Читать книгу Manchmal trägt der Teufel weiß - Andreas Dürr - Страница 8

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Miriam lag mittlerweile betrunken auf ihrer Couch. Durch

irgendein knackendes Geräusch wurde sie wach und richtete sich mühevoll auf. Sie streckte ihre Hand nach der Whiskyflasche, die auf dem Tisch stand, und bekam sie nach einigen Versuchen tatsächlich zu fassen. Sie füllte sich das Glas randvoll, wobei einiges daneben ging. Dann setzte sie es an ihre Lippen und schüttete den Inhalt auf ex hinein. Anschließend stellte sie es wieder auf den Tisch, ihren Kopf hob sie dabei leicht an, wobei sie krampfhaft versuchte, ihre Augenlieder weiter zu öffnen, als ob sie gegenüber etwas entdeckt hätte, was da nicht hingehörte. Sie schloss die Augen und schüttelte ihren Kopf hin und her. Dann hielt sie inne und sah angestrengt geradeaus. Sie lallte, als sie ihren Mund öffnete. “Ich war’s nicht, ich schwör? s. Das war Sara, diese Schlampe – hat ihn einfach gekillt …” Sie saß einfach nur da und wippte ihren Kopf auf und ab. “Ich werd’ sie höchstpersönlich anzeigen. Ich weiß auch ganz genau, wo sie hin will.” Sie griff nach der Flasche und verzichtete dieses Mal darauf, ihr Glas aufzufüllen. Stattdessen hob sie die Flasche und nahm einen kräftigen Schluck daraus, und als sie sie gerade erneut ansetzen wollte, krachte neben ihr ein Schuss. Die Flasche zersprang in tausend Scherben, die sich auf Couch und Fußboden verteilten. Sie erschrak und sah verdutzt an sich hinunter. Dann fielen noch einmal drei Schüsse und sie sackte in sich zusammen.

Im Nebenzimmer lag der tote George in einer riesigen Blutlache auf dem Fußboden.

Es waren keine zwanzig Sekunden seit dem letzten Schuss vergangen, da peitschten im Sekundentakt noch einmal drei Schüsse durch das Haus. Dieses Mal wurden sie auf den toten Körper von George abgegeben. Dann bewegte sich für einen kurzen Moment die Verandatür und der Schütze verschwand in der Dunkelheit.

Es war früh am Morgen, sie fuhren der aufgehenden Sonne entgegen. Rick saß konzentriert am Steuer, wenngleich er seine Müdigkeit vor niemandem hätte verbergen können. Er gähnte und sah dann hinüber zu Sara, die ihren Kopf seitlich zwischen Kopflehne und Türholm gelehnt hatte. Sie schlief. Als er sich erneut eines Gähnens nicht erwehren konnte, hielt er Ausschau nach einer Parkmöglichkeit. An einer hochgelegenen Parkbucht mit phantastischem Ausblick hielt Rick vorsichtig an, um Sara nicht zu wecken. Er stieg aus seinem Fahrzeug aus, atmete tief durch und ging einige Schritte, bis er an einer Brüstung ankam, hinter der das Gelände steil abfiel. Von dort hatte er eine grandiose Aussicht über die hügelige Landschaft im Vordergrund mit grünen Wiesen bis zu den hohen Bergen im Nordwesten und den Wäldern im Süden. Wenn sich Rick nicht bewusst gewesen wäre, warum er sich gerade hier befand, hätte er glatt die Füße hochlegen und die Seele baumeln lassen wollen.

Rick griff in die Gesäßtasche, holte seine Geldbörse hervor und blätterte in einem Bündel Dollarscheinen, um sie gleich wieder zurückzustecken. Er dachte, etwas Geld müssten sie schon dabeihaben – wer weiß, wie lange die Fahrt andauern würde. Er rechnete sich aus, dass er am kommenden Tag wieder zu Hause sein könnte, wenn es keine Zwischenfälle gäbe.

Rick überlegte, ob er sich nach dem Gesetz strafbar machte, ob er ein Fluchthelfer war. Dann beruhigte er sich damit, dass Sara im Grunde genommen keine strafbare Handlung begangen hatte. Es sei denn, es gäbe ein Gesetz, nachdem man verpflichtet wäre, die Behörden über das Hinscheiden eines Menschen zu unterrichten. Er hatte keine Ahnung, er war schließlich kein Jurist.

Rick sah hinüber zu Sara, die gerade wach wurde. Nein, er konnte nicht anders. Er musste diesem herrlichen Geschöpf beistehen – völlig egal, welche Konsequenzen er dafür zu tragen hatte.

Sara verließ den Wagen und trat neben Rick, um mit ihm gemeinsam in die Weite zu sehen. Sie genossen für einige Zeit dieses von der Natur geschaffene Kunstwerk.

