Читать книгу Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus - Andreas Suchanek - Страница 38
Kartas-System, Kartas VIII, 15. Januar 2266, 15:10 Uhr
ОглавлениеJayden taumelte nach vorne. Ohne Lu wäre er gestürzt, doch die kräftigen Arme des Rentalianers hielten ihn. Nach einigen Augenblicken verschwand das Schwindelgefühl. »Das war ja Wahnsinn!«, keuchte er.
»Wir haben soeben sechzig Lichtjahre überbrückt.«
Jayden starrte Lu fassungslos an. »Ich wusste nicht, dass eure Transmitter so weit reichen.«
»Wir haben eine Transmitterbrücke errichtet, um entlegene Außenposten zu erreichen«, erklärte Lu. »Wir haben insgesamt sechzig hintereinandergeschaltete Transmittertore durchschritten.«
»Ich bin beeindruckt. Mit diesen Dingern könntet ihr ein Netz über die gesamte Galaxis errichten.«
Lu legte die Ohren verneinend an. »Das Limit der Torkette liegt bei achtzig Lichtjahren. Schaltet man mehr als achtzig Transmitter zusammen, baut sich ein Kaskadeneffekt auf und sie explodieren.«
»Ich verstehe. Und wo sind wir nun?«
»Wir befinden uns im Kartas-System.« Während Lu sprach, schwärmten die fünf bewaffneten Rentalianer aus, die mit ihnen durch die Tore gekommen waren. »Dies ist einer unserer Horchposten.«
»Ihr habt eine Spionagestation in einem Parlidensystem! Das ist uns nie gelungen.«
»Ihr verfügt nicht über die Transmittertechnologie. Die Systeme der Parliden sind nach außen hin sehr gut abgeschottet.« Lu bedeutete Jayden, ihm zu folgen.
Sie gingen auf den Ausgang zu, um tiefer in die Station vorzudringen. Das aus der Wand sickernde Licht tauchte die Umgebung in Schatten. Die Sohlen ihrer Skinsuits quietschten bei jedem Schritt auf den blank polierten Bodenplatten.
»Aber wie habt ihr die Station hierherbekommen?«
Lus Ohren zuckten. »Das sind militärische Geheimnisse, die ich nicht weitergeben darf.«
Jayden begriff: Die Menschheit war mit den Rentalianern zwar in Freundschaft verbunden, doch bei militärischen Geheimnissen hörte diese Freundschaft recht schnell auf – auf beiden Seiten.
Sie durchstreiften die Gänge. Immer wieder drangen Klarmeldungen der übrigen Rentalianer aus Lus Brustkommunikator. Seine Leute durchkämmten die Station, auf der Suche nach Unregelmäßigkeiten.
»Wie konntet ihr verhindern, dass die Parliden die Transmitter orten? Immerhin gleicht die Streustrahlung einem Leuchtfeuer. Die müssten die Sivor-Strahlung doch sofort bemerken.« Jayden trat hinter Lu in den Lift.
»Das konnten wir nicht. Jeder Durchgang in dieses System ist mit dem Risiko des Entdecktwerdens verbunden.«
»Das heißt, während wir auf dem Weg zur Zentrale sind, ist vielleicht bereits eine Armada aus Parlidenschiffen hierher unterwegs?«
»Das ist möglich. Sollte dies der Fall sein, werden wir einen schnellen Tod sterben. Die Station zerstört sich selbst, wenn ein Parlidenschiff einen gewissen Mindestabstand zum Planeten unterschreitet.«
»Das ist wirklich beruhigend«, sagte Jayden mit einem sarkastischen Unterton, von dem er nicht glaubte, dass Lu ihn bemerken würde. »Dann bleibt nur zu hoffen, dass die Heimatflotte dieses Systems beschäftigt ist.« Vorzugsweise nicht damit, die HYPERION abzuschießen.
Die Lifttüren öffneten sich und gaben den Weg in die Zentrale frei. Die Konsolen waren unbesetzt. Auf den Monitoren liefen automatisierte Protokolle ab. Jayden konnte die rentalianischen Schriftzeichen jedoch nicht interpretieren.
