Читать книгу Die 12 Häuser der Magie - Schicksalsretter - Andreas Suchanek - Страница 10

Schatten und Gold Nic

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Stille lag wie ein Grabtuch über allem.

Er blinzelte und war hier, wo immer hier auch war. Der Boden bestand aus dunklem Stein, Wände und Decke waren eine gewölbte Glasfläche. Ringsum waberte goldenes Gespinst.

Die Tatsache, dass er all das gedanklich verarbeiten konnte, deutete glasklar auf eine Sache hin.

»Du bist doch kein Totalversager«, erklang eine Stimme.

»W-was?« Nic sah sich hektisch um.

Die Worte waren von überallher gekommen.

»Na, die Tatsache, dass du all das hier verarbeiten kannst, lässt eben doch auf eine gewisse Intelligenz schließen.« Ein Lachen folgte.

»Hör auf, meine Gedanken zu lesen!«

Nic blinzelte und vor ihm stand eine junge Frau. Sie besaß seine Größe, langes blondes Haar und in ihren Augen blitzte der Schalk.

»Besser so?«, fragte sie.

»Wo bin ich hier?«

»Tot.«

»Ich habe gefragt wo, und nicht was. Außerdem bin ich offensichtlich noch am Leben«, ereiferte sich Nic.

Instinktiv berührte er seinen Anima, der blau funkelnd im Stahlring eingefasst war. Er wechselte in die zweite Sicht und sah sich um.

»Sorry, keine Magie hier«, sagte die Frau.

Nic ging über in die Schicksalssicht, doch abgesehen von dem goldenen Gespinst vor dem Glas war auch hier nichts zu sehen.

»Du befindest dich im Zentrum des Schicksals«, erklärte die Unbekannte. »Zwischen überall und jederzeit.«

»Was tue ich hier?«

»Danke für die Rettung, wäre auch eine mögliche Antwort gewesen«, gab sie keck zurück. »Ernsthaft, manchmal verstehe ich das Schicksal nicht. Ich wäre wirklich besser gewesen.«

»Wer bist du?!«

»Ich bin du.«

»Ganz sicher nicht.« Nic verschränkte die Arme.

»So was von.« Sie tat es ihm gleich.

Bei genauerem Hinsehen erkannte Nic, dass sie tatsächlich ähnliche Gesichtszüge aufwies wie er. Auch die Körperhaltung war ein Spiegelbild.

»Komm schon, du hast es doch mittlerweile kapiert: Das Schicksal verästelt sich, Stränge werden verwoben und zu einem Netz geflochten. Dein Dad hat die Apparatur benutzt, um dich nachträglich zu erschaffen, rückwirkend zu einem Teil des Lebens aller zu machen.«

Der Gedanke ließ erneut brodelnde Wut in ihm hochkochen. Natürlich wollte er seinen Vater aus den Fängen von Inés befreien, die Mauern des magischen Gefängnisses Akantor einreißen. Danach würde er allerdings einen Vellamos Sturm weben und seinen Dad ordentlich durch die Luft wirbeln.

»Bei dieser Aktion stand nicht von vornherein fest, was das Ergebnis ist. Ich hätte auch am Ende auf der Plattform stehen können. Im Grunde genommen sind wir gedanklich, charakterlich und, wie ich fürchte, ebenso von unserem Intellekt identisch. Deshalb weiß ich ziemlich genau, was du denkst.«

»Das ist irgendwie cool.« Ein wenig fühlte es sich an, als habe er gerade eine Schwester bekommen.

Der Gedanke, dass sein Gegenüber quasi Nic selbst war, fiel ihm schwer zu begreifen.

»Ich weiß, denk nicht so viel darüber nach.«

»Dann hast du mich gerettet?«

»Jap. Normalerweise bin ich nicht manifestiert; als dein Tod näher kam, war das jedoch eine Schockwelle für das gesamte Gewebe«, erklärte sie.

»Mein Tod«, flüsterte Nic. »Der Dämon ist zurück.«

»Keine große Neuigkeit«, erwiderte sie. »Stell dir vor, jemand schüttet Benzin auf eine Decke und setzt sie in Brand. So sieht das Ganze aktuell aus. Der Dämon ist das Feuer.«

»Es tut mir leid.«

»Ich weiß.«

»Geht es Liz gut? Und was ist mit Matt und Jane?«

Sein Gegenüber seufzte. »Es gibt jetzt Wichtigeres zu besprechen.«

»Wichtiger als meine Freunde?!«

»Äh, die Welt als Ganzes?! Ist ja nicht so, als würde deinen Freunden eine lange Lebenszeit beschieden sein, wenn der Dämon weiter mit knurrendem Magen herumrennt. Du musst etwas tun.«

»Ich?«

»Ehrlich, ich schubse dich gleich raus und gehe selbst zurück«, grummelte sie. »Ja, du!«

»Ich habe ihm die Rückkehr ermöglicht.«

»Soll das jetzt das Argument sein, dich nicht rauszuschubsen? Lausige Idee.«

»Du bist echt nervig.«

»Jetzt weißt du, wie sich deine Freunde die ganze Zeit gefühlt haben«, gab sie mit einem gemeinen Grinsen zurück.

