Читать книгу Love Crash - Der Traum vom Neubeginn - Andreas Suchanek - Страница 9

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Die Vorlesung hatte sich erledigt.

Melissa fasste Julie am Arm und führte sie aus dem Gebäude. Frische Luft umwehte ihre Nase, der Geruch des nahen Laubs erinnerte sie an daheim. Einige Studenten waren unterwegs, warfen ihr einen interessierten Blick zu, gingen aber weiter. Vermutlich hatten sie das YouTube-Video gesehen, als es noch online gewesen war.

»Dein Puls rast«, stellte Melissa fest, die Finger an Julies Handgelenk gelegt.

Ihr Körper schien unter Strom zu stehen, ihr Hals pochte. Dazu kam die Übelkeit und diese verdammten Blitze zuckten vor ihren Augen. Es wurde nur langsam besser.

»Was ist los?«

»Ich bin wohl noch geschwächt. Doktor Zimmerman hat mich davor gewarnt.« Sie konnte ihr einfach nicht die ganze Wahrheit sagen.

»Wir beide. Freundschaftstalk.« Damit hakte Melissa sich sanft unter und zog Julie mit sich.

Sie verließen den belebteren Teil des Campus` und begaben sich in den Sportbereich. Die Footballer trainierten auf dem Feld, die Bänke waren größtenteils leer. Nur vereinzelt saßen Studenten dort und beobachteten die Spieler. Hier war man ungestört, konnte seinen Gedanken nachhängen und bekam obendrein einen schönen Anblick geboten.

»Gibt es etwas, das du mir sagen willst?«, fragte Melissa, nachdem sie in der obersten Reihe Platz genommen hatten.

»Was meinst du?«

»Ich weiß nicht, nenne es ein Gefühl, aber du bist komisch. Und vorhin hast du total schuldbewusst dreingeschaut.«

Julie winkte ab. »Ich bin nur müde.« Und vermutlich ziemlich krank.

Sie wusste selbst nicht genau, weshalb sie es Melissa nicht sagen konnte. Es war wie eine Blockade. Sobald sie versuchte, die Worte auszusprechen, spürte sie diese Enge in der Brust, die nicht weichen wollte. Sich überhaupt damit zu beschäftigen, verschlang Kraft. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, sobald sie an Doktor Zimmerman und die Blutwerte dachte. Natürlich konnte sie im Internet recherchieren, was solche Werte bedeuteten, aber damit hatte sie keine guten Erfahrungen gemacht.

Vor einigen Jahren hatte ihre Mum ein dunkles Mal auf Joshs Hals entdeckt. Eine kurze Internetsuche später und die Hysterie war groß, handelte es sich doch ganz eindeutig um eine seltene Form von Hautkrebs. Da Wochenende war, hatte ihre Mum sie alle ins Auto verfrachtet und auf direktem Weg die Notaufnahme aufgesucht. Ihre ›beruhigenden‹ Worte hatten dafür gesorgt, dass absolut jedes Familienmitglied mit Joshs nahendem Tod rechnete, sogar ihr sonst stets gelassener Dad. Nach einer mehrstündigen Wartezeit kam die Erlösung: Es handelte sich um eine simple Pigmentstörung, die durch zu viel Sonnenbaden verursacht worden war. Josh hatte aufgeatmet, ihre Mum war in Tränen ausgebrochen und Dad den Rest des Tages grummelig durchs Haus geschlichen, seiner Frau böse Blicke zuwerfend.

»Ich bin nur geschwächt«, wiederholte Julie.

»Das wäre dann ein guter Grund, in den nächsten Wochen daheim zu bleiben.«

»Ich kann …«

»Doch«, unterbrach Melissa sie, »du kannst! Jules, das geht so nicht. Ich verspreche dir, jede Vorlesung mitzuschreiben, und Cullen geht für dich einkaufen. Bestimmt. Und das macht er gerne.«

Julie musste kichern, wenn sie an Cullens mürrisches Gesicht dachte. »Okay, ich bleibe diese Woche daheim. Aber ab nächster sitze ich wieder in jeder Vorlesung.«

Das Wintersemester war sowieso viel zu kurz. Die Kurse hatten noch nicht mal richtig angefangen, da zeichneten sich bereits die Weihnachtsferien ab. Und dann der Jahreswechsel, gefolgt von den Klausuren. Ihr wurde ganz übel, wenn sie sich die kratzenden Bleistifte auf Papier vorstellte oder das Klacken von Tastaturen in einem stillen Klausursaal.

»Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der bei dem Gedanken an ein paar freie Tage so mürrisch dreinschaut.«

»Ich möchte einfach nicht, dass das mein letztes Semester ist«, erklärte sie leise.

»Wenn es jemanden gibt, der mit der vollen Punktzahl abschließen wird, dann du.« Melissa zuckte leichthin mit der Schulter. »Ich nehme mir das gar nicht erst vor. Gutes Mittelmaß reicht.«

Manchmal beneidete Julie ihre Freundin um deren Leichtigkeit. Nichts schien sie aus der Ruhe zu bringen, alles wurde mit einem Lächeln und ein paar direkten Worten auf den richtigen Weg gebracht. Kein Wunder, dass jeder ihre beste Freundin mochte und mit ihr befreundet sein wollte.

»Dann wäre das geklärt.« Zufrieden blickte Melissa auf das Spielfeld und winkte Cullen zu, der gerade vorbeirannte.

»Hör auf, die Jungs abzulenken«, forderte Julie. »Der Trainer schaut schon wieder ganz grimmig.«

»Ach, der soll sich nicht so anstellen.«

»Ich sage nur Patryk.«

»Bisher ist noch keiner der Spieler wegen mir gegen den nächsten Baum gerannt«, kommentierte Melissa.

»Hier stehen ja auch keine«, konterte Julie. »Aber vielleicht knallen sie gegeneinander. Sowas soll vorkommen.«

»Wenn wir schon mal hier sind, widmen wir uns dem wichtigsten Ziel des Semesters«, wechselte Melissa das Thema.

»Die Klausuren?«

»Ich ignoriere das jetzt einfach Mal. Natürlich spreche ich von Luca Jackson. Der geheimnisvolle Unbekannte, der dir den Kopf verdreht hat.«

»Melissa!«

»Ist ja gut. Der geheimnisvolle Unbekannte, der dir den Kopf verdreht hat, aber ein total gemeiner Snob ist. Besser?«

»Ich hasse dich.«

»Das weiß ich doch.« Melissa zog Julie in eine Umarmung. »Ich dich auch.«

Sie prusteten beide los. Es tat so gut, mit ihrer Freundin hier auf der Tribüne zu sitzen, die warmen Strahlen der Herbstsonne auf der Haut zu spüren und die frische Luft ringsum. Für ein Mädchen aus einer Kleinstadt war New York eine beängstigende Erfahrung. Alles war laut, dicht und voll. Andererseits besaß man eine unglaubliche Freiheit, denn man konnte in der Menge untertauchen und keine Verkäuferin im Supermarkt erzählte der eigenen Mutter, was man gekauft hatte, bevor man überhaupt wieder daheim angekommen war. Diese ruhigen Momente waren Balsam für Julies Seele.

»Wenn du morgen daheimbleibst, kannst du dich voll und ganz dem Thema Luca widmen«, erklärte Melissa.

»Weil mein Leben sich auch nur um ihn dreht.«

Julie beschloss, morgen den Arzt aufzusuchen. Sie benötigte sowieso eine Bescheinigung für das Sekretariat, immerhin würde sie auch Pflichtveranstaltungen verpassen. Glücklicherweise konnte sie den Unfall jederzeit nachweisen, sie musste lediglich ihre Rippen präsentieren, oder ihre Hüfte. Ihr Körper hatte sich in ein von blauen Flecken übersätes Kunstwerk verwandelt.

»Jules«, zischte Melissa.

Julie folgte dem Blick ihrer Freundin und erkannte Luca. Er stand am Rand des Spielfeldes und diskutierte eifrig mit einem Mann in dunklen Anzug.

