Читать книгу Manchmal trägt der Teufel weiß - Andreas Dürr - Страница 10
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ОглавлениеSara bog in ein vornehmeres Wohnviertel ab. Sie schlenderte an den gepflegten Vorgärten vorüber. Dann musste sie anhalten, um einem Mercedes die Vorfahrt in eine Einfahrt zu gewähren. Sie sah dem Nobelwagen hinterher und wartete, bis sie den Fahrer erkennen konnte. Es war ein gutgekleideter, etwa fünfzigjähriger, eleganter und gepflegter Mann. Sie sah ihm nach, bis er im Haus verschwand. Sara griff in ihre Tasche und holte sich einen Joint heraus. Nachdem sie ihn angezündet hatte, zog sie einige Male kräftig daran, bevor sie den Stummel achtlos zu Boden warf und das Grundstück betrat. Man gelangte von zwei Seiten über breite Treppen mit mehreren Stufen zu einem großzügigen überdachten Vorplatz, von dem ein zweitüriges Portal ins Haus führte. Sara stand vor diesem mächtigen Eingang und betätigte die Glocke. Die Tür öffnete sich umgehend und der Herr, der kurz zuvor den Mercedes gefahren hatte, stand nun mit seinen eins fünfundachtzig vor Sara. “Ja, was wünschen Sie?”
Sara sah dem Mann ins Gesicht. “Ich habe Sie gerade hier hineingehen sehen.”
Peter hatte heute ausnahmsweise seine Kanzlei vorzeitig verlassen, um sich den unbefriedigenden Verlauf eines Geschäftsessens mit einem Glas Whisky hinunterzuspülen. Er war nun seit fast vierundzwanzig Jahren Anwalt und ab dem Herbst sollten es achtzehn Jahre werden, in denen er seine eigene Kanzlei besaß. Sie war nichts besonders Großes, doch er konnte sich nicht beklagen. Bekanntheit erlangte er dadurch, dass er vor fünfzehn Jahren drei Strafprozesse innerhalb eines Jahres gewann, von denen er in einem Fall den Sohn des Bürgermeisters, durch geschickte Argumentation vor Gericht, vor einer langjährigen Haftstrafe bewahrte. Dies, obwohl alles für die Schuld seines Mandanten sprach, der in umfangreiche Eigentumsdelikte verstrickt war. Der Bürgermeister dankte es Peter dadurch, dass er ihn, verständlicherweise ohne den Grund dafür zu nennen, bei jeder Gelegenheit als fähigen Anwalt weiterempfahl. Dies brachte ihn schließlich nur ein Jahr darauf zu seinem eigentlichen Höhepunkt. Ein mittelloser Landstreicher, der sich meistens in der Gegend von Roswell aufgehalten hatte, soll bei einem vorübergehenden Aufenthalt in Durango im Bundesstaat Colorado eine minderjährige Schülerin auf dem Nachhauseweg brutal vergewaltigt und anschließend mit einem Messer ermordet haben. Man hatte den Landstreicher noch am selben Tag bei Durango festgenommen. Es wurden DNA-Spuren sichergestellt, die ihm eindeutig zuzuordnen waren. Außerdem waren seine Aussagen beim Polizeiverhör derart widersprüchlich, dass man ihm keine Chance mehr einräumte. Es stand vor Prozessbeginn fest, dass er zu lebenslanger Haft oder gar zum Tode durch eine tödliche Injektion verurteilt werden würde. Peter übernahm den Fall dennoch. Er hatte im Gefängnis lange mit dem Landstreicher gesprochen und ließ sich alle Unterlagen zu dem Fall geben, sodass er bald zu der Überzeugung gekommen war, dass dieser Mann unschuldig sein musste. Erstens wurden am Tatort weitere DNA-Spuren von einem Unbekannten gefunden. Zweitens hatte der Mörder ein Kenyo in der Leiche zurückgelassen. Es handelte sich dabei um ein ungewöhnlich scharfes japanisches Filetiermesser. Nicht, dass der Landstreicher damit die Tat unmöglich hätte begehen können, doch für Peter war es sehr unwahrscheinlich, dass dieser mittellose Vagabund sich jemals in den Besitz eines über dreihundert Dollar teuren Messers hätte bringen können. Drittens handelte es sich bei dem ermordeten Mädchen um eine fünfzehnjährige Schülerin mit langen, blonden Haaren.
Der Landstreicher war früher ein verheirateter Kfz-Mechaniker mit einer eigenen kleinen Werkstatt gewesen. Er hatte mehrere Affären, was schließlich zur Scheidung führte und nach einer Verkettung ungünstiger Gegebenheiten den Verlust seiner Existenz nach sich zog. Das an sich war natürlich nichts, was für seine Unschuld sprach, jedoch waren alle Frauen aus vergangenen Affären, einschließlich seiner Ehefrau, dunkelhaarig und über dreißig Jahre alt.
Für Peter passte er einfach nicht ins Täterprofil. Vor Gericht verteidigte er, wiederum mit geschickten Argumenten, seinen Mandanten. Er schaffte es sogar, den Staatsanwalt das eine und andere Mal im Kreuzverhör blass aussehen zu lassen.
Die Geschworenen dürfte das nicht unbeeindruckt gelassen haben. Dennoch hätte Peter die Verurteilung möglicherweise nicht verhindern können, wenn nicht zeitgleich ein zwanzigjähriger Jungkoch beim Versuch eines sexuellen Übergriffes auf eine vierzehnjährige Schülerin durch das beherzte Eingreifen eines Waldarbeiters überwältigt worden wäre. Da die DNA mit den zweiten Spuren, die am Tatort gefunden worden waren, übereinstimmten, erreichte er für den Vagabunden einen Freispruch. Peter hatte weiter an Renommee hinzugewonnen.
