Читать книгу Die 12 Häuser der Magie - Schicksalsretter - Andreas Suchanek - Страница 8

Zerbrechende Mauern Matt

Оглавление

Ein Stück Himmel fiel herab und hinterließ ein schwarzes Loch. Dahinter lauerte etwas, dessen Anblick allein Matt in panische Angst versetzte. Sein Innerstes verkrampfte sich. Er wollte sich zusammenrollen wie ein kleines Kind und wimmern.

»Hey!«, brüllte Jane.

In ihren Augen stand nackte Panik, doch ihre Bewegungen waren zielgerichtet und beherrscht. Sie berührte ihren jadegrünen Anima-Stein in der Halskette, obgleich es keine Magie ringsum gab, die sie hätte verweben können.

Er erwiderte ihren Blick. »Was?«

»Nicht hinsehen«, verlangte sie. »Ich bin durch diese Schwärze getaumelt, tagelang. Du kannst keinen klaren Gedanken mehr fassen, wenn du dich darin verlierst.«

Risse verästelten sich auf dem Boden, die Gebäude fielen in sich zusammen. Die gesamte Kulisse, die der Dämon – Egmont Chavale – erschaffen hatte, war dem Untergang geweiht. Matts eigene Dummheit hatte all das ermöglicht. Der Fluch hatte sich erfüllt, das Gefängnis war offen.

Was eine fehlerhafte Kopie Londons aus dem 18. Jahrhundert gewesen war, fiel zusammen, als bestünde es aus Pappmaschee. Ohne den Dämon hatte der Kerker des Schicksals keinen Nutzen mehr.

»Wir müssen es durch die Schatten versuchen«, schaltete sich Sam ein.

Hektisch zupfte sie an ihrem Lippenpiercing, und es hätte Matt keine Sekunde gewundert, wenn ihr Anima darin eingelassen gewesen wäre. Doch sie trug wie er ein Lederband mit dem magischen Stein.

»Dieses Gefängnis wurde errichtet, um den Dämon einzu­kerkern«, sagte Jane. »Meine Gabe ist nutzlos. Beide Gaben.«

Das galt für sie alle.

Er selbst konnte keine Pflanzen manipulieren, weil es hier schlicht keine gab. Sams Talent des Traumwandelns bot sowieso keinerlei Nutzen für eine Fluchtmöglichkeit.

In Sichtweite brach ein Stück Straße weg, ein Abgrund tat sich auf. Die Schwärze darin wallte auf wie farbige Säure, die jemand in ein Becken gekippt hatte.

»Lauft!«, brüllte Sam.

»Wartet!« Matt gefror in der Bewegung.

»Matty, das ist nicht der richtige Augenblick für … was auch immer du in erstarrter Variante vorhast!« Jane blickte zwischen dem Abgrund und ihm hin und her.

Sein erster Instinkt war es gewesen, Engelsschwingen einzusetzen, um in der Luft Sicherheit zu suchen. Ohne Magie war das unmöglich, doch im Kampf gegen die Kreatur von Chavale war er nach oben gestiegen. Es war nur ein kurzer Blick gewesen, doch etwas war ihm in Erinnerung geblieben. »Alles bricht zusammen, aber nach innen. Das Haus wird am längsten stehen.«

»Los!«, rief Jane.

Gemeinsam rannten sie die Treppenstufen empor.

Das einstmals herrschaftliche Anwesen glich einer verfallenen Ruine, doch bisher hielt es der Zerstörung stand. Es war der Kern des Kerns. Die letzte Insel der Stabilität.

Sie stürzten durch die Tür.

Dass die Apparatur erloschen war, wussten sie längst. Der Dämon war durch den Spiegel entkommen.

Sam schrie auf, als sich etwas aus dem Nichts schälte, Konturen annahm und explodierte. Für eine Sekunde erkannte Matt einen aufrecht stehenden Mann in einer Robe, dann regnete schwarzes Glas herab.

»Was geht hier vor?«, flüsterte Jane.

