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Kosmetik/Ästhetik
ОглавлениеKosmetik/Ästhetik umfasst Eingriffe in den menschlichen Organismus, die allein oder vorrangig ästhetische Ziele verfolgen. Das kann medizinisch indiziert sein, im Nachgang von Unfällen oder zur Milderung von genetischen Schäden. Aber es kann auch allein der ästhetischen Optimierung des eigenen Aussehens dienen – wie Schönheitsoperationen, die Veränderung von Körperteilen oder die Beseitigung von als unschön empfundenen Abweichungen von aktuellen Normen oder Moden.
Eine scharfe Grenze wird sich hier nicht ziehen lassen und die Grauzonen dürften aus konkreten Streitfällen um Kostenübernahmen durch die Krankenkassen geläufig sein: Nasenbegradigungen, Brustverkleinerungen oder -vergrößerungen, Haar- und Hautverpflanzungen, Faltenglättung und Lifting, Kieferorthopädie, Tattoo-Entfernung u. v. m. Geht es nicht um unstrittige Restaurationen, kann eine medizinische Notwendigkeit mit einer psychosozialen Belastung durch den Ist-Zustand oder mit möglichen zukünftigen Gesundheitsschäden begründet werden. Gerade ein biopsychosoziales Krankheitsmodell unterstützt die Ausweitung medizinischer Indikationen in diese Grauzonen; aus rein biomedizinscher Sicht darf die Nase groß oder klein, gebogen oder gerade sein, solange sie ihre biologischen Funktionen erfüllt. Diese Grenze medizinischer Zuständigkeit fällt bei der Mitberücksichtigung einer psychosozialen Belastung weg: Das Subjekt S findet seine Nase unansehnlich und hat das Gefühl, deshalb angestarrt zu werden, ggf. wurde es als Kind gehänselt oder es befürchtet Einschränkungen für seine Karriere, da schöne Menschen nachgewiesenermaßen mehr Erfolg im Leben haben. Und dies gilt noch stärker für Frauen als für Männer, augenfällig in Bezug auf repräsentative Tätigkeiten wie z. B. Nachrichtensprecherin oder Musikerin. Aktuell wird diese Debatte in Deutschland wieder für kieferorthopädische Behandlungen bei Heranwachsenden geführt, nachdem der Bundesrechnungshof eine fehlende wissenschaftliche Evidenz bemängelt hatte für das medizinische Narrativ, wonach nicht korrekt stehende Zähne später anfälliger für Schäden seien.57 Zu klären ist, ab wann schiefe Zähne als Gesundheitsproblem und nicht mehr als kosmetisches Problem kategorisiert werden können; und wie bzw. ob der psychosoziale Aspekt berücksichtigt wird.