»Er scheint gerne andere Leute anzuschreien«, schloss Melissa. »Und schau mal, seine Wangen sind ganz rot.«

»Das ist niemand aus der Administration«, überlegte Julie. »Der Anzug ist maßgeschneidert.«

»Sieh an, Nancy Drew, nicht schlecht. Wieso kennst du dich so gut damit aus?«

»Josh hat uns seinen stolz präsentiert, als er für diese große Consulting-Firma zu arbeiten begann«, erklärte Julie. »Die sind richtig teuer. Wer immer der Kerl auch ist, es ist kein Professor.«

Der Sportbereich war für externe Besucher nicht zugänglich. Um sich hier aufzuhalten, musste man einen Studentenausweis besitzen. An den Eingängen zum Campus gab es Sicherheitspersonal, das sorgfältig darauf achtete, wer hier ein- und ausging. Natürlich konnte sich jeder anmelden und Angehörige hatten keine Probleme damit, einen Besucherausweis zu bekommen. Hierher verirrte sich jedoch meist niemand.

»Er hat sich hier mit ihm getroffen, weil es keinem auffällt«, vermutete Julie.

»Außer den Sportlern, aber die tratschen nicht«, ergänzte Melissa. »Das sind typische Jungs, die essen den ganzen Tag, reden über Sport und sind einsilbig. Lass uns nachsehen gehen.«

»Wir können doch nicht einfach …«

Doch Melissa befand sich schon auf dem Weg. »Wir schleichen uns an den Umkleiden vorbei.«

»War ja klar.«

Sie stiegen über die Reihen vor ihnen, umrundeten die Tribüne und schlichen dicht an der Wand entlang zum anderen Ende des Platzes. Melissa lugte um die Ecke. Von hier nutzten sie den bepflanzten Grünstreifen, um sich aus dem toten Winkel anzuschleichen. Julie fühlte sich miserabel. Man belauschte doch niemanden! Andererseits musste ja irgendwer Melissa aufhalten, weshalb sie ihr folgte.

»Melissa«, rief sie in einer Mischung aus gezischtem Flüstern.

»Pst, du bist zu laut«, kam es prompt zurück.

Bevor Julie noch mehr sagen konnte, drangen die Stimmen von Luca und dem unbekannten Mann an ihr Ohr.

»… keinen Fall!«, rief Luca.

Sie nutzten einen Baum als Deckung. Damit waren sie zumindest nahe genug, um Wortfetzen aufzuschnappen.

»… Auftrag, Sie …«, erwiderte der Mann, ohne die Stimme zu erheben.

»Können die sich nicht so richtig anbrüllen«, murmelte Melissa. »Dann könnten wir jetzt jedes Wort verstehen.«

»Ist mir egal!« Wenigstens brüllte Luca konstant. »Ich bin hier und bleibe hier!«

»… wann?«

»Niemals! Damit das ein für allemal klar ist, niemals!« Luca brüllte noch immer, doch seine Stimme zitterte.

Vorsichtig lugte Julie um die Ecke.

Mit verschränkten Armen und glänzenden Augen stand Luca dem unbekannten Mann gegenüber. Von der Arroganz des Morgens war nichts geblieben. Was sie in seinem Blick las, war purer Schmerz, wie sie ihn erst ein einziges Mal zuvor gesehen hatte. Mit einem Mal fühlte sie sich elend.

»Lass uns gehen.«

»Aber wir haben noch nichts Spannendes erfahren«, begehrte Melissa auf.

»Bitte.«

Ohne abzuwarten, trottete Julie davon. Tatsächlich schloss sich Melissa an. Sie achteten darauf, unsichtbar zu bleiben und nach wenigen Schritten waren die Stimmen von Luca und dem unbekannten Mann nicht mehr zu hören.

»Jules …«

»Ich will nach Hause.«

»Was hast du gesehen?«, fragte Melissa.

»Luca geht es nicht gut«, erwiderte sie.

Es musste etwas in ihrer Stimme gewesen sein, denn zum ersten Mal, seit sie Melissa kannte, verzichtete diese auf eine Diskussion. Hunger machte sich bemerkbar. Doch Julie wollte nur nach Hause. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt, überrollt von den Geschehnissen des Tages und verloren im Sturm.

Schweigend erreichten sie die Cafeteria.

Love Crash - Der Traum vom Neubeginn

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