Lu beschäftigte sich mit den Daten. Ab und an stieß er ein kurzes Jaulen aus, das Jayden als Ausdruck des Missfallens deutete. Er hatte sich bei der Vorbereitung auf die Mission eher über die soziale Struktur der Rentalianer und deren Technik informiert, nicht über deren Körpersprache. Ein schwerwiegendes Versäumnis.
»Die SE-RA-TA-LA-MU hat vor einigen Stunden drei Parlidenschiffe vernichtet. Ein viertes ist schwer beschädigt. Jetzt fliegt das Schiff Richtung Sonne. Die HYPERION ist ihm dicht auf den Fersen.« Lu deutete auf einen 3D-Monitor, der gerade zum Leben erwachte.
Am unteren Rand liefen Datenkolonnen über die schematische Darstellung des Systems. Noch während Jayden versuchte, die vielen Punkte und Linien zu interpretieren, wechselte das Bild.
»Ihr habt Spionagesatelliten in diesem System?« Jayden konnte es kaum glauben. »Wie habt ihr das geschafft? Und warum genau hier?« Er wandte sich vom Bildschirm ab und trat auf Lu zu. »Die Menschen und die Rentalianer waren seit dem ersten Zusammentreffen in Freundschaft verbunden. Ich persönlich hoffe, dass es so bleibt. Doch mein Schiff ist gerade dort draußen und wird sich mit einer Waffe anlegen, von der wir wissen, dass sie sehr zerstörerisch sein kann. Sag mir die Wahrheit, Ti-So-Ma-Ro-Lu: Was geht hier vor? Warum ist dieses System so wichtig?«
Lu schwieg. Wie gerne stünde Jayden jetzt einem Menschen gegenüber, in dessen Miene er lesen konnte.
»Der Oberste Rudelführer ging davon aus, dass du früher oder später Fragen stellst.« Lu ließ seine Finger über ein Icon gleiten. Die Darstellung auf dem Bildschirm wechselte.
Jayden starrte überrascht auf die neue Anzeige. Es handelte sich eindeutig um Luftaufnahmen einer Planetenoberfläche.
Dann begann Lu zu erzählen.
*
»Sie verdammtes Miststück!« Walker deutete anklagend mit dem Finger auf Noriko. »Den Parlidenraumer rammen? Sie sind ja wahnsinnig!«
»Lieutenant Walker!« Lieutenant Commander Akoskin funkelte seinen sekundären Taktikoffizier wütend an. »Reißen Sie sich zusammen oder ich lasse Sie von der Brücke entfernen.«
Der Schrecken über Norikos Befehl war auf nahezu jedem Gesicht zu sehen. Die Wissenschaftler an den Wandkonsolen saßen in ihren Konturensesseln und blickten bleich zu ihr auf. Die Sekundäroffiziere der Hauptkonsolen gingen alle – bis auf Walker – ihrer Arbeit nach. Keiner sagte ein Wort.
Tess Kensington hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengekniffen, wirkte jedoch entschlossener denn je. Sarah McCall fixierte ihre Konsole und wagte nicht aufzuschauen. Peter Task wirkte wie immer unbeteiligt – begriff er eigentlich, dass Noriko durch ihren Befehl gerade das Todesurteil über die Crew verhängt hatte?
»Diese verdammte Schlampe bringt uns um, und hier hält jeder brav die Klappe? Seid ihr noch ganz dicht!« Walkers Wangen färbten sich rot, auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen.
»Lieutenant! Noch ein Wort, und ich werfe Sie höchstpersönlich in eine Arrestzelle!« Akoskin stand zweifellos kurz davor, seine Konsole zu verlassen und sich auf Walker zu stürzen.
Noriko deaktivierte die Prallfelder von ihr und Walker. Sie griff nach dem Pulser, der in einem Sicherheitsfach zu ihrer Rechten untergebracht war. Walker riss entsetzt die Augen auf, als er begriff, was sie vorhatte. Noriko zielte, schoss und traf. Bewusstlos sackte der Lieutenant in sich zusammen.
