Читать книгу Die 12 Häuser der Magie - Schicksalsretter - Andreas Suchanek - Страница 20
Lass los Jane
ОглавлениеDer Morgen graute, als sie endlich ihr Ziel erreichten.
Gemeinsam mit Ian, einem irischen Tiersprecher, hatte Jane einen Roadtrip unternommen. Unfreiwillig natürlich. Ein Sprung durch die Schatten wäre einfacher gewesen, doch da es sich um ein ganz besonderes Ziel handelte, wollte niemand ein Risiko eingehen.
»Und?«, fragte Jane.
Ian starrte ins Nichts. Seine grünen Augen schienen zu leuchten, als er auf sein Talent zugriff. Das war natürlich nur Einbildung. Mit seinem rötlichen gewellten Haar und der bulligen Statur wirkte er wie ein irischer Footballspieler. Jane hatte seine unbeschwerte, direkte Art zu schätzen gelernt. Meistens.
Ein wenig erinnerte er sie an Nic. Sie schluckte und schob den Gedanken beiseite.
»Das Haus ist geschützt«, sagte er endlich. »Auf dem Baum im Garten sitzen Vögel. Ich kann problemlos nach innen sehen.«
In der Ferne ragte die Südstaatenvilla empor, der Eingang wurde gestützt von den typischen weißen Säulen. Sie war zu weit entfernt, als dass Jane hinter den blütenweißen Vorhängen etwas hätte erkennen können.
Ian kannte solche Probleme nicht. Als Tierflüsterer besaß er eine tiefgehende Bindung zur Fauna. Er konnte durch die Augen eines Adlers spähen oder mit dem Geruchssinn eines Wolfes Fährten folgen.
»Ich lasse Mirabella einmal um das Haus fliegen.«
»Wen?«
»Die Taube.« Er grinste spitzbübisch.
»Gibst du jedem Tier einen Namen?«
»Jedem.« Er nickte eifrig.
»Du kannst dir jeden einzelnen merken?«
»Klar. Er schwingt irgendwie mit. Jedes Tier hat einen eigenen Charakter, eine Aura. Ich muss gar nicht darüber nachdenken.«
Jane sah aus der Ferne, wie Mirabella aufgeregt um das Haus flatterte.
»Alles sauber«, sagte Ian schließlich. »Sie ist allein.«
Was jede Ausrede beiseitewischte, sie mussten die Auffahrt hinauffahren und klingeln, sobald das Signal einging.
»Und hier hast du echt gelebt?« Ian betrachtete eingehend die Villa.
»Es sieht schöner aus, als es ist.«
»Kein Stück. Kommt mir vor wie ein Puppenhaus. Da ist mir ’ne simple Bude lieber. Mit Freunden durch die Pubs ziehen, auf Berge steigen, echtes Leben.«
Jane schluckte. Puppenhaus traf es recht gut. Sie hatte Matt immer um seine liebevollen Eltern beneidet, die ihm alle Freiheiten ließen. Nics Mum hatte sich sogar gegen den Zwang der Häuser gestellt, um ihrer Leidenschaft als Kinderbuchillustratorin nachzugehen. Eine eigenständige, starke Frau, die den Weg ihres Lebens selbst bestimmte.
Ganz anders als Janes Mutter.
Sie war mit einem konservativen Frauenbild erzogen worden. Vor der kalten, herzlosen Welt konnte nur ein starker Mann sie retten. Es lag an ihm, für das Einkommen zu sorgen. Bei dem Gedanken wollte Jan ihre Stirn gegen den nächsten Baum schlagen.
Am Tag der Berufung in ein Haus war Jane außer sich gewesen vor Glück. Sie hatte exakt das Talent bekommen, auf das sie gehofft hatte. Doch auf dem Gesicht ihrer Mutter war keine Regung zu erkennen gewesen.
Als Schattenläuferin kämpfte man nicht nur an vorderster Front, man war auch wichtig für alle anderen Häuser. Es war das Haus mit der höchsten Zahl an Magiern, die nach ihrem Pflichtdienst aktiv blieben.
Zum Glück war es damit vorbei mit Ehe und Heimchen am Herd, Pediküre und Maniküre am Samstag und Drinks am Sonntagmittag.
»Du bist sicher, dass dein Vater nicht zurückkommt?«, fragte Ian.
»Glaub mir, er ist beschäftigt. Vermutlich mit Geschäftspartnern auf dem Golfplatz.«
Der Kontaktor in ihrer Tasche gab ein Signal von sich.
»Die anderen sind in Position«, sagte Ian unnötigerweise.
