Читать книгу Love Crash - Der Traum vom Neubeginn - Andreas Suchanek - Страница 10
ОглавлениеJulie atmete den vertrauten Geruch der WG ein und genoss das Gefühl der Sicherheit, das diese Wände ihr boten. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Sie steuerte auf direktem Weg zu ihrem Zimmer und strich sich über den vollen Bauch. Melissa hatte darauf bestanden, dass Julie wenigstens eine Kleinigkeit in der Mensa aß.
Neben der Spüle stapelten sich die Teller und Tassen vom Frühstück, Krümel lagen auf dem Tisch verstreut.
In ihrem Zimmer stellte sie die Tasche auf den Sessel, zog den Laptop heraus und setzte sich an den Schreibtisch. Es stand außer Frage, dass sie die verpassten Vorlesungen der letzten Tage aufarbeiten würde.
In einigen Minuten.
Sie war plötzlich so müde und die Hämatome pochten schmerzhaft auf ihrem Körper.
Kurzerhand legte sich Julie aufs Bett, den Laptop auf ihrem Schoß. Schließlich konnte sie Vorlesungen auch problemlos im Liegen durchgehen. Die Haltung war jedoch unbequem, sie stellte den Laptop neben sich und sank auf die Handfläche des angewinkelten Arms.
Vereinzelte Lichtstrahlen fielen durch das Fenster herein, der Schein ruhte warm auf ihrem Gesicht. Julies Gedanken trieben ab, ihr Bewusstsein sank in einen wohligen Halbschlaf.
Sie schlenderte durch die Straßen von New York, vorbei an der 22., wo Luca vor dem Café stand und eingehend eine Fliege betrachtete.
»Was machst du da?«, fragte Julie.
»Stör mich nicht«, fuhr er sie an. »Ich beobachte.«
Erst jetzt sah sie Melissa, die drei Schritte entfernt auf dem Bordstein stand. Sie trug eine Sherlock-Holmes-Mütze und hielt eine Lupe in die Höhe, durch die sie Luca betrachtete.
»Ich krieg schon raus, was er verheimlicht«, stellte Melissa klar, als Julie näherkam.
»Bestimmt.«
»Hilfst du mir?«
»Ich muss noch die Scheiben putzen.«
Im nächsten Augenblick stand Julie im Café, sprühte Putzmittel auf das Glas und wischte die Schlieren mit einem Tuch ab, auf dem ›Doktor Zimmerman‹ aufgestickt war.
Hinter der Theke alberten Cullen und Simon herum. Auf der großen Kreidetafel an der Wand, auf der normalerweise Sonderangebote und Tagespreise geschrieben standen, war eine ›Liebes-Tabelle‹ aufgemalt.
Eine Spalte enthielt Argumente, weshalb Julie total in Luca verliebt war. In der anderen Gegenargumente. Während sie die Worte betrachtete, erschienen weitere Zeilen auf beiden Seiten, wodurch der Punktestand immer ausgeglichen blieb.
Dabei hätte sie so gerne das Ergebnis gesehen.
»Alles klar, Jules?«, fragte Cullen.
»Ich muss noch das Fenster putzen«, fuhr sie ihn an.
Der Traum nahm eine seltsame Wendung, als ein Uber vor dem Café hielt und ihre Mum ausstieg.
»Kindchen, ich wusste doch, dass man dich nicht allein nach New York lassen kann«, flötete sie. »Ich bleibe so lange hier, bis du wieder mit nach Hause kommst.«
Panisch versuchte Julie, die Tür abzusperren, doch ihre Mum glitt wie ein Geist hindurch. Sie beachtete Julie gar nicht, hielt plötzlich einen Kreidestift in der Hand und begann, auf die Tafel zu schreiben. Diese war wieder leer. Ihre Mum begann damit, alle Peinlichkeiten zu notieren, die Julie im Verlauf ihres Erwachsenwerdens erlebt hatte.
»Nein!«, brüllte Julie.
Ruckartig fuhr sie auf.
Der Schmerz schoss abrupt durch Brust und Unterleib, vertrieb den letzten Rest des Schlafs. Sie war über dem Laptop eingenickt, die Wange auf der Tastatur.
»Mist.« Sie brachte ihren verräterischen Körper in eine aufrechte Position.
In Sichtweite auf dem Tisch stand Fensterputzmittel, ein Lappen lag daneben.
Im ersten Augenblick war sie unsicher. Konnte es sein, dass sie noch immer träumte?
