Читать книгу Rosenblut - Andreas Groß - Страница 11
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Eine leichte Brise fuhr Wolf durch die Haare. Mit einer unbewussten Geste strich er eine Strähne aus der Stirn, während er Anja zum Parkplatz begleitete. Er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. Ihr Vorschlag hatte ihn völlig überrascht. Noch mehr hatte ihn jedoch seine Antwort verwundert. Warum hatte er sich bloß hinreißen lassen, auf ihren Vorschlag einzugehen? Er war sich jetzt schon sicher, dass ihm das noch einigen Ärger bereiten würde. Er hätte sich von Anfang an nicht auf diese Überwachung einlassen sollen. Doch jetzt war es zu spät.
„Sie haben doch einen Wagen?“, riss ihn Anja aus seinen Überlegungen.
„Sicher. Er steht gleich dort hinten.“
„Schön, dann würde ich vorschlagen, dass Sie mich zu meiner Pension fahren. Ich wohne bei Frau Suchier.“
„Das trifft sich gut“, erwiderte er. „Ich habe dort auch ein Zimmer bekommen.“
Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ich dachte, die Pension wäre in dieser Woche vollkommen ausgebucht?“
Wolf fuhr sich über die Lippen. „Ein Gast hat wohl in letzter Sekunde abgesagt, sodass ich das Glück hatte, das Zimmer kurzfristig zu bekommen.“
„Sie gehören offensichtlich zu den Menschen, denen vieles so einfach in den Schoß fällt.“
Wolf stieß ein Schnauben aus. „Das sieht nur so aus. Ich stehe auch nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens.“
Sie nickte nachdenklich. „Welcher Mensch tut das schon? Und geben Sie mir jetzt bloß keine Antwort darauf. Selbst die am glücklichsten erscheinenden Menschen müssen meist hart für ihren Erfolg arbeiten. Da bin ich mir vollkommen sicher.“
„Wenn Sie es sagen“, erklärte Wolf, „werde ich Ihnen auch nicht widersprechen.“
„Bitte, ersparen Sie mir Ihre Ironie. Es reicht, wenn ich Sie für unbestimmte Zeit ertragen muss.“ Sie beugte sich leicht zu ihm herüber. „Natürlich auf Wunsch meines Vaters.“
„Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt?“
Anja presste die Lippen zusammen. „Okay, ich werde es nicht länger erwähnen. Fahren Sie mich nun zur Pension?“
Sie hatten inzwischen seinen Wagen erreicht. Wolf betätigte die Fernbedienung, um die Türen zu öffnen.
„Was ist mit Ihren Freunden?“
Sie runzelte die Stirn. „Wen ..., ach, Sie meinen Ben, Harry und Lisa. Da kann ich Sie beruhigen. Die sind keine echten Freunde. Wir bilden lediglich eine Interessengemeinschaft, eine Gruppe, die versucht, über die Kunst zu kommunizieren.“
„Dann werden die drei Sie nicht vermissen?“
Sie lachte. „Im Grunde gehen wir seit unserer Ankunft getrennte Wege. Ich bin nicht gerne mit anderen Menschen zusammen.“
Raphael warf ihr einen verwunderten Blick zu. „Sie wirken aber auf mich nicht gerade wie eine Einzelgängerin.“
„Das täuscht, Herr Fuchs. Normalerweise bin ich sehr zurückhaltend und öffne mich selten irgendeinem Fremden. Seltsamerweise strahlen Sie eine Art ... Wärme, wie soll ich sagen, eine gewisse Aura von Selbstsicherheit aus. Es ist, als könnte ich Ihnen vertrauen. Das kann ich doch?“
„Auf jeden Fall“, stieß Wolf hastig hervor. „Ich bin nicht daran interessiert, Sie auf irgendeine Art und Weise zu verletzen.“
„Das ist beruhigend.“ Sie öffnete die hintere Tür, legte den Block auf die Rückbank, ehe sie selbst auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Raphael stieg ein und startete den Wagen. Bereits nach wenigen Minuten hielt er vor dem Gasthaus.