»Die, die noch leben?«

»Netter Versuch. Widmen wir uns deiner Zukunft.«

»Nein«, sagte Nic.

Es war schwer in Worte zu kleiden, dass er sich genau darüber nie wieder Gedanken machen wollte, doch letztlich musste er das gar nicht. Sie kannte ihn, war er. Auf irgendeine verdrehte Art.

»Ich verstehe ja, dass du müde bist …«

»Es geht hier doch nicht um Müdigkeit!«, blaffte Nic. »Jane und Matt sind tot, ich weiß es. Sie waren im Kerker, als er zusammengebrochen ist. Liz ist so gut wie tot und Hunderte Magier werden sterben.«

»Eher Tausende.«

»Danke.«

»Ganz ehrlich: Millionen.«

»Hör auf damit!«, verlangte Nic.

»Warum? Es ist die Realität. Die Augen davor zu verschließen macht es nicht besser. Du könntest etwas dagegen tun.«

»Ich habe versucht, es aufzuhalten«, sagte er leise. »Schließlich wurde ich ja irgendwie dafür erschaffen, richtig? Inés war uns leider immer einen Schritt voraus und das Schicksal hat für den Dämon gearbeitet. Ziemlich mies übrigens.«

»Finde ich auch.« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn. »Der Dämon hätte ja auch nicht eingekerkert werden sollen. Die Sieben haben da Mist gebaut. Durch die Verflechtungen bot sich dem Dämon ein Schlupfloch.«

»Und jetzt wiederholt sich alles.«

»Das muss nicht zwangsläufig sein. Es gibt heute mehr Personen, die über ihn Bescheid wissen. Nicht nur das, ihr wisst sogar, wer er war. Die Sieben kämpften gegen den Dämon, ohne das zu wissen.«

»Er war Egmont Chavale«, sagte Nic. »Was soll das denn bitte helfen? Heute ist er stärker als jeder Magier. Keine Ahnung, welche Talente er hat. Ich gehe davon aus, dass er die Wächter mit links erledigt. Vor allem, solange die nach mir suchen.«

»Mimimi, kannst du eigentlich auch mal positiv denken?« Sie verdrehte die Augen. »Konzentriere dich auf das Machbare.«

Nic erwiderte ihren Blick mit verschränkten Armen.

»Ja gut, es sieht düster aus. Du weißt doch, wie man sagt.«

»Man muss wissen, wann es vorbei ist?«, schlug er vor.

»Am dunkelsten ist es vor der Dämmerung«, hielt sie dagegen.

»Toll, nachdem wir nun die Kalendersprüche geklärt haben, hast du mich trotzdem nicht überzeugt.«

»Du bist genauso stur wie ich. Nur gibt es einen Unterschied.«

»Ach ja?«

»Ich habe hier Heimspiel.«

Sie klatschte in die Hand und die Kuppel zerbrach. Brüllend fiel Nic in das goldene Gespinst. Im nächsten Augenblick krachte er auf die Erde, seine Finger gruben sich in weiches Gras.

»Ich hasse es, zu fallen«, brüllte er. »Ständig passiert das.«

»Dein Leben ist eben eine einzige Katastrophe«, stellte sie klar.

»Du bist nicht zufällig Nox, der einfach sein Äußeres verändert hat?«

Sie kicherte. »Nette Idee. Das quirlige süße Kerlchen mochte ich.«

»Er ist ein Verräter, der mich versklaven wollte.«

»Das ist halt sein Ding. Minderwertigkeitskomplexe und so, haben alle Familiaris.« Sie winkte ab.

