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Dr. Spack war einer der fähigsten Chirurgen in ganz Colorado, jedenfalls der renommierteste im St. Josephs Hospital. Unter seinem Messer lagen bisher viele bedeutende Persönlichkeiten dieses Staates. Sie kamen zu ihm, weil er unangefochten als Koryphäe für Organtransplantationen galt. Es gab so gut wie kein Organ, das er nicht schon mehrfach erfolgreich transplantiert hätte.

Seine Augen waren konzentriert auf seine Arbeit gerichtet, auch gegen Ende, als er mit dem letzten Stich die Wunde zunähte. Er warf das Besteck in die Nierenschale und trat aus dem OP-Saal. Kaum hatte er ihn verlassen, warf er Mundschutz, Kopfbedeckung, Handschuhe und Kittel in die dafür vorgesehenen Behälter. Dann ging er in den Waschraum. Am Waschbecken stellte er den Wasserhahn an, befeuchtete ein Tuch, von denen über dem Waschbecken etliche bereitlagen, und tupfte sich den Schweiß von der Stirn.

Er hatte den Waschraum kaum verlassen, da teilte ihm eine Schwester mit, dass er unbedingt Frau Hernandez aus Arizona zurückrufen sollte. Dr. Spack nickte nur und ging am Ende des Flurs in sein Büro.

Er nahm einen Ordner aus einem Schrank, suchte darin eine Nummer, die er ins Telefon eintippte, ohne die Zahlenfolge nochmals nachsehen zu müssen. Er wartete zwei Rufzeichen ab und schon meldete sich am anderen Ende Frau Hernandez.

“Dr. Spack am Apparat.” Dr. Spack hörte sich an, was Frau Hernandez zu sagen hatte. Dann versicherte er ihr Folgendes:

“Frau Hernandez, Sie können sich darauf verlassen, dass die Operation termingerecht durchgeführt wird. Es wird keinerlei Verzögerungen geben. Sie müssen nur dafür sorgen, dass sich Ihre Tochter zum besagten Zeitpunkt in Bisbee befindet. … Ja, das wünsche ich Ihnen auch.”

Dr. Spack legte den Hörer auf und dachte kurz nach. Dann nahm er sein Handy und wählte erneut.

Sara war eingeschlafen, doch nach nur einer Stunde wachte sie wieder auf und sah zur Uhr. Sie erhob sich und legte die Fahrradlampe auf die Kommode, holte ihre Badesachen aus dem Schrank, stopfte sie in ihre Tasche und verließ das Zimmer.

Sie ging schnell durch den Wohnraum.

“Ich geh’ noch kurz an den See.”

Miriam hatte das kaum mitbekommen, stattdessen rülpste sie und nahm noch einen Schluck aus ihrem Glas.

Sara klemmte ihre Tasche auf den Gepäckträger ihres Fahrrades, stieg auf und fuhr los. Sie radelte die Straße hinunter und bog nach etwa fünfhundert Metern in eine Nebenstraße ab. Minuten später verließ sie die Straße und hatte noch ungefähr einen Kilometer auf einem Waldweg zurückzulegen, der an einem wunderschön gelegenen See endete. Sie lehnte den Drahtesel an einen Baum, nahm ihre Tasche vom Gepäckträger und suchte sich einen gemütlichen Platz, wo sie ihr Handtuch ausbreitete. Sie zog sich ihr Shirt und die Hot Pants aus und sprang in ihrem Bikini, den sie schon zu Hause angezogen hatte, ins Wasser und schwamm einige Runden in dem erfrischenden Nass.

Nach etwa zehn Minuten stieg sie aus dem See und wunderte sich, dass neben ihrem Handtuch ein weiteres Badetuch lag. Der Besitzer war nirgends zu sehen. Sie achtete nicht weiter darauf und legte sich in die Sonne.

Saras Sonnenbad verlief nur kurze Zeit ungestört, dann hörte sie einen Schwimmer, der sich dem Ufer näherte. Sie setzte sich auf und traute nicht ihren Augen, denn ihre Bekanntschaft vom Morgen stieg aus dem Wasser, ging geradewegs auf sie zu und blieb vor ihr stehen.

“Darf ich?”