Erst jetzt wandte sich Anja wieder ihm zu. „Ich würde Ihnen gerne meine bisherigen Arbeiten zeigen. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, kurz im Gastraum auf mich zu warten, gehe ich schnell auf mein Zimmer und hole meine Mappe mit den Zeichnungen.“
„Ich freue mich darauf“, sagte Raphael, was der Wahrheit entsprach. Anjas Arbeiten interessierten ihn nicht allein aus beruflichen Gründen. Er wollte sich mit eigenen Augen überzeugen, wie gut sie wirklich war. Auch wenn er keine fachmännische Expertise erstellen konnte, ließe sich zumindest herausfinden, ob sie die Fähigkeiten einer Künstlerin besaß, einen Laien wie ihn für sich zu gewinnen. Außerdem half es ihm bei der Einschätzung ihres Vaters und seiner Ansichten.
Zu seiner Erleichterung hielt sich niemand im Gastraum auf. Er musste auch nicht lange auf Anja warten. Bereits nach wenigen Minuten setzte sie sich neben ihn und legte eine Ledermappe vor ihm ab. Raphael zog an den Bändern, bis sie lose herabhingen, und klappte sie auf. Schon beim Anblick des obersten Bildes stieß er einen Pfiff aus. Das Bild war nicht nur gut, es war hervorragend gezeichnet, die Darstellung der Landschaft unbeschreiblich realistisch. Er konnte liebevoll erfasste Details ausmachen, die höchstens einem geschulten Betrachter auffielen. Jetzt erwies es sich als Vorteil, dass er über eine besonders ausgebildete Beobachtungsgabe verfügte. Er nahm das Bild zur Seite und betrachtet die nächste Zeichnung. Sie zeigte die Sababurg von einem Blickwinkel aus, der dem Jagdschloss eine besondere Ausstrahlung innerhalb der dargestellten Umgebung verlieh. Die Farben des nächsten Bildes leuchteten mit einer Intensität, die ihn wie magisch anzogen. Jede Nuance war aufeinander abgestimmt und es schien, als betrachte er ein Foto. Er kannte die Technik, mit der das Bild hergestellt worden war. Viele moderne Zeichner verwendeten die Airbrush-Methode, bei der die Farbe mit Hilfe einer Spritzpistole auf das Papier oder die Leinwand aufgetragen wurde. Das ermöglichte feinste Farbverläufe und auf diese Art eine fotorealistische Darstellung von Menschen und Gegenständen. Einer der bekanntesten Künstler dieser Technik war der bereits verstorbene Schweizer Hans Rudolf Giger.
Raphael hob den Kopf und blickte Anja fest in die Augen. „Diese Bilder sind toll. Sie gefallen mir ausgezeichnet. Ich liebe diese Art der Malerei, aber auch Ihre Schwarz-Weiß-Zeichnungen finde ich sehr gelungen. Ich muss natürlich gestehen, dass ich keine Begabung zum Zeichnen habe. Aber eine bescheidene Einschätzung über vorhandenes Talent kann ich dennoch abgeben. Und Sie besitzen eine herausragende Begabung.“
„Sie meinen das wirklich ernst?“ Zweifel klangen in ihrer Stimme nach. „Ich hatte einen Kunstprofessor, der meine ersten Versuche als ‚dilettantische Schritte eines unbegabten Paul Wunderlichs‘ beschrieb. Das nahm mir beinahe jede Hoffnung, eines Tages ernst genommen zu werden.“
„Zum Glück haben Sie nicht aufgeben.“ Wolf pochte auf die Mappe. „Diese Bilder zeugen eindeutig von Ihren Fähigkeiten. Haben Sie schon mal über eine Ausstellung nachgedacht?“
Sie verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Durchaus, aber bisher habe ich noch keine Galerie gefunden, die meine Werke ausstellen will. Ich muss aber auch zugeben, dass ich mich nicht so ernsthaft darum bemüht habe. Allerdings befürchte ich auch, die Galerien würden mich am Ende allein wegen meines Namens nehmen, um dadurch ihre Bekanntheit zu steigern. Immerhin bin ich die Tochter des prominentesten Politikers dieses Bundeslandes.“
„Sie sollten mehr Vertrauen in Ihre Arbeiten setzen. Diese Zeichnungen sprechen für sich. Ich würde sie gerne einer guten Bekannten von mir zeigen. Wir haben uns bei … einem anderen Job kennengelernt. Sie ist zufällig Galeristin. Ich werde Ihren Namen nicht erwähnen, wenn Sie es so wünschen. Dann können wir sehen, ob Sie als Tochter von Matthias Richter oder als eine begabte Künstlerin wahrgenommen werden.“
„Das würden Sie wirklich für mich machen?“ Sie riss die Augen auf. Ein hoffnungsvolles Leuchten erschien in ihren Augen. Raphael erkannte seine Chance, ihre Sympathien endgültig für sich zu gewinnen.