Sie hatten den Ablauf wieder und wieder besprochen. Jeder der Widerständler besaß Familie, und diese musste schnellstmöglich in Sicherheit gebracht werden. Nics Mutter und Brüder waren längst außer Gefahr, dafür hatte Angelo gesorgt, als sie die Apparatur aus dem Büro von Jasper Ashton geholt hatten.
In diesen Sekunden wurden Zellen überall auf der Welt aktiv, um die Familien zu evakuieren.
Jane hatte darauf bestanden, sich selbst um ihre Mutter zu kümmern. Für ein Einsatzteam waren es nur Zielpersonen, doch für sie war es immer noch ihre Mum. Da wollte sie auf Nummer sicher gehen.
»Gehen wir.«
Sie setzte sich hinter das Lenkrad und startete den Motor. Ian sank auf den Beifahrersitz. Aufgrund seiner bedächtigen Bewegungen und dem leicht abwesenden Blick schloss Jane, dass er noch immer die Sinne aller Tiere aus der Umgebung nutzte, um nach Feinden Ausschau zu halten.
»Falls es im Haus irgendwelche Wächter hinter Trugbildern gibt, kann keines der Tiere uns warnen«, erklärte er. »So was kann auch Mirabella nicht sehen.«
Jane schmunzelte. »Man könnte fast meinen, du magst diese Taube.«
»Wieso auch nicht?« Ian strich sich eine rötliche Strähne aus der Stirn. Bei jedem verschmitzten Grinsen schienen all seine Sommersprossen ebenfalls zu lachen.
Er war Anfang zwanzig und damit etwas jünger als Jane. Vermutlich verspürte sie deshalb einen gewissen Beschützerinstinkt.
»Sei auf jeden Fall vorsichtig«, bat sie. »Falls es Probleme gibt, packst du meinen Arm und ich springe mit dir durch die Schatten.«
»Aye, Ma’am.« Er salutierte.
»Alternativ kann ich dich auch gern verprügeln.«
»Doch nicht mitten im Kampf.« Er zwinkerte ihr zu.
Jane seufzte schicksalsergeben und parkte den Wagen vor dem Haus. Wie sie ihre Mutter kannte, stand diese längst mit einem Cocktailglas am Fenster.
Sie stieg aus und eilte auf die Tür zu. Je weniger Zeit ihre Mum zum Nachdenken hatte, desto unwahrscheinlicher war eine übereilte Aktion.
Ian rannte ihr hinterher und kam vor der Tür an, als diese gerade von innen geöffnet wurde.
»Jane!« Die Augen ihrer Mum waren so groß wie die Olive im Martini.
Im nächsten Augenblick fand Jane sich in einer Umarmung wieder, Martini schwappte auf ihre Schulter.
»Ich hatte solche Angst.«
»Es ist … schön, dich zu sehen.«
Ihre Mutter trat einen Schritt zurück. »Wieso hat das so lange gedauert?! Ich bin ständig erschrocken, wenn einer der Schatten im Haus sich bewegt hat.«
»War vermutlich oft.« Jane warf einen Seitenblick auf das Martiniglas.
»Jetzt werde nicht albern. Und das ist?« Sie blickte auf die Stelle neben Jane.
»Ian«, stellte dieser sich vor.
Als Janes Mum ihre Hand hinstreckte, griff er danach und schüttelte fest, worauf noch mehr Martini aus dem Glas geschleudert wurde.
»Kommt doch rein.« Mit einem Ruck wurde die Hand zurückgezogen.
Sie übertraten die Schwelle.
Unweigerlich erwartete Jane, dass ein Dutzend Wächter hervorstürmten, ein Zauber aktiv wurde oder einfach etwas geschah. Doch es blieb still.
Die Tür fiel ins Schloss.
»Kommt in den Salon.«
»Klar, warum auch nicht«, sagte Jane trocken.
Mit einem Blick zu Ian zeigte sie an, dass er sofort das Haus untersuchen sollte. Allerdings nicht mit seinem orangeroten Anima-Stein, der als Ohrstecker im linken Ohrläppchen saß. Das konnte durchaus bemerkt werden.
Natürlich ließ es sich ihre Mutter nicht nehmen, die kunstvoll gearbeitete Spange in ihrem blonden Haar zu berühren. Der goldene Anima leuchtete. Gläser füllten sich, Oliven platschten hinein, die Cocktails schwebten zu einem Tisch.
»Für euch.«
»Das ist ja nett«, Ian lächelte. Ein Lächeln, das umgehend erlosch, als er Janes warnenden Blick bemerkte. »Wir sind natürlich im Dienst und kämen nie auf die Idee, Alkohol zu trinken.«
»Dienst?«, echote Janes Mutter.