»Wir befinden uns im Gefecht.« Sie legte den Pulser zurück und aktivierte beide Prallfelder wieder. »Ich werde keinerlei Diskussionen dulden. Lieutenant McCall, setzen Sie sich mit Alpha 365 in Verbindung und informieren Sie ihn über das Geschehen. Bitte verschlüsseln und sichern Sie alle ihre Logbücher. Die Kollision erfolgt in«, sie warf einen Blick auf ihr Display, »sechzehn Minuten. In zehn Minuten werde ich das Kurierboot mit allen aktuellen Logbüchern absetzen.«
Während einige Offiziere sie immer noch entsetzt anstarrten, begannen andere hektisch Eingaben vorzunehmen. Noriko hielt ihre Hände krampfhaft ruhig, obwohl ihr gesamter Körper unter Anspannung stand.
Als die SE-RA noch sechs Minuten entfernt war, leitete sie die Ausschleusung des Kurierbootes ein. Das flinke kleine Schiff würde den anfliegenden Parliden ausweichen, auf direktem Weg zur äußeren Grenze des Systems beschleunigen und schnellstmöglich in den Phasenraum wechseln.
Das war es also gewesen, wurde Noriko klar. Das kurze Leben der HYPERION. Michalew würde vermutlich eine Flasche Champagner öffnen.
»Ma’am, dort drüben passiert etwas«, meldete Lieutenant Kensington.
»Bitte etwas genauer, Lieutenant.«
»Die SE-RA«, Kensington zögerte und berührte dabei mehrere Icons auf ihrer Konsole. »Sie deaktiviert ihre Waffen und Schilde.«
Noriko nahm von ihrer Kommandokonsole aus direkten Zugriff auf die Ortungsdaten. Die Energieanzeige für das rentalianische Schiff sackte in den Keller. Antrieb, Schilde, das Waffensystem – alles deaktivierte sich. »Lieutenant Task, korrigieren Sie unseren Vektor. Bringen Sie uns längsseits zur SE-RA.« Erleichtert atmete sie auf. Das war verdammt knapp gewesen.
»Ma’am«, sagte Lieutenant Kensington. »Die Ortungsverzerrer der SE-RA sind deaktiviert. Ich kann das Schiff problemlos scannen. Die Sensoren finden keine Antimaterie.«
»Können die Rentalianer sie abgeschirmt haben?«
Kensington schüttelte den Kopf. »Nicht in einer Bombe, die obendrein kurz davorsteht, abgeworfen zu werden. Nein. Es sieht eher so aus, als befände sie sich nicht mehr an Bord.«
Noriko wurde eiskalt. »Scannen Sie die Umgebung.«
»Keine Ergebnisse, Ma’am.« Die Lieutenant runzelte die Stirn, sichtlich verärgert darüber, nichts anderes sagen zu können. Plötzlich riss sie entsetzt die Augen auf. »Die Lebenszeichen der Rentalianer verschwinden.«
»Was zum Oni geht dort drüben vor?«, rief Noriko.
»Ich messe die gleiche Strahlung wie im Elnath-System«, sagte Kensington tonlos. »Die Rentalianer sterben. Ich kann keinerlei Lebenszeichen mehr orten. Die meisten Systeme, darunter die Lebenserhaltung, haben sich deaktiviert. Auch die Trägheitskompensatoren sind offline.«
Noriko schloss für einige Sekunden die Augen. Die SE-RA raste noch immer mit 9200 m/s durchs All. Die Rentalianer an Bord waren in dem Augenblick gestorben, in dem die Trägheitskompensatoren sich abschalteten.
»An Bord der SE-RA kommt es zu kleineren Explosionen«, sagte Lieutenant Kensington. Noch während Noriko sich das weitere Vorgehen überlegte, keuchte die Ortungsoffizierin entsetzt auf. »Ich lokalisiere eine Antimaterieexplosion!«
Noriko fixierte die Darstellung der Sonne im Holotank. Doch es war nichts zu sehen. »Lieutenant?«
Kensington veränderte die Darstellung. Der zweite Planet des Systems wurde herangezoomt. »Die Sensorplattformen haben auf dem zweiten Planeten eine Explosion angemessen.«
Noriko starrte gebannt auf die eingehenden Daten. »Lieutenant, orten die Sensoren auch …?«
»Ja, Ma’am«, unterbrach Lieutenant Kensington Noriko und begriff damit, dass sie ebenfalls unter Schock stand, jedoch gleichzeitig zum selben Schluss gekommen war. »Kurz vor der Explosion kam es zu einem starken Anstieg der Sivor-Strahlung im Umkreis des Planeten und ebenso auf der SE-RA.«
Warum hatte sie das nicht in Betracht gezogen? Der Flug zur Sonne war ein Ablenkungsmanöver gewesen. Die SE-RA musste auf ihrem Weg eine Transmitterkapsel abgesetzt haben. Diese Kapseln enthielten jeweils ein Transmittertor und flogen selbstständig zu einem ausgewählten Ziel. Dort angekommen, konnten sie von dem Gegenstück an Bord des rentalianischen Schiffes angesteuert werden. Noch während die HYPERION die SE-RA verfolgt hatte, hatte die Besatzung die Bombe durch das Tor geschickt.