“Es ist schön hier … so friedlich”, meinte Sara. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, um Sara umzustimmen.

“Sara, meinst du nicht, es ist besser ...”

Sara ließ ihn nicht aussprechen, fiel ihm ins Wort und erstickte seinen zaghaften Versuch, sie zur Umkehr zu bewegen.

“Nein, Rick! Ich werde auf keinen Fall zurückkehren. Ich werde mich nicht stellen … Ich werde nicht umkehren,

nicht, bevor ich meinen Vater gefunden habe.”

Ricks Kopf senkte sich ein wenig. Er nahm sich vor, sie von jetzt an nicht mehr damit zu behelligen.

Sara drehte sich um und ging zurück zum Wagen, während Ricks Blick noch einmal in die Ferne schweifte, bevor auch er sich zu seinem Chevy begab.

Sara saß auf dem Beifahrersitz, hatte die geöffnete Schatulle vor sich auf dem Schoß liegen und durchstöberte die Briefe ihres Vaters, die fast alle an sie persönlich gerichtet waren. Sie hielt Rick einen Umschlag mit dem Absender hin. Er las: Frank Bell, Sierra Vista, Wilshire Blvd. Arizona.

“Frank Bell, dein Vater?”

Sara gab ihm durch ein kurzes Nicken zu verstehen, dass es so war. Obwohl sie nicht verstand, weshalb sie dann nicht Sara Bell hieß. Rick holte die Straßenkarte aus der Seitentür und breitete sie vor sich aus.

“Hast du denn kein Navi?”, fragte sie ihn.

Sie sah mit einem erstaunten Seitenblick auf diese riesige

Karte.

“Nein, das passt nicht zu diesem nostalgischen Gefährt.”

Er streichelte dabei liebevoll das Lenkrad seines 84er Chevy. Dann widmete er sich wieder der Karte.

“Sierra Vista, ausgerechnet Sierra Vista”, sagte Rick nachdenklich.

Sara sah ihn fragend an.

Rick fühlte sich ertappt und ergänzte schnell:

“Ach nichts, ich meine, das ist’n ganz schönes Stück bis dahin.”

Er studierte weiterhin die Karte.

“Warte mal. Also, wir sind jetzt hier. Die Briefe stammen alle von da”, murmelte er vor sich hin.

Rick fuhr mit dem Zeigefinger die Karte hinab und hielt an einem bestimmten Punkt.

“Und wie weit ist das von hier?”, wollte Sara wissen.

Rick schätzte die Entfernung auf der Karte und rechnete kurz.

“Wir müssen wieder ein Stück zurück. Alles in allem sind das gute tausend Meilen.”

Sie sahen sich eine Weile zweifelnd an.

“Hör mal, Rick. Du musst das nicht tun. Du hast sicher nicht die Zeit dafür.”

Es klang wie eine Frage. Daraufhin antwortete Rick:

“Ich habe es dir versprochen, ich fahr dich, wohin du willst. Meine Semesterferien haben ja eben erst angefangen.”

Sara war plötzlich sehr interessiert.

“Du studierst? Welche Richtung?”

“Medizin. Ich habe noch sieben Semester, wenn alles glatt läuft.”

Bewunderung lag in Saras Gesichtszügen.

“Ich hab’ noch keine Ahnung, was ich machen werde. Zum Studieren wird das Geld wohl eher nicht reichen.”

“Ich habe keine Angst um dich – du kannst ganz schön resolut sein … Du wirst deinen Weg gehen. Da bin ich mir ganz sicher.”

“Ich tu, was zu tun ist! Das ist alles.”

Während Rick losfuhr und der Straße folgte, stöberte Sara in den Briefen, die ihr jahrelang vorenthalten worden waren. Es fiel ihr schwer zu glauben, was sie da las. Sie hielt für einen Moment den Atem an.

“Was schreibt Dad …? Miriam ist gar nicht meine Mutter … da steht es. Sie ist nicht meine Mutter.”

Beim zweiten Mal kam es ihr so über die Lippen, als wäre sie darüber erleichtert. Dennoch blieb bei ihr ein letzter Zweifel, auch wenn die Briefe eindeutig etwas anderes sagten:

“Dad schreibt, sie ist nicht … aber ich, ich verstehe das nicht.”

Rick saß neben ihr und es war ihm nicht möglich, ihr irgendwie zu helfen. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass all das, was auf Sara innerhalb des letzten Tages eingewirkt hatte, sehr verwirrend für sie sein musste. Sie sah kurz hinüber zu Rick, um sich dann wieder einem der Briefe ihres Vaters zu widmen. Dazwischen entdeckte sie ein Foto, welches Sie sinnierend betrachtete. Es kam ihr nur ein “Dad” über die Lippen.

