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II

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Landratsamt. Laras Arbeitsplatz. Dienstag

Der gelbe Kugelschreiber schien das einzige farbenfrohe Element in der grauen Bürolandschaft zu sein. Lara führte abgehakte Bewegungen mit ihm aus und achtete gar nicht auf das karierte Papier, auf das sie schrieb.

Neben ihrem Büro war das Zimmer von Daniela, einem fröhlichen, blonden Wesen, das sie partout nicht ausstehen konnte. Nur eine dünne Wand aus Rigipsplatten und eine hellgraue Tür trennte die beiden. Und eben diese Türe öffnete sich.

„Pause. Ich kauf mir was im Supermarkt nebenan. Willst du mitkommen?“, fragte Daniela in einem gewohnt netten, fast unwiderstehlichen Ton. Sie arbeitete erst seit ein paar Wochen im Landratsamt.

„Nein, danke. Ich hab mir selbst eine Brotzeit mitgenommen.“ Lara konnte ihr problemlos widerstehen.

„Na gut. Bis gleich.“ Es glich schon fast einer Tanzbewegung, mit der sie das Büro verließ und durch die niedrige Eingangshalle ins Freie trat.

Laras Schinkenbrot kauerte gequetscht in ihrem Rucksack, doch sie wollte zuerst noch ihr privates E-Mail-Fach checken.

Es gab zwar niemanden, der ihr für gewöhnlich schrieb, aber die Sehnsucht nach irgendeiner Form der Aufmerksamkeit, wenn auch nur virtuell, hielt Lara täglich dazu an, ihr Konto auf Post zu überprüfen. Nach wenigen Klicks war sie in ihrem Account eingeloggt.

Tatsächlich. Gleich zwei neue Nachrichten.

Bei der Ersten handelte es sich um Werbung eines Online-Buchvertriebs, bei der Zweiten um Spam. Lara wollte die Nachricht eigentlich schon löschen, doch irgendwie machte sie die Betreffzeile neugierig. Das gestrige Datum prangerte darin. Nicht mehr und nicht weniger. Es reichte aus, um Lara auf die E-Mail klicken zu lassen. Sie überflog erst nur kurz den Inhalt, schüttelte verwirrt ihr Haupt und las sich die Nachricht anschließend noch einmal genauer durch.

Ich sitze gerade in meinem Hotelzimmer, das einen ausgezeichneten Ausblick auf die Stadt bietet. In der Ferne kann ich sogar einen Skytrain erkennen. Aber um ehrlich zu sein gefällt es mir hier nicht. Es ist viel zu unübersichtlich, eng und die Luft ist furchtbar schlecht in dieser Stadt.

Wenn ich das Fenster öffne, dann prallt eine akustische Entropie auf mich ein, die ich so nur ansatzweise von deutschen Autobahnen kannte.

Wenigstens bin ich nicht lange hier. Morgen wird alles erledigt sein. Die Zielperson, der Auftrag.

Ich bin auf jeden Fall schon sehr gespannt wie es sein wird. Werde ich zögern? Werde ich etwas fühlen? Angst habe ich keine, gar keine mehr.

Ausgenommen Jana. Ihr Verlust ist die einzige Angst, die mich quält.

„Was soll denn das?“, murmelte Lara vor sich hin. Sie verzog ihre unförmige Nase, als wäre in ihrem Büro vor Tagen eine Kanne Milch ausgelaufen, löschte die Mail und erhob sich von ihrem Platz. Ihre Brotzeit ließ sie weiterhin unberührt, denn eine ganz neue, aus Angst und Hass geborene Idee animierte sie aufs Geratewohl. Unauffällig schlich Lara in Danielas Büro.

Es war menschenleer.

Ingrid, ihre andere Arbeitskollegin, arbeitete nur noch halbtags und war schon vor fünfzehn Minuten gegangen. Leise umkurvte Lara den klobigen Metalltisch, der makellos und sauber mittig im Büro stand. Aktenschränke apparierten wie schlagfertige, aufmerksame Türsteher vor den Wänden, während konträr dazu ein natürlicher, frischer Duft friedlich in dem Büro lag. Der gleiche wohltuende Geruch, der auch mit Daniela schwang.

Ganz langsam zog Lara die zweite Schublade aus ihrem Schreibtisch. Ein ungleichmäßig lautes und ungewolltes Kratzen begleitete die Aktion, denn der Schub war schwer und die Rolllager alt. Ein Stapel von unausgefüllten Papierbögen und einige Rollen Klebestreifen hatten darin ihren Platz. Seitlich verstaute Daniela ein Bild ihrer Mutter.

Lara nahm es kurz an sich und legte es mit der Rückseite nach oben vor die Tastatur des Computers. Sämtliche Passwörter waren auf der weißen Fläche notiert. Mit feuchten Händen weckte Lara den Rechner aus seinem Standby-Modus und loggte sich unter Danielas Account im Betriebssystem ein. Sie öffnete sofort das verwaltungsinterne E-Mail-Programm und fand eine neue Nachricht vor. Ein Kollege bat sie um die Vorlage der Statistiken für Baugenehmigungen auf einem alten Kasernengelände. Das verwirrte Lara zunächst ein wenig, da Daniela gar nicht für solche Belange zuständig war. Doch dann fuhr sie fort, machte mit schnellem Atem weiter.

Sie stellte zuerst die Uhrzeit des Systems um zwanzig Minuten zurück, deklarierte die Nachricht anschließend als `Gelesen` und löschte sie. Nachdem sie die Uhrzeit wieder korrigierte, meldete sie Daniela von ihrem Computer ab, platzierte das Bild ihrer Mutter an seiner Stelle im Schub und flüchtete geduckt in ihr eigenes Büro zurück.

„Das reicht für heute“, murmelte sie mit rasendem Herzschlag vor sich hin und konnte sich nicht zwischen einer ängstlichen Mimik und einem siegesgewissen Grinsen entscheiden.

„Oh, nein“, stöhnte Lara gedanklich, als sie ihre nassen Hände an den Hosenbeinen trocknete. „Ihre Maus wird ganz feucht sein!“

Und in Laras Gesicht blähte sich schlussendlich doch noch der latente Ausdruck schüchterner Angst auf.

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