Читать книгу Blutrausch - Andreas M. Sturm - Страница 17
Mittwoch, 17.15 Uhr
ОглавлениеGegen Mittag war das Thermometer auf 29 Grad geklettert; aber obwohl sich die Sonne alle Mühe gab, die Dresdner mit Wärme und Helligkeit zu verwöhnen, zog Karin ein saures Gesicht. Die Straßen waren verstopft und jede Ampel grinste die Kommissarin mit rotem Licht an. Außerdem ärgerte sie sich über die verlorene Zeit am heutigen Morgen, denn den Abstecher zu Heiko Klügel hätte sie sich sparen können.
Der Mann konnte absolut nichts zur Aufklärung beitragen. Ja, er hatte gemeinsam mit Weise studiert. Einmal die Woche spielten sie zusammen Tennis, sonst gab es keinerlei Kontakt. Nur einmal vor Jahren, als Weise sein Haus bezogen hatte, war Klügel bei ihm gewesen. Sie hatten zusammen Bier getrunken und gequatscht, aber eigentlich wollte Norbert bloß mit seiner Bude angeben. Klügels Bekanntschaft mit Frau Bergmann beschränkte sich auf Telefonate, die geführt wurden, wenn es eine Terminänderung erforderte. Die Eltern von Weise kannte Klügel nicht. Über Feinde und private Kontakte konnte er ebenso keine Auskünfte erteilen.
Karins diplomatische Frage nach Weises Frauenbekanntschaften, auch während der Studienzeit, hatte Klügel ein trockenes Lachen entlockt. Da gab es nichts zu berichten. Weises Sexualleben glich dem eines Mönchs.
Karin hatte Klügel während des Gesprächs scharf gemustert. Und obwohl sich seine Trauer über Weises Tod in Grenzen hielt, war sie sich sicher, dass der Mann ihr die Wahrheit gesagt hatte. Es war eine Zweckgemeinschaft gewesen, um fit zu bleiben, ohne die geringste Spur einer Freundschaft.
Wäre ja zu schön gewesen, erhellende Informationen gleich zu Beginn einer Ermittlung zu erhalten. Karins Lachen klang bitter; um sich aufzuheitern, drehte sie den Lautstärkeregler nach rechts. W.A.S.P. legten volle Kraft mit Into The Fire los. Die intensive Musik lenkte ihre Gedanken von den unangenehmen Themen ab. Begeistert malträtierte sie im Takt der Musik den Knauf ihrer Gangschaltung.
Um einiges froher steuerte Karin ihren Fiesta auf das Gelände des Uni-Klinikums. Mit einem stummen Lächeln hielt sie dem Wachschutz an der Schranke ihren Dienstausweis vor die Nase und wurde kommentarlos durchgewunken.
Karin fragte sich, ob es kleinlich von ihr war, ihr bisschen Macht zu genießen, dennoch kostete sie es schamlos aus, ihren Wagen einfach vor dem Institut für Rechtsmedizin abstellen zu können.
»Hallo Mario, hast du bei deiner Skalpellfuchtelei einen Hinweis gefunden, der uns weiterbringt?«, fragte Karin beim Eintreten und schaute den Gerichtsmediziner schelmisch an.
Dr. Mario Bretschneider zog die Augenbrauen in die Höhe und holte tief Luft. »Wenn du so charmant fragst, muss ich ja liefern, sonst laufe ich Gefahr, von dir übers Knie gelegt zu werden.« Bretschneider lehnte sich hinter seinem Schreibtisch im Stuhl zurück und lächelte ironisch.
Karin war nicht im Geringsten verlegen. Ohne große Umstände setzte sie sich mit einer Hinterbacke auf die Tischkante, holte ein original Harley-Davidson-Shirt aus ihrem Rucksack und legte es vor den Doktor auf den Tisch. »Das ist mir letztens bei einer Internetauktion über den Weg gelaufen. Größe L, müsste dir doch passen?«
Sprachlos strich Dr. Bretschneider mit den Fingern über den schwarzen Stoff und zog andächtig die Konturen des Logos nach. »Womit habe ich das denn verdient?«
»Na ja«, Karin wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, »zum Beispiel musst du meine Frechheiten ertragen und außerdem bist du der beste Gerichtsmediziner weit und breit.«
»Okay, wenn du das sagst, da werde ich mich mal anstrengen.« Der Doktor griff sich einen Kunststoffbeutel und hielt ihn vor Karins Nase. »Dieses modische Accessoire habe ich in der Beintasche des Toten entdeckt. Da Anwälte selten in der linksextremistischen Szene aktiv sind und du es bestimmt schon wüsstest, wenn er bei einer Spezialeinheit gewesen wäre, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit.«
»Darf ich?«, fragte Karin. Nachdem Bretschneider genickt hatte, öffnete sie den Beutel und zog eine schwarze Sturmhaube heraus. Sie pfiff leise und zog schnell die richtigen Schlüsse.
Bretschneider trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. »Lässt du mich an deinen Erkenntnissen teilhaben?«
»Was war eigentlich deine dritte Vermutung?« Karin grinste anzüglich.