Er deutete dabei auf sein Handtuch, das unmittelbar neben ihrem ausgebreitet lag.

“Na, da der Badestrand heute mal wieder komplett überfüllt ist, will ich mal nicht so sein.”

Sie deutete dabei mit einer ausladenden Handbewegung auf die Umgebung, die völlig menschenleer war.

Rick lächelte und setzte sich neben sie.

“Ich habe dich vorhin beobachtet – du schwimmst einen

ausgezeichneten Stil.” Er streckte ihr die Hand entgegen.

“Mein Name ist Rick, Rick Stewart.”

Sara streckte ihm mit einem Lächeln ihrerseits die Hand entgegen.

“Ich heiße Sara.”

Rick war freudig erstaunt. “Sara, wirklich? Meine Schwester heißt Sara … Ich kann nur hoffen, dass ich meinen Eltern von Dir erzählen kann, bevor ihnen einer meiner Freunde von der heißen Nacht erzählt, die ich mit Sara hatte …”

Sara bekam funkelnde Augen.

“Wie bitte?”

Mittlerweile erkannte Rick, was er da von sich gegeben hatte. Doch es war zu spät. Sara holte aus und schlug Rick auf die linke Wange. Rick hielt sich sofort die Hand an die schmerzende Stelle.

“Autsch … Das hat gesessen. Hab’ ich wohl verdient. Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll.”

Rick sah sie um Verzeihung bittend an. Saras Blick war durchdringend und ernst.

Rick rang um die richtigen Worte.

“Was soll ich, ich meine … es tut mir wirklich sehr … ich wollte nicht …”

Sara lachte laut los. Ricks Gesichtszüge entspannten sich. Er lächelte nun auch.

“Ich hab’ schon davon gehört, dass es Leute gibt, die schneller sprechen, als sie denken … Rick, kann es sein, dass du zu denen gehörst, die das aussprechen, was sie gerade denken?”, sagte sie und sah ihm dabei schelmisch ins Gesicht.

Rick hatte seine vorübergehende Sprachlosigkeit überwunden und war wieder gefasst.

“Ich hab’ dich recht schnell richtig eingeschätzt!”

“Und, darf ich fragen, wie du mich einschätzt?”

Rick sah ihr schmunzelnd in die Augen.

“Du bist ein ganz großer Frechdachs. Hab’ ich nicht recht?”

“Mmhh, ich lass mir zumindest nicht alles gefallen.”

Mit hoffnungsvoller Stimme fragte Rick:

“Aber du hast mir doch verziehen, ja?”

Sara rümpfte zum Spaß die Nase.

“Mmhh, ich weiß nicht so recht …”

Rick neigte den Kopf reumütig zur Seite.

“Also gut, ich will mal nicht so sein”, sagte Sara.

Rick tat freudig erregt, griff in die Tasche und nahm sein Handy heraus. Dies hielt er ihr, nachdem er die Starttaste des Recorders gedrückt hatte, vor ihren Mund und sagte:

“Nur, damit ich es später beweisen kann.”

“Ah, ein Handy mit Diktierfunktion!”

Sara machte den Spaß mit, beugte sich nach vorne und sprach ins Mikrophon.

“Hiermit sei Rick verziehen, dass er, hmm, sagen wir, seinen geheimen Wunsch nicht für sich behalten hat.” Rick tat kurz beleidigt, doch dann lachte er und schob sein Handy wieder zurück in seine Tasche, danach saßen sie beisammen und sahen in die Ferne.

Sara stand plötzlich auf.

“Komm, lass uns noch eine Runde schwimmen.”

“Ok.”

Er sprang auf und rannte ihr hinterher. Bei über dreißig

Grad Celsius tat ihnen diese erneute Abkühlung gut. Es war mitten am Nachmittag, die meisten Menschen mussten arbeiten, dennoch war es ein Glücksfall, dass sie den ganzen See für sich alleine hatten. Es gab sonst immer einige Leute, die hierher kamen, um zu schwimmen oder am Strand zu relaxen.

Nach einer Viertelstunde verließen sie das kühle Nass und schlenderten miteinander in Richtung Liegeplatz.

“Du kannst deine Lampe bei mir abholen, wenn du willst. Sie funktioniert noch.”