»Ma’am, ich empfehle einen Fluchtkurs«, sagte Lieutenant Kensington. »Die Heimatflotte der Parliden ist auf dem Weg hierher.«
Noriko nickte aus Reflex, obwohl sie gedanklich noch immer mit dem sterbenden Planeten beschäftigt war. Eine bittere Erkenntnis stieg in ihr auf: Sie hatte versagt.
*
»Eine Gefängniswelt?« Jayden war sich nicht sicher, ob Lu die Skepsis in seiner Stimme erkannte?
»Ein Gefängnissystem«, korrigierte Lu. »Nach dem Ende des Großen Krieges versuchten wir, mit den Parliden in diplomatischen Kontakt zu treten, um unsere Gefangenen zurückzubekommen.«
»Lass mich raten«, unterbrach Jayden ihn. »Ihr bekamt keine Antwort.«
Lus Ohren wackelten zustimmend. »Also verlegten wir uns darauf, Informationen einzuholen. Es dauerte vierzig eurer Erdenjahre, bis wir auf dieses System stießen. Die Errichtung der Forschungsstation nahm weitere zwanzig Jahre in Anspruch.«
Jayden warf erneut einen Blick auf den 3D-Monitor. »Und diese ausgedehnten unterirdischen Anlagen …«
»… finden sich auf jeder der vier inneren Welten. Auf dem zweiten Planeten befindet sich eine militärische Basis. Es mag auf den ersten Blick nicht so aussehen, da die Parliden das wahre Ausmaß ihrer Präsenz geheim halten wollen, doch sie sind schwer bewaffnet. Der Einflug der HYPERION in das System blieb zudem nicht unbemerkt. Ein Dutzend Schiffe ist bereits auf dem Weg zu ihrer Position. Vermutlich wird man die Gefängniswelten nun verlegen.«
Jayden spürte Entsetzen bei dem Gedanken, dass die Parliden noch Jahrzehnte nach dem Krieg Gefangene hielten. Waren auch Menschen darunter? Und noch viel wichtiger: Hatten die Rentalianer mit ihrer Vermutung überhaupt recht? Immerhin neigten sie ein wenig zur Paranoia. Nachvollziehbar, nachdem ein Großteil ihrer Sternensysteme vernichtet worden war und nur noch das Hauptsystem – in Form einer waffenstarrenden Festung – überlebt hatte. »Was war euer Plan?«
»Der Oberste Rudelführer hatte beschlossen, ausreichend Beweise zu sammeln, um sie den anderen Völkern vorzulegen. Ein gemeinsamer Schlag gegen dieses System hätte allen Gefangenen die Freiheit gebracht.«
Jayden hatte die Politik der Solaren Union mittlerweile kennengelernt. Selbst mit noch so vielen Beweisen hätten die Parteien des Solaren Rates erst einmal mit Diskussionen begonnen und diplomatische Mittel auszuschöpfen versucht. Während er das in der Regel begrüßte, machte dies bei den Parliden jedoch keinen Sinn. Stattdessen spielte ein solcher Beweis unweigerlich Admiral Michalew in die Hände. Gleichzeitig war genau das aber bedeutungslos. Wenn die Parliden seit Jahrzehnten menschliche Gefangene auf diesen Welten festhielten, mussten diese befreit werden. Doch wie?
»Durch die Attacke ist das alles …«
Die Daten auf dem Monitor änderten sich abrupt. Kurvenverläufe schossen in die Höhe.
