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Romeo fühlte eine tiefe, innere Ruhe, als er den schmalen Flur entlang lief. Jeder andere an seiner Stelle wäre vor seinem ersten großen Auftritt aufgeregt gewesen. Er dagegen war die Ruhe selbst. Bedauerlicherweise würde kein Publikum bei seinem grandiosen Spiel zusehen. Doch der Tag würde kommen, an dem er seine wunderbare Rolle endlich vor begeisterten Zuschauern präsentieren konnte. Niemand würde sie ihm dann noch streitig machen. Schließlich gab es keinen besseren Schauspieler dafür. Sie würde ihm am Ende zu ewigem Ruhm verhelfen.

Im Grunde war ihm dies nicht so wichtig. Entscheidend war viel mehr, dass er nach dem Fall des letzten Vorhangs wieder mit seiner wahren Liebe vereint sein würde. Er war sicher, sie würde ihn erwarten. Sie hätte ihn niemals enttäuscht.

Seine Finger berührten den seidenen Stoff des Schals, den er in seiner Jackentasche versteckte. Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Tür öffnete. Julia erwartete ihn. Eigentlich hieß sie anders, aber dies war für ihn nicht wichtig. Für ihn war sie schlicht und einfach Julia. Ihr eigentlicher Name besaß im Grunde keine größere Bedeutung für ihn.

Jedenfalls ahnte sie nichts von seiner wahren Absicht, die er geschickt vor ihr verbarg. Immerhin sollte es ihm als Schauspieler leicht fallen. Ein freudiger Schauer lief ihm bei dem Gedanken über den Rücken. Er war gekommen, um zu töten.

Sie strahlte ihn an, als er das Zimmer betrat und leise die Tür hinter sich schloss.

„Du bist schon da“, sagte sie freudig. „Ich bin gleich soweit. Muss mir nur noch schnell die Wimpern nachziehen und das passende Outfit überwerfen. Dann können wir los.“

Romeo zuckte mit den Schultern. „Du übertreibst schon wieder. Bei deiner natürlichen Schönheit brauchst du eigentlich kein Make-up.“

Julia zog die Brauen hoch. „Flirtest du etwa mit mir? Du weißt hoffentlich, dass ich nicht auf dich stehe. Wir sind nur Freunde ...“

Romeo hob abwehrend die rechte Hand. „Keine Angst, ich wollte dich nicht anmachen. Außerdem weiß ich doch, wen du ganz besonders liebst. Und selbst wenn, du bist einfach nicht mein Typ.“ Verlegen senkte er den Kopf.

Julia verzog die Lippen zu einem Schmollmund. „So genau wollte ich das jetzt auch nicht wissen.“

Romeo seufzte. „Ich wollte dich nicht beleidigen“, erklärte er hastig. „Ich bin halt ehrlich.“ Langsam schritt er durch das Zimmer und ließ sich auf einen Drehstuhl nieder, der vor einem schlicht aussehenden Schreibtisch stand. Sorgfältig achtete er darauf, die Armlehnen nicht zu berühren, während er auf dem Stuhl herumschwang, um sie weiterhin beobachten zu können.

Julia huschte ins Bad. Romeo warf ihr einen bewundernden Blick hinterher. Sie besaß die gleichmäßigsten und längsten Beine aller Studentinnen an der Uni. Ihre makellose Haut glänzte in einem sanften Bronzeton. Sie musste sich nicht ins Solarium begeben, um die perfekte Bräune zu erreichen. Julia war einfach eine Naturschönheit.

Romeo lauschte dem Rauschen des Wasserhahns. Am liebsten wäre er ihr gefolgt. Aber das Badezimmer war nicht der richtige Ort, um sein Vorhaben zu verwirklichen. Aus diesem Grund unterdrückte er mühelos seinen Drang. Er konnte noch warten.

Sie lief auf Zehenspitzen aus dem Bad zu ihrem Schlafzimmer. „Ich muss nur noch mein Outfit überstreifen“, verkündete sie im Vorbeilaufen. „Dieser Abend wird bestimmt wahnsinnig toll. Ich kann es nicht erwarten, den neuen Club aufzusuchen“, erklang ihre Stimme durch die offen stehende Tür ihres Schlafzimmers.

Romeo genoss jede Minute. Er musste einfach jeden dieser letzten Momente auskosten, bis seine Stunde endlich schlug. Zärtlich spielten seine Finger mit dem Schal. Der große Augenblick näherte sich unaufhaltsam. Er hörte, wie sie den Kleiderschrank öffnete, und vernahm das kratzende Geräusch, als die Bügel auf der metallenen Stange hin und her geschoben wurden.