“Ach ja, dann gib mir doch einfach deine Adresse – ich hole die Lampe dann später ab.”

Sara überlegte kurz, ob sie ihm so einfach ihre Anschrift aushändigen sollte. Nicht, weil sie ihm Misstrauen entgegen brachte. Nein, sie dachte dabei mehr an Miriam. Doch in diesem Fall wollte sie das Risiko eingehen, dass sie ihn, nachdem er Bekanntschaft mit Miriam gemacht hat, nie wieder sehen würde.

“Das ist einfach zu finden. Wenn du …” Sara erklärte Rick den Weg zu ihr nach Hause. Als sie nur noch wenige Meter von ihrem Liegeplatz entfernt waren, blieben sie wie angewurzelt stehen.

“Wer war das?”, meinte Sara irritiert. Rick zuckte nur mit den Schultern. Sie sahen genauer nach und leerten ihre Taschen.

“Rick, ich meine, wer ist so bescheuert und klaut nur die Badetücher. Dein Handy hat er nicht angerührt.”

Rick richtete sich auf und sah sich um. Er wirkte kurz sehr nachdenklich.

“Lass uns gehen!”, sagte er.

Ryan öffnete das Tor zu seinem Grundstück, besser gesagt, zu seinem ehemaligen Grundstück, denn seine Ehe war gerade in die Brüche gegangen. Der Scheidungstermin stand kurz bevor und Ryan würde das Haus seiner Frau überlassen, sofern sie bereit war, die fälligen Hypotheken zu

bezahlen. Das Haus wäre in neun Jahren abbezahlt.

Ryan hatte, kurz vor der Geburt seines Sohnes vor über zehn Jahren, vierzig Prozent Eigenkapital angezahlt und für die ersten zehn Jahre einem recht straffen Finanzierungsplan zugestimmt, damit das Haus nach zwanzig Jahren endgültig ihnen gehören würde. Die noch ausstehenden moderaten Raten würde seine Frau mit ihrer Nebentätigkeit als Aushilfslehrerin bewältigen können.

Der Groll über den Verlust seines Eigenheimes hielt sich immer dann in Grenzen, wenn er mit seinem Jungen zusammen war und ihm klar wurde, wem das alles eines Tages gehören würde.

Er selbst wohnte in einem Zweizimmerappartement in der Innenstadt, was immerhin den Vorteil hatte, dass er nur zwei Minuten zum Police Departement benötigte.

Nach einem langen Tag als Police Officer beim Pueblo Police Departement freute er sich jetzt auf ein Treffen mit seinem Sohn. Ein großes Paket klemmte unter seinem Arm.

Er hatte gerade die Hälfte des Weges auf seinem ehemaligen Grundstück zurückgelegt, da stürmte ein zehnjähriger Junge auf ihn zu.

“Dad, hallo Dad.”

Der Sohn sprang seinem Vater mit einem Satz entgegen.

Dieser fing ihn auf und umarmte ihn. Das Paket glitt ihm dabei aus den Händen.

“Hallo, Geburtstagskind.”

“Hast du heute viele Verbrecher eingesperrt?”

Ryan lachte, doch bevor er antworten konnte, entdeckte der Junge den Karton, der auf dem Boden lag. “Ist das für mich?”

“Das darfst du nach dem Abendessen auspacken, ok?”

“Yuhuu. Ein Geschenk für mich … Spielst du mit mir Fußball? Bitte Dad, bitte.”

Ryan war von seinem Arbeitstag ziemlich erledigt, dennoch setzte er den Jungen ab und ging mit ihm auf den Rasen hinter dem Haus. Als Ryan vor mehr als zehn Jahren die Außenanlage plante, war ihm die großzügige Rasenfläche wichtig. Er hatte sich damals gegen seine Frau durchgesetzt, die dort lieber ein Rosenbeet angelegt hätte. Doch Ryans Plan war auf Jahre im Voraus genau durchdacht. Erstens gefiel ihm der Anblick von saftigem Grün, zweitens war Rasenmähen so ziemlich die einzige Gartenarbeit, zu der man ihn nicht unter Androhung von roher Gewalt zwingen musste, und drittens dachte er schon dort daran, dass er hier eines Tages mit seinem Sohn Fußball spielen würde.