»Soeben ist eine Antimateriebombe auf dem zweiten Planeten explodiert«, kommentierte Lu und stieß kurz darauf ein trauriges Jaulen aus. Seine Ohren zitterten. »Die freigesetzte Energie hat alle stationierten Parliden und Bodeneinheiten ausgelöscht. Die Fusionskettenreaktion ist in Gang gesetzt.«
Jayden verfolgte das grausige Geschehen mit einer morbiden Faszination. Die Feuersbrunst fraß sich förmlich in das Innere des Planeten. Bereits ein Viertel der Planetenmasse war erfasst. Die Antimaterie bewirkte eine so heftige Reaktion, dass eine unaufhaltsame Kettenreaktion in Gang gesetzt wurde. Den Brennstoff für diesen Vorgang bildete der Planet selbst.
»Diese Welt wird vernichtet. Aber das haben wir einkalkuliert, als wir aufbrachen.«
»Danke.« Jayden trat zu Lu und legte ihm in einer freundlichen Geste die Hand auf die Schulter. »Ich nehme Kontakt zur HYPERION auf.«
»Die Parliden werden es orten.«
»Das spielt keine Rolle mehr. Extrahieren Sie alle Daten, Lu. Gehen Sie durch das Transmittertor zurück. Ich werde die HYPERION umleiten. Sie sollen mich abholen und auf dem Weg einen Scan der übrigen Planeten durchführen.«
Lus Ohren zuckten zustimmend. »Aber ihr werdet euch beeilen müssen. Jedes Parlidenschiff im System wird darauf aus sein, die HYPERION zu vernichten.«
Er aktivierte das interne Kommsystem und sprach hektisch in das Aufnahmefeld. Dann berührte er einige Icons auf der Touch-Konsole. »Ich leite die Kommunikation über eine eurer Plattformen. Da wir die Position der HYPERION kennen, können wir mit gebündelten Phasenstrahlen eine Richtverbindung herstellen.«
Jayden nickte ihm dankbar zu und wartete auf die Etablierung des Kontakts.
*
»Lieutenant Task, berechnen Sie eine Route zum Captain«, befahl Noriko. »Und falls wir auf dem Weg dorthin zufällig ein paar ordentliche Sensoraufnahmen der Planetenoberflächen machen können, wäre das eine feine Sache.«
»Aye, Ma’am«, erwiderte Task nach einigen Sekunden. »Unser neuer Vektor führt uns in einem Haken zum Ziel. Da sich die Parliden auf Abfangkurs nähern, wird es eng. Aber da sie vermuten, dass wir eine direkte Flucht durchführen, kann ich sie hoffentlich auf diese Art ablenken. Ich richte unseren Kurs erst bei Minimaldistanz zum Ziel aus. Wir haben bei Erreichen von Kartas I ein geschätztes Zeitfenster von vierzig Minuten, um den Captain an Bord zu holen.«
Während die HYPERION auf ihren neuen Vektor einschwenkte und beschleunigte, besah Noriko sich die Daten der SE-RA genauer. Das Schiff war mit Traktorstrahlen an den Interlink-Kreuzer gekettet. Auf die gleiche Art hatten sie auch das erste Artefakt aus dem Elnath-System transportiert. Damals war es die PROTECTOR gewesen, auf der sie das erste Fraktal verstaut hatten. Und auch dabei hatte es eine Menge Tote gegeben.
Mit einem Zischen öffnete sich das Schott zur Brücke. Als Noriko aufblickte, erkannte sie Alpha 365, den Sicherheitschef, und Giulia, die beide mit grimmigen Gesichtern auf sie zukamen. Hinter dem genetisch designten und auf die Sicherheitsprotokolle des Schiffes geeichten Alpha betraten zwei Offiziere der Sicherheit die Brücke.