»Können wir uns mit meiner Mum in Ruhe unterhalten?«, fragte Jane.
»Absolut. Ferdi hat Entwarnung gegeben.«
»Wer ist Ferdi?«, kam die Frage prompt über den Rand des Cocktailglases hinweg.
»Ein Mäuserich«, erwiderte Ian. »Er wohnt hinter der Schlafzimmerwand im ersten Stock.«
Janes Mum wusste offenbar nicht, ob Ian in eine Zwangsjacke gehörte oder sie den Kammerjäger rufen sollte.
»Er ist Tierflüsterer«, erklärte Jane schnell.
»Verstehe.« Sie betrachtete den Boden eingehend. »Ein kurzer Giftzauber müsste genügen.«
»Nein!«, rief Ian. »Ferdi tut niemandem etwas. Ich sage ihm, er soll sich eine neue Bleibe suchen.« Schon wurden seine Augen glasig.
»Siehst du«, ereiferte sich Janes Mum, »dass wäre ein ausgezeichnetes Talent für dich gewesen. Eignet sich für die Instandhaltung der Villa und du kannst den Garten von Schädlingen befreien.«
»Und abends mache ich dann einen Knicks vor meinem Ehemann?!«
»Du hast nicht alles vergessen, das ist beruhigend.«
Jane brodelte innerlich, zwang sich jedoch zur Ruhe. »Wir sind hier, um dich zu evakuieren, Mum.«
»Wie bitte?«
»Wir nehmen Sie mit«, erklärte Ian.
»Ich weiß, was eine Evakuierung ist«, kam es spitz zurück. »Allerdings leuchtet mir der Grund nicht ein.«
»Dir ist schon klar, dass die Wächter nach mir suchen?«, fragte Jane vorsichtig.
»Ach, dieses Missverständnis.« Ihre Mum wedelte mit der Hand. »Mach dir darüber keine Sorgen. Wir werden das klären.«
»Wir wurden als Terroristen eingestuft.«
»Weil du dich mit den falschen Personen umgeben hast.« Ihr Blick glitt wie zufällig über Ian. »Natürlich möchte ich Ihnen nicht zu nahe treten. Vermutlich hatten Sie keine andere Wahl, dort, wo Sie aufgewachsen sind.«
»Mum!« Ob sie sie einfach durch die Schatten werfen konnte? »Hör auf, meine Freunde zu beleidigen. Wie immer lebst du in deiner Traumwelt. Lass mich dich aufklären.«
In kurzen, möglichst einprägsamen Sätzen berichtete Jane von Inés, dem Tod Jeremiahs und der Rückkehr des Dämons. Als sie von Nic und Liz erzählte, musste sie schlucken, ihre Wut verrauchte. Wie sehr sie Nic vermisste. »Verstehst du jetzt?«
»In der Tat.« Langsam stand ihre Mutter auf, ihre Finger zitterten. »Jetzt ist mir alles klar.« Sie fuhr zu Ian herum. »Ihr habt mein Mädchen einer Gehirnwäsche unterzogen!«
Ihre Mutter stand im Raum, das Cocktailglas in der Hand, ein Hauch von Blumenduft umgab sie, vermischte sich mit dem Dunst von Alkohol. Das blonde Haar glänzte seidig gewellt wie bei einer ausstaffierten Südstaatenpuppe.
»Mum, würdest du bitte einfach zuhören.«
»Das habe ich doch. Sie haben dich umgedreht, die Wächter haben deinem Dad und mir bereits gesagt, dass das passieren könnte. Ich wollte es nicht glauben.«
»Sie waren also hier«, sagte Jane.
»Natürlich waren sie das! Deine Freunde haben den Obersten des dreizehnten Hauses getötet und wollen den Dämon befreien! Sei doch nicht so naiv!« Sie stürzte den letzten Schluck Martini hinunter. »Es ist meine Schuld. Ich hätte dich nicht ständig mit diesem verfluchten Ashton herumhängen lassen sollen. Ich dachte wirklich, er sei eine gute Partie. Sohn eines Ratsmitgliedes und so weiter. Er konnte ja nichts für seine Mutter.«
»Es reicht!«, brüllte Jane. »Wir nehmen dich mit und dann holen wir Dad. Ob du willst oder nicht.«
»Was ist nur aus dir geworden?«
Janes Mutter reagierte so schnell, dass Jane es selbst dann nicht hätte verhindern können, wenn sie direkt neben ihr gesessen hätte.