Seine fünf Mitarbeiter waren meistens voll beschäftigt und in der hiesigen Umgebung genoss er einen guten Ruf. Mittlerweile hatte er ein ausgezeichnetes Gespür dafür entwickelt, wann er kurz davor stand, einen besonders lukrativen Auftrag an Land zu ziehen und wann nicht.
Seit dem Lunch war ihm klar, dass die Sammelklage gegen einen hiesigen Großunternehmer, der durch eine dumme Nachlässigkeit die Umwelt massiv geschädigt haben soll, wohl nicht durch seine Kanzlei geführt würde. Das Rennen, da war er sich sicher, würde die Kanzlei Sanders & Sanders machen.
Und jetzt stand da eine ihm völlig fremde junge Frau und er hatte keine Ahnung, was sie hier wollte.
“Ja, na und?”, fragte Peter ungehalten.
Sara legte ihren Kopf etwas zur Seite.
“Nichts weiter. Ich dachte nur: Vielleicht gefalle ich Ihnen?”
Dabei grinste sie Peter an und nahm eine laszive Haltung
ein.
Peters Gesichtsausdruck veränderte sich blitzartig. Sein dunkles Haar war immer noch voll und wies bis heute keine lichte Stelle auf und so konnte er mit seiner Ausstrahlung beim weiblichen Geschlecht durchaus noch punkten. Er war sich dessen bewusst, dass er auch heute noch eine gewisse Wirkung auf Frauen hatte. Ihm gingen jetzt Dutzende Gedanken durch den Kopf. Er favorisierte den, der Sanders & Sanders bezichtigte, ihm eine besonders hübsche junge Frau zu “spendieren”, um ihn dann zu diskreditieren und endgültig aus dem Rennen zu werfen.
Auf einmal ertönte im Hintergrund eine weibliche Stimme.
“Was ist los, Schatz?”
Peter drehte sich nach hinten. “Ach, nichts weiter. Da hat sich jemand an der Tür geirrt.”
Peter war seit über zwanzig Jahren verheiratet. Die Ehe musste so manchen Sturm überstehen. Er und seine Frau standen mehr als einmal kurz davor, einen Anwalt aufzusuchen. Das eine oder andere Mal war auch die magische Anziehungskraft, die junge, hübsche Frauen auf Peter ausübten, der Auslöser dafür. Doch in den letzten Jahren wurde Peter ruhiger und seine Frau erlangte damit langsam auch die Sicherheit, dass sie gemeinsam miteinander alt würden. Peter hatte sich mehr als einmal vorgenommen, einfach wegzusehen, wenn er spürte, dass er Gefahr laufen könnte, wieder in den Sog dieser urgewaltigen Macht gezogen zu werden. In den letzten Jahren, dachte er, hätte er dieses Problem, wie seine Frau es nannte, auch ganz gut im Griff. Möglicherweise lag es einfach auch nur daran, dass er täglich bis zu fünfzehn Stunden in der Kanzlei schuftete und seine Mandanten in der Regel meist männlich und nicht unter dreißig Jahre alt waren. Was gleichbedeutend damit war, dass sein Favoritenkreis ihm praktisch nie unter die Augen kam.
Und nun stand Sara da und sah ihm kess in die Augen. Er spürte, wie sein Blut in Wallung geriet und seine Hormone anfingen, verrückt zu spielen. Wut kam in ihm hoch, wobei er selbst nicht sicher war, ob er auf dieses hübsche Wesen oder auf sich selbst wütend war.
“Nun gehen Sie schon!”, hörte er sich sagen.
Sara drehte sich um und verließ das Grundstück, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie lief die Straße hinab und überlegte sich, was sie als Nächstes tun könnte. Rick und sie hatten ein echtes Problem. Sie war jedoch davon überzeugt, dass sie Probleme analysieren könne, um sie dann umgehend zu lösen. Dies galt umso mehr, wenn sie unbedingt etwas anstrebte. Und sie wollte nichts mehr als endlich ihrem Vater gegenüberzustehen. Und dazu benötigten sie Benzin. Für Benzin benötigten sie Geld. Das Geld wurde ihnen gestohlen. Also musste sie, Sara, sich neues beschaffen und zwar schnell!
“Hallo”, hörte sie jemanden sagen.
Sara war sich nicht sicher, ob sie gemeint war. Sie hielt an, drehte sich um und schaute fragend in Peters Gesicht.
“Wenn Sie Zeit haben, in etwa fünf bis zehn Minuten fährt meine Frau in die Stadt.”
Sara nickte.
“Erst läuten, wenn sie weg ist.”
Peter ging schnell wieder zurück in sein Haus. Sara
machte ebenfalls kehrt und wartete außerhalb von Peters Grundstück.
Tatsächlich stieg eine Frau kurze Zeit später in den Mercedes und bog damit in die Straße ein, die in die Innenstadt führte.
Sara harrte noch ein wenig aus, bevor sie dann zum zweiten Mal innerhalb von fünfzehn Minuten die Glocke zu Peters Haus betätigte. Der Gong war noch nicht verklungen, da öffnete sich auch schon die Tür.
“Hallo, da bin ich wieder.” Dies sagte sie in einem Tonfall, dass man hätte denken können, ein Teenager begrüße seine Eltern, nachdem er gerade zwei nette Stunden bei einer Freundin verbracht hatte.
Peter sah sie verlegen an. “Wir haben eine Stunde, dann ist sie wieder zurück.”
Er blickte hinaus, als könne er seine Frau in der Ferne sehen. Dann sagte er zu Sara gewandt:
“Ich gebe dir hundert – ist das okay?”
“Hundertfünfzig!”
“Gut.”
Peter schloss die Tür, unmittelbar nachdem Sara eingetreten war.