»Bevor du mich noch mal anfährst.« Cullen lehnte grinsend im Türrahmen. »Du darfst gerne so viele Fenster putzen, wie du willst. Meine hätten es besonders nötig.«
Julie barg das Gesicht in ihren Händen. »Ich habe im Schlaf gesprochen?«
»Es war eher ein aggressives Nuscheln.« Er lachte leise. »Ich habe uns Pizza gemacht, falls du noch mit uns essen willst.«
Erst jetzt registrierte Julie den verführerischen Geruch nach gebackenem Teig, Käse und Kalorien, der in der Luft lag. Sie wuchtete ihren Körper in die Höhe und folgte Cullen.
Melissa saß bereits am gedeckten Tisch und tippte eifrig in ihr Smartphone. »Es ist unglaublich. Ich finde wirklich nichts zu …« Sie blickte auf und zuckte bei Julies Anblick zusammen. »Um Himmels Willen, was hast du getan?«
»Was?!« Julie betastete ihren Körper.
Waren die Hämatome schlimmer geworden?
»Es nennt sich ›Tastatur-Style‹«, brachte Cullen Licht ins Dunkel. »Wird meist auf der Wange getragen.«
Melissa prustete los.
Besagte Wangen brannten und Julie wusste, dass sie wie eine überreife Tomate aussah. Eine mit Tastaturmuster. »Ja, ja, macht euch nur lustig. Bekommt eine Sterbende wenigstens Pizza?«
»Nur, wenn du die Fenster …«
Julie unterbrach Cullen mit einem Geschirrhandtuch, das sie nach ihm warf.
Was kam als Nächstes? Hämatome, Tastaturabdrücke …?
Melissa schob das Smartphone in die Hosentasche und holte die Pizza aus dem Ofen, Cullen schenkte ihnen Limonade ein. Donnerstag war ›ungesunder Abend mit Seelenfutter‹. Außerdem richteten zahlreiche Studentenhäuser Partys aus, was erklärte, weshalb ein gewisser Footballer durchgestylt am Esstisch saß.
»Wo geht es hin?«, fragte Julie.
»Die Delta Neuner weihen ihr neues Verbindungshaus ein.«
»Alkohol und heiße Jungs, wer braucht das schon.« Melissa winkte ab.
»Willst du mit?« Cullen klimperte mit den Wimpern, wobei er provozierend grinste.
Melissa zog eine Schnute. »Eigentlich bin ich beschäftigt.«
»Du webstalkst Luca, das ist nicht ›beschäftigt‹, das ist ein bisschen krank.«
Julie nickte nachdrücklich. »Er hat recht. Geh zur Party und vergiss die Sache.«
Melissa tat natürlich erst einmal das Naheliegendste und erklärte Cullen, was sie hinter der Sporthalle beobachtet hatten.
»Das ist wirklich seltsam«, gab er zu.
»Siehst du.«
»Vielleicht ist Luca auf der Party?«
Julie hätte sich beinahe an der Pizza verschluckt. »Jetzt bestärke sie doch nicht auch noch!«
»Na gut, ich komme mit.« Melissa schob sich langsam ein Pizzastück in den Mund. »Natürlich rein zu Recherchezwecken.«
»Is klar«, sagte Cullen trocken.
»Ihr seid die schrecklichsten Freunde, die es gibt«, hielt Julie fürs Protokoll in gespieltem Ernst fest. »Versprecht mir, dass ihr keine Dummheiten macht.« Auf die einsetzende Stille ergänzte sie: »Bezogen auf Luca!«
»Versprochen«, sagte Cullen.
»Ich verspreche, dass ich nur in deinem Sinne handeln werde«, erklärte Melissa unschuldig.
Julie stöhnte frustriert, was ihre beiden besten Freunde in Gelächter ausbrechen ließ. Wenigstens folgte dann ein detaillierter Bericht der Vorlesungen, die sie verpasst hatte. Melissa hatte Wort gehalten und mitgeschrieben.
»Wie lange nimmst du dir noch frei?«, fragte Cullen.
»Morgen gehe ich zum Doc, mal sehen, was der sagt.«
Im Stillen war sie dankbar für die Krankenversicherung, die sie dank Leo besaß. Ihr Bruder arbeitete bei einer Versicherung und hatte für seine Eltern und die Geschwister günstige Tarife bekommen. Keine Selbstverständlichkeit, viele von Julies Kommilitonen waren nicht versichert, gerade die Stipendiaten nicht.
»Er wird dir das gleiche sagen wie Doktor Zimmerman«, sagte Melissa grimmig. »Du sollst dich erholen und erst einmal Pause machen.«
Worauf Julie schwieg.
Mit Melissa zu diskutieren war wie gegen einen Hurrikan anzubrüllen. Völlig sinnlos. Sie würde sich eine Woche gönnen und in der Zeit alles zu Hause nacharbeiten. Vielleicht ein oder zwei Extraarbeiten, um die Professoren zu beeindrucken.