Ihr Anima leuchtete auf, goldene Magie flirrte. Im gleichen Augenblick erschienen überall im Raum kleine Leuchtsphären durch ein Licht von Mykonos.
»Mum, was soll das?«, fragte Jane.
»Sie werden gleich hier sein.«
»Wer?« Ian fuhr in die Höhe, seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, weiteten sich kurz darauf. »Spiegel. Versteckt im Garten.«
»Sie haben ein paar Portale hinterlassen, natürlich außerhalb. Unauffällig.«
Ians Gesicht nahm einen gehetzten Ausdruck an. »Hunderte, es werden immer mehr. Wächter aus verschiedenen Häusern. Und sie tragen alle Schattenglasklingen.«
»Wir müssen …« Und Jane begriff. »Das Licht.«
Die Sphären waren so angeordnet, dass sie sich überlagerten und jeden Rest von Schatten vertrieben. Es gab keinen Fluchtpunkt.
»Mum!«
»Ich tue das nur für dich, meine Kleine.«
»Das Gleiche gilt für mich.« Sie war mit einem Satz bei ihrer Mutter und schlug ihr die Faust gegen das Kinn.
Für einen Augenblick wirkte die einfach nur überrascht, dann kippte sie um. Jane fing sie auf, ließ das Cocktailglas zerschellen. Musik in ihren Ohren.
Durch die Bewusstlosigkeit konnte ihre Mutter die Magie nicht länger stabil halten. Die Lichter erloschen. Für wenige Sekunden. Dann flammten sie erneut auf.
Trugbilder zerflossen und dahinter kamen Glühbirnen, Flutlichter und Dioden hervor.
»Sie haben das gesamte Haus damit ausstaffiert«, flüsterte Ian und rannte zur Treppe. »Die Dinger sind überall.«
»Nicht mit mir!«
Jane rannte zur Küche und zog den Hammer unter der Spüle hervor. Kurzerhand schlug sie im Salon auf die Glühbirnen ein. Sie benötigten lediglich einen schmalen Spalt, durch den sie in die Schatten entkommen konnten.
»Das war’s.« Sie wirkte zufrieden.
Die Scherben setzten sich magisch wieder zusammen, die Lichter flammten erneut auf.
»Sie müssen irgendwo einen Zweitanima platziert haben, der das Glas erneuert.« Ian rannte zum Fenster. »Sie sind überall. Das Haus ist eingekreist.«
Jane trat neben ihn.
Die Wächter trugen alle Kampfmontur, ihre Animas glühten. Gleichzeitig hielten sie ihre Schattenglasklingen in die Höhe. Es stand außer Frage, dass dieser Angriff nicht der Gefangennahme diente. Sie sollten sie töten, wie sie es zuvor bereits unter Piccadilly vorgehabt hatten.
»Sie wussten, dass wir kommen«, sagte Jane leise. »Es ist nur logisch. Vermutlich werden die anderen Gruppen ebenfalls angegriffen.« Wie dumm sie gewesen waren.
»Was können wir tun?«, fragte Ian. »Selbst wenn ich alle Tiere in der Nähe beeinflusse, würde das nichts nutzen. Die Schlangen würden vielleicht ein paar Wächter erledigen, das würde sie jedoch ebenfalls verletzen.«
Bei dem Gedanken, Tiere als Kanonenfutter einzusetzen, wirkte Ian wie ein getretener Welpe. Allein die Idee schmerzte ihn.
»Lass es gut sein. Wenn wir hier lebend entkommen wollen, müssen wir uns etwas einfallen lassen, womit sie nicht rechnen.«
»Und das wäre?«
Jane seufzte. »Leider habe ich keine Ahnung. Meine Mum hat ganze Arbeit geleistet und uns lange genug hingehalten, damit diese Idioten sich vorbereiten konnten. Sie haben mein Talent erledigt.« Auf das sie sich wie eine Anfängerin verlassen hatte.
»Wir können immer noch kämpfen«, sagte Ian entschlossen. »Ich habe ein paar gemeine Zauber auf Lager.«
»Das sind Hunderte Wächter. Sie zerschneiden unsere Zauber und müssen uns nur anritzen, dann werden wir zu einer netten kleinen Rauchwolke.«
»Ich bin für bessere Ideen offen.« Selbst Ians Sommersprossen wirkten traurig. »Wenigstens ist Mirabella in Sicherheit. Ich habe ihr gesagt, sie soll abhauen.«
Jane lächelte. »Immerhin, die Taube ist davongekommen.«
»Sie hätte es nicht verdient, wegen unseres Kampfes zu sterben.«
Ein erster Zauber krachte gegen die Tür. Stimmen erklangen.
Der Angriff begann.