Читать книгу Medizin und Gesellschaft - Andreas Kögel - Страница 15

1.3 Der Gegenstand der Medizin 1.3.1 Menschen, Tiere, Organismen

Оглавление

Die Medizin gilt vorrangig als Humanwissenschaft, sie befasst sich mit Menschen;12 ein nachgeordneter Sonderfall ist die Tiermedizin.13 Diese Aufteilung resultiert aus einer alten anthropozentrischen Orientierung – der Mensch stellt sich funktional und moralisch über alle anderen Lebewesen. Entsprechend befasst sich die Medizinsoziologie überwiegend mit der Humanmedizin, medizinisches Handeln reicht aber darüber hinaus. Die Tiermedizin ist organisatorisch und moralisch von der Humanmedizin getrennt, aber diese Abgrenzung ist kulturell bedingt und Überschreitungen der Grenze zwischen Mensch und Tier kamen und kommen selbstverständlich vor. Für das Verhältnis vom Menschen zum Tier gibt es zwei grundlegende Positionen. Erstens eine strikte Trennung, die dem Menschen aus religiösen Gründen14 oder aufgrund bestimmter zugeschriebener Eigenschaften (Bewusstsein, Intelligenz, Zukunftsfähigkeit, Kultur) eine grundsätzliche hervorgehobene Andersartigkeit und einen höheren moralischen Wert zuschreibt. Zweitens einen Gradualismus, der – unter Rückgriff auf die Evolutionstheorie – den Menschen im Stammbaum der Wirbeltiere unter den Primaten verortet und die Gemeinsamkeiten betont.15 Unabhängig von der philosophischen und theologischen Debatte sei darauf hingewiesen, dass eine strikte Trennung von Mensch und Tier nie konsequent durchgehalten wurde. Würde man darauf bestehen, hätten z. B. Tierversuche in der Entwicklung und Überprüfung medizinischer Verfahren (Medikamente, Geräte und Materialien, Operationstechniken) keine Aussagekraft. Im Tierversuch dienen Tiere – überwiegend Mäuse und Ratten, manchmal auch größere Säugetiere wie Katzen, Hunde, Schweine oder Affen – als Modelle für den menschlichen Organismus. Diese Verwendung von Tieren als Modell setzt eine grundsätzliche Ähnlichkeit voraus, um die Forschungsergebnisse auf den Menschen übertragen zu können.

Die scharfe Trennlinie wurde und wird vor allem religiös begründet, losgelöst davon mit höherwertigen Eigenschaften der menschlichen Spezies wie Intelligenz oder einem komplexeren Lebensinteresse (hervorgehoben wird u. a. die Zukunftsorientierung).16 Leben und Lebensqualität von Menschen gelten daher als höheres Gut, weshalb zu dessen Erhaltung und Schutz niedere Lebewesen geopfert werden dürfen, quasi in Erweiterung des Fressen-und-Gefressen-Werdens. Diese moralische Grenze wurde und wird immer wieder auch in die menschliche Gesellschaft hinein verschoben. Gefährliche und moralisch fragwürdige Experimente wurden an gesellschaftlich ausgegrenzten oder niedriger gestellten Menschen vorgenommen wie z. B. Sklaven und Sklavinnen, Häftlingen, anderweitig Exkludierten (Ausgegrenzten) oder Kindern. Auf eine Aufzählung einschlägiger Übergriffe und Grausamkeiten soll hier verzichtet werden, als Beispiel sei an die Überprüfung der Pockenimpfung durch den englischen Arzt Edward Jenner erinnert, der seinen zentralen (und glücklicherweise erfolgreichen) Versuch 1796 mit dem achtjährigen Sohn seines Gärtners durchführte.17

Über die Verzweckung von Tieren für den Menschen hinaus kann der Austausch zwischen Human- und Tiermedizin wiederum den Tieren zugutekommen, zumindest einigen davon. Als Haustiere können sie selbst Patientenstatus erlangen – im Zuge einer Aufwertung zum Betriebskapital oder als Pet zum Spielgefährten, Freund oder Familienmitglied. Eine neuere Grenzüberschreitung sind Versuche zur Züchtung menschlicher Organe in Tieren und die Kombination von menschlichem und tierischem Erbgut auf zellularer Ebene. Die Mensch-Tier-Abgrenzung wird auch durch die neuere Erkenntnis irritiert, dass der Mensch kein sauber abgegrenzter Organismus ist, sondern als Träger in enger Symbiose mit gewaltigen Mengen an Mikroorganismen lebt, seinem sogenannten Mikrobiom, das wiederum zu einer gesunden Funktion beiträgt.18

Medizin und Gesellschaft

Подняться наверх