Er spürte, wie seine Erregung wuchs. „Der Club soll wirklich eine Sensation sein“, erwiderte er. „Ich habe gehört, dass dort viele Prominente verkehren sollen.“

Julia schob ihren Kopf hinter dem Türrahmen hervor. „Vielleicht treibt sich ein Modelscout dort herum und entdeckt einen von uns. Oder am Ende laufen wir einem Modedesigner über den Weg und ...“ Sie schnippte mit den Fingern „... ehe wir uns versehen, finden wir uns auf einem Cover wider.“

Romeo lachte. „Du träumst. Ich werde bestimmt kein Model, dafür sehe ich nicht gut genug aus. Doch du dagegen hast die perfekte Figur. Und mit deinen blonden Haaren verzauberst du jeden Mann.“

„Mach dich nicht kleiner als du bist. Du bist nicht weniger attraktiv.“ Julia schenkte ihm ein Lächeln, ehe sie sich wieder ins Schlafzimmer verzog.

Sie ist wunderschön, schoss es ihm durch den Kopf. Er begehrte sie auf seine ihm eigene Art, die sie mit Sicherheit nicht verstehen würde. Schließlich war es kein körperliches Begehren. Jetzt nicht mehr. Selbst wenn er Sex mit ihr gehabt hätte, würde er dabei nichts empfinden. Am Ende war sie auch nur ein weiteres verlogenes Miststück. Seine Liebe gehörte für immer der wahren und einzigen Julia.

Dieses Mädchen dagegen war eine Beziehung mit jemandem eingegangen, dem sein ganzer Hass gehörte. Sie war die Person, die er zerstören wollte, ihr die Seele und den Verstand nehmen. So, wie die falsche Julia es mit ihm getan hatte.

Sie alle waren verblendet. Alle waren der Person hörig, der seine Verachtung galt.

Er fühlte kein Bedauern darüber, dass sie sterben musste. Es war einfach eine Notwendigkeit. Warum mussten sie sich auch mit dieser verlogenen Hexe anfreunden? Genau das war jetzt ihr Todesurteil, denn seine Liebe war unerfüllt geblieben. Niemand hatte ihm Trost geschenkt, als er getrauert hatte.

Lange hatte er gewartet, seinem Zorn freien Lauf zu lassen. Endlich sollte das hinterhältige Biest den Schmerz des Verlusts spüren, immer und immer wieder, genauso wie er ihn in seinem Herzen jeden neuen Morgen fühlte. Für sein weiteres Handeln war allein diese Tatsache entscheidend.

Er kannte die neue Julia erst seit zwei Wochen. Trotzdem erschien es ihm wie eine Ewigkeit, in deren Zeit er von alles umfassender Freude bis zu endlos scheinender Traurigkeit alle Arten von Gefühlen durchlebt hatte. Für einen Augenblick hatte er gehofft, er könnte eine neue, wahre Liebe gefunden haben. Doch dann hatte er die grausamen Worte aus ihrem Mund vernommen. Sie hätte ihm dies nicht antun dürfen. Außerdem wollte sie auch noch in diesem Stück mitspielen, in der Rolle, die sie niemals hätte übernehmen dürfen. Nicht nach ihrem Verrat.

Julia trat erneut aus dem Schlafzimmer. Sie trug eine kurzärmelige Bluse über einem kurzen Rock, der ihre Beine noch länger erscheinen ließ. Ihre Füße steckten in schwarzen High Heels. Romeo fragte sich immer wieder, wie man auf derart hohen Absätzen laufen konnte. Julia gehörte jedoch zu denjenigen Frauen, denen es mühelos gelang. Mit Leichtigkeit und eleganter Balance lief sie auf diesen Schuhen umher. Über die Bluse hatte sie sich eine dünne Lederjacke aus feinem Rindsleder geworfen, die so geschnitten war, dass sie um die Taille eng zusammenlief.

„Und?“, Julia warf ihm einen fragenden Blick zu, wobei sie sich einmal um die eigene Achse drehte.

„Perfekt“, erklärte Romeo. „Nein, nicht ganz. Fast perfekt. Es fehlt nur ein winziges Detail in meinen Augen.“

Über Julias Nase bildete sich eine kleine Falte, als sie die Brauen zusammenzog. „Worauf willst du hinaus?“ Sie blickte an sich hinab.