„Natürlich, meine Bekannte wird mir gerne diesen kleinen Gefallen erweisen, wenn ich sie darum bitte.“
„Das ... das ... wäre Wahnsinn“, stieß Anja aus. „Ich würde Ihnen ewig dankbar sein.“
Raphael zuckte mit den Schultern. „Ewig ist nicht notwendig. Aber ich mach es gerne für Sie. Natürlich kann ich Ihnen nicht versprechen, dass ihr die Bilder auf gleiche Weise zusagen. Jedoch bin ich mir sicher, sie wird sie sich mit Interesse anschauen und ein fachkundiges Urteil fällen.“
„Das würde mir schon sehr viel bedeuten“, bemerkte Anja. „Ich wollte meine Arbeiten schon immer für die Menschen und nicht für irgendwelche Kritiker herstellen.“
„Ihr Vater scheint jedenfalls nicht sehr davon überzeugt zu sein“, warf Raphael ein.
Sie verzog das Gesicht zu einer grimmigen Miene. „Mein Vater ist ein Realist, ein Politiker. Für ihn gibt es lediglich Fakten, gute oder schlechte Nachrichten. Er sieht alles Schwarz-weiß. Dazwischen ist kein Platz für Träumereien und Sehnsüchte. Es ärgert ihn schon sehr, dass ich keinen Beruf wie Juristin oder Ärztin erlernt habe.“
„Das ist wirklich bedauerlich“, bemerkte Raphael. „Künstler und Träumer sind in meinen Augen für die Gesellschaft absolut notwendig. Sie bringen mit ihren Werken Freude in das Leben vieler Menschen.“
„Ich hätte es nicht besser ausdrücken können“, sagte Anja erfreut. „Für einen Journalisten besitzen Sie einen ausgesprochen feinen Sinn für das Schöne im Leben.“
„Jetzt schmeicheln Sie mir“, lachte Raphael. „Aber ich muss zugeben, dass mein Beruf es absolut erforderlich macht, sich in andere Menschen, in ihr Fühlen und Denken, hineinversetzen zu können.“
„Das kommt leider selten vor. Meistens wollen Reporter nur über Dinge berichten, die eine große Schlagzeile bringen.“
Raphael schüttelte den Kopf. „Keine Angst. Auf mich trifft das keineswegs zu. Ich habe andere Ziele.“ Er hob die Hände. „Ihr Vater hat noch zwei weitere Kinder, die einen vernünftigen Beruf ergriffen haben.“
Anja schob die Unterlippe vor und nickte. „Das stimmt. Michael arbeitet in einer Bank als Berater und wird schon bald in die Chefetage aufsteigen. Und Stephanie hat ihr Kunststudium abgebrochen und studiert derzeit Biologie.“
„Darüber war er bestimmt sehr erfreut?“
„Erfreut ist schon zutreffend. Ich würde sogar sagen, er war richtig erleichtert, dass meine Schwester zur Vernunft gekommen ist. Dabei hatte ich immer angenommen, sie wollte Schauspielerin werden.“
Raphael hob fragend die Augenbrauen. „Daran wäre doch nichts auszusetzen gewesen?“
„Für ihn ist das eine noch größere, brotlose Berufung. Wenn Stephanie wirklich ihren Wunsch umgesetzt hätte, versichere ich Ihnen, dass sie den Kopf gewaschen bekommen hätte, obwohl wenn sie als sein Liebling gilt.“
„Das ist nicht Michael, Ihr Bruder?“, fragte Raphael verwundert.
