Читать книгу Blutrausch - Andreas M. Sturm - Страница 6
Dienstag, 15. Juli, 13.10 Uhr
ОглавлениеErst nachdem Kriminalhauptkommissarin Karin Wolf sich nicht mehr in Sichtweite des Nagelstudios befand, blieb sie stehen, setzte ihre Lesebrille auf und musterte erfreut ihre Nägel. »Wow«, entfuhr es ihr und sie strahlte. »Das sieht ja richtig geil aus. Hätte ich viel früher machen lassen sollen.«
Den Gutschein für die exklusive Maniküre mit allem Drum und Dran hatte ihr Sandra, ihre Partnerin, anlässlich des fünfjährigen Jahrestags ihres Kennenlernens geschenkt. Beim Weiterlaufen überlegte Karin, womit sie ihrer Geliebten eine Freude machen könnte. Aber das war kein großes Problem für sie. Sie hatte Sandras Elsterblick, den diese neulich vor einem Juwelierladen aufgesetzt hatte, sehr wohl zu interpretieren gewusst.
Von ihrem spontanen Einfall total begeistert, machte Karin kehrt und marschierte in Richtung Elbe. Sie würde an ihrem freien Nachmittag am Fluss entlang zum Schillerplatz laufen, dort in aller Ruhe durch die Geschäfte stöbern und auf dem Rückweg dem Konsum, einem Einkaufsmarkt im alten Straßenbahnhof, einen Besuch abstatten. Wenn sie an das reichhaltige Käseangebot dachte, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Baguette und Wein würden ihren Einkauf abrunden und den romantischen Abend mit Sandra perfekt machen.
Voller Vorfreude vor sich hin summend, kehrten ihre Gedanken zu Frau Schubert zurück, bei der sie die letzte Stunde verbracht hatte. Während sich die Dame an Karins Händen zu schaffen gemacht hatte, hatte ihr Mund keine Sekunde stillgestanden. Die kurze Zeitspanne hatte der Nageldesignerin gereicht, ihr gesamtes Leben vor ihrer neuen Kundin auszubreiten. Karin kannte jetzt die Stärken und Schwächen von Frau Schuberts Gatten, konnte sich im Haus und Garten der Familie heimisch fühlen, wusste um deren Interessen, von dem Stress mit der Steuererklärung und dem Mehraufwand, den das Renovieren ihres Kosmetik- und Nagelstudios mit sich gebracht hatte.
Es war Karin schleierhaft, wie jemand sich vor einer wildfremden Frau derart öffnen konnte. Die unfassbare Menge an Informationen, welche die Kosmetikerin freiwillig preisgegeben hatte, fand sie besorgniserregend. Mit Sicherheit hatte diese Frau noch nicht mit den dunklen Abgründen der Gesellschaft Bekanntschaft gemacht, war in ihrem Leben dem Hinterhältigen und Bösen noch nie begegnet.
Beneidenswert, dachte Karin. Aber auf der anderen Seite quälte sie der kleine Stachel des Neides, weil sie selbst nicht in der Lage war, mit fremden Menschen eine so lockere Unterhaltung zu führen. Dazu war sie viel zu verschlossen und misstrauisch. Sie versteckte sich lieber hinter ihrem selbst geschaffenen Panzer.
»Was sollʼs«, murmelte sie leicht frustriert. »Ich muss kein Charmebolzen sein, schließlich ist ein hoher Prozentsatz meiner Kunden mausetot und denen ist es völlig egal, dass ich ein Muffel bin.«
Ganz konnte sie die Befürchtung jedoch nicht unterdrücken, dass sie durch ihr abweisendes Schweigen einen negativen Eindruck hinterlassen haben könnte.
Hoffentlich erzählt die nette Kosmetikerin Sandra nicht, was ich für ein Stinkstiefel gewesen bin. Schnell unterdrückte Karin diesen Gedanken und dachte an etwas Schönes, an den bevorstehenden Abend mit Sandra.