessen und den Geschichten seiner Abenteuer zugehört. An der Wand über ihnen hing das große Portrait des Großvaters, einem berüchtigten Freigeist, der sein Glück weit außerhalb der Stadtgrenzen gefunden haben soll, nachdem er kurz nach Fahrats Geburt die Stadt verlassen hatte. Von ihm hatte die Familie lange nichts mehr gehört. Der Platz über dem Kamin, an dem der Großvater immer seinen Degen aufgehängt hatte, wenn er zu Hause war, blieb seitdem leer. Diese leere Stelle war Fahrat eine Warnung gewesen, nie vom sicheren Pfad abzuweichen.

Bei einer so berühmten Familie war es kein Wunder, dass auch Fahrat in die Schwertträgergilde aufgenommen wurde. Sein Vater erwartete, dass er ein ebenso großer und geschickter Kämpfer werden würde, wie alle seine Vorfahren.

Fahrat beherrschte das Schwert genauso wie den Dolch und den Wurfstern. Im Nahkampf war er mit den Fäusten geschickt und er vermochte es, selbst magische Schlösser nur mit einer Haarnadel zu öffnen. Die dicke, gestählte Haut des Kämpfers schützte ein wenig vor den plumpen Schäden, die solche Schlösser anrichten konnten.

Doch seinen Ausbildern wurde bald klar, dass er wohl weniger von seinem Vater als vielmehr von seinem Großvater geerbt hatte.

Fahrat war daher auch kein großer Abenteurer, sondern glänzte vielmehr in den geistigen Fächern und beim Zubereiten der vielfältigsten Speisen. Woran er bei seinen künftigen Abenteuern einst auch zu Grunde gehen mochte, verhungern würde er jedenfalls nicht. Davon zeugte auch sein kleiner Bauch, den er unter einem weiten Wams zu verstecken versuchte.

Fahrat führte Ava durch die belebte Innenstadt. Niemand schien sich an seinem oder Avas Aussehen zu stören. Die meisten Menschen bemerkten sie noch nicht einmal.

Vor einem alten Gebäude blieb er kurz stehen.

„Was ist los?“, fragte Ava. Das waren die ersten Worte, die er von ihr hörte, seit er sie aus dem Keller befreit hatte.

„Das Gildenhaus“, flüsterte er. „Normalerweise würden wir hier Hilfe bekommen.“

„Aber?“ Avas Stimme schien nur noch widerstrebend aus ihr herauszukommen.

„Ich bin hier nicht mehr gern gesehen.“ Fahrats Stimme war zu einem Flüstern geworden. „Es ist schon lange her. Damals …“

In diesem Moment öffnete sich die Tür der Gilde.

„Komm.“ Fahrat zog Ava an einem Arm fort. „Wir verschwinden von hier. Die Straßen sind nicht sicher für uns. Ich bin davon überzeugt, dass du schon gesucht wirst.“

Avas Körperspannung wurde immer schlaffer unter seinem Griff. Kein Wunder, dachte Fahrat sich. Die Eindrücke müssen sie verrückt machen. Er führte sie in eine kleine, dunkle Gasse. Hierher verirrte sich kaum jemand, weder Menschen noch die Wesen aus der Zwischenwelt.

„Ava?“ Er blickte ihr in die Augen. „Ava, halte durch. Ich bring dich in Sicherheit!“ Ava schwankte, schien sich dann aber wieder zu fangen.

„Ich bringe Dich über die alten Wege aus dem Zentrum heraus. Die werden sicher noch nicht überwacht. Ich bringe dich zu mir.“

Und ohne eine Antwort abzuwarten, kletterte Fahrat auf eine Mülltonne, griff sich einen Bügel, der aus der alten Hauswand ragte und kletterte über gut versteckte Stufen in der Wand in die Höhe. Ava folgte ihm wie in Trance.

Sie hatten das Licht im Hausflur nicht angeschaltet, als sie das mehrstöckige Mietshaus betraten. Vorsichtig tapsten sie durch die Finsternis. Baddha durfte sie nicht erwischen, dachte Fahrat. Das würde nur Ärger geben.

Er öffnete leise und vorsichtig seine Wohnungstür. Hätte Fahrat das Licht angeschaltet, dann wären ihm vielleicht die Kreidezeichnungen auf seinem Türrahmen noch rechtzeitig aufgefallen. Doch so drehte er den Schlüssel bereits im Schloss und es war zu spät. Die Luft fing an zu surren und im ganzen Hausflur heulte es. Ein Sturm kam auf und presste Ava und Fahrat an die Hauswand. Gleichzeitig hörte man ein Stockwerk höher eine Tür auffliegen und eilige Schritte liefen die Treppe hinunter.

„Diesmal habe ich dich“, keifte eine Stimme in die Dunkelheit. Ein Klicken übertönte den Sturm und das Licht im Hausflur ging an.

Vor Fahrat und Ava stand eine Frau, vielleicht dreißig Jahre alt, groß, schlank, vielleicht sogar etwas dürr, adrett gekleidet in grauer Bluse und Businessrock, sowie einem Paar passender hochhackiger Schuhe. Um ihre Beine strich eine dünne, graue Katze.

„Hab ich dich, du verdammter Schuft“, wiederholte die Hexe. Ihre Stimme schraubte sich ein paar Töne höher. „Diesmal bist du dran. Du wirst es mir endlich büßen.“

Sie hob die Arme und starrte den bewegungsunfähigen Fahrat an. Dann plötzlich, als würde sie erst jetzt bemerken, dass sie nicht alleine waren, wandte sie den Blick und sah Ava an. Als sie den leeren Ausdruck ihrer Augen unter der dunklen Kapuze bemerkte, verdüsterte sich Baddhas Miene.

„Du Schwein“, flüsterte Baddha. „Was hast du mit ihr gemacht? Drogen? Kräuter? Ich fass’ es nicht.“ Ihr Blick bohrte sich wie ein Pfeil in Fahrats Augen.

„Gar nichts habe ich gemacht. Hör mit dem Quatsch auf, dann kannst du mir helfen. Ich habe sie vor einem Golem gerettet und wusste dann nicht weiter. Guck sie dir doch an!“

Der Wind, der die beiden an die Wand gefesselt hatte, erstarb urplötzlich, doch Baddha hielt die Hände weiterhin erhoben, ihre Finger gespreizt, bereit, einen Fluch zu schleudern, sollte dies ein Trick sein.

Baddha sah sich Ava noch einmal genau an. Diese schien das ganze Spektakel nur am Rande mitzubekommen. Ihr Blick schwankte zwischen der Hexe und einem Punkt in der Ferne hin und her. Dann wurde sie ohnmächtig.

Ava und die STADT des schwarzen Engels

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