Matts Gedanken rasten. »Das hier ist das Gefängnis, außer dem Dämon sollte sich niemand hier befinden.«

Eine weitere Silhouette erschien, um kurz darauf zu explodieren. Dieses Mal konnte Jane nicht schnell genug ausweichen, einer der Splitter bohrte sich in ihre Haut. Er war lediglich münzgroß, doch scharfkantig.

Sie schrie auf, ging wimmernd in die Knie.

»Jane!« Sam sank neben ihr zu Boden.

Matt wollte ebenfalls helfen. Ein weiteres Beben riss ihn jedoch von den Beinen. Ein Teil der Wand brach nach außen, gab den Blick frei auf die brodelnde Dunkelheit des Nichts.

»Es wurde von den Sieben erschaffen, die dafür selbst ihr Leben gaben«, flüsterte Jane.

Stöhnend kam Matt in die Höhe, taumelte zu ihr.

»Das war falsch.«

Natürlich kannten sie alle die Geschichte des Dämons, dessen Regnum vor über hundert Jahren beendet worden war. Erst durch Nics Zugehörigkeit zum Haus der Schicksalswächter hatten sie die Wahrheit erfahren. Der Dämon war nicht tot, lediglich eingekerkert. Sieben Magier hatten das Schicksal gebeugt und ein Gefängnis erschaffen. Doch der Dämon hatte in seiner Schläue ausgenutzt, dass die natürliche Ordnung für dieses Ziel gebrochen worden war. Ein Fluch sorgte seitdem dafür, dass sich alles zu seinen Gunsten neigte, zur Öffnung des Kerkers.

»Was meinst du?« Matt ging neben ihr in die Knie.

»Sie harrten aus«, flüsterte Jane. »Sie gaben ihre Freiheit, jedoch nicht ihre Existenz.«

»Ich verstehe nicht …« Sam hob einen der Splitter vom Boden auf. »Wer?«

»Die Überlieferung spricht davon, dass sie ihr Leben gaben, allerdings war damit nicht die körperliche Existenz gemeint. Sie opferten ihr Leben in Freiheit. Sie wurden zu Ankern.« Janes Augen waren weit aufgerissen. »Ihr Leib wurde zu schwarzem Glas. Angefüllt von jener Dunkelheit, die das Schicksal zu verändern vermag. Sie waren Teil des Kerkers.«

Sie hatten also die Stellung gehalten, um die Barriere zu stabili­sieren. Womöglich sogar, um gegen den Fluch anzukämpfen.

»Allerdings waren es nur sechs«, flüsterte Jane weiter. »Eine ist den Weg nicht mitgegangen. Und des Schicksals Klinge wurde stumpf.«

»Woher weißt du all das?«, fragte Sam.

Mit zittrigen Fingern berührte Jane den Glassplitter in ihrer Haut. »Meine zweite Gabe. Es ist, als würde ich meinen Geist an einen anderen Körper heften, um unsichtbar an dessen Seite zu wandeln. Doch hier ist es umgekehrt. Einer der Sieben hat seinen Geist an mich gehängt, bevor sein Körper zersplitterte.«

»Du kannst mit ihm sprechen?«, fragte Matt.

Wieder erzitterte der Boden.

Jane wollte antworten, doch eine weitere Silhouette aus schwarzem Glas schälte sich aus dem Nichts und explodierte. Die Splitter schossen davon. Ein beißender Schmerz fraß sich in Matts Arm, als sich eines der Schrapnelle hineinbohrte.

»Alles okay?«, fragte Sam, die hatte ausweichen können.

»Ich gewöhne mich dran.«

Instinktiv wollte er eine Nightingales Lampe weben, um die Wunde zu heilen, doch nicht ein flirrendes Magieteilchen war noch vorhanden.