»Fetischist.«
»Nah dran, Mario, aber nicht ganz.« Mit wenigen Worten setzte Karin den Gerichtsmediziner über die gefundenen Spannerfilme in Kenntnis. Danach betrachtete sie erneut die schwarze Mütze, dabei schob sie ihre Finger in die Öffnungen für Augen und Mund. »Widerlich, wenn du mich fragst. Andere Menschen beim Sex filmen, wenn die nichts davon wissen, ist einfach nur krank. Jedenfalls komplettiert die Sturmhaube sein Tarn-Outfit. Darf ich das Teil mitnehmen?«
Bretschneider nickte. »Ich habe Haare entnommen und ins Labor geschickt. Morgen habt ihr den DNA-Abgleich.«
Karin bedankte sich mit einem Lächeln und hob auffordernd die Brauen, damit er fortfuhr.
Mario, der gänzlich in seinem Beruf aufging, ließ sich nicht lange bitten. »Zuerst die allgemeinen Informationen. Der Mann war kerngesund. Nichtraucher, keine Anzeichen für Alkoholmissbrauch. Seine Muskulatur ist sehr gut ausgebildet, das lässt auf regelmäßigen Sport schließen.«
»Tennis«, kommentierte Karin trocken.
Der Doktor ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Todesursache ist eine tiefe und lange Wunde im Bauchraum. Sie wurde dem Mann mit einer mindestens 15 Zentimeter langen, scharfen Klinge beigebracht. Weise hat vermutlich durch Schmerz und Schock schnell das Bewusstsein verloren, das ist jedoch nur eine Annahme, es hängt immer von der physischen und psychischen Konstitution des Opfers ab.« Er räusperte sich. »Da der Täter die Schlagader schwer verletzt hat, ist der Anwalt binnen Minuten verblutet. An der Stelle wird es interessant …« Um seine Augen und den Mund trat ein angespannter Zug. »Ich bin kein Psychologe, aber so viel weiß ich, wenn ein Einbrecher überrascht wird, kann es zu einer Kurzschlusshandlung kommen, die eine Katastrophe auslöst. In so einem Fall sticht der Täter einmal oder mehrmals auf sein Opfer ein, je nach Höhe seines Stress-Levels. Und genau das trifft auf den Mörder des Anwalts nicht zu. Dieser Mann hat kaltblütig und überlegt gehandelt. Er hat das Mordinstrument kraftvoll und gleichmäßig, ohne das Messer abzusetzen, im Körper des Opfers nach oben gezogen und dadurch die Wunde bewusst vergrößert. Es liegt auf der Hand, dass er seinem Opfer absichtlich eine schwere Wunde zufügen wollte.«
Karin war sprachlos, mit dieser Wendung hatte sie nicht gerechnet. Ein leises Grauen wuchs in ihr und die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf. »Bist du dir sicher?«, fragte sie mit belegter Stimme.
Mario nickte. Sein Blick wurde so eisig wie das Grab, in dem die Leiche des Anwalts bald ruhen würde. »Angst macht mir auch der Umstand, dass ich keinerlei Abwehrverletzungen an den Händen von Weise gefunden habe. Immerhin war er kräftig und 1,82 Meter groß. Durchtrainierte Männer stehen nicht starr vor Angst da und warten demütig auf den Todesstoß, sie wehren sich.«
Nach diesen Worten stieß Karin die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte. Das mulmige Gefühl, das sie bereits in der Wohnung des Anwalts befallen hatte, vertiefte sich urplötzlich. Verzweifelt kämpfte sie gegen ihren Instinkt an, der ihr deutlich zu verstehen gab, dass sie mit ihrem Gefühl in der Wohnung des Opfers richtig gelegen hatte. Der Fall hielt viel Schlimmeres für sie bereit, als sie je zu denken gewagt hätte. »Es könnte also sein, dass der Mord nicht zufällig geschehen ist. Eventuell eine sorgfältig geplante Racheaktion?«, fragte sie mit einem letzten Rest kläglicher Hoffnung.
»Möglich.« Der Doktor machte eine vage Handbewegung. »Bei einem derart grausamen Mord kommen mehrere Motive infrage.« Er musterte Karin mit einem besorgten Blick. »Aber das glaube ich nicht. Der Täter ist ein eiskalter Killer und wenn ich richtig liege, macht ihm das Töten Spaß.«
Zurück auf der Straße, zückte Karin ihr Handy und wählte Sandras Nummer.
Mailbox.
Sicher ist sie in die Kantine marschiert, um sich ein Stück Kuchen zu holen, und natürlich hat sie ihr Telefon auf dem Schreibtisch liegen lassen. Über Karins Gesicht zog ein Lächeln, sie kannte den grenzenlosen Appetit ihrer Freundin nur zu gut.
Als Nächstes probierte sie es bei Heidelinde. Die Oberkommissarin nahm sofort ab und war hocherfreut über Karins Anruf. Enthusiastisch fasste sie zusammen, was sie über die Geschäftspraktiken des Anwalts herausgefunden hatte.
Der Bericht verschlug Karin den Atem. »Gib Sandra Bescheid. Ich fahre sofort dorthin. Und Heidi, gute Arbeit.«
Mit dieser Wendung hatte Karin nicht im Traum gerechnet. Mit einem Fünkchen Glück konnten sie den Fall noch heute zu den Akten legen.