»Ma’am, ich habe die Daten des Torpedo-Zwischenfalls ausgewertet.«
»In wenigen Stunden wird Captain Cross wieder an Bord sein. Die Besprechung dieses Zwischenfalls hat zweifellos noch bis dahin Zeit, Commander.«
»Ich fürchte, dem kann ich nicht zustimmen, Ma’am.« Auf dem Gesicht von Alpha 365 zeigte sich wie immer keine emotionale Regung. Die Genetiker von Kassiopeia hatten bei der Alpha-Linie der Schiffssicherheitsmodelle die Emotionen nicht integriert. Als Folge befand sich auf jedem Schiff der Space Navy ein nach purer Logik handelnder Sicherheitschef. »Nach Auswertung der Daten kann ich bestätigen, dass der Torpedo aufgrund einer internen Manipulation abgefeuert wurde, also nicht, wie die Deaktivierung des Waffensystems, von außen durchgeführt wurde. Ein solches Vorgehen im Verlauf einer Schlacht wird als Verrat betrachtet und mit einer unehrenhaften Entlassung und lebenslanger Haft geahndet.«
Mit welcher Kälte er die Worte aussprach. Bildete sie es sich nur ein oder umspielte der Hauch eines Lächelns Giulias Mundwinkel? Warum hatte der Alpha sie mit auf die Brücke gebracht? Um Noriko vor allen anderen zu demütigen?
»Ich verstehe. Und Sie konnten feststellen, wer für die Manipulation verantwortlich ist?«
»In der Tat, das konnte ich.« Der Lieutenant Commander gab seinen beiden Sicherheitswachen einen Wink. Beide traten auf den noch immer bewusstlosen Bruce Walker zu. »Zwar wurde die Manipulation des Protokolls über Ihren Log-in durchgeführt, Commander, doch wir konnten die Spur schließlich zu Lieutenant Walker zurückverfolgen.«
Erst jetzt bemerkte Noriko, welch furchtbarer Druck bisher auf ihrer Brust gelegen hatte. Mit einem Mal fühlte sie sich befreit und musste sich beherrschen, nicht laut auszuatmen.
»Lieutenant Commander Lorencia war mir beim Aufspüren des Schuldigen eine große Hilfe.«
Giulia zwinkerte Noriko zu. »Freut mich, wenn ich behilflich sein konnte.«
»Gute Arbeit.« Sie nickte beiden anerkennend zu. »Verfrachten sie Lieutenant Walker in die Arrestzelle. Ein Militärgericht wird sich um seinen Fall kümmern, sobald wir zurück in der Solaren Union sind.«
Während Giulia, Alpha 365 und die beiden Sicherheitswachen – mit dem bewusstlosen Walker im Schlepptau – die Kommandobrücke verließen, gönnte sich Noriko endlich einen Moment des Aufatmens. Sie als amtierender Captain zum Zeitpunkt der Kampfhandlung war damit rehabilitiert. Walker zu betäuben lag im Rahmen ihrer Kompetenz. Und wenn er sich nun auch noch als Drahtzieher der Manipulation entpuppte, war das Kapitel abgeschlossen.
Auf den Gesichtern der übrigen Brückencrew spiegelten sich die unterschiedlichsten Emotionen wider. Scham, Stolz, Freude.
»Ma’am, ich habe soeben das Signal des Kurierbootes verloren«, meldete Lieutenant Kensington. »Ein Teil der Parlidenflotte hat es abgefangen.«
Das Hochgefühl verpuffte. Kuriere hatten den Befehl, alle sensiblen Daten aus dem Computer zu löschen und im schlimmsten Fall das Boot zu zerstören, damit der Feind bei einer Enterung an keinerlei Informationen gelangte. Im vorliegenden Fall vermutete sie jedoch eher, dass die Parliden es schlicht und einfach abgeschossen hatten.
»Gibt es eine Rettungskapsel?«
Ein hektisches Blinken auf Kensingtons Konsole zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie hob die Arme in einer entschuldigenden Geste. »Das kann ich nicht sagen, unsere Sensorplattform wurde gerade vernichtet. Die Parliden sind uns auf den Fersen.«
Vor ihrem inneren Auge sah Noriko Fähnrich Tobias Feldmann. Immer ein Lächeln auf dem Gesicht; die Haare so verwuschelt, als hätten sie noch nie einen Kamm gesehen. Ständig dem aktuellen Trend folgend, wechselte er seine Kontaktlinsen täglich, wodurch seine Augen mal gänzlich schwarz waren, mal violett schimmerten. Er hatte sich um den Kurierdienst gerissen, wollte selbst einmal einen solch wichtigen Einsatz durchführen. Sie blickte auf den Holotank, sah jedoch nur sein lachendes Gesicht. Warum erinnerte man sich immer an das Lachen?
*