»Sie haben hier ausgeharrt, haben ihn beobachtet, haben ihn bekämpft«, flüsterte Jane. »Sie haben auch dich gesehen, Matt. Deine Verlorenheit, deine Trauer, deine Angst. Der Dämon hat sie sich zunutze gemacht.« Janes Blick war in weite Ferne gerichtet. »Du hast ihm alles gegeben, was er benötigte. Dein Blut, deine Magie.«

»Mein Blut?« Matt erwiderte Janes Blick verwirrt, dann erinnerte er sich.

Angeblich war dies die einzige Möglichkeit gewesen, Zugang zum Walpole Club zu erhalten. Er hatte sich einen Blutstropfen ent­nehmen lassen.

»Ich habe ihm mein Blut gegeben«, hauchte er.

Später war es Matts Magie gewesen, die die Apparatur aufgeladen hatte. Von der anderen Seite hatte Nic dann das Portal geöffnet.

»Sie wollten euch aufhalten«, flüsterte Jane. »Doch ohne Körper, ohne Substanz war das unmöglich. Hilflos sahen sie dabei zu, wie der Fluch sich erfüllt.«

»Vielleicht konnte Nic ihn stoppen.« Matt blickte Hilfe suchend zu Sam, die nur traurig die Augen schloss.

»Nic ist tot. Sie konnten es sehen. Alles, was an diesem Ort geschieht, ist für sie sichtbar.« Tränen rannen über Janes Wangen. »Chavale hat ihn mit seinem Degen getötet. Nic hat mit dem letzten Rest an Magie Liz geheilt und mit seiner Gabe den Spiegel geöffnet. Sie ist mit Nox entkommen.«

»Vielleicht …« Matts Stimme erstarb.

»Er ist tot«, wiederholte Jane. »Ich sehe, was die Sieben sehen. Nic liegt tot vor dem Spiegel, sein Herz hat aufgehört zu schlagen.« Sie zitterte. »Der Dämon ist fort.« Sie blinzelte, kehrte zurück in das Hier und Jetzt. »Wir haben verloren. Das zweite Regnum, es beginnt.«

Sam schlug sich die Hände vors Gesicht.

Matt konnte nicht verhindern, dass sein Körper ebenfalls zu zittern begann. »Wir haben alles zerstört. Wir sind schuld!«

In diesem Augenblick war er froh, dass das Gefängnis kollabierte. In wenigen Minuten würden sie in die Schwärze stürzen und eins werden mit der Dunkelheit. Dann gab es keine Schuld mehr. Die Welt war dank ihnen dem Untergang geweiht.

»Das sind wir nicht!« Jane erhob sich ruckartig. »Woher hätten wir all das denn wissen sollen?! Niemand hat mit uns gesprochen, keiner hat den Mund aufgemacht. Woher hättest du wissen sollen, dass der zerzauste Wissenschaftler mit dem Spazierstock ein Dämon ist?« Mit jedem Satz wurde sie lauter, brüllte ihre Wut hinaus. »Wir konnten nicht gewinnen, hatten nie eine Chance!«

»Das macht es nicht unbedingt besser«, flüsterte Matt.

Es war einfach zu viel geschehen, als dass er noch hätte Wut empfinden können. Der Matt, der er einmal gewesen war, hatte über Witze gelacht, mit Magie experimentiert und die Welt um sich herum als etwas Spannendes gesehen, das es zu entdecken galt. Heute war er müde, ausgebrannt, gezeichnet vom Verlust seines Bruders. Vom Tod seines besten Freundes und so viel mehr. Er dachte an Angelo und spürte den altbekannten Stich im Inneren.

»Hör auf damit«, forderte Jane.

»Womit denn?«

»Dich aufzugeben.«

»Ist ja nicht so, als hätte ich eine Wahl«, sagte Matt.

Hinter ihm krachte der Kronleuchter zu Boden und zersplitterte in tausend Scherben, Metall verbog sich.

»Es gibt einen Ausweg«, erklärte Jane.