»Wenn ich dir beim Denken zuschaue, habe ich direkt das Gefühl eine Klausur schreiben zu müssen.« Melissa seufzte. »Ich gehe mich stylen.«
»Keine Hektik«, sagte Cullen. »Du hast noch dreißig Minuten.«
»Was?!« Selbst die sonst so souveräne Melissa flitzte bei diesen Worten auf Höchstgeschwindigkeit ins Badezimmer.
»Wie viel hat sie wirklich?«, fragte Julie trocken.
Cullen winkte ab. »In einer Stunde kommt ein Uber.«
»Sie wird dich schlagen.«
»Hoffentlich, das kitzelt immer so lustig.«
Sie lachten beide und Julie vergaß für einen Moment all ihre Sorgen.
»Das Uber ist gleich da!«, rief Cullen nach einer Stunde aus seinem Zimmer.
»Sie ist schon unten«, brüllte Julie zurück. »Als Strafe, weil du sie geärgert hast. Wenn du zu spät kommst, fährt sie allein los.«
Fluchend streifte Cullen die Jacke im Rennen über und sauste aus der Wohnung.
Stille senkte sich herab.
Julie trottete zu seinem Zimmer und warf einen kurzen Blick hinein. Das Bett war zerwühlt, der Baseball lag daneben am Boden. An der Decke war die Farbe abgescheuert, wo er seine Wurfübungen absolvierte. Oftmals stundenlang donnerte er den Ball in den aufgemalten Kreis und fing ihn wieder auf.
Auf Stuhl und Boden lagen Kleidungsstücke kreuz und quer herum, Sneaker bildeten ein chaotisches Kunstwerk. Eine Sporttasche stand neben dem Schreibtisch.
Mit einem Lächeln schaltete Julie das Licht aus, das Cullen in seiner Hektik natürlich vergessen hatte.
Sie nahm sich eine Kekspackung, verkroch sich unter eine Decke auf die Couch und sagte: »Computer, schalte den Fernseher ein.«
Die schwarze Fläche erwachte zum Leben.
Sie wählte einen neuen Actionfilm aus und lehnte sich gegen die weichen Kissen. Für heute war Lernen keine Option mehr, sie war noch immer viel zu müde.
Während vor ihr Autos explodierten, musste sie immer wieder lachen. Taffe Männer und Frauen überstanden selbst die übelsten Explosionen ohne einen Kratzer.
»Wieso hat das bei mir nicht funktioniert?«, flüsterte sie. »Vielleicht hätte das Auto explodieren müssen.«
Irgendwann wurden ihre Augen schwer und sie schlief ein. Sie erwachte von einem Schlüssel, der im Schloss gedreht wurde. Ein Blick auf die Uhr verriet Julie, dass es bereits zwei Uhr war. Erst jetzt kehrten die anderen in die WG zurück. Cullen verschwand überraschend schweigsam im Zimmer, was Melissa nur zu einem Schulterzucken verleitete.
»Er war schon den ganzen Abend so. Leider war dein Luca …«
»Er ist nicht mein Luca!« Julie schaltete den Fernseher aus.
»… nicht auf der Party.« Melissa warf sich neben ihr auf die Couch. »Alles gut?«
»Ich habe einen Film verschlafen.«
»Können ihn ja morgen noch mal zusammen schauen.«
Mit einer Umarmung verschwand auch Melissa in ihrem Zimmer.
Julie tauschte Couch gegen Bett und obwohl sie den Großteil des Tages verschlafen hatte, verfiel sie erneut in einen unruhigen Dämmerzustand. Immer wieder unterbrochen von wachen Momenten, weil ihre Hämatome protestierten.
Der Morgen zog herauf.
Julie war früh wach und ließ es sich nicht nehmen, den Tisch für die anderen zu decken. Nach einer chaotischen morgendlichen Verabschiedung duschte sie ausgiebig, nahm sich Zeit im Bad und schlüpfte schließlich in frische Kleidung. Leo hatte ihr einen guten Arzt für die Nachversorgung genannt und einen Telefonanruf später wurde sie sofort einbestellt.
Sie ging zu Fuß, was eine Stunde dauerte.
Die Praxis war in einem modernisierten gregorianischen Gebäude untergebracht. Die Sprechstundenhilfe war eine zugeknöpfte Frau mittleren Alters, deren Lächeln nicht die Augen erreichte.
Julie füllte einen Fragebogen aus und wurde kurz darauf in das Zimmer gerufen.
Doktor Juliette Halbroke erwies sich als komplettes Gegenteil ihrer Eingangsdame. Sie war eine schlanke, hochgewachsene Frau in den Fünfzigern. Das blonde Haar war in einer modernen Hochsteckfrisur gerichtet, auf ihrer Nase saß eine Brille.