Romeo erhob sich mit einer eleganten Bewegung aus dem Stuhl und trat dicht an sie heran. Er griff nach ihrem rechten Handgelenk und zog sie in das Schlafzimmer. „Ich zeig es dir.“

Willig folgte sie ihm. Deutlich stand die Neugier auf ihrem Gesicht, als er sie vor dem großen Spiegel des Schlafzimmerschrankes stellte. Hinter ihr befand sich ein Doppelbett mit einer beigefarbenen Tagesdecke darauf.

Romeo griff in seine ausgebeulte Jackentasche und zog den sorgfältig zusammengelegten Schal hervor. Mit einer schnellen Handbewegung fächerte er ihn auseinander, verdrehte ihn mehrmals, ehe er ihn Julia locker um den Hals und über die Schultern legte. Dabei drapierte er ihn so, dass die losen Enden auf ihre Brust fielen.

Er stellte sich hinter sie und warf einen Blick über ihre Schulter. „Was meinst du?“

Julia neigte den Kopf und betrachte sich im Spiegel. „Ich bin mir nicht sicher. Ist es in dem Club nicht zu warm dafür?“

Romeo winkte ab. „Du kannst ihn jederzeit ablegen. Andererseits betont der Stoff dein Gesicht und lässt es noch ausdrucksvoller erscheinen.“

Julia zupfte leicht an dem Schal. „Ich weiß nicht so recht. Sei mir bitte nicht böse, aber irgendwie finde ich ihn unpraktisch. Wenn wir zu einem Open-Air-Konzert gehen würden, wäre er bestimmt sinnvoll.“

„Es war nur ein Vorschlag“, erwiderte Romeo sanft.

Julia deutete ein Lächeln an. „Du verstehst bestimmt viel von Mode, aber heute verzichte ich doch lieber auf dieses Accessoire.“

„Kein Problem. Komm, ich nehme ihn dir wieder ab“, beeilte er sich zu sagen und griff nach den Enden. Rasch wickelte er den Stoff über seine Handflächen. Er schenkte ihrem Spiegelbild einen letzten Blick, ehe er mit einem Ruck den Schal um ihren Hals zusammenzog. Ihre Augen weiteten sich entsetzt.

Romeo kniff die Lippen zusammen, als er mit aller Kraft an dem Schal zerrte. Julias Mund öffnete sich. Verzweifelt versuchte sie nach Luft zu schnappen, aber Romeo war unerbittlich.

„Ich habe dich geliebt“, flüsterte er in ihr Ohr.

Julia riss die Arme hoch. Todesangst zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, welches ihn aus dem Spiegel anstarrte. Mit letzter Kraft versuchte sie mit den Fingern unter den Stoff zu gelangen, um Luft zu bekommen.

Romeo wusste, dass sie in wenigen Augenblicken bewusstlos werden würde, da der Schal ihre Halsschlagader zusammenpresste und die Blutzufuhr zu ihrem Gehirn abschnürte.

Ihre Bewegungen wurden schwächer. Ohne loszulassen, warf sich Romeo herum und zusammen fielen sie auf das Bett. Er richtete sich auf und drückte das Knie in ihr Kreuz, um den Druck zu erhöhen. Seine Arme begannen zu schmerzen. Er fühlte, wie das Leben in ihr flackerte und erstickte. Ein letztes Zucken lief durch ihren Körper, als sie starb.

Er wartete noch einige Minuten, nur um sicher zu sein, dass sie auch wirklich tot war, ehe er sich erschöpft erhob. Endlich lösten sich seine Finger von dem Schal. Er drehte sie auf den Rücken. Ihre leeren Augen starrten ihn anklagend an. Das durfte nicht sein.

Entschlossen ging er in die Küche. Schnell hatte er gefunden, was er suchte, und machte sich ans Werk. Nachdem er es vollbracht hatte, legte er die beiden Gegenstände behutsam in eine Schachtel, die er in seine Jackentasche schob. Danach säuberte er sich. Es gab noch viel zu tun, ehe er die Wohnung verlassen konnte. Schließlich musste er seine Julia noch nach seiner Vorstellung herrichten. Erst nach zwei Stunden schritt er mit einem Gefühl der Zufriedenheit und der Erleichterung ins Freie. Tief sog er durch die Nase die frische Luft ein, um dann mit ruhigen Schritten die Straße hinunterzugehen.

Rosenblut

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