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Ruths Handeln unter Druck

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«Völlig falsch» – unterbricht Ruth ein Geschäftsleitungsmitglied enerviert mit einem besserwisserischen Ton. Die angesprochene Person, sichtlich verärgert, kontert mit einem bissigen Gegenargument. Die beiden Kontrahenten steigern sich und der Disput eskaliert in einem Schlagabtausch. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort und hören einander nicht zu. Die Sitzungsleitung unterbricht und mahnt zur Besonnenheit.

Ruth zieht sich beschämt zurück und sagt kaum noch etwas in der laufenden Sitzung. Sie kennt die Situation zur Genüge, die sich dauernd wiederholt, obwohl sie weiss, dass sie anders handeln müsste. In strategischen Diskussionen werden Argumente von «veränderungsresistenten» Geschäftsleitungsmitgliedern eingebracht, die nach ihrer Meinung schlicht nicht richtig sind, sondern vielmehr dazu dienen, die traktandierten Veränderungen zu blockieren. Immer wieder kontert sie in diesem Ton und das Gegenüber schlägt zurück. Immer wieder nimmt sie sich vor, diese Situationen sachlich und besonnen anzugehen. Es kommt ihr aber vor, als ob sie von der Situation provoziert werde und sie ihrer nicht mächtig ist – als ob in solchen Situationen ein Autopilot aktiv wäre.

Ruth fühlt sich dabei und danach erst recht nicht gut. In Gesprächen mit einem guten Freund stellt sie fest, dass sie körperlich mit Stress reagiert und sie die misslungenen Interaktionen auch noch nächtelang beschäftigen.

In weiteren Gesprächen erinnert sich Ruth an ein vor Jahren stattgefundenes Antistressseminar. Damals hatte sie in einer Selbstreflexionsübung genau diesen Typ von Situation als persönlichen Stressfaktor identifiziert. Sie hatten damals auch geübt, wie man sich in solchen Situationen herunterkühlt und die Ruhe bewahrt. Dies hat eigentlich in der Übung ganz gut funktioniert. Ebenso hatten sie Handlungsalternativen für die angesprochenen Situationen formuliert. Ja, jetzt erinnert sie sich wieder ganz gut – so als ob es gestern gewesen wäre. Warum hatte sie es eigentlich nie in die Tat umgesetzt? Irgendwie hat sie der Alltag wieder eingeholt.

Ruth stellt einen Handlungsplan auf. Das nächste Mal, wenn sie fühlt, dass sich eine solche Situation anbahnen könnte:

•erkennt sie die Vorwarnsignale dieser Situation,

•nimmt sie tief Luft und reagiert nicht verbal,

•hört sie dem Kontrahenten mit Interesse zu, bis er seine Argumentation abgeschlossen hat, auch wenn diese noch so viele Fehler enthält,

•versucht sie, ihn ohne Beurteilung in seiner Logik zu verstehen,

Erst dann reagiert sie mit Verständnisfragen im Sinne eines aktiven Zuhörens, würdigt sie den einen oder anderen Teil der Argumentation, bringt sie dann erst ihre Gegenargumente, ohne die Argumente des Kontrahenten zu entwerten, weil ja Gegenargumente an sich genügend Kraft haben und auf die Sache und nicht auf Person abzielen.

Ruth hat wöchentlich Gelegenheit, in Sitzungen diese Taktik anzuwenden. Warum ist sie nicht schon früher auf diese Idee gestossen? Vor der nächsten Sitzung nimmt sich Ruth in der Früh nochmals eine Viertelstunde Zeit und stellt sich mit geschlossenen Augen den Ablauf der Sitzung mental vor: Sie durchspielt mögliche kritische Situationen, die ihr neues Handeln erfordern. Jetzt ist sie bereit.

Die Sitzung ist ein Erfolg. Ruth hat nicht nur ihre Argumente einbringen können. Die Sitzung war auch deutlich entspannter. Offenbar hat es auch ihr Vorgesetzter bemerkt. Dieser lobt sie wertschätzend nach der Sitzung unter vier Augen und spornt an! Ruth wiederholt ihre Taktik, wird von Sitzung zu Sitzung entspannter und auch wirkungsvoller. Sie merkt aber auch, dass es ihre volle Gegenwärtigkeit verlangt und sie in unachtsamen Situationen schnell wieder in das alte Muster verfällt.

Wie Transfer gelingt (E-Book)

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