»Und woher soll der plötzlich kommen?«

Wieder deutete sie auf den Splitter, der in ihrer Haut steckte. »Hat mir ein Geist verraten.«

»Das sagst du erst jetzt?!« Sam rappelte sich auf. »Ich will hier nicht sterben!«

»Ich auch nicht«, beeilte Matt zu versichern. »Bin nur etwas müde.«

»Wir alle, Matty.« Jane zog ihn in eine Umarmung. »Noch haben wir nicht verloren.«

»Was hat dir der Splitter denn verraten?«, fragte Sam.

»Es gibt einen Weg durch die Schwärze. Mit meinem Talent als Schattenläuferin kann ich ihn nutzen.«

»Dann los.« Direkt neben Matt brach der Boden weg.

Viel war von dem Herrenhaus nicht mehr übrig. Sie standen im Salon, dessen Wände nur noch löchrig vorhanden waren. Die Decke gab es noch, was man von den Räumen darüber nicht behaupten konnte.

»Noch nicht«, sagte Jane.

»Worauf warten wir denn noch?!«, rief Matt.

»Es ist nicht einfach, einen Weg durch die Schatten zu beschreiten«, erklärte sie. »Wir sind umgeben von einem Dschungel und lediglich ein Trampelpfad führt zwischen tödlichen Pflanzen hindurch. Ich kann den Beginn erst sehen, wenn die Reste des Hauses fort sind.«

Matt hielt Janes linken Oberarm fest umklammert, Sam stand auf der anderen Seite.

»Vielleicht siehst du einfach genauer hin«, schlug er vor.

»Es ist ein Weg, der niemals hätte genommen werden sollen«, sagte Jane, während sie konzentriert auf eine unhörbare Stimme lauschte. »Sie waren sieben, doch eine verriet das große Ziel. Sie floh, bevor der Kerker sich schloss. Diesen Weg müssen wir gehen.«

»Ein Hoch auf die Verräterin«, sagte Matt trocken. »Ohne die gäbe es jetzt gar keinen Ausgang.«

»Ohne sie gäbe es den Dämon nicht mehr und wir wären nie in diesem Mist gelandet«, stellte Jane klar. »Dankbarkeit ist unangebracht.«

Weitere Teile der Decke lösten sich und trieben davon, zerfielen in der Schwärze. Sekunden später gab es nur noch den Boden. Um sie herum wallte allumfassende Dunkelheit.

»Siehst du den Weg?«, fragte Matt.

Jane hatte die Augen zusammengekniffen, doch ihr Blick war ins Innere gerichtet. Vermutlich war nicht sie es, die den Weg entdecken konnte. Jemand zeigte ihn ihr.

Geprägt von den Erlebnissen mit Chavale ergänzte Matt: »Ich hoffe, wir können ihm vertrauen.«

»Es sieht für mich nicht so aus, als hätten wir eine Wahl.« Janes Muskeln spannten sich an. »Da!«

Sie wollte einen Schritt machen, stoppte jedoch in der Bewegung. Hoch über ihnen entstand ein gleißender Wirbel aus purem Gold. Matt konnte die Wärme spüren, die davon ausging. Fäden, gesponnen zu filigranen Mustern, durchzogen das Leuchten. Es trieb die Schwärze zurück, nahm den ursprünglichen Platz wieder ein.

Es war das Schicksal.

Zum ersten Mal beneidete Matt Nic um die Gabe, es zu beein­flussen. Er konnte dieses wunderschöne Gebilde auch als Teil der Wirklichkeit sehen.

Hatte es gekonnt.

Die Euphorie verflog.

»Bring uns hier weg«, bat Matt Jane.

Sie nahm seine und Sams Hände in ihre. »Was auch passiert, ihr dürft nicht loslassen.«

Ein Schritt und die Schatten nahmen sie auf.

Hinter ihnen vergingen die letzten Reste des Kerkers. Was über einhundert Jahre Bestand gehabt hatte, existierte nicht länger. Und mit dem letzten Steinbrocken, der zu Staub zermahlen und von der Schwärze aufgenommen wurde, endete der Friede für die magische Welt.

Aus Schatten und Gold geboren, kam das zweite Regnum über sie alle.

Die 12 Häuser der Magie - Schicksalsretter

Подняться наверх