»Und wieso süß? Er ist hässlich.«

»Putzig. Mit diesen spitzen Öhrchen und den Hauern.«

»Ich habe ihn gehasst.«

»Das stimmt nicht.« Sie grinste in diebischer Freude. »Vergiss nicht, ich weiß, was du denkst. Inés hat Nox an dich gebunden, damit er dich ausspäht. Am Ende hast du den Spieß umgedreht und ihn an dich gebunden. Clever.«

»Danke.«

»Clever von Liz.«

Nic räusperte sich. »Ja, die Idee war möglicherweise von ihr. Trotzdem …«

»Wenn ein Satz mit ›trotzdem‹ beginnt, hat man schon verloren. Du hast Nox freigelassen, bevor du gestorben bist. Hättest du ihn weiter an dich gebunden, wäre er vom Schicksal zerfetzt worden.«

»Jeden Tag eine bescheuerte Tat, das bin ich.«

»Stimmt. Diese eine Tat war eine gute.« Sie pikste ihn mit ausgestrecktem Finger in die Seite. »Und das weißt du.«

Seltsamerweise fühlte sich Nic körperlich von ihr angezogen. Was sagte das über ihn aus?

»Dass du selbstverliebt bist«, kommentierte sie.

»Hör auf damit!«

»Dann denk nicht immer das Offensichtliche«, gab sie zurück. »Konzentrier dich auf das Hier und Jetzt. Ernsthaft, dein Dad hätte darauf achten sollen, kein ADHS einzuweben.«

Nic wollte sie anbrüllen. Die Umgebung nahm jedoch abrupt seine vollständige Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Das«, sagte er langsam, »ist ein Friedhof.«

»Und du hast nur eine halbe Ewigkeit benötigt, darauf zu kommen. Diese Schnelligkeit.«

»Ich beginne, dich zu hassen.«

»Selbsthass ist kein gutes Zeichen.«

Vorsichtig trat Nic auf das erste Grab zu. Sie standen auf einer weiten Ebene. Das goldene Gespinst schimmerte sanft am Himmel, zog sich bis zum Horizont. Die Grabsteine hingegen waren aus schwarzem Glas gefertigt.

Instinktiv betastete Nic wieder seinen eigenen Körper, doch er bestand nicht länger aus dem gleichen Material. Möglicherweise war es einfach eine Illusion gewesen, eine Ausgeburt seines panischen Geistes.

»Was sind das für Gräber?«

»Hier liegen die Opfer begraben, die das Schicksal gefordert hat«, erklärte sie. »Der Bruder deines besten Freundes ist einer davon.«

»… das sind so viele. Hat der Dämon all das verursacht?«

Die Antwort bestand in einem Seufzen. Gedankenverloren strich sein Gegenüber mit dem Finger über das schwarze Glas eines Grabsteins. »Es gab schon früher Menschen, die sich mit dunkler Magie das Schicksal zunutze gemacht haben. Sie griffen ein, veränderten die Dinge. Der Dämon hat das alles lediglich auf eine neue Ebene gehoben. Es gibt so viel, was du noch nicht weißt.«

»Wenn es so schrecklich ist, wieso hat es niemand beendet? Weshalb ist es noch immer möglich?«

Sie lächelte. »Es ist nicht an mir, dir das zu erzählen. Der Dämon hat weitaus mehr getan, als einfach Macht anzuhäufen, Nicholas. Er nimmt sich die Kontrolle über das Sein selbst. Ein einziger Fehler vor langer Zeit hat all das ermöglicht.«

»Er ist pure Dunkelheit. Er zerstört das Schicksal selbst.«

»Und webt neue Fäden aus purer Schwärze«, flüsterte sie. »Er ist weit mehr, als jeder ahnt. Sein Ziel ist es, alles neu zu schreiben. Die Welt, die Gesetze, die Magie. Er wird mit schwarzer Tinte und Blut Asche regnen lassen.«

Nic schluckte. »Wie soll ich ihn aufhalten?«

»Dein Dad hat begriffen, was der Dämon ist. Wozu dieser in der Lage ist und was auf uns zukommt. Er hat dich geschaffen, weil er das einzige Schlupfloch gesehen hat.«

»Und ich habe versagt.«

»Nic.« Sie lächelte. »Dein Dad wusste, dass der Fluch sich erfüllt. Es war nur eine Frage der Zeit. Er hat dich erschaffen, weil er wusste, dass es die Dinge in Bewegung setzt. Es ging nicht darum, ob das zweite Regnum geschieht, sondern wann

Eiseskälte durchströmte Nics Adern. »Er wollte gar nicht, dass ich es aufhalte?«

»Nein«, sagte sie schlicht. »Das wäre gar nicht möglich gewesen. Niemand konnte das. Jeremiah und dein Dad haben es lange Zeit versucht. Sie wollten den Kerker endgültig versiegeln oder den Dämon töten.«

»Er hat mich geschaffen, damit ich das zweite Regnum einleite?!« Nics Oberkörper begann zu zittern. Schnell schlang er die Arme um sich selbst.