Rick sah flüchtig zu Sara, die noch immer das Bild ihres Vaters betrachtete. Es war keine besonders gute Aufnahme, die zudem von einem eher schlechten Fotografen in schwarzweiß aufgenommen worden war. Doch auf einmal ließ sie den Brief samt Bild aus der Hand fallen und fasste sich mit der Hand an den Kopf. Dabei entfuhr ihr ein kurzes “Ahh”.

Rick sah entsetzt zu ihr. “Was ist los?”

Doch anstatt ihm zu antworten, wühlte sie panisch in ihrer Tasche. Als sie gefunden hatte, wonach sie so aufgeregt gesucht hatte, sagte sie:

“Nichts, es ist nichts.”

Sara öffnete eine kleine Dose und entnahm daraus eine Tablette, die sie hastig hinunterschluckte. Sie verharrte für einige Sekunden ohne Bewegung. Dann drehte sie leicht ihren Kopf zu Rick und sagte: “Es geht gleich wieder.”

Rick sah sie besorgt an, sagte aber keinen Ton. Unbeirrt steuerte er seinen Chevy weiterhin über die breite und gerade Straße, auf der ihnen nur selten Fahrzeuge entgegenkamen. Rick, der die ganze Nacht durchgefahren war, brach das Schweigen.

“Wir müssen schlafen. Wenigstens ein paar Stunden. Ich halte da vorne an.”

Sie hatten sich zum Rasten einen kleinen Waldparkplatz etwas abseits der Straße ausgesucht, wo sie die Sitzlehnen etwas flacher stellten, um kurz schlafen zu können.

Einige Stunden später wurde Rick durch ein Geräusch geweckt. Er erhob sich aus seiner Liegeposition und wunderte sich, dass Sara nicht neben ihm lag, ja, sie war nicht einmal in der Nähe des Wagens. Er öffnete die Tür und zog sich am Holm des Chevy mühsam ins Freie. Er machte, immer noch verschlafen, einige Schritte, um dann abrupt stehenzubleiben. Sein gesenkter Blick fiel auf ein Paar braune Cowboystiefel mit seltsam verschnörkelten Verzierungen am Schaft.

Rick schaute auf und vor ihm stand ein Mann, der ihm zynisch in die Augen sah. In seiner rechten Hand hielt er einen Bumerang, den er mehrmals nacheinander in seine linke Hand schlug.

“Da staunst du, was?”

Raul bleckte seine weißen Zähne.

Rick, der eben noch verschlafen aus dem Auto getorkelt war, war plötzlich hellwach, denn ihm kam plötzlich ein Einfall, der mit einem Ereignis vom Vortag zu tun hatte. “Warst du das mit den Badetüchern?”, fragte Rick.

“Ich wollte dich damit wachrütteln. Aber nein, der Herr macht sich mit unserem Auftrag aus dem Staub … Wo ist sie?”

Raul suchte mit den Augen die Umgebung ab.

Rick wunderte sich zwar, weshalb Raul ihn hatte finden können, doch der erste Schock war schnell überwunden.

“Raul, sie ist nicht hier … ich weiß auch nicht, wo sie ist.”

Rick ging einige Schritte auf und ab und sagte dann:

“Hör zu Raul, du lässt Sara in Ruhe!”

Raul sah ihn an als wollte er sagen: Wie willst Du Würstchen das verhindern und sagte: “Alles wird wie geplant durchgezogen – mit dir oder ohne dich.”

“Das werden wir ja sehen.”

Rick wandte sich von Raul ab und ging auf die Wagentür zu, doch Raul setzte ihm nach, holte aus und schlug ihm den Bumerang gegen den Hinterkopf. Rick sank bewusstlos zu Boden. Raul stand gelassen über ihm, schüttelte kurz seinen Kopf, beugte sich über ihn und zog ihm die Brieftasche aus der Hose. Danach durchwühlte er den Wagen, bis er eine Tasche fand, aus der er etwas herausnahm. Dann bewegte er sich einige Schritte von Ricks Chevy weg, blieb kurz stehen, um sich noch einmal umzusehen, doch als er nichts von Bedeutung erkennen konnte, verschwand er ebenso schnell, wie er aufgetaucht war.

Sara schlug der Zweig einer Haselstaude ins Gesicht. Sie hatte sich nur etwas die Füße vertreten wollen und war dem Pfad gefolgt, der sich vom Parkplatz ausgehend auf einen bewaldeten Hügel emporschlängelte. Jetzt kämpfte sie sich bergab, weiter durchs Dickicht, wo sie stehen blieb, um sich zu orientieren. Irgendwo war sie vom Pfad abgekommen. Plötzlich hörte sie von der Seite ein Knacken im Unterholz, worauf sie anhielt und lauschte. Kurz darauf ertönte ein erneutes Knacken, nur dass es dieses Mal deutlich näher gekommen war. Sie schob eine Menge Zweige beiseite, während sie ihren Weg im Laufschritt fortsetzte.