»Ms Warren«, grüßte sie freundlich. »Nehmen Sie doch Platz.«
Julie sank ermattet von dem Spaziergang in den gepolsterten Besuchersessel. »Danke. Wie ich am Telefon sagte, komme ich wegen des Unfalls.«
Doktor Halbroke nickte sanft. »Ich habe mir alle Unterlagen aus dem Krankenhaus kommen lassen. Ihre Hämatome werden von alleine abheilen und es gibt keine Brüche oder Stauchungen. Sie hatten Glück im Unglück.«
»Abgesehen von einer Sache.«
»Der Kollege Zimmerman hat mich diesbezüglich in seinen Notizen hingewiesen. Aus irgendeinem Grund sind Ihre Entzündungswerte viel zu hoch.«
Julie schluckte. »Er konnte mir dazu keine Details nennen.«
Doktor Halbroke schloss die Akte und verschränkte die Finger ineinander. »Bei ihrer Einlieferung wurde ein Blutbild gemacht, ebenso kurz vor der Entlassung. Wie es scheint, gibt es bei ihrer Leber Grund zur Sorge.« Sie zog ein Pad hervor und rief die digitalisierte Darstellung des Organs auf. »Die Leber ist für die Entgiftung unseres Körpers zuständig. Über sie werden Medikamente abgebaut, aber auch andere Faktoren haben Einfluss. Würden Sie beispielsweise übermäßig Alkohol konsumieren, würde das negativ auf die Werte einwirken.« Sie nahm den Fragebogen hervor. »Sie rauchen nicht, trinken nicht und machen auf mich auch nicht den Eindruck, als würden sie Drogen zu sich nehmen.«
»Nein!«, sagte Julie nachdrücklich. »Das kann ich mir gar nicht leisten. Ich hoffe auf ein Stipendium und muss dafür beste Leistungen bringen.«
»Das Studium ist eine herausfordernde Zeit«, bestätigte Doktor Halbroke. »Wir werden dieser Sache auf den Grund gehen. Bevor Sie gehen, entnehme ich noch einmal Blut. Und in vier Tagen wiederholen wir das Ganze. Wenn die Werte sich normalisieren, müssen wir uns keine Sorgen machen.«
»Und falls nicht?«
»Darüber denken wir nach, wenn es so weit ist«, sprach Doktor Halbroke beruhigend. »In der Zwischenzeit bitte kein Alkohol und nichts übermäßig Fettes essen. Beschränken Sie sich auf Gemüse, Obst, Joghurt, Vollkorn.«
Bei dem Gedanken stöhne Julie auf.
Sie achtete grundsätzlich sowieso auf ihre Linie, aber vorwiegend durch wenig Essen. Alles, was Doktor Halbroke aufzählte, war teuer.
»Alles klar«, sagte sie trotzdem.
Zwanzig Minuten später verließ Julie mit weniger Blut und einem Pflaster über der Einstichstelle die Praxis. Immerhin besaß sie jetzt ein paar Antworten und es war richtig gewesen, ihre Freunde damit nicht zu behelligen.
Mit ihrer Krankmeldung in der Tasche, wäre auch das College zufrieden. Schließlich durften keine Fehlzeiten bei Pflichtkursen anfallen. Die Professoren würden ihr das ergänzende Material für Krankheitsfälle auch nur zur Verfügung stellen, wenn der Unfall bestätigt war.
Sie schlenderte nach Hause, scannte die Bescheinigung ein und schickte sie direkt zur College-Administration. Melissa würde morgen das Original übergeben. Oder besser Cullen, der konnte gleich sein Flirt-Lächeln hinterherschicken.
Bevor die Müdigkeit wieder zuschlagen konnte, tippte Julie E-Mails an ihre Mum, ihre Brüder – alle vier –, Becky und Simon. Damit wusste jeder, dass es ihr gut ging, niemand musste sich Sorgen machen und sie sparte sich die vielen kleinen Chat-Nachrichten.
Zu Mittag kochte sie sich eine Suppe auf und fertigte eine Einkaufsliste an. Sie konnte sich schon vorstellen, was Cullen und Melissa sagen würden. Die beiden mussten die Diät natürlich nicht mitmachen.
Gegen Mittag sank Julie erneut in einen unruhigen Schlaf, doch zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, den Unfall hinter sich zu lassen. Sie kannte den Weg für die nächsten Wochen, sah bereits das Ende ihrer Einschränkung.
Als sie am Nachmittag erwachte, ging sie mit frischem Elan dazu über, die Vorlesungen nachzuarbeiten.
Alles würde gut werden.
Dachte sie.