Anja schüttelte den Kopf. „Michael war immer ein Musterschüler. Unser Vater ist stolz auf seinen Werdegang, aber Stephanie ist sein Lieblingskind.“
„Dann fallen Sie wohl aus der Reihe?“
Anja seufzte. „Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Die Eigensinnige, die sich nicht fügen will. Sie glauben gar nicht, was los war, als ich Christoph zum ersten Mal mitgebracht und als meinen Freund vorgestellt habe. Sie müssen nämlich wissen, dass er wirklich zur Schauspielschule geht. Aber im Gegensatz zu vielen anderen meiner Mitmenschen muss er sich keine Sorgen machen. Er stammt aus einer reichen Familie, die ihn mit einem Haufen Geld ausgestattet hat, damit er in Ruhe seiner Ausbildung nachgehen kann.“
Raphael machte sich gedanklich mehrere Notizen. Er musste sich doch wohl näher mit ihrem Exfreund befassen. Aber er würde auch Gespräche mit der Familie führen müssen. Besonders Stephanie schien eine seltsame Rolle einzunehmen. Er konnte sich schwer vorstellen, warum ausgerechnet das Lieblingskind schon so jung mehrmals ihren Wunschberuf geändert hatte. Gewöhnlich hielten viele Menschen an der Erfüllung ihres Lebenstraums fest. Selbst wenn sie ihn nicht sofort verwirklichen konnten. Manche in ihrem Leben sogar nie. Natürlich gab es Ausnahmen und dass Menschen, etwa aufgrund bestimmter Erlebnisse, ihre Lebensläufe änderten, war nicht ausgeschlossen. Doch das war in seinen Augen nicht die Regel.
Anja riss ihn aus seinen Überlegungen. „Soll ich die Bilder wieder einpacken?“
Raphael legte eine Hand auf ihren Arm. „Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, würde ich sie gerne gleich mitnehmen.“
„Kein Problem“, sagte sie erfreut. „Behalten Sie ruhig die komplette Mappe. Schließlich arbeite ich, wie Sie schon wissen, an einer neuen Serie von Bildern.“
Raphael schob die Mappe neben sich. „Wie sieht es aus? Wollen wir eine Kleinigkeit essen?“
Anja schüttelte bedächtig den Kopf. „Es tut mir leid, ich bin noch mit meinen Freundinnen im Eberts verabredet. Wir treffen uns dort regelmäßig. Wenn ich mir vorher den Magen vollschlage, kann ich dort den Abend über nichts mehr zu mir nehmen. Vielleicht ein anderes Mal.“
Raphael zuckte mit den Schultern. „Kein Problem. Kann ich Sie nach Kassel fahren? Oder haben Sie bereits eine Mitfahrgelegenheit? Schließlich werden Sie sich wohl kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg in die Stadt machen wollen. Da sind Sie ewig unterwegs.“
„Danke für das Angebot“, erwiderte Anja erfreut. „Ich hätte mir tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit gesucht. Meistens stelle ich mich an die Straße und es dauert auch nicht lange, bis mich einer mitnimmt.“
„Ist das nicht gefährlich?“, fragte Raphael mit unschuldiger Miene. In Wahrheit konnte er nicht zulassen, dass sie in den kommenden Tagen durch die Gegend trampte. Er musste sich unbedingt eine Erklärung einfallen lassen, um sie zukünftig davon abzuhalten. Wie sollte er sie beschützen, wenn sie sich leichtfertig in Gefahr begab? Bisher hatte sich der Unbekannte mit Drohungen zufriedengegeben. Doch was würde er machen, wenn er bemerkte, dass sein Opfer keine Angst zeigte? Nach Raphaels Erfahrung würde der Täter solange weiter machen, bis er sein Ziel erreicht hatte.
Anja lächelte müde. „Jetzt klingen Sie schon wieder wie mein Vater. Alle meine Freunde machen das. Und bisher hat keiner von uns schlechte Erfahrungen damit gemacht.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe Sie nicht. Einerseits sind Sie hochintelligent, andererseits scheinen Sie in diesem Punkt völlig naiv zu sein. Die Menschen sind nicht immer gut und liebenswürdig.“
„Das mag sein“, bemerkte Anja spöttisch. „Aber Sie sind ein echter Schwarzseher. Wahrscheinlich laufen in Ihrer Welt lauter Verbrecher herum. Sie vergessen dabei eines, wir leben nicht in den Vereinigten Staaten oder in Mexiko oder in irgendeinem Staat, in dem Verbrechen an der Tagesordnung sind und Gauner von einer korrupten Justiz gedeckt werden.“
Raphael seufzte. „Fahren wir und ich erzähle Ihnen unterwegs eine Geschichte, eine wahre Geschichte. Vielleicht denken Sie dann ein wenig anders über Ihr leichtsinniges Verhalten.“