Im jetzigen Alter seines Jungen hatte Ryan damals selbst leidenschaftlich gerne Fußball gespielt. Damals war der Sport hierzulande noch nicht so populär. Man spielte eher Basketball, Football oder Baseball.

Ryan musste schmunzeln, als er darüber nachdachte.

Wahre Qualität setzt sich über die Jahre hinweg eben doch durch, dachte er.

Ryan begab sich in ein kleines Tor, das er am Ende des Grundstückes für Noel aufgebaut hatte.

An einem Fenster des Hauses bewegte sich ein Vorhang. Eine Frau sah kurz hinaus. Inzwischen hatte sich der Junge den Ball geschnappt und schoss aufs Tor. Noel hatte eine Riesenfreude, als er den Ball beim vierten oder fünften Versuch ins Netz traf. Nach einer halben Stunde, Noel hatte eben wieder ein Tor geschossen, meinte Ryan im Hinblick aufs Abendessen:

“Noel, jetzt ist es aber genug. Du hast ja heute haushoch gewonnen. ”

“Ohh, schade. Können wir nicht noch Elfmeterschießen üben?”

“Das machen wir dann morgen, für heute ist’s genug, Ok?”

Irgendwie hatte es sich so eingebürgert. Wann immer irgendetwas beendet sein sollte, setzte Ryan die Bemerkung “Ok” an den Schluss eines Satzes. Das Beste daran war: Es funktionierte prima. Danach war sein Sohn meistens einverstanden mit den Vorschlägen oder Anordnungen seines Vaters. Die Mutter hatte damit allerdings weniger Erfolg und Ryan fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis es auch ihm nicht mehr gelingen würde.

Sie gingen langsam auf das Haus zu. Der Junge trug das Paket auf seinen Armen. Zum Glück war es nicht ganz so schwer, wie man aus seiner Größe hätte schließen können.

“Bringst du mich morgen zur Schule?”

Ryan lachte.

“Nein, Noel, das geht nicht. Ich habe Frühschicht.”

Der Junge machte ein enttäuschtes Gesicht. Doch Ryan fügte hinzu: “Aber weißt du was?”

Der Junge blieb stehen und sah interessiert zu seinem Vater hoch.

“Wenn ich rechtzeitig fertig werde, hole ich dich Mittwoch aus der Schule ab.”

Der Junge strahlte übers ganze Gesicht. Er freute sich kolossal, wann immer er mit seinem Vater zusammen sein konnte.

Die Tatsache, dass er ihn von der Schule würde abholen kommen, barg für ihn einen weiteren interessanten Aspekt, der nicht zu unterschätzen war: Die Mitschüler und Schüler der Parallelklasse und vor allem die etwas älteren hatten große Hochachtung vor der Uniform, die sein Vater direkt nach dem Dienst meistens noch anhatte. Es kam schon einmal vor, dass sich die Jungen im Pausenhof rauften. Davor war auch Noel nicht gänzlich verschont geblieben. Doch hatte er nie unter schwerwiegenden Übergriffen älterer Schüler zu leiden, denn dazu war der Respekt vor Noels Vater viel zu groß.

Noel wusste, wenn sein Vater ihn von der Schule abholen käme, dann standen die Chancen nicht schlecht, dass sie danach etwas gemeinsam unternehmen würden. Daher sagte er zu seinem Vater:

“Au ja, und dann gehen wir noch in den Tierpark.”

Ryan schmunzelte.

“Mal sehen. Ach ja, hier. Das soll ich dir noch geben. Es ist von Claire.”

Ryan übergab Noel den Anhänger, den er von Claire erhalten hatte. Noels Augen glänzten vor Freude, als er den Anhänger sah. Er streifte ihn sich gleich über den Kopf.

Noels Mutter öffnete die Tür und der Junge stürmte ins

Haus. Sie sah Ryan streng an und sagte: “Aber nur kurz.”

“Bitte keine Szene vor dem Jungen. Nicht heute. Ich bin auch gleich wieder weg.”

Ryan ging mit ins Haus.

Manchmal trägt der Teufel weiß

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