»Ja und nein«, sagte sein Gegenüber sanft. »Er wusste, dass das Regnum kommt. Doch ohne dich wäre es das Ende des Weges gewesen. Das Ende von allem. Durch deine Existenz wurde es beschleunigt, gleichzeitig gibt es nur deshalb überhaupt ein Schlupfloch.«

»Und das wäre?!«

»Inés hat dich zum Feind stilisiert und dafür gesorgt, dass Magier sich dir anschließen. Du hast längst einen Widerstand aufgebaut. Du und deine Freunde habt eine Chance.« Sie blickte ihm tief in die Augen. »Der Fluch ist erfüllt, der Dämon befreit. Begreifst du nicht, was das bedeutet?«

»Das Ende von allem?«

»Nic, das dreizehnte Haus wurde nur erschaffen, weil der Dämon gefangen gehalten wurde. Die Regeln des Ausgleichs haben dafür gesorgt. Der Kerker, der Fluch, die Gabe. Alles hängt zusammen. Doch jetzt ist das Gefängnis zerstört.«

Nic benötigte einige Sekunden, um die Wahrheit hinter den Worten zu begreifen. »Die Schicksalswächter …«

»Hören auf zu existieren«, bestätigte sie. »Ihr Talent verschwindet. Es ist längst geschehen.«

»Niemand mehr kann das Schicksal beeinflussen?«

»Du kannst es. Deshalb hat dein Dad dich rückwirkend eingeflochten. Du bist aus dem Schicksal geboren, und während alle anderen ihre Gabe verlieren, wirst du sie als Einziger behalten.«

Nic starrte sie lange an. »Ich bin durch die Hölle gegangen, um den Dämon aufzuhalten, und jetzt sagst du mir, ich war von Anfang an dazu bestimmt, ihn freizulassen?!«

»Und wieder achtest du nur auf das Negative.«

»Ist hier auch nicht zu übersehen!«, brüllte er weiter.

»Letzter mit der Gabe? Schlupfloch? Retter der Welt? Nein, kein positiver Aspekt?«

»Es hätte niemals so weit kommen müssen.«

»Der Dämon wäre entkommen«, sagte sie nachdrücklich. »Das stand von Anfang an fest. Der Fluch arbeitete für ihn und wurde mit jedem Jahr stärker. Vielleicht hätte es noch zehn Jahre gedauert oder hundert. Doch am Ende wäre Egmont Chavale zurückgekehrt. Er hätte die Welt in eine verkrustete Aschewüste verwandelt und niemand hätte ihn aufzuhalten vermocht.«

»Was für ein Glück, dass dieses Mal ich da bin.«

»Das ist es tatsächlich.«

»Ich habe keine Chance!«, brüllte Nic. »Auch nicht als einziger Schicksalswächter der Welt. Hättet ihr nicht Ultinova auswählen können? Sie wollte mich sogar töten, als sie die Wahrheit erfahren hat. Toter Nic, kein Regnum 2.0, da war sie eindeutig.«

Langsam wirkte sein Gegenüber genervt. »Es ist doch nicht so schwer zu begreifen, dass es trotzdem passiert wäre! Jetzt nimmst du gefälligst deine Freunde und trittst dem Dämon in den Arsch.«

»Toller Plan!«

»Danke.«

»Ironie! Deine Pläne sind lausig, nur nebenbei.«

»Gleichfalls. Und bisher haben die lausigen Pläne immer funktioniert, du hattest da nämlich auch ein paar.« Prompt begann sie aufzuzählen. »Das Eindringen in das Schloss in Österreich.«

»Jeremiahs Kopf ist explodiert.«

»Die Rettung von Gabriel.«

»Wir haben untote Fatumaris erweckt, ich bin in eine endlose Schlucht gefallen und wurde von Inés gekidnappt.«

»Der Diebstahl der Apparatur aus dem Büro deines Dads.«

»Hat dazu geführt, dass der Dämon zurückkam«, brüllte Nic.

»Du siehst das alles viel zu negativ.«

»Es ist immer schlecht ausgegangen.« Nic stemmte die Fäuste in die Hüfte.

»Woher willst du das wissen?«, fragte sie leise. »Das Ende ist doch noch gar nicht geschrieben.«

»Ich kann ihn nicht besiegen.« Nic ließ die Schultern hängen, er hatte keine Lust mehr, zu diskutieren.

»Du hast alles, was du brauchst. Sieh durch die Augen deines Dads und vergiss nicht, dass alles irgendwann begonnen hat und irgendwann dazu verdammt ist zu enden.«

Wieder klatschte sie in die Hand.

»Nicht schon w…«

Nic fiel in einen bodenlosen Abgrund.

Die 12 Häuser der Magie - Schicksalsretter

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