Rick erwachte aus seiner Bewusstlosigkeit, rappelte sich mühsam hoch und setzte sich. Er fasste sich am Kopf an der Stelle, an welcher er den Schlag abbekommen hatte, und verzog dabei vor Schmerz sein Gesicht. Ein plötzlicher Ruck ging durch seinen Körper. Erschrocken fasste er an seine Gesäßtasche, dorthin, wo normalerweise sein Geldbeutel steckte. Er war weg. Rick kochte vor Ärger. Die Tatsache, dass er sich so leicht hatte überrumpeln lassen, wog dabei genauso schwer wie der Verlust seines Geldes.

Ricks Aufmerksamkeit richtete sich plötzlich auf ein Gebüsch, nur wenige Meter von ihm entfernt. Es wurde jäh geteilt und im nächsten Moment stand Sara auf dem Waldparkplatz. Sie streifte sich einige Tannennadeln von ihrem Shirt, blickte noch einmal dorthin, woher sie eben gekommen war, als ob der Wald schuld daran sei, dass sie sich darin verlaufen hatte. Dann sah sie zu Rick hinüber, als sei nichts gewesen. “Hallo Rick, ausgeschlafen?”

Ricks Versuch, sich zu erheben, war nicht von Erfolg gekrönt. Er knickte ein. Er versuchte es ein zweites Mal, wobei er es mit mehr Bedacht angehen ließ.

“Rick, ist alles in Ordnung?”

Rick hatte keine Lust, auf Einzelheiten einzugehen und schon gar nicht wollte er zugeben, dass er sich in einem Anflug kindlicher Naivität hatte überrumpeln lassen. Stattdessen kam ein anderer, nicht minder ärgerlicher Gedanke in ihm hoch.

“Hast du noch Geld? Wir müssen bald tanken.”

“Ah so. Ja klar.”

“Würdest du mal nachsehen, ob es noch da ist?”

Sara erkannte spätestens jetzt, dass während ihres kleinen Ausflugs irgendetwas passiert sein musste. Sie sah Rick sekundenlang an, ohne etwas zu sagen oder sich zu bewegen. Dann kletterte sie in den Wagen, um nach ihrem Geld zu sehen.

Rick, der es geschafft hatte, sich auf den Beinen zu halten, schwankte auf seinen Chevy zu, da hörte er Sara sagen:

“Es ist weg. Es ist alles weg.”

Sara bemerkte, wie Rick auf sie zu taumelte und nach einigen Schritten einknickte. Sie rannte zu ihm hin und unterstützte ihn beim Gehen, bis sie am Auto angekommen waren.

“Jetzt stützt du mich innerhalb eines Tages schon zum zweiten Mal.”

Er löste sich von Sara und legte seinen Arm auf das Dach seines Chevys.

“Was ist passiert, Rick?” Sie sah ihn an und wartete gespannt auf seine Antwort. Rick erkannte, dass er nicht einfach zur Tagesordnung übergehen konnte. Er musste etwas zu diesem Vorfall sagen und das wollte er nun auch tun, wenngleich er ihr bei Weitem nicht alles erzählen würde.

“Ich wurde von einem Geräusch geweckt. Dann habe ich einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Mein … unser Geld wurde gestohlen.” “Mist. Das hat uns noch gefehlt.”

Rick tätschelte das Dach seines Chevy. “Wir haben zwar noch den Wagen, aber kein Geld, um den Sprit zu bezahlen, und Hunger bekomme ich auch langsam.”

Sara sah ihn kritisch an.

“Rick, wir, das heißt ich, kehre auf keinen Fall um. Ich gehe nicht in dieses Leben zurück. Nie wieder!”

“Schon gut, Sara. Nur müssen wir uns jetzt was Gutes einfallen lassen.”

Sara senkte für einige Sekunden leicht ihren Kopf, um ihm dann entschlossen in die Augen zu sehen.

“Rick, sag mir Bescheid, wann du wieder fahren kannst. Ich bring’ das für uns wieder in Ordnung.”

Damit ging sie um den Wagen und setzte sich auf den Beifahrersitz. Rick sah ihr sprachlos hinterher und machte vor lauter Verblüffung eine entsprechende Kopfbewegung, als ihm klar wurde, dass Sara zweifellos zu den wenigen Frauen zählte, die es fertigbrachten, ihn immer wieder zu überraschen. Dann stieg auch er ein.

“Wir können von mir aus weiterfahren.”

Manchmal